Gründung der Wagenknecht-Partei am Montag, den 08. Januar 2024 (Newsletter SW + Leitkommentar) | Briefing 405 Trend | PPP Politik, Personen, Parteien

Briefing 405 Trendthema, PPP, Wagenknecht, BSW, Positionen, Kritik

Am 08.01.2024 ist es soweit. Deutschland wird eine neue politische Partei bekommen. Sahra Wagenknecht wird aus dem bestehenden Vorbereitungsverein „BSW“ („Bündnis Sahra Wagenknecht“) eine Partei machen, die möglicherweise schon bei den Landtagswahlen 2024 im Osten antreten wird.

Warum das wichtig ist, liegt auf der Hand: Keine der anderen Parteien wird die AfD auch nur annähernd einbremsen können, so, wie es im Moment aussieht. Ist deswegen das BSW aber eine Lösung oder zementiert es sogar die verkrusteten Verhältnisse des Parteienbetriebs?

So hat sich die Gründerin und Namensgeberin heute selbst geäußert:  Ins neue Jahr mit neuem Schwung und einer neuen Partei 🙂 (sp1-brevo.net)

„Das Jahr 2023 ist vorbei und ich finde: Es war kein gutes Jahr. Statt Frieden in Europa zu schaffen ging das sinnlose Sterben in der Ukraine weiter, und im Nahen Osten wurde ein weiterer Krieg entfesselt, der nun gefährlich zu eskalieren droht. Statt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, haben steigende Preise zu mehr Armut und Überlastung an den Tafeln geführt, während an der Börse neue Rekorde gefeiert wurden. Statt den Menschen ihren Alltag zu erleichtern, hat die Ampel neue Probleme und Belastungen geschaffen und will den Bürgern auch in diesem Jahr tief in die Taschen greifen, um selbstverschuldete Haushaltslöcher zu stopfen. Nicht nur ich bin überzeugt: So kann es nicht weitergehen! Ich mache mir Sorgen um unsere Zukunft angesichts einer Politik, die die wirtschaftlichen Stärken unseres Landes verspielt und den sozialen Zusammenhalt untergräbt. Aber ich blicke auch mit Hoffnung ins neue Jahr. Denn es gibt nicht nur wachsende Proteste gegen die herrschende Politik, in Kürze wird es auch eine neue Partei geben, die für eine Rückkehr der Vernunft in die Politik kämpfen und unser Land hoffentlich zum Besseren verändern wird. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit vielen von Euch die großen Aufgaben anzupacken! 

Am 8. Januar wird die neue Partei gegründet, die Bundespressekonferenz dazu könnt ihr am nächsten Montag ab 13 Uhr hier im Livestream verfolgen.“

Wir haben vielfach zum BSW geschrieben – auch, als es noch nicht existent war, denn uns war aufgrund verschiedener Anzeichen klar, dass Sahra Wagenknecht tatsächlich eine eigene Partei gründen wird.

Wir haben auch zu Wagenknecht und der Linken verschiedentlich getextet, als es das BSW noch lange nicht gab, weil sich die Demission von Wagenknecht aus ihrer früheren Partei aus der Nähe eher als jahrelanges Drama denn als packender, plötzlicher Entschluss dargestellt hat, als eine Entwicklung, die lange absehbar war. Die Frage war für uns allerdings nach dem gescheiterten Versuch, mit „Aufstehen“ eine Art Nicht-Partei-Bewegung von oben zu gründen, die man notabene nicht wählen kann, ob sie sich traut, den Schritt zur Parteigründung zu gehen.

Wir halten das neue politische Subjekt, das derzeit noch BSW heißt, auf dem heutigem Stand nicht für eine Alternative im Sinne einer Lösung der massiven Probleme des Landes.

Wir haben erst kürzlich geschrieben, eine neue Kraft, die schon jetzt mit der CDU liebäugelt, wird sicher nicht auf Bundesebene mit ihr koalieren können, ohne dass Wagenknecht ihre Anhänger:innen vor allem außenpolitisch schlicht und einfach verrät. Der Verrat ist sozusagen implizit, wenn man sich nicht mehr von den so hart angegangenen „Altparteien“ fernhält.

