Eine mörderische Rolle – Tatort 303 #Crimetime 1199 #Tatort #Frankfurt #Felber a. D. #HR #Rolle

Crimetime – Titelfoto © ARD / HR

Einzelstück mit tausend Augen

Eine mörderische Rolle ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort, der vom Hessischen Rundfunk (HR) produziert und am 19. Februar 1995 im Programm Das Erste zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Es handelt sich um die 303. Tatort-Folge, bei welcher (untypisch für die Tatort-Reihe) der pensionierte Kriminalhauptkommissar Leo Felber (Heinz Schubert) als Hauptermittler angegeben wird. Mit dem Fall befassen sich offiziell KHK Schwarze (Pierre Franckh) und KHM Hermes (Dominique Horwitz). Karl-Heinz von Hassel, der den damaligen „amtierenden“ Frankfurter Tatort-Kommissar Brinkmann spielte, tritt hier in einer Nebenrolle als Leiter der Mordkommission Klose auf.

Zu Beginn und wieder am Ende wirkt „Eine mörderische Rolle“ wie ein Spin-Off, weil der Tatort-Opener fehlt und der übliche Abspann. Und dazwischen? Kriminalhauptkommissar Felber a. D. hat nur in diesem einen Fall ermittelt, der damalige hauptamtliche HR-Tatortkommissar Brinkmann heißt in diesem Film Klose, was die ARD aber in ihrer Beschreibung von Handlung, Besetzung und Stab dezent ignoriert, weshalb wir uns eine kleine Ergänzung in Klammern erlaubt haben.

Regisseur Rainer Bär stammt aus der Ex-DDR, hat Psychologie studiert. Vielleicht liegt es am Buch, aber die Figuren wirken recht holzschnittartig und die psychologischen Momente ziemlich übers Knie gebrochen. Dafür kann man, wenn man möchte, Wurzeln im „klassischen“, also im Vor-Wende-Polizeiruf 110 ermitteln (2).

Handlung

Die Krimi-Serie „Cooper“ ist ein großer Publikumsrenner. Ihr Titelheld, Prototyp des unschlagbaren Privatdetektivs, läßt an Effektivität und imponierender Männlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der Schauspieler Frank Langer, der ihn darstellt, kann sich denn auch vor dem Ansturm weiblicher Fans kaum retten.

Hauptkommissar a. D. Leo Felber läßt der Rummel um „Cooper“ kalt. Er ist vor zehn Jahren vorzeitig in Pension gegangen, weil er im Dienst in vermeintlicher Notwehr einen kleinen Kriminellen erschoss und dies nicht verkraftet hat. Momentan hat er seinen sechsjährigen Enkel Robert bei sich, dessen Eltern verreist sind. Als der sensible Junge eines Nachts behauptet, er habe durchs Fenster gesehen, wie ein Mann in einer gegenüberliegenden Wohnung eine Frau umbrachte, meint Felber dazu nur, Robert solle sich nicht solchen Unsinn ausdenken. Als sein Enkel später sogar erklärt, „Cooper“ sei der Mörder gewesen und stelle auch ihm nach, verbietet ihm Felber derlei „Spinnereien“.

Irritiert wird er allerdings, als kurz darauf tatsächlich die Leiche der jungen Frau aufgefunden wird, deren Ermordung sein Enkel zufällig beobachtet haben will. Felber nimmt daraufhin Kontakt mit seinen früheren Kollegen von der Mordkommission auf. Was ihm und seinem Enkel noch bevorsteht, kann er sich zu diesem Zeitpunkt kaum vorstellen.

 Rezension

„Eine mörderische Rolle“ ist betont langsam gestaltet und wirkt sehr skurril. Wir konnten uns vorstellen, welch einen Genuss es den Machern bereitet hat, alle möglichen Anspielungen in diesem Fim unterzubringen. Von Hitchcocks „Fenster zum Hof“ (1954) bis zu amerikanischen oder neudeutsch-privatrechtlichen Billig-Fernsehserien der frühen 1990er wird ein weites Panorama gezeigt. Besonders bemerkenswert: Wie Frauen auf Serienstar-Promis reagieren und überhaupt sehr naiv sind.

