Einstellung gegenüber der NATO positiv oder negativ? (Umfrage + Leitkommentar: Die Antwort auf Trump könnte der Deutschland-Rabatt sein) | Briefing 446 | Geopolitik, PPP (Politik, Personen, Parteien), Wirtschaft

Briefing 446 Geopolitik, NATO, Münchener Sicherheitskonferenz, PPP, Zwei-Prozent-Ziel, Ukrainekrieg, Unterstützung der Ukraine,

Nicht nur wegen der gerade stattfindenden Münchener Sicherheitskonferenz ist die NATO ein topaktuelles Thema. Es geht auch darum, wie sie in diesen unruhigen Zeiten Schutz bieten kann und natürlich um Donald Trumps nachhallende Aussage, die USA werden Länder nicht verteidigen, die ihre Beiträge nicht leisten. Derzeit wären das 19 von 30 NATO-Ländern, sie erfüllen nicht das 2014 noch mit Präsident Obama vereinbarte 2-Prozent-Ziel.

Wie beurteilen Sie die NATO? Ist daher eine der logischsten Umfragen, die man im Moment aufsetzen kann.

Civey-Umfrage: Ist Ihre Einstellung gegenüber der NATO im Allgemeinen eher positiv oder eher negativ? – Civey

Der Civey-Begleittext aus dem Newsletter:

Die NATO wurde 1949 von zwölf europäischen und nordamerikanischen Staaten gegründet. Die Bundesregierung bezeichnet sie auf ihrer Webseite als „Verteidigungsbündnis und Wertegemeinschaft”, das die Sicherheit Europas und Nordamerikas garantiere. Wichtigstes Prinzip sei die kollektive Verteidigung, wonach die mittlerweile 31 Mitgliedstaaten vereinbart haben, „sich [im Konfliktfall] gegenseitig zu schützen.” Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung investiert. Letztes Jahr haben elf Staaten das Ziel erreicht, dieses Jahr werden es laut NATO-Angaben 18 sein. 

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump sorgte letztes Wochenende für Empörung. Laut ARD sagte er bei einem Wahlkampfauftritt, dass er als US-Präsident NATO-Länder, die nicht genug für ihre eigene Verteidigung ausgeben, nicht vor einem möglichen russischen Angriff schützen würde. „Das Schutzversprechen der NATO gilt uneingeschränkt”, versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz laut RND am Montag. Er nannte die Relativierung der NATO-Beistandsgarantie durch Trump „unverantwortlich”, da derartige Äußerungen einzig und allein im Sinne Russlands seien. SPD-Außenexperte Michael Roth nannte Trumps Drohung in der WELT eine „akute Gefahr für die NATO”. 

Die Linke spricht sich seit Jahren für die Auflösung der NATO aus. Linken-Co-Chefin Janine Wissler forderte letztes Jahr gegenüber der dpa, diese Allianz durch ein „kollektives Sicherheitssystem” zu ersetzen, in dem alle wichtigen Staaten eingebunden werden. Die NATO sei ihrer Ansicht nach „alles andere als ein Garant für Sicherheit und Stabilität in dieser Welt“. Sie warf dem Bündnis vor, „völkerrechtswidrige Kriege geführt zu haben”. Für Wissler sei die Osterweiterung der NATO ein Fehler und gehöre „zur Vorgeschichte des Ukraine-Krieges“.

Unsere letzten Artikel zum Thema, inklusive einer ausführlichen Darstellung  zum 2-Prozent-Ziel mit der kompletten Tabelle zu den Rüstungs-BIP-Prozentzahlen aller Mitgliedsländer, können Sie hier lesen: Wie viele Staaten erfüllen das Zwei-Prozent-Ziel der NATO? (Statista + Zusatzinfos + Kommentar).

Nicht weniger als beeindruckende 74 Prozent derer, die bisher abgestimmt haben, finden die NATO super (ca. 60 Prozent) oder überwiegend gut (14 Prozent). Die Umfrage ist gerade erst gestartet, die Werte können sich also noch deutlich verändern. Wie sehen wir selbst also die NATO?

Ich fange mal anders an. Wäre ich Donald Trump und würde diese Zustimmungswerte sehen, würde ich fragen: Wie, ihr findet die NATO super? Ihr findet es also super, dass ihr von uns beschützt werdet? Dann seid Ihr Gewinner! Aber nur dann, wenn Ihr endlich verdammt noch mal eure Schulden gegenüber der NATO bezahlt! Bringt eure Rüstung endlich auf 2 Prozent eures BIP, das war der Deal. Wenn ihr den Deal nicht einhaltet, halten wir ihn auch nicht und die Russen dürfen euch angreifen.

