Briefing 420-UD Wirtschaft, China, Autoindustrie, strategische Wirtschaftspolitik, BYD, Deindustrialisierung
Mit unserem Ausgangsartikel, der über chinesische Autos in Deutschland berichtet, haben wir eine neue Kleinserie mit Updates gestartet, das erste Update lesen Sie hier.
In Deutschland sind chinesiche Autos noch keine große Nummer, international und vor allem auf dem Heimatmarkt sieht das ganz anders aus. Wir haben im Ausgangsartikel wirtschaftspolitisch auf diesen großen Aufbruch geblickt und machen heute weiter. International am bekanntesten dürfte die Marke BYC („Build Your Dream“) sein. Der Begriff wirkt etwas befremdlich, den Autos werden fertig gekauft und können auch bei anderen Marken individuell konfiguriert werden, die Ausstattung und Motorisierung betreffend. Doch es liegt ein Sinn darin: Sich einen Traum aufzubauen, reicht für die Aufsstiegsstory Chinas weit über das konkrete Auto hinaus und eine sehr erfolgreiche Marke symbolisiert wiederum diese Geschichte oder dieses Narrativ. Die Grafik unten und die von uns ergänzten Wikipedia-Angaben, welche die längerfristige Entwicklung von BYD zeigen, beinhalten noch nicht das Jahr 2023. Natürlich liefern wir zusätzlich auch diese Daten. Lassen Sie sich überraschen.
BYD steigert Absatz um eine Million Autos

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Der chinesische Autohersteller BYD hat Absatz und Umsatz in den vergangenen Jahren signifikant steigern können. Wie die Statista-Grafik zeigt, hat BYD 2022 rund eine Million mehr Pkw abgesetzt als ein Jahr zuvor. Der Umsatz stieg im gleichen Zeitraum um rund 96 Prozent auf umgerechnet 55,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die Volkswagen AG erwirtschaftete 2022 einen Umsatz von rund 280 Milliarden Euro. BYD setzt konsequenter als andere Hersteller ganz auf stromgetriebene Pkw und stellt seit April 2022 nur noch Elektroautos her (BEV und PHEV).
Auch wenn BYD also beim Umsatz noch rund fünf Mal kleiner ist als Volkswagen, ist der chinesische Autobauer vor allem in China im Wachstumsmarkt E-Mobilität ein ernster Konkurrent. Und BYD will auch auf dem europäischen Markt angreifen und baut derzeit sein Händlernetz in Europa auf. In Deutschland bietet derzeit drei Modelle an. Der kleine Kompakt-SUV Atto 3 startet bei einem Grundpreis von 38.000 Euro, die Mittelklasse-Modelle Han und Tang kosten hingegen schon mindestens 72.000 Euro.
BYD ergänzt seine Modellpalette in Kürze auch um einen besonders preiswerten Kompaktwagen, den Seagull. Wann genau der Seagull in China zu kaufen sein wird und ob er irgendwann nach Europa kommt, ist noch nicht bekannt. Die Preise für den chinesischen Markt liegen bei 80.000 bis 100.000 Yuan – aktuell umgerechnet etwa 10.500 bis 13.100 Euro. In Deutschland angebotene Elektroautos sind im Schnitt deutlich teurer. BYD könnte mit dem Seagull den hiesigen Markt also ordentlich durcheinander wirbeln.
BYD setzt konsequenter als andere Hersteller ganz auf stromgetriebene Pkw und stellt seit April 2022 nur noch Elektroautos her (BEV und PHEV).
Jüngst hatte auch der deutsche Autovermieter Sixt bekannt gegeben, seine Fahrzeug-Flotte zum Großteil auf Elektrofahrzeuge umstellen zu wollen. Hierfür möchte Sixt in den kommenden Jahren rund 100.000 Elektroautos bei BYD kaufen.