Auf diesem Gebiet liegt auch vor allem unsere Kritik: Der Ton in dem obigen Text ist zwar nicht triumphierend, aber eines ist klar:

Der Frieden, der Sahra Wagenknecht vorschwebt, ist eine Bestätigung des Erfolgs des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, verkauft als „Verhandlungsfrieden“ in einer Phase, in der Russland gar nicht verhandeln will, und jeden Tag wird es wahrscheinlicher, dass es keinen gerechten Frieden geben wird. Was Wagenknecht zeigt, ist, im Geiste des Kreml-Herrschers, eine ganz und gar machiavellistische und rücksichtslose Haltung, die darauf schließen lässt, wie es auf anderen Politikfeldern im Ernstfall aussehen wird. Es ist ermüdend, immer wieder zu schreiben: Klar kommt nichts von nichts, hätte man mit Russland anders umgehen müssen, aber in Wirklichkeit ist der Ukrainekrieg ein riesiges Dilemma, und der Verdacht liegt nah, dass Wagenknecht jemand ist, der in Wirklichkeit die Demokratie nicht besonders wertschätzt. Das gilt umso mehr, weil sie gezwungen ist, in Deutschland den demokratischen Weg zu gehen – an dem sie in der Linken und mit der Linken aber gerade gescheitert ist.

Das Ukraine-Dilemma werden wir noch einmal in etwas umfassenderer und aktualisierter Form, unter Einbeziehung bisheriger Artikel, darstellen.

In der Sozialpolitik sieht es naturgemäß anders aus. Wer würde dem widersprechen wollen, dass die Menschen derzeit draufzahlen – mehrheitlich. Und dass einige wenige davon profitieren. Dass der Zustand des Landes sich verschlechtert, ist in mehrerer Hinsicht offensichtlich.

Aber stellt Wagenknecht die Systemfrage? Das tut sie eindeutig nicht.

Und es hat keine taktischen Gründe, in dem Sinne, dass sie erst einmal die Menschen nicht erschrecken will, die sich langsam an grundsätzliche Fragen gewöhnen sollen.

Auch wenn sie einmal Mitglied der kommunistischen Plattform in der Linken war, sie ist eine in den Positionen längst Lafontaine-ähnliche populistische Sozialdemokratin, allerdings mit nationalistischem Einschlag. Es ist tragikomisch, dass die KPF (die Kommunistische Plattform der Linken) Wagenknecht immer die Stange gehalten hat, in parteiinternen Auseinandersetzungen, obwohl sie keine Kommunistin ist und ihre migrations- und gesellschaftspolitischen Ansichten weit von denen der KPF entfernt sind.

Der Klebstoff war ausschließlich die unbedingte Putin-Treue der KPF und Sahra Wagenknechts. Dieser Klebstoff war letztlich zu dünn und außerdem wirft er die oben schon angedeuteten Fragen auf: Wie kann jemand, der internationalistisch und antiimerpialistisch denken sollte, ein rechtes Regime wie das derzeitige russische, in dem eine enorme chauvinstisch-nationalistische Hetze an der Tagesordnung ist, gegen jede universalistische Logik, aus reinem Antiamerikanismus heraus, promoten? Ähnliches gilt für das hochgefährliche Xi-Jinping-China.

Wenn Wagenknecht ihr Angebot ernst meint, müsste sie darauf aus sein, Deutschland tatsächlich aus der NATO zu führen und in Europa eine Sonderposition einzunehmen, die ganz an Russland und China orientiert ist. Mit allen Folgen für die Demokratie, die das haben wird, woraus sich unsere Ansicht begründet, dass eine frühere Stalin-Verehrerin keine gute Demokratin ist. Dieses Anhimmeln eines Massenmörders hat sich bei ihr vermutlich eher erhalten als die kommunistischen Ansätze. so diese jemals tiefgehend in ihr verankert waren.

Wagenknecht weiß aber ganz genau, dass sie niemals an der bestehenden Westeinbindung der BRD wird rütteln können.

So stark wird sie nicht und so stark ist die BRD nicht im Gefüge des Westens. Und es wäre auch nicht wünschenswert, wenn die Alternative eine Andockung an den Putinismus und eine der rigidesten und potentesten Diktaturen der Welt wäre. Sicher wäre eine eigenständigere Position  Europas sehr wohl wünschenswert, aber wie sie gestalten? Nur die sehr weit rechten Parteien sind gegen die aktuelle EU eingestellt. Diese EU hat viele neoliberale Mängel, aber aus ihr heraus wird die Zukunft gestaltet werden, darüber sind die meisten hierzulande sich immer noch einig.

Manchmal trifft man sich dann auch, aber die Ansätze sind unterschiedlich. Deswegen sind wir beispielsweise, wie Wagenknecht, gegen eine schon wieder übereilte und das Gefüge belastende Erweiterung, aber nicht, weil wir Putins Sieg feiern, sondern, um die EU vor noch mehr inneren Spannungen und Disparitäten zu bewahren, also, um sie zu stärken und damit die Chancen auf Reformen zu steigern, die nicht schädlich, sondern nützlich für uns alle sind.