Man neigt nach einiger Zeit zu zwei Annahmen: Der Film ist nicht ganz ernst gemeint, ist sich dessen aber zeitweilig nicht sicher, denn die Momente mit dem kleinen Robert und wie der Cooper-Darsteller Langer immer wieder ausgiebig in Felbers Wohnung herumschleicht, begünstigt durch absurde Nachlässigkeiten im Schlüsselgebrauch und in der Schlüsselverwaltung, die sind schon recht spannend – gerade, weil sie so ausgespielt werden, und weil dies ein Howcatchem ist. Man kennt den Halstuchmörder von Beginn an und die Frage ist nur, was er alles anstellen muss, damit er endlich gefasst wird.

Nett gemacht, wie sich hier alle gegenseitig beobachten. Aber „Das Fenster zum Hof“ wurde so oft zitiert, dass man schmunzelt und sich denkt: Warum nicht mal so eine Variante?

Ein junger Dominique Horwitz, ein betagter Heinz Schubert, die Wiederholung eines Dramas. Einst hatte Felber den Dienst quittiert, weil er einen Mann in Irrtum über eine Notwehrlage erschoss, jetzt passiert dem jungen Kriminalhauptmeister Hermes, dem Boten der Rettung und des Irrtums, genau das Gleiche.

In diesem Film sind unglaublich viele Anspielungen aufs Filmen an sich verpackt, nicht nur durch die Gegenüberstellung einer Billigserie mit einem etwas billig wirkenden Tatort, Mördertypen und psychologische Motive werden gleichermaßen durch den Kakao gezogen. Wir meinen, das ist so und muss so sein, weil vor 20 Jahren die Tatorte nicht so formal überragend gefilmt waren wie heute, aber dass hier die Figuren ein wenig sehr linear und zudem unglaubwürdig gestaltet sind, das hätte einem Team von Fernsehprofis auch damals auffallen dürfen.

Was im Umkehrschluss bedeutet, es war so gewollt. Dieses Gewollte kommt so trocken daher, dass allein dies schon für Vergnügen sorgt. Dass trotzdem in den Szenen zwischen „Cooper“ und seinem jungen Fan Robert Spannung aufkommt, zeugt davon, dass man mitten ins Schräge hinein echte Krimi-Ambitionen suggerieren kann.

Und natürlich ist wieder viel 90er Jahre drin. Das war eine eine Zeit, die wir gar nicht als so anders gegenüber der heutigen wahrgenommen haben, wie sie sich in vielen Tatorten aus ebenjenem Jahrzehnt heute darstellt. Man hat wirklich das Gefühl, man ist mehr in einer anderen Ära, die man mit den Dekaden der 1980er und 1970er klammern kann, die allerdings schon wieder legendär sind, auch die damals entstandenen Tatorte betreffend.

Die Story von dem Serienheld, der anfängt zu morden, um sein Image als Frauenheld nicht zu beschädigen und damit den Zwang generiert, immer weitere Zeugen um die Ecke zu bringen, selbst den kleinen Jungen, der ihn beim zweiten Frauenmord beobachtet hat, ist echt krude. Solcherei Geschehen, das durch die nüchterne Filmgestaltung Realismus evoziert, hat es gewiss nicht nur im eher harmlosen deutschen Fernsehen nie gegeben, sondern auch nicht in den USA, die erkennbar herangezogen werden, wenn es um gleichermaßen blödsinnig geplottete und routinemäßig heruntergekurbelte Serien geht. Denen das deutsche Privatfernsehen natürlich nacheifert. Mitter der 90er war die TV-Banalisierung und Tuttifruttisierung ein großes Thema. Mittlerweile haben die Öffentlich-Rechtlichen ihre eigenen Formate, die nur noch knapp oberhalb des Dschungelcamps angesiedelt sind und in den USA sind seitdem Fernsehformate von hervorragender Qualität entstanden.