Volkswagen hat freilich Autos in Preissegmenten, die BYD wohl auch längerfristig nicht erreichen wird, anzubieten und wir halten es für richtig, dass die Deutschen das Rennen um Platz 1 der größten Hersteller der Welt aufgegeben haben. Aber auch BYD könnte längerfristig Luxusmarken aufkaufen und damit den Umsatz weiter antreiben, wenn der Massenmarkt gesättigt ist. Das ist er aber noch lange nicht, in China und anderswo, wo die Frontstellung beim Elektroantrieb den Chinesen einen Vorsprung verschafft. Dass in Deutschland ein großer Autovermieter auf BYD setzt, sagt einiges aus, denn selbstverständlich werden die hiesigen Hersteller diesen Großabnehmern ebenfalls günstige Angebote machen. Wir wollten Ihnen aber noch den Absatz des Jahres 2023 liefern, damit der Text, in den wir die Information eingliedern, besser hinterlegt ist:
Der chinesische Autohersteller BYD hat das Jahr 2023 mit mehr als drei Millionen verkauften Fahrzeugen abgeschlossen. Konkret waren es laut Unternehmen 3.024.417 Fahrzeuge; knapp 62 Prozent mehr als im Vorjahr. 1,6 Millionen davon waren batterieelektrisch angetrieben. Der Autohersteller steigt damit erstmals auf in die weltweiten Top 10 der Autoverkäufe.
Zum Vergleich: Tesla setzte im Jahr 2023 weltweit rund 1,8 Millionen E-Fahrzeuge ab. Das amerikanische Unternehmen ist damit der Hersteller mit den meisten E-Auto-Verkäufen. Außerhalb Chinas setzte BYD gut 240.000 Fahrzeuge ab: etwas mehr als dreimal so viele wie im Vorjahr; in über 70 Ländern auf sechs Kontinenten. (Quelle)
Im vierten Quartal hat aber BYD erstmals Tesla beim Absatz von E-Autos überholt und ist damit vorerst die Nummer eins. Und könnte es bleiben. Wir fragen uns schon länger, ob das Werk eines Egomanen wie Elon Musk langfristig gegen die Industriestrategien eines 1,4-Milliarden-Volkes und seines diktatorischen Regimes bestehen kann. Wenn es die Europäer und anderen Amerikaner nicht können, die Japaner und auch Koreaner Schwierigkeiten haben, dem chinesischen Tempo zu folgen, kann Tesla langfristig die Nummer eins bleiben oder war es nur, wie einst Nokia bei den Mobiltelefonen, der Treiber der ersten Innovationswelle, der bald von Giganten mit längerem Atem marginalisiert werden wird? Wäre dem so, wäre das auch für die Produktion von Autos in Deutschland ein weiterer Schlag, da Tesla eine seiner Gigafactorys in unserer näheren Umgebung, in Brandenburg bei Berlin betreibt.
Man muss auch Standort und Hersteller trennen: Deutsche Automobilhersteller produzieren in anderen Ländern mittlerweile erheblich mehr Autos als hierzulande, auch in China. Die Veränderungen in den letzten Jahren waren dramatisch und wir glauben nicht, dass die alte Stärke vorerst wieder erreicht werden wird, als bis zu 6 Millionen Pkw jährlich von heimischen Bändern rollten. Mittlerweile ist es nur noch etwas mehr als die Hälfte, und es ist nachgerade erstaunlich, dass sich das noch nicht stärker auf dem Arbeitsmarkt ausgewirkt hat. Wir vermuten aber, die Effekte des Niedergangs der hiesigen Produktion werden bald sichtbar werden, auf mehreren Ebenen, denn auch die Zulieferer werden ihre Werke dorthin verlagern, wo mehr Autos hergestellt werden, das wird wiederum ortsgebundene Dienstleister treffen, die für diese Unternehmen tätig sind und deren Belegschaft wird schrumpfen. Man darf nicht nur die 800.000 wertvollen Industriearbeitsplätze im Blick haben, die in Deutschland direkt von der Autoindustrie zur Verfügung gestellt werden, sondern muss die gesamte damit verbundene industrielle Infrastruktur berücksichtigen.