Wagenknecht muss hingegen auf die Zerstörung der EU setzen, sonst wird es nie eine Anbindung Deutschlands an Russland geben. Das wäre mit dem Fortbestehen der EU nur dann möglich, wenn in den USA die Zügel so gelockert würden, dass die EU quasi Entscheidungsfreiheit hat und sich eigenständig positioniert. Das ist, ob mit oder ohne Wagenknecht, nicht abzusehen. Dazu müsste sie zudem eine anti-amerikanische EU-Präsidentin werden oder eine solche Person unterstützten, eine Position vorausgesetzt, die es noch gar nicht gibt, frei und demokratisch von allen Völkern in der EU gewählt. Schon möglich, dass eines Tages die Mehrheit der EU-Bürger dem leider ebenfalls zunehmend antidemokratischen Treiben in den USA nichts mehr abgewinnen können, aber die institutionelle Verschiebung der geopolitischen Akzentsetzung ist etwas ganz anderes als das Aufgreifen einer Stimmung.

Selbst wenn, aus welchem Grund auch immer, einmal alle Voraussetzungen für ein echtes, glaubwürdiges, eigenständiges Europa gegeben wären: Es nach Wagenknechts Wünschen zu gestalten, wäre noch immer unmöglich. Weil sie selbst nicht der Typ ist, der sich dieser Ochsentour unterzieht, der es bedarf, so viele Länder zu koordinieren, die unterschiedliche Interessen und Positionen in geopolitischer Hinsicht haben. Sie müssten alle Diktaturen oder Halbdiktaturen werden, und dann käme wieder der Nationalismus noch stärker als gegenwärtig zum Tragen, der eine freundschaftliche Vereinbarung der Unterschiedlichen verhindert.

Deswegen ist die Infragestellung der Westbindung ohne die revolutionäre Situation, die nicht einmal in Ansätzen zu erkennen ist, Augenwischerei.

Wir raten aus unseren Beobachtungen in der Linken und von SW heraus Menschen, die das BSW bzw. die daraus hervorgehende Partei wählen wollen, dringend, zu überprüfen, ob ihnen die sozial- und gesellschafspolitischen Ansichten von Wagenknecht minus Nicht-Durchsetzbarkeit von zwei Dritteln der Positionen im erstgenannten Themenfeld beim Zusammengehen mit der Union genügen und ob sie bereit sind, die hochtrabenden und an Diktaturen orientierten außenpolitischen Ansprüche zu vergessen, bevor sie ihr Kreuz machen. Ansonsten wird wird es zu großen Enttäuschungen dann kommen, wenn SW oder ihre Partei tatsächlich in bundespolitische Regierungsverantwortung  eintreten sollten.

Eine weitere zulässige Motivation könnte es sein, die AfD irgendwie noch aufzuhalten. Hätten wir bei einer der „Ostwahlen“ des Jahres 2024 unsere Stimme abzugeben, würden wir darüber nachdenken. In Berlin brauchen wir das nicht, der letzte Rechtsruck hat sich gerade in der Rückschrittskoalition manifestiert, aber immerhin noch ohne die AfD. Letzteres Motiv für die Wahl des BSW hätte immerhin den Vorteil, dass man dafür die innere Distanz nicht aufgeben muss und nicht als Wagenknecht-Fan blind für die blinden Flecken in ihrem politischen Konzept sein muss. Man wählt hingegen ein Mittel  zum Zweck und wägt ab, man entscheidet sich in einem wenig erfreulichen Parteienumfeld und angesichts des Rechtsdralls dafür, die Rechten ein wenig zu spalten. Allerdings hat auch dieses Wahlmotiv einen Haken.

Wem aber hilft man am meisten, wenn man sich wahltechnisch so verhält? Die Antwort ist nicht so verblüffend: Friedrich Merz.

Denn eine Art Volksfrontregierung, die der CDU zum Beispiel in Sachsen die Macht sichert und an der das BSW beteiligt ist, hilft der Bundes-CDU. Dabei spielt es letztlich kaum eine Rolle, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in Sachen Russland-Ukraine-Politik andere Ansichten vertritt als Merz und die übrigen Bundespolitiker und diesbezüglich Wagenknecht nahesteht. Letztlich verhilft Wagenknecht dem rechtskonservativen Lager zu einer Basis, die auch bei der nächsten Bundestagswahl tragfähig sein wird. Vorausgesetzt natürlich, die hohen Zustimmungswerte, die das BSW schon in Vorab-Umfragen erhalten hat, die suggerierten, es wäre schon eine wählbare Partei, lassen sich bis 2025 tatsächlich in Wähler:innenstimmen umsetzen. Auf Bundesebene ist es dann aber so, dass Wagenknecht und die CDU unmöglich für eine gemeinsame Außenpolitik stehen können, wenn Wagenknecht nicht ihr Alleinstellungsmerkmal verlieren will, nämlich eine Politikerin zu sein, die außenpolitisch zwar wie die AfD tickt, aber innenpolitisch nicht so brutal rechts ist. Und wieviel Sozialpolitik das BSW als Juniorpartner der Union würde durchsetzen können, das hängt von den Wahlergebnissen ab, die sozialpolitische Wirksamkeit des BSW als  wesentlich kleinerer  oder in einer Mehrparteienkoalition mittlerer Partner ist allemal fraglich.