Der „Präsident eines großen Landes“ habe ihn einmal gefragt, ob die USA dieses Land auch dann noch vor Russland beschützen würden, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle, sagte Trump. Er habe geantwortet: Nein, ich würde euch nicht beschützen. Vielmehr noch: Er würde Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen.“  War damit Deutschland gemeint?

Auch wenn Trump gemäß einem Nachsatz das Gespräch als fiktiv gekennzeichnet hat, ich denke, ja. Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump sich bei allen möglichen Themen auf Deutschland eingeschossen. Vielleicht eine Art narzisstische Spezialstörung gegenüber dem Herkunftsland seiner Familie.

Jenseits origineller Ferndiagnosen, hat Trump nun recht oder nicht?

Die Frage ist, ob das Zwei-Prozent-Ziel konstitutiv für die NATO-Beistandspflicht ist. Das ist es nicht, sonst hätte man die Beistandpsflicht um eine diesbezügliche Wenn-Dann-Klausel ergänzen müssen.

Die Partner sind dann zur kollektiven Verteidigung verpflichtet. Diesen sogenannten Bündnisfall regelt Artikel V der NATO-Charta: „Die Parteien vereinbaren, dass im Falle eines Angriffs jede von ihnen der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet.“

“Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.”

Im Falle eines Angriffs auf ein NATO-Mitglied, wie zum Beispiel Polen, wird dieser als Angriff auf das gesamte Bündnis betrachtet. Die NATO-Staaten würden dann individuell entscheiden, welchen Beistand sie leisten. Es gibt keine automatische Eskalation oder einen automatischen Gegenangriff, sondern der Bündnisfall muss politisch einstimmig beschlossen werden12. Diese Beistandsgarantie wurde bisher nur einmal genutzt, nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, als die NATO den Angriff auf die USA als einen Angriff auf die gesamte Allianz betrachtete1.

Von einer Zwei-Prozent-Bedingungen lese ich da nichts, außerdem gibt die zitierte Stelle gut wieder, dass bisher nur die USA selbst einmal einen Bündnisfall ausgelöst haben. Daran sollte man Donald Trump hin und wieder erinnern. Die USA haben diesen Bündnisfall im weiteren Verlauf sogar für einen Krieg gegen den Irak unter Anwendung einer Fake-News-Strategie genutzt. Womit wir zu einem Problem kommen, das meine Abstimmung beeinflusst hat.

Wie lautet die eigene Stimme?

Unentschieden. Natürlich schützt die USA mit ihren Atomwaffen Europa, besonders die Nicht-Atomstaaten. Aber die NATO ist eben nicht nur defensiv ausgerichtet, sondern auch ein Instrument des US-Imperialismus. Ich gehöre nicht zu den ca. 15 Prozent Putinisten-Autoritaristen-Kommunisten, die die NATO eindeutig als negativ markiert haben, dass sie geopolitisch nicht sauber ist, steht außer Frage.

Weil die NATO seit dem Jugoslawienkrieg völkerrechtswidrig in Angriffskriege verwickelt war?

Weil die USA innerhalb der NATO nicht nur ihre Partner schützen, sondern sehr wohl außerhalb des Zwei-Prozent-Ziels etwas ganz Wichtiges verlangen: Gefolgschaft, auch, wenn es nicht um den oben erwähnten Bündnisfall geht. Ich finde den Begriff „Vasallenstaaten“, gerade wenn es um die NATO geht, der das Verhältnis USA-EU diskreditieren soll, gar nicht so falsch. Es gibt eine Führungsmacht, und die sagt, wo es langgeht. Wenn man sich mit dem Zwei-Prozent-Ziel etwas wie eine eigene Stimme verschaffen könnte, wäre ich sogar für das Zwei-Prozent-Ziel, aber an den Machtverhältnissen innerhalb der NATO würde sich nichts ändern, selbst wenn Deutschland 4 Prozent des BIP in Rüstung investieren würde, wie die USA selbst.

Gegenwärtig sind es bei den USA 3,5 Prozent, siehe den verlinkten Artikel mit der kompletten Tabelle. Es wäre an der Zeit, das „Unentschieden“ näher zu begründen.