Gibt es einen Weg zurück? Sicher nicht in einem Land der verrückten Schuldenbremse, während woanders mit gigantischen, auch staatlichen Investitonen und Subventionen, auf Zukunft gesetzt wird. Deutschland hat keine andere Wahl. Entweder macht es dabei mit, so gut es geht, oder es wird bald eine Industriewüste sein. Eine neoliberale marktwirtschaftliche Lösung für die aktuellen strukturellen Probleme gibt es nicht. Es gibt wohl viele Argumente dagegen, diesen Wettlauf mitzumachen, aber keine bessere Lösung. Das hat auch damit zu tun, dass man es viele Jahre lang versäumt hat, eine robuste neue Architektur weit in die Zukunft hinein orientierter und demokratischer geführter Wirtshcaftseinheiten zu etablieren oder zu fördern, die den Standort noch als konstitutiv für ihr unternehmerisches Selbstverständnis begreifen und eine fairere Form der Kapitalakkumulatiion betreiben, als wir sie gegenwärtig bei den Konzernen sehen, diel, wenn es so weiterläuft, den Standort Deutschland nicht mehr brauchen werden, um als deutsche Unternehmen zu gelten, falls wiederum dies in ein paar Jahren überhaupt noch einen Imagevorteil darstellt.
Deutschland ist nicht das einzige „alte“ Industrieland, das von dieser Verschiebung der wirtschaftlichen Kraftzentren betroffen ist, aber es ist dasjenige in Europa, in dem die Industrie nominal mit am meisten zum BIP beiträgt oder bis vor kurzem beigetragen hat. Auf anderen Sektoren, mit denen sich Wirtschaftskraft generieren lässt, liegt es sowieso weit zurück, weil z. B. die Finanzindustrie nie zu der dominierenden Kraft entwickelt wurde wie anders wo. Dienstleistungen aller Art werden den Ausfall großer Industrieunternehmen nicht kompensieren können. Wir empfehlen der Bundesregierung dringend, sich in den europäischen Ländern nach neuen Möglichkeiten umzuschauen, die nicht so eindeutig auf einen Industriezweig gesetzt haben und jetzt viel besser performen als Deutschland, wenn es darum geht, was man langfristig besser machen kann. Kurzfristig wird der Abstieg sowieso weitergehen und möglicherweise deutlicher als bisher spürbare Formen annehmen. Auch hier wieder. Es fehlt an einer Politik, die eine neue Idee schafft, die Aufbruchstimmung erzeugen und Kräfte freisetzen könnte. Deutschland klimaneutral zu machen, reicht als Zukunftsnarrativ nicht aus, denn am schnellsten lässt sich dieser Zustand natürlich ganz ohne Industrie und mit ganz wenig privatem Wohlstand erreichen. Etwa wie in Afrika, das als einziger Kontinent noch deutlich im Plus liegt, die Relation zwischen Verbrauch von Ressourcen und Schaffung von Ressourcen betreffend.
TH
Bisher fahren in Deutschland relativ wenige chinesische Autos. Weltweit ist die Lage komplett anders, China hat alle anderen Länder bezüglich der Pkw-Produktion komplett abgehängt. Signifikant ist auch der Produktionsrückgang in Deutschland in den letzten Jahren. Er hat mehrere Ursachen, aber im Moment müssen wir davon ausgehen, dass eine Rückkehr zur alter Stärke von der deutschen Autoindustrie nicht mehr zu erwarten ist.
Auch der Anteil chinesischer Marken an den hiesigen Zulassungen wird zunehmen, das zeichnet sich ab. Der Eintritt erfolgt über die Elektroschiene, und anders als bei früheren, erfolglosen chinesischen Versuchen, hierzulande Fuß zu fassen, hat China dort keinen Rückstand in Sachen Technologie, sondern einen Vorsprung. Zum ersten Mal seit dem Angriff der Japaner, der nun 50 Jahre zurückliegt, kommt es durch die chineische Offensive zu einer echten Verschiebung. Einige Industriebranchen in Deutschland wurden durch den Aufstieg Japans geradezu vernichtet, die Autoindustrie hat diese Zeit einigermaßen überstanden. Man kann nicht gut einschätzen, wo sie stehen würde, hätte es damals den neuen Konkurrenten nicht gegeben. Aber was in China passiert, hat noch einmal eine andere Dimension, weil der Heimatmarkt dort so groß ist, weil die Rohstoffe vor Ort gefördert und verarbeitet werden können, die für die moderne Automobilfertigung benötigt werden, dass allein aufgrund der Skaleneffekte deutsche Hersteller auf der Preisebene werden schwerlich mithalten können. Es sei denn, sie produzieren in China. Und genau den Weg gehe sie auch vermehrt. Über Kooperationen schon länger, was auch den technologischen Fortschritt in China mitverursacht hat.
