Briefing 407 Wirtschaft, Gesellschaft, GdL, Lokführerstreik, Bauernproteste, Arbeitszeit, Schichtarbeit, Piloten, Busfahrer, Taxifahrer
Vor wenigen Tagen standen die Bauernproteste im Mittelpunkt des politischen Geschehens, also haben wir die Agrarsubventionen mithilfe von Statista schrittweise erklärt, zuletzt hier: UPDATE 2: EU-Subventionen +++ Ländersubventionen +++ Agrardiesel und andere Subventionen für die Landwirtschaft: Statistik (Statista + Kurzkommentar) . Nun sind die Lokführer in den Ausstand getreten, also schauen wir uns deren Gehälter an.
Infografik: Bahnstreik: Was verdienen Lokführer? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Seit Anfang November streitet die Gewerkschaft der Lokführer GDL mit der Deutschen Bahn und weiteren Unternehmen auch um mehr Geld. Die Statista-Grafik zeigt, wie hoch das Gehalt von Lokführer:innen im Vergleich zu ausgewählten anderen Berufen in der Verkehrsbranche im Schnitt ist. So verdienen diese beinahe nur halb so viel wie Verkehrsflugzeugführer:innen, deren Anforderungsniveau allerdings auch auf Expertenlevel liegt. Auch die stark spezialisierten Fluggerätmechaniker:innen verdienen mehr. Bus- und Straßenbahnfahrer:innen hingegen liegen im Schnitt 830 Euro unter dem Brutto-Mediangehalt von Vollzeit-Lokführer:innnen. Schlusslicht sind die Taxifahrer:innen: sie verdienen im Monat rund 1.700 Euro weniger als Lokführer:innen.
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat im Tarifstreit mit der Deutschen Bahn (DB) zuletzt erneut einen Streik angekündigt. Im Personenverkehr soll er am morgigen Mittwoch um 2 Uhr beginnen und bis Freitag 18 Uhr dauern. Ob der Streik wirklich kommt, entscheidet das Landesarbeitsgericht Hessen heute Abend (Dienstag) in zweiter Instanz. Denn die DB hat Berufung eingelegt, um den Lokführerstreik mit juristische Mitteln zu stoppen. Am Montag war die Bahn mit dem ersten Versuch vor dem Arbeitsgericht Frankfurt gescheitert. Ein wichtiger Streitpunkt ist die Forderung der Gewerkschaft nach einer Arbeitszeitreduzierung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich.
Wir müssen festhalten, dass wir über die Gehälter in der Verkehrsbranche verblüfft waren. Diese hätten wir insgesamt für höher gehalten. Vom Piloten angefangen, den wir bei etwa 8.000 Euro gesehen hätten, über die Lokführer, denen wir Gehälter von 4.500 bis 5.000 Euro zugerechnet hätten, eigentlich sind die Einkommen in diesem Bereich durch die Bank niedriger als von uns vermutet. Da sieht man die eigene Branche mit anderen Augen könnte man jetzt witzeln, aber wäre alles okay, gäbe es nicht diesen enormen Personalmangel, der ja auch in manchen Verkehrsberufen zu beobachten ist. Wofür auch immer gestreikt wird, ob es ein Lohnausgleich bei etwas weniger Stunden ist oder einfach mehr Gehalt, es ist auf jeden Fall berechtigt.
Es gibt in den Branchen natürlich auch Einkommensunterschiede, was aber auch bedeutet, einige verdienen noch wesentlich weniger als das „Medien-Bruttoentgelt“, das oben dargestellt ist und nicht viel über der Armutsgrenze.
Und wieder einmal hat man das Gefühl, dass hierzulande mit dem Lohn- und Einkommensgefüge und damit natürlich auch mit dem Vermögensgefüge etwas nicht stimmt. Diese Tatsache müsste linke Politik nach vorne bringen, stattdessen hat man häufig das Gefühl, die Proteste sind nach rechts anschlussfähig. Nicht so sehr, wenn sie von den im DGB versammelten Gewerkschaften angeführt werden, als wenn andere Interessengruppen die Mobilmachung betreiben, was dem Lokführerstreik den Charme verleiht, dass wir darüber wohl nicht so diskutieren müssen wie jüngst bei den Bauernprotesten. Man kann nicht gerade sagen, dass die Bahn sich derzeit dusselig verdient, außerdem muss sie dringend mal wieder saniert werden. Aber wie erst würde es aussehen, wenn die Organisationsfähigkeit der Bahn-Arbeitnehmer:innen nicht vorhanden wäre und nicht durch die immer wieder kampfbereite GdL gebündelt würde? Vielleicht wie bei den Taxifahrer:innen. Wundert uns plötzlich mehr, dass sie so aggressiv fahren. Das Prestige und das Gehalt sind so gering, dass man das Auto auch als Frustabbauwaffe verwendet, in dem man Tag und Nacht unterwegs ist. Es versteht sich von selbst, dass darunter nicht andere Verkehrsteilnehmer leiden dürfen, auch einige BVG-Busfahrer sind schlicht Verkehrsrowdys.
Was wir aber sehen, ist generell wieder eine Vereinzelung. Wenn der gesamte Verkehrsbereich bestreikt würde, würde sich erst richtig zeigen, was systemrelevante Berufe sind, ebenso wie im Gesundheitswesen oder im Einzelhandel. Was jetzt falsch wäre: Wenn Fahrgäste der DB allzu gereizt reagieren würden. Verspätungen wegen des Streiks kann man jedem verständigen Dritten erklären. Termine müssen angepasst, mit Zeitpuffern versehen werden, einiges, was sich inzwischen nach der Corona-Zeit wieder an alten Verhaltensweisen im Sinne des Herumreisens eingebürgert hat, aber auch online gelöst werden könnte, kann bei der Gelegenheit trefflich hinterfragen.
Natürlich haben Proteste und Streiks immer etwas von Nötigung (nicht von Erpressung, das wäre zumindest gegenüber Dritten, nicht den Arbeitgebern der falsche Straftatbestand), aber es gibt ja auch Rechtfertigungsgründe. Bei den obigen Gehältern kann man teilweise schon von Notwehr sprechen, wenn die Arbeitenden mehr haben wollen und es nicht auf dem Kompromissweg durchsetzen können, ohne ihre wichtige Arbeit niederzulegen. Manches ist auch eine Wahrnehmungssache. Bauernproteste sind wegen ihrer optischen Präsenz medial so schön zu verwerten, während man bei der GdL das Gefühl hat, die streiken fast jedes Jahr. Falls das so ist: Dafür haben sie bisher aber nicht sehr viel herausholen können, also sind weitere Arbeitskämpfe vorprogrammiert.
TH
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