Mir ist die Abhängigkeit der USA, wie die gegenwärtige NATO-Aufstellung sie mit sich bringt, einfach zu groß. Es gab eine Zeit, da wäre es möglich gewesen, die NATO durch eine modernere, inklusivere Sicherheitsarchitektur abzulösen. Man hat mit voller Absicht gewartet, dass sich dieses Zeitfenster wieder schließt bzw. hat sogar dafür gesorgt, dass es sich schließt. Im Sinne einer friedlichen Koexistenz ist das ein Makel der NATO, dass sie nicht in der Lage ist, sich zu wandeln und wegen einer friedlicheren Welt selbst gegen etwas einzutauschen, was diesen Friedensprozess stärkt.

Kann es überhaupt eine friedliche Welt geben?

Nach der Wende dachte man tatsächlich einmal so. Das heißt, wir, die naive Bevölkerung, wurde angehalten so zu denken. In den Machtzentralen sorgte man sich jedoch um den eigenen Einfluss und die eigene Bedeutung und um den wirtschaftlichen Aspekt der Rüstungsindustrie, um die Hegemonie und alles, was die Welt eben nicht friedlicher macht. Besonders in den USA, die mit einer friedlichen Koexistenz auf der Welt gar nichts anfangen könnten. Da die NATO von einem tendenziell unfriedlichen Land geprägt wird, das immer wieder unabhängig von der oben angesprochenen „Wertegemeinschaft“ für seine eigenen Interessen weltweit interveniert, auf unterschiedliche Weise. Von diesen Interventionen sind alle NATO-Länder mitbetroffen und werden von anderen Staaten als ein expansionistischer Block wahrgenommen. Es wundert mich überhaupt nicht, dass z. B. die Unterstützung für die Ukraine gegen Russland außerhalb der NATO quasi nicht vorhanden ist. Zudem besteht die Gefahr, dass mit weiterem Erstarken von Nicht-NATO-Ländern die USA immer riskanter vorgehen werden, um ihre Hegemonie zu sichern und dazu Bündnisfälle geradezu provozieren, denn natürlich ist die NATO der weltweit mit Abstand stärkste Militärblock, nach wie vor. Es gibt überhaupt kein vergleichbares Gegenstück, das eine militärische Machtbalance sichern könnte.

Wir gehen also einmal in den Mokassins der Nicht-NATO-Staaten?

Die eurozentristische oder euro-amerikanische Sicht, von der die NATO geprägt ist, macht sie zu einem Hindernis des globalen Ausgleichs. Zusätzlich gerät die „Wertegmeinschaft“ dadurch unter Druck, dass sich die Demokratien innerhalb der NATO auch nicht gerade vorbildlich entwickeln und dass die „Wertegemeinschaft“ haufenweise Doppelstandards einschließt. In Wirklichkeit geht es um Interessen, mithin um Macht. Nur in Deutschland ist man aktuell so blöd und nimmt die „Wertegemeinschaft“ für bare Münze insofern, als sich die Außenpolitik anschickt, ständig den Regierungen anderer Länder auf die Füße zu treten, als wenn die NATO-Staaten friedliche Engelein wären, nur demokratisch, und fast alle anderen nicht.

Ist die NATO historisch aus sich herausgewachsen?

Im Kalten Krieg gab es das geschilderte Problem weniger, denn mit dem Warschauer Pakt war ein Gegengewicht zur NATO vorhanden, war die Systemfrage noch offen, hatte das Bündnis also eine mehrfach abgesicherte Legitimation, auch als Wertegemeinschaft, die sich einem bestimmten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell in Konkurrenz zu einem anderen verpflichtet sah. Eine Aufstellung, die sich in Deutschland in robuster, klarer, rein verteidigungsorientierter Politik manifestierte, nicht vergleichbar mit der heutigen Ausrichtung. Unabhängiger ist die deutsche Außenpolitik hingegen in der geopolitischen Situation nach der Wende nicht geworden, trotz der juristischen vollen Selbstständigkeit des Landes seit dem Zwei-plus-vier-Vertrag. Seit jenen Tagen expandiert die NATO ja auch territorial immer weiter. So lange, bis damit ein Krieg ausgelöst wird, der natürlich die NATO-Existenz wiederum rechtfertigt.

Es herrscht für jedes souveräne Land Bündnisfreiheit, auch für die Ukraine.