Wir werden also wohl in Deutschland auch bald Fahrzeuge sehen, die zwar die bekannten Logos der hiesigen Hersteller tragen, aber nicht hier hergestellt sind. Neu ist das nicht. Schon im Jahr 2016, noch vor der Änderung der Spielregeln in Richtung Elektromobilität und vor Corona, hatten die deutschen Hersteller erstmals mehr Fahrzeuge im Ausland produziert als im Inland. Bei Kleinwagen ist es schon lange üblich, nicht mehr hierzulande fertigen zu lassen. Ist die neue Entwicklung nur eine Fortschreibung der bisherigen, ist sie harmonisch und logisch im Sinne einer ausgeglicheneren Weltordnung? Dazu unterhalb der Grafik noch ein paar Sätze.
Infografik: Wie viele Autos aus China gibt es in Deutschland? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Chinesische Autobauer wollen den europäischen Markt erobern. Auf deutschen Straßen sind Pkw aus China jedoch noch sehr selten anzutreffen, wie die Statista-Infografik auf Basis von Daten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) zeigt. Den größten Anteil an allen Neuzulassungen hat die Marke MG Roewe. Die Marke wird in der jährlichen Neuzulassungsstatistik des Kraftfahrt-Bundesamtes 2023 erst zum zweiten Mal geführt. Demnach verkaufte die Marke des SAIC-Konzerns mit Sitz in Schanghai rund 21.000 Personenwagen und erreichte damit einen Marktanteil von 0,7 Prozent. Es folgen die Marken Great Wall Motor (GWM), BYD, Lynk & Co und Nio mit jeweils fünfstelligen Zulassungszahlen. Maxus und Aiways kommen mit 64 bzw. 50 zugelassenen Autos nur auf einen Marktanteil von 0,002 Prozent.
China ist der mit Abstand größte Produzent von Kraftfahrzeugen. Im Jahr 2022 wurden etwa 23,84 Millionen Personenkraftwagen und knapp 3,2 Millionen Nutzfahrzeuge gefertigt. Insgesamt ist China damit für knapp ein Drittel der weltweiten Kraftfahrzeugproduktion verantwortlich. Im Bereich der Pkw lag der Anteil sogar noch höher – 2022 wurden 38,7 Prozent aller Personenkraftwagen in China hergestellt.
Vor allem im Bereich der Elektromobilität verzeichneten die chinesischen Hersteller zuletzt große Fortschritte und stellen eine zunehmende Konkurrenz für die etablierten Hersteller dar. So wuchs zum Beispiel der Absatz des Herstellers BYD Auto zuletzt von rund 713.000 Einheiten im Jahr 2021 auf rund 1,8 Millionen im Jahr 2022.
Die Augen in Deutschland, wenn es um den Aufstieg neuer Autohersteller geht, liegt vor allem auf Tesla. Ohne das Tesla-Werk in Brandenburg sähe die deutscheProduktionsbilanz zumindest 2023 noch etwas schlechter aus. Selbst, wenn man sagt, langfristig müssen wir mehr von dem ressourcenmordenden motorisierten Individualverkehr weg, ist das natürlich keine Aufforderung dahingehen, die größte deutsche Industriebanche zu schleifen und damit das Land auch politisch weiter zu destablisieren, weil Einnahmen wegbrechen und Verteilungskämpfe weiter zunehmen werden. Man hat sich, wie immer in diesem Land, nicht um Ersatz gekümmert, keine strategische Wirtschaftspolitik gemacht. Es gab natürlich Ansiedlunghilfen für neue Industrie, teilweise waren sie zuletzt so hoch, dass sie auch schon wieder hinterfragt werden, weil wir uns da in einem Wettbewerb mit den USA befinden, die keine Schuldenbremse und ähnliche Hindernisse haben, wenn es darum geht, für die Reindustrialisierung zu powern. Und trotzdem ist nicht ausgemacht, ob diese Idee funktionieren kann, wenn China und andere asiatische Länder weiterhin in dem bisherigen Tempo die Märkte aufrollen.
