Zerrissen – Tatort 1258 #Crimetime Vorschau Das Erste, 21.01.2024, 20:15 Uhr #Tatort #Stuttgart #Lannert #Bootz #SWR #Zerrissen

Crimetime Vorschau – Titelfoto © SWR, Benoît Linder

Zerrissen ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom Südwestrundfunk produzierte Beitrag ist die 1258. Tatort-Episode und soll am 21. Januar 2024 im SRF, im ORF und im Ersten ausgestrahlt werden. Das Stuttgarter Ermittlerduo Lannert und Bootz ermittelt in seinem 32. Fall.[1]

Nach den Herzkölnern (Tatort 1257 – Pyramide) kommen die Superschwaben. Die allerdings keine Schwaben sind, wie man deutlich hören kann, sondern Badener. Beide, geboren in Mannheim (Richy Müller) und in Heidelberg (Felix Klare). Vor allem aber sind sie ein Team, das jedes Thema spielen kann und sich einen besonders guten Ruf unter den Tatortermittler:innen erarbeitet hat. Sie wirken vergleichsweise ruhig und unprätentiös, aber nie oberflächlich oder gleichgültig. In der Phase, in der kein neues Tatort-Team schrill genug sein konnte, waren sie trotz oder gerade wegen ihres zeitlosen Auftritts schon fast als konservativ zu bezeichnen.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass ihre konzentrierte Dezenz genau das ist, was wir eigentlich in diesen Zeiten alle bräuchten, was aber immer seltener anzutreffen ist. Im Realleben – tatortmäßig sieht es etwas besser aus, man hat sich bei den jüngsten Neukonzeptionen wieder etwas mehr an einer Realität orientiert, die immer mehr entschwindet. Das liegt vor allem daran, dass die letzten Neuzugänge relativ gestandene Schauspieler sind, während zum Beispiel Felix Klare erst 30 Jahre alt war, als er die Rollenfigur „Sebastian Bootz“ übernahm. Aber anders als Newcomer, die zu Dauerbrennern wurden, mussten die beiden nicht erst in ihre Aufgabe hineinwachsen, sie waren von Beginn an eines der souveränsten Duos. Das liegt nicht nur am guten Spiel der beiden Darsteller, sondern auch daran, dass man ihre Rollen nicht unsinnig stark auf Krawall und Dissonanz angelegt hat, sondern sich darauf beschränkte, zeitweilige Disharmonien und Vertrauensverluste zu zeigen, die plausibel erscheinen, weil die Rollenfiguren insgesamt glaubwürdig wirken.

Nicht nur untern den Schienen des SWR (Ludwigshafen, Schwarzwald, Stuttgart, gelegentlich Freiburg) ist das Team Stuttgart vorne, es zählt für mich zu den besten insgesamt. Auch die beiden Badener Schwaben hatten Ausrutscher, aber bei 32 Filmen ist das kaum anders möglich, zumal Experimente, die notwendig sind, um die Reihe Tatort weiterzuentwickeln und ihre Grenzen zu testen, nicht immer gelingen können. Und wie sieht es nach Meinung der Kritiker:innen mit ebenjenem 32. Fall, dem 1258. Tatort, aus?

„Die Redaktion von Tatort-Fans meint: Blut ist dicker als Wasser: Die Wirkmächtigkeit dieses Sprichworts und dessen fatale Konsequenzen zeigt dieser gelungene Tatort aus Stuttgart. Louis Guillaume arbeitet in seinem Spiel die Zerrissenheit des jungen Protagonisten überzeugend heraus, während sich die Routiniers Richy Müller und Felix Klare gekonnt die Bälle zuspielen. Sehenswert!“[2]

So kurz und knackig wie der Titel hält sich auch die Stimme, mit der wir in der Regel in das Meinungsbild einsteigen. Langsam haben wir die Befürchtung, dass bezüglich der Tatort-Reihe die titelfähigen Substantive und Adjektive alle werden, mit denen man die Handlung von Filmen so schön unbestimmt-mehrdeutig überschreiben kann. Ich glaube, zerfleddert und zerrupft hatten wir noch nicht. Der vor einigen Jahren erkennbare Trend zum Titel als ganzem oder halbem Satz scheint sich vorerst gelegt zu haben, ebenso wie die erratischen Konzepte für neue Teams.