Dass SW die Grünen hingegen so stark angreift, ist im sozialpolitischen Sinne kontraproduktiv, weil diese durch ihre Angriffe ganz sicher kaum an Zuspruch verlieren werden, eher im Gegenteil.

Was sie aber tut, ist, damit der SPD zu schaden, die mit Blick auf die Bundesregierung für alles verantwortlich gemacht wird, zumal in Person von Kanzler Scholz, was nicht gut läuft, also auch für die von SW markierte Politik der grünen Minister:innen. Die SPD wäre aber die einzige Bündnispartnerin, die mit dem BSW eine überwiegend kohärente Innen- und Sozialpolitik vereinbaren könnte – unter Abzug der außenpolitischen Komponente. Wenn man diese weglässt, sind einige Überschneidungen zwischen SPD-Wähler:innen und potenziellen BSW-Wählenden erkennbar.

Die vorstehende politische Skizze macht noch etwas deutlich. Dass Wagenknecht nichts Neues mitbringt.

Alles, was sie anbietet, gibt es längst, nur die Kombination ist etwas anders als in jeder der anderen Parteien. Auf diese Weise kann man noch weitere fünf Parteien gründen, ohne dass das Angebot sich tatsächlich erweitert. Im Political Compass wird sich auch das BSW im selben rechten oberen Quadrat von vier möglichen wiederfinden wie alle anderen relevanten deutschen Parteien (mit Ausnahme der Linken, aber auch diese rückte über die Jahre immer mehr in diese Richtung).

Wenn man diesen Kompass für Deutschland mit demjenigen anderer demokratischer Länder vergleicht, wird klar, dass der Eindruck vieler Menschen, in der BRD sei das politische Spektrum nicht gerade breit, richtig ist.

Das wird auch künftig so sein. Eine politische Innovation oder wenigstens eine modernisierte Reorganisation der Linken sieht anders aus als das BSW. Auch das BSW belegt in der Aufstellung, mit der es starten wird, dass wir weit davon entfernt sind, politisch zu neuen Ufern zu gelangen, wen immer wir auch wählen werden. Es ist schlimmer. Man hat derzeit den Eindruck, man kann lediglich noch ein wenig über das Tempo des Rückschritts mitbestimmen.

Ob für die Absicht, diesen zu bremsen, so gut es eben geht, die Wahl des BSW richtig ist, das bei genauem Hinsehen so wenig Zukunft und Aufbruch zu bieten hat, muss jeder selbst entscheiden. Natürlich kann es in Zeiten des Rückschritts ein ausreichender Grund für eine Wahlentscheidung sein. Perspektivisch: Erst das Schlimmste verhindern, in ein paar Jahren endlich etwas auf den Weg bringen, das mehr ist als der x-te Aufguss eines Protests. Dazu muss man sich aber die Selbstermächtigung zutrauen, die vom Politikstil einer Sahra Wagenknecht so weit entfernt ist wie die kahle, kalte Rückseite des Mondes vom irdischen Blumengarten der tausend partizipativen Möglichkeiten, also dem Ansatz, Politik selbst mitzugestalten. Vielleicht geht aus der Ratlosigkeit, die auch das BSW hervorbrachte, verbunden mit einer manchmal lächerlichen Service-Mentalität und Unselbstständigkeit in Sachen Politik eine zivilgesellschaftliche Erneuerung hervor, wenn alle diesen rechten Quatsch satt haben, den sie in weniger scharfer Form als der AfD auch mit dem BSW unterstützten.

Das könnte sogar die tiefere Funktion oder der tiefere Sinn des BSW sein: Dass die Menschen nach dem nächsten Fail einer neuen Partei, der nächsten politischen Enttäuschung nicht der Demokratie für diese Enttäuschung die Schuld geben, sondern erkennen, dass sie selbst diese Demokratie so kläglich gestaltet haben. Durch ihre Wahlentscheidungen. Dass sie endlich erkennen, dass es keine Heilsbringer:innen gibt, dass man keine unmündige Fanposition einnehmen darf, sondern man selbst etwas tun muss, wenn sich etwas verbessern soll. Dazu ist freilich etwas mehr Engagement nötig, als alle vier Jahre zur Bundestagswahl zu gehen.

TH


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