Kaum jemand von uns dürfte noch ein Mobiltelefon oder einen Computer verwenden, der nicht in China hergestellt wurde. Selbst wenn es bereits Anzeichen dafür gibt, dass China selbst Produktion in noch lohngünstigere, sprich ärmere asiatische Länder auslagert, Deutschland wird diese Entwicklung sicherlich nicht helfen. Deutschland hat es schlicht verpasst, durch Hochwertigkeit und Innovation vorne zu bleiben, und die Wurzeln für diesen Mangel lassen sich über Jahrzehnte zurückverfolgen. Die Merkel-Regierung hätte die letzte Chance gehabt, eine strategische Wirtschaftspolitik zu etablieren, die versucht hätte, mittelfristig diese Mängel zu korrigieren. Doch deren Ideenlosigkeit war der Gipfel einer grundsätzlich wirtschaftspolitisch ideenlosen Regierungstätigkeit in Deutschland. Nach der Wende hätte man die Wirtschaftspolitik als Teil einer neuen Story für das Land begreifen müssen, deren Abwesenheit jetzt so schmerzlich fühlbar wird, wo die Desorientierung immer weitere Kreise zieht.
Seit dem Jahr 2011, als der „erste“ Wahlberliner gegründet wurde, warnen wir vor dieser Entwicklung, aber die Regierung Merkel zog es vor, mit günstigen Zinsen eine Scheinblüte zu organisieren, die vor allem auf einer Steigerung des BIP durch mehr Umsatz in ganz konservativen Branchen wie dem Immobiliensektor fußte. Die Ampelkoalition muss es ausbaden, wirkt dabei zwar nicht schläfrig, umso mehr jedoch hektisch, inkohärent bis planlos und macht viele Fehler, weil sie auf eine solche Situation nicht vorbereitet war.
Und das ist der entscheidende Unterschied. Aus vielen industriellen Niederlagen gegen Japan hätte man lernen können. Dort gib es das sogenannte MITI, das mächtige Minsterium für Industrie und Technologie, das dort koordinierend eingreift, wo einzelne Firmen zu egoistisch und zu wenig an Zukunftskonzepten orientiert handeln. Viele Vorzüge japanischen Wirtschaftens wurden dort mit erdacht und umgesetzt. Manches, was dort auf den Weg gebracht wurde, war nicht fair den traditionellen Industrieländern gegenüber, besonders einige deutsche Industriebranchen hat das anfängliche hemmungslose Kopieren und Verkaufen zu billigeren Preisen der Japaner hart getroffen. Daraus haben sie mit der Zeit aber einen qualitativ-technologischen Gleichstand oder sogar Vorsprung entwickelt.
In China hat das noch einmal andere Dimensionen. Dieser Moloch von einer neuen Industrie-Weltmacht dürfte zwar zentral nicht perfekt bis ins Detail zu steuern sein, aber die strategische Ausrichtung ist sehr wohl funktionabel, und sie kennt nur eine Richtung: Vorwärts und immer mehr Technologieführerschaften erobern. Dem ist die kopflose deutsche und europäische Wirtschaftspolitik nicht gewachsen. Allenfalls die Amerikaner können da noch einigermaßen mithalten, weil das Land immer noch über gigantisches Kapital verfügt, das aktiviert werden kann. Wenn alles „normal“ läuft, werden aber auch sie hinter China zurückbleiben, schlicht aus Gründen der Größenordnung, dem Bevölkerungsverhältnis von derzeit 4,3.1 zugunsten „Chinas Offensive hat gerade erst begonnen“ ist freilich eine zu einfache Zusammenfassung. Denn der weltweite Absatzmarkt ist nicht unendlich, auch der riesige Binnenmarkt Chinas wird einmal mehr gesättigt sein als jetzt – und Deutschland wurde jüngst von einem weiteren Land produktionsseitig überholt. Es ist nicht Südkorea, wie man vielleicht meinen könnte, obwohl der Abstand zu Hyundai und Kia recht gering geworden ist – sondern Indien. Und dieses Land hat noch mehr Aufholbedarf und genauso viel Potenzial wie China, wenn es insgesamt dessen Wirtschaftliche Entwicklung, wenn auch etwas langsamer, nachzeichnen kann. Durch Indien wird die deutsche Volkswirtschaft auch insgesamt demnächst einen Rang im Weltvergleich verlieren.