„Der Tatort „Zerrissen“ ist vor allem wegen des Schauspielers Louis Guillaume, der den David spielt, sehenswert. Ein spannender Krimi ist es für das Stuttgarter Tatort-Team Lannert und Bootz nicht. Das Ende hat mich außerdem etwas ratlos zurückgelassen. Deshalb nur 2 von 5 Elchen.“[3]

Die Kritiken von dieser Seite finde ich schon deshalb spannend, weil sie von einem ARD-Sender kommen, das heißt, die Rezensent:innen müssen sich bewusst distanzieren. Umso mehr gilt das natürlich, wenn die Filme direkt aus dem eigenen Haus, vom SWR, stammen. In diesem Fall ist die Distanzierung deutlich zu erkennen. Anders ergäben Kritiken von dieser Seite allerdings auch wenig Sinn, denn irgendein ARD-Sender ist immer der Produzent, von den ORF- und SRF-Tatorten abgesehen. Hat die vorher gezeigte Stimme deshalb so knapp formuliert, weil man die geschätzten Stuttgarter nicht negativ …? Ach nein, das glauben wir nicht. Man hätte ja auch einen kurzen Verriss schreiben können oder einen oder zwei differenzierende Sätze anhängen können.

„‘Zerrissen‘ (SWR) ist ein Jugenddrama über einen 13-Jährigen, der nach einem Raubüberfall seiner Cousins zwischen die Fronten gerät. Dieser eher stille Tatort ist präzise erzählt und gut gespielt, aber weder so originell noch so fesselnd wie die sonstigen Krimis aus Stuttgart. Ein Glücksgriff war allerdings die Wahl von Louis Guillaume als Episodenhauptdarsteller: Es gelingt ihm nahezu perfekt, seine Rolle in der Schwebe zu halten, zumal er David nicht als zornigen Teenager, sondern sehr zurückhaltend verkörpert. Ähnlich sehenswert ist Caroline Cousin als Sozialarbeiterin, die dem Jungen helfen will, den unheilvollen Einfluss seiner Familie hinter sich zu lassen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Sehr wirkungsvoll ist auch die Idee, dass David regelmäßig Visionen seines verstorbenen älteren Bruders hat, was ihn noch verletzlicher wirken lässt.“[4]

Auch die obige Stimme zählt zu unseren „Essentials“, kundig wie kaum eine andere und dem Tatort zugewandt. Gerade deshalb aber ist die nachfolgende Wertung mit 4/6 unterdurchschnittlich, denn die Prämisse bei Tittelbach-TV ist, dass Tatorte generell kein Müll sind, weshalb die Bewertung erst bei 3 oder 3,5/6 anfängt. Der Durchschnitt liegt bei etwa 4,5/6 in diesem aufgrund der beschriebenen Handhabe sehr engen Notensystem, das insofern auch dem unseren ähnelt (wir vergeben nur aus besonderen Gründen wie etwa (rechts-) politischen No-Gos weniger als 5/10 oder wenn ein Fall  wirklich mies ist, vom Drehbuch bis zum Spiel, aber das kommt eben doch selten vor). Auffällig ist, dass Tittelbach-TV einen Bezug zu anderen Stuttgart-Fällen herstellt und diesen auf der Skala der Lannert-Bootz-Filme ziemlich weit unten ansiedelt. Dieses Ins-Verhältnis-Setzen lese ich in den Zusammenfassungen selten.

„Dass der junge David als Figur, der man folgen will, nicht zu 100 Prozent verfängt, liegt nicht an der Leistung ihres Darstellers, sondern daran, dass hier ein ‚Spielball der Mächte‘ als Zentrum der Geschichte nicht gut genug funktioniert. Zudem hätte man die angedeuteten Vorwürfe in Richtung Polizei, dass ihre Methoden ethisch betrachtet nicht viel besser sind als die der Verbrecher, noch etwas genauer ausarbeiten können. So bleibt unterm Strich ein tatsächlich klassischer (es gibt sogar eine Verfolgungsjagd!) Krimi, der ordentlich, aber nicht herausragend ist. In der Schule vergäbe man ein ‚befriedigend‘.“[5]