Ob die initial von den USA vorangetriebene, von Merkel noch gebremste Integration der Ukraine in die NATO nun ein Vorwand für den russischen Einmarsch war oder nicht, das hätte man bei diesem Land anders lösen müssen. Es war lange bekannt, dass die Ukraine eine rote Linie für Moskau darstellt. Vor der Krim-Invasion 2014 war der letztmögliche Zeitpunkt, noch an einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur zu arbeiten, die auch Russland einschließt. Jetzt ist es natürlich zu spät und wir sehen, wer sich am meisten freut. Während die Menschen sterben, rotiert die Rüstungsproduktion und Kriegstreiber fordern immer  höhere Summen für das, was man nur noch mit großer Mühe als Verteidigung bezeichnen kann, angesichts der geopolitischen Vorwärtsstrategie der NATO. Immer öfters scheitert diese Strategie aber, insofern ist die NATO und sind die USA als führende NATO-Macht mit dieser Strategie auch eine Gefahr für das Bündnis selbst und alle seine Mitglieder. Es wäre komplett naiv, die NATO nur als Schutzinstrument gegen die Überfälle durch Schurkenstaaten aller Art anzusehen.

Ist Russland nicht selbst expansionistisch und imperialistisch, siehe Georgien, Syrien, die Ukraine und den Versuch der Einflussnahme überall auf der Welt, mit geringeren Mitteln und offenbar geschickter als der Westen?

Auch die NATO hat ihre Anteile daran, dass man nur gegen den Westen sein muss, um überall auf der Welt Freunde zu finden. Russland ist nicht und war nie isoliert, die Freunde sind lediglich nicht so kompetent in Sachen Waffentechnik, von Nordkorea, China und dem Iran abgesehen, und das ist schon eine wichtige Vierer-Koalition. Als man die Sanktionen gegen Russland beschlossen hat, natürlich wieder fast ausschließlich im Kreis von NATO-Staaten, hat man sich komplett verkalkuliert. Das beweist, wie gefährlich geopolitisch die Sichtweisen sind, die in der NATO seit vielen Jahrzehnten gepflegt werden. Ohne die NATO hätten viele Staatslenker:innen, vielleicht sogar die deutschen, etwas mehr nachgedacht, bevor sie sich auf das schmale Brett begeben, Russland ökonomisch ersticken zu wollen. Gerade eine relativ niedertourige, underperformende Volkswirtschaft ist doch durch Sanktionen viel weniger verwundbar als dieses hochkomplexe westliche Wirtschaftssystem. In dem Zusammenhang stört mich auch das Zwei-Prozent-Ziel übrigens.

Weil Deutschlands ökonomischer Aderlass durch den Ukrainekrieg angerechnet werden müsste?

Allerdings. In Relation zur Größe seiner Volkswirtschaft tut Deutschland mehr für die Ukraine als jedes andere größere Land, aber nicht ein Euro davon wird als Rabatt auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO angerechnet. Die deutsche Politik ist , wie nicht anders zu erwarten, zu hasenfüßig, um einfach mal diesen Aspekt in den Raum zu stellen und zu schauen, wie die Profiteure, allen voran natürlich die USA und deren Rüstungsindustrie, darauf reagieren. Das, was Deutschland für die Unterstützung der Ukraine leistet, ist eindeutig auch ein Beitrag zur Stärkung der NATO.

Wie hoch ist der deutsche Gesamtbeitrag seit Kriegsbeginn, die Ukraineunterstützung betreffend?

Mehr als 30 Milliarden Euro innerhalb von nun knapp zwei Jahren, sehr defensiv gerechnet, nämlich ohne die volkswirtschaftlichen Schäden, die durch die deutsche Handhabe des Krieges entstanden sind. Würde man diese mitrechnen, käme man leicht auf 100 Milliarden Euro. Würde man dann noch einrechnen, dass möglicherweise ein NATO-Staat an der Sprengung der Nordstream-Pipeline beteiligt war, wäre dies das erste Mal, dass ein NATO-Staat einen Bündnispartner faktisch angegriffen oder den Angriff gebilligt hat. Unter diesen Umständen Deutschland eine Bringschuld gegenüber der NATO zuzurechnen, ist eine ganz und gar lobbyistisch-militaristische Sicht. Dies endlich in die Diskussion einzuführen, würde auch signalisieren: Ihr könnt uns mal, mit den zwei Prozent, wenn ihr euch daran beteiligt oder wissentlich zulasst, dass unsere Infrastruktur zerstört wird. Es würde diplomatisch auch verstanden, wenn es nicht so direkt ausgedrückt würde. 

Diese Rechnung wird bisher in keinem führenden Medium aufgemacht.