China aber schiebt mittlerweile alle anderen Herstellerländer gegen die Wand, wie sich an dieser Grafik deutlich zeigt. Ein Produktionszuwachs scheint daneben nur noch für Indien möglich zu sein, was wiederum für andere Länder, auch Deutschland, bedeutet, dass sie in einer Zangenbewegung eingeschlossen sind. Und: In Indien haben deutsche Hersteller nicht die Präsenz wie in China, wo sie lange Zeit führend waren (speziell VW natürlich) und davon profitierten, dass sie schon an China glaubten, als die anderen westlichen Hersteller dort noch kein Potenzial sahen. Das sichert den Konzernzentralen hierzulande jetzt einen Großteil ihrer Gewinne. Insofern ist der Boom in China natürlich auch ein Stück weit deutsch – bei der Gewinnung hiesiger Arbeitsplätze hilft das allerdings nicht. Die Zahlen werden erheblich sinken, wenn die deutsche Produktion weiterhin schwächelt.
Sie liegt jetzt um mehr als 2 Millionen Einheiten jährlich niedriger als zu Spitzenzeiten während der mittleren 2010er Jahre. Schon damals aber, ohne Sonderfaktoren der letzten Jahre, war aber abzusehen, dass es nicht über 6 Millionen hinausgehen würde und Politik und Unternehmen hätten gemeinsam handeln müssen, um a.) gegen einen allzu schnellen Abzug der Kapazitäten zu wirken und b.) Ersatzindustrien anzusiedeln, die möglichst nachhaltig sind. Stattdessen hat man, politisch gewollt, beispielsweise die einst führende deutsche Solarindustrie, einen der wenigen Hoffnungsträger der frühen 2000er, geradezu vernichtet, ihr den Boden entzogen. So viel zum langfristigen Sinn der billigen Gaslieferungen aus Russland, übrigens. Rückständigkeit rächt sich, wenn die Welt sich weiterentwickelt. Insofern werden jetzt durchaus ein paar richtige Akzente gesetzt, aber wenn der industrielle Boden für einen richtigen Innovationsschub fehlt, wird es mühsam werden, den Wohlstand hierzulande zu halten.
Sollen wir jetzt deutschen Autokäufer:innen empfehlen, nichts Chinesisches zu kaufen? Aufhalten wird man China damit sicher nicht, alles andere ist eine Frage der wirtschaftspolitischen Sichtweise. Um eine Frage wird man aber nicht herumkommen: Soll man sich weiter dem Ansturm immer weiterer Niedriglohnländer aussetzen oder doch die eine oder andere protektionistische Planke einziehen? Deutschland ist eines der letzten Länder, in dem nicht schon länger so gedacht wird, der letzte neoliberale Außenposten einer einstmals herrschenden Freihandelsideologie, die sich immer mehr zurückzieht, der Außenposten ist weit entfernt von den Zentren des Fortschritts, in denen längst wieder mehr regional gedacht wird.
Der chinesische Aufstieg hat aber noch eine Implikation, auch die haben wir in unseren Artikeln immer mitgedacht: Erstmals seit Jahrhunderten wird ein Land wirtschaftlich führend, das nicht europäisch-westlich geprägt ist und nicht, wie Japan, heute dem westlich-demokratischen Kreis angehört. Auch aus demokratietechnischen Gründen wäre es unbedingt gebton, wenn der Westen gemeinsame Anstrengungen unternehmen würde, die sich abzeichnende industrielle Überlegenheit Chinas zu bremsen. Wir denken antiimperialistisch, uns geht es nicht darum, dass China europäische Werte übernehmen muss, um mitspielen zu dürfen, Werte, die im Westen selbst immer sehr selektiv angewendet werden, sondern darum, dass nicht das Gegenteil passiert. Wir möchten nicht, dass Chinas rigide und in weiten Teilen menschenverachtende Diktatur zum führenden System dieser Welt wird. Auch der industrielle Aufstieg des Landes kommt nicht aus dem Nichts, sondern wird unter anderem mit den weltweit schwächsten Arbeitnehmer:innenrechten unter allen großen Industrieländern erkauft. Wird das Land aber so stark, dass es westliche Länder in die Zange nehmen und infiltrieren kann, was es zum Beispiel mit seinem so niedlich klingenden Seidenstraßenprojekt versucht, dann werden auch bei uns die Standards sinken. Mithin sehen wir auch hier eine von vielen Gefahren für die Demokratie. Und auf diese Gefahren hinzuweisen, ist beim Wahlberliner unser Kernanligen.
TH
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