Im Zeitalter der immer besseren Noten vor dem Hintergrund, dass viele Schulen um Schüler:innen geradezu werben müssen, ist „befriedigend“ doch eher unterdurchschnittlich (die Abiturnoten sind seit unserem Abschluss durchschnittlich um mehr als einen halben Punkt angestiegen, und es liegt nicht daran, dass der Bildungsstand der Schulabgänger:innen immer besser wird). Aber wir wollen nicht zu sehr vom Thema abkommen und halten fest, dass die Bewertung bei aller Relativierung doch ein wenig angestiegen ist, von Tittelbach-TV zu Prisma. Solide ist für mich keine negative Beschreibung, aber es klingt auch hier durch, dass der richtige Thrill fehlt, den gerade die Stuttgarter sehr gut können, weil sie eine spannende Handlung mit ihrer Ruhe in einen Kontrast setzen können. Eigentlich sind sie selbst „klassisch“, in diesem Sinne, ein wenig wie die Ermittler:innen der ersten Generation, wenn auch als Persönlichkeiten mehr kenntlich und nicht so altherrenhaft selbstverständlich.

Ist der Film gut?, fragen wir noch einmal.

„Ja, was vor allem an den gewohnt starken Schauspielern Richy Müller und Felix Klare und den beeindruckenden Episoden-Hauptdarstellern Caroline Cousin und Louis Guillaume liegt. Die vier versprühen über 90 Minuten hinweg einen großen Charme und tragen das nicht immer vor Spannung und Inhaltstiefe strotzende Drehbuch durch den Film. Die Geschichte wäre eigentlich in wenigen Minuten erzählt. Denn die Ermittler haben weniger das Problem, die Täterschaft zu identifizieren, sondern eher ihnen die Tat hieb- und stichfest nachzuweisen. Was möglicherweise durchaus einem realistischen Szenario entspricht, bremst jedoch das Tempo des Stuttgart-„Tatorts“ in einigen Momenten deutlich aus.“[6]

Die Rezension ist in sich nicht ganz kohärent, denn ein fesselnder Krimi sollte doch auch durchgänig spannend sein. Oder nicht? Wie auch immer, als mit Abstrichen positiv würde ich das umschreiben wollen, was oben zu lesen ist. Oder geht doch noch ein Zitat?

„So spannend wie sensibel lotet der Krimi die Verbindungen und Kräfte aus, die an David zerren. „Zerrissen“ ist ein eindringlicher, eher stiller „Tatort“, auch wenn die Geschichte mit dramatischen Wendungen aufwarten kann und schon die notorisch schlechten Entscheidungen aller Mitglieder dieser planlosen Sippe den Adrenalinspiegel beim Publikum in die Höhe treiben. Aber trotz der Trostlosigkeit ist es ein optimistischer „Tatort“, bei dem alle Beteiligten etwas über die Grenzen und Möglichkeiten von Familie lernen.“

Sie haben es sicher gemerkt. Es nervt, immer die Anführungszeichen im Text korrekt durch die einfache Version ersetzen zu müssen, weil wir korrekterweise außen herum selbst welche anbringen. Ein beinahe unlösbares Korrektheit-Effizienz-Dilemma, im Verlauf tendiert es immer mehr in Richtung Effizienz. Dafür haben wir am Ende noch eine Stimme gefunden, die noch etwas positiver klingt als die vorherige. Es handelt sich übrigens nach Ansicht des einen oder anderen Kritikers um einen „Clan“-Tatort, aber ohne die heute üblichen Zuschreibungen, deswegen finde ich in diesem Fall den Begriff „Sippe“ auch besser. Sehr viele Tatorte der letzten Zeit sind „Familien-Krimis“. Nach den Jahren, in denen zum Beispiel die OK (die „Clans“) und auch Fails des Staats, große Verschwörungen und große Themen wie die Situation der Geflüchteten die Reihe aktuell halten sollten, ist der Fall in der Familie (oder Sippe) wieder sehr en Vogue. Was ich mir als Abwechslung wünschen würde: Eine wunderbare Räuberpistole oder Gaunerklamotte, das ganz alte Muster, natürlich modern inszeniert. Die Zeiten sind aber nicht mehr so lustig, dass auch das Verbrechen noch einen humoristischen Anstrich bekommt, ohne dass es gleich in Münster-Dimensionen ausartet (wo ja auch eher das erweiterte Ermittlerteam für die Gags sorgt). Gerade die Stuttgarter könnten doch ihre eigene Ernsthaftigkeit auch mal durch eine verrückte Räuber-Combo gespiegelt bekommen. Möglicherweise müsste man damit auf ein Tötungsdelikt verzichten, um die Heiterkeit zu erhalten.