Finale

Der 303. Tatort ist wirklich ein besonderer und nur, wenn man ihn ganz frei von Kategorien anschaut, in die ein guter Krimi noch gerade passen sollte, kann man ihn ganz genießen. Dass für einen einzigen Fall ein fest installiertes Ermittlerteam zurücktritt und einem alten Haudegen den Platz überlässt, kann man sich heute schwer vorstellen.

Es wurden Doppelfolgen und welche mit vier Tatortkommissaren gedreht, es gibt Sonderermittler und vielleicht den einen oder anderen TestballonWeimar – aber keine Stadt hat in den letzten Jahren ihr komplettes reguläres Team in Urlaub geschickt, denn die Verpflichtung, in diesem mittlerweile sehr kompletitiven Feld von Ermittlern Marken aufzubauen und zu erhalten, würde das wohl nur zulassen, wenn die Darsteller längerfristig erkrankt wären.

Überhaupt ist in den früheren Tatortjahren weniger formal und inhaltlich, dafür aber bei der Besetzung der Ermittlerrollen mehr experimentiert worden. Mittlerweile ist eine Reife, eine Verfestigung eingetreten, unbeschadet der Tatsache, dass in den letzten Jahren viele Teams ausgewechselt oder an neuen Standorten installiert wurden, weitere Umwälzungen sind schon in Sicht. Es hat gute Gründe, dass man sich die zusätzliche Verwirrung, die den Zuschauer angesichts der immer neuen Gesichte überkommen könnte, spart, die entstehen könnte, wenn man zusätzlich Eintagsfliegen freisetzen würde. Der Wiedererkennungswert, das Vertraute, spielt heute, wo beinahe jede Woche ein neuer Tatort ausgestrahlt wird, eine sehr große Rolle und trägt dazu bei, das weite Panorama halbwegs überschaubar zu belassen.

Die vorliegende Rezension ist dem Tatort „Kälter als der Tod“ beigestellt, die als Beleg für unsere Ausführungen dient. Es ist der erste Tatort des neuen Hessen-Teams Janneke-Voss (Margarita Broich, Paul Brix), das kurzfristig installiert werden musste, nachdem der Vorgänger Steier (Joachim Król) seine Conny Mey (Ninaz Kunzendorf) verloren hatte und nach  zwei Allein-Tatorten nicht mehr allein weitermachen wollte. Steier-Mey wiederum waren Nachfolger des hoch veranlagten Duos Sänger-Dellwo (Andrea Sawatzki, Jörg Schüttauf), das auf Kommissar Brinkmann (Karl-Heinz von Hassel) folgte.

Wir brauchen uns hingegen nicht groß Gedanken darüber zu machen, ob wir Felber a. D. sympathisch und für langfristige Tatortarbeite geeignet finden. Das ist bei einem 70jährigen Ex-Kommissar nicht notwendig. Wir brauchen den Film auch nicht in den Zusammenhang einer Teamentwicklung zu stellen. Das ist entspannend und genauso vergnüglich wie der ganze seltsame Film.

7/10

© 2024, 2015 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
(2) Wir haben diesen Satz aus der Rezension, die ursprünglich im „ersten“ Wahlberliner veröffentlicht wurde, so stehen lassen. Ab dem Jahr 2019, vor allem während der Corona-Zeit, haben wir mit relativ hohem Tempo die Reihe Polizeiruf „aufgearbeitet“. Aufgrund unseres erweiterten heutigen Kenntnisstands müssen wir eine Korrektur anbringen: Die Polizeirufe waren im Verlauf ihrer Entwicklung psychologisch teilweise differenzierter als die Tatorte, vor allem trifft das auf die notabene „psychologisierende Phase“ ab den späten 1970ern bis zur Wende im Vergleich zu den Tatorten der 1980er zu.  

Regie Rainer Bär
Drehbuch Rainer Bär
Produktion Gabriele Leiner
Musik Axel Donner
Kamera Werner Hoffmann
Schnitt Beate Gottschall
Premiere 19. Feb. 1995 auf Das Erste
Besetzung

 


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