Journalisten sind in der Regel ökonomisch viel zu wenig versiert, um diese Zusammenhänge selbst dann zu erkennen, wenn sie nicht ideologisch betrachtet werden, sondern nur ökonomisch. Außerdem sind diese Journalisten ideologisch eingenordet. Ich würde nie einem Journalisten trauen, der bei jeder Gelegenheit im Kanzlerflugzeug oder dem der Außenministerin sitzt und sich dort verköstigen lässt oder der mit einer der vielen westlichen Thinktanks und Organisationen verbandelt ist, die nur das Ziel haben, die geopolitische Sonderstellung des Westens zu fördern und zu festigen.

Trotzdem keine Ablehnung der NATO, sondern das Unentschieden?

Es ist, wie es ist. Deutschland wäre auf eine Auflösung der NATO überhaupt nicht vorbereitet, auch nicht auf einen Austritt. Die jetzige Politik ist nicht fähig, das Land selbst zu schützen und deswegen müssen wir wohl alle anerkennen, dass weder eine Reform noch eine Loslösung aktuelle Optionen sind. Es wird alles immer gefährlicher, konservativer, aber dieses Mal stimmt der Begriff „alternativlos“ wohl ausnahmsweise, denn woanders in der Welt sieht es nicht besser aus. Überall sind Leute am Werk und an der Macht, die nichts anderes in der Birne haben, als das eigene Prestige, die eigene Macht zu sichern, das eigene Volk aufzupeitschen, sich an der Gefahr des Konflikts zu ergötzen. Putin mit seinem imperialistischen Osteuropa-Glacis-Denken und Xi Jinping  mit seinem Taiwan-Wahn für besser zu halten als die NATO-Oberen, wäre eine grobe Verkennung der Gesamtrealität auf diesem Globus. Aber dass diese Machthaber es so leicht haben, den Westen immer wirkungsvoller vorzuführen, dass sie sich damit auch an der Macht halten können, das hat der Westen und das hat die NATO sich in hohem Maße selbst zuzuschreiben. Das reicht bis hinein ins Wirtschaftssystem, das der Bevölkerungsmehrheit vieler Länder viel weniger bietet, als möglich wäre, wenn die Superreichen und ihre politischen Helfer nur ein bisschen mehr Gerechtigkeit walten lassen würden. Die NATO-Doktrin in ihrer heutigen Anwendung und der Neoliberalismus, der sich trotz aller immer offensichtlicheren Schwächen nicht reformieren kann, sind leider Brüder im Geiste und die wahren Verbündeten, jenseits aller territorialen Grenzen.

Vielleicht ist es eben auch nicht mehr so gemütlich auf der Welt.

Wenn Robert Habeck noch einmal sagt, die Leute müssen aus ihrer gemütlichen Ecke kommen, werde ich ganz sicher keinen Artikel mehr schreiben, der zum Beispiel die Bauernproteste in einen differenzierten Zusammenhang stellt, sondern auch ganz populistisch sagen: Die Leute haben recht, auch wenn sie rechts ticken, nieder mit den Grünen! Es reicht wirklich, mit diesen Politikern, die selbst nach zweieinhalb Jahren an der Macht noch nicht verstehen, wie sie mit ihrer Überheblichkeit der Demokratie schaden. Diese aufgeblasenen Hanswürste haben keine Ahnung davon, was ich zum Beispiel jeden Tag an der „Basis“ höre, auch von Menschen, die nicht rechts sind. 

Dass diese Menschen trotzdem der NATO so beipflichten, sagt allerdings auch: Sofern nicht (…) können sie es sich erlauben, die Leute springen über jedes Stöckchen, das man ihnen hinhält. Die Zusammenhänge werden einfach aufgelöst, alles wirkt fragmentiert, heillos verworren, und das sichert diese „Strategen“ ab. Leider, leider ändert das nichts daran, dass die NATO im Moment aufgrund der atomaren Sicherung durch die USA notwendig ist. Das haben sie fein hingekriegt, sich selbst wieder unersetzlich zu machen.

Jetzt müsste noch etwas Wähler:innenbeschimpfung kommen.

Wieso nicht? Ich fange bei mir selbst an. Ich habe zwar die Grünen schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gewählt, aber noch lange nach ihren No-Gos in der Koalition mit Schröder dem Schrecklichen. Ich habe also mitgeholfen, deren Arroganz und Unfähigkeit großzuziehen, indem ich das alles toleriert habe, nur aus Gründen der Umwelt und einer fortschrittlichen Gesellschaftspolitik, im Wesentlichen. Was für eine einseitige Sichtweise, die zum Beispiel soziale Aspekte vollkommen ausgeblendet hat, ebenso wie die zunehmend militaristische Ausrichtung der Partei. Im Grunde muss ich mir