Das war nur so ein Gedanke, der mir gerade durch den Kopf ging. In den frühen Tatort-Zeiten gab es durchaus Filme ohne Todesfälle. Damit schließen wir für heute und wünschen Ihnen allen viel Spaß heute Abend um 20:15 Uhr. Ach ja, jetzt weiß ich, wie ich auf diese netten alten Krimis kam: Wegen des Überfalls auf ein Juweliergeschäft. So klassisch.

TH

Handlung[7]

Kurz vor Ladenschluss wird in Stuttgart ein Juwelier überfallen. Er selbst wird verletzt, seine Kundin stirbt beim Versuch zu fliehen. Das Vorgehen der Räuber gleicht einem Überfall vom Vorjahr und so geraten die verschwägerten Familien Maslov und Ellinger in den Fokus der Ermittlungen von Thorsten Lannert und Sebastian Bootz. Die erwachsenen Mitglieder der Familie haben viel Erfahrung damit, polizeiliche Anfragen an sich abperlen zu lassen und Alibis herbeizubringen. Bleibt der 13-jährige David, der in einem Jugendheim untergebracht ist. Die Kommissare vermuten, dass der strafunmündige Teenager bei dem Überfall als Wachposten eingesetzt war. Die ihn betreuende Sozialarbeiterin Annarosa verteidigt den Jungen mit voller Überzeugung und bemüht sich schon prinzipiell nicht gerade darum, die Polizei zu unterstützen, von staatlichen Regeln hält sie nicht viel.

Ihr junger Schützling wiederum ist in einem tiefgreifenden Dilemma. Er will Annarosa gefallen, für die er schwärmt. Aber David will sich auch von seiner Familie nicht völlig lossagen, schon gar nicht, wenn sie ihn braucht. Der Teenager, das erkennen die Kommissare bald, könnte der Hebel sein, um die Familie zu knacken. Doch zwischen polizeilichem Druck, Loyalität zur Familie und der verliebten Bewunderung für Annarosa droht David vollends die Orientierung zu verlieren. Und das bedeutet Gefahr, nicht zuletzt für ihn selbst.

Besetzung und Stab

Hauptkommissar Thorsten Lannert – Richy Müller
Hauptkommissar Sebastian Bootz – Felix Klare
Gerichtsmediziner Dr. Daniel Vogt – Jürgen Hartmann
Annarosa Neuffer, Sozialarbeiterin – Caroline Cousin
David Ellinger – Louis Guillaume
Theo Ellinger, Davids verstorbener Bruder – Levin Rashid Stein
Julia Ellinger, Davids Schwester – Caroline Hellwig
Maria Ellinger, Davids Oma – Maria Mägdefrau
Gerhard Ellinger, Davids Vater – Urs Rechn
Mikel Maslov, Davids Cousin – Oleg Tikhomirov
Alan Maslov, Davids Cousin – Nils Hohenhövel
Eugen Hager, Juwelier – Jevgenij Sitochin
Rachid Benani, Zeuge – Thapelo Mashiane
u. v. a.

Regie – Martin Eigler
Drehbuch – Sönke Lars Neuwöhner
Kamera – Andreas Schäfauer

 

[1] Tatort: Zerrissen – Wikipedia

[2] Tatort Folge 1258: Zerrissen – Tatort Fans (tatort-fans.de)

[3] Tatort-Kritik: Lannert und Bootz „Zerrissen“ in Stuttgart (21.1.) (swr3.de)

[4] https://www.tittelbach.tv/programm/reihe/artikel-6499.html

[5] „Tatort: Zerrissen“: Kritik zum Krimi aus Stuttgart mit Richy Müller und Felix Klare (prisma.de)

[6] Neuer „Tatort“ aus Stuttgart: „Zerrissen“ ist ein komplexer und fesselnder Krimi (tvspielfilm.de)

[7] Zerrissen – Tatort – ARD | Das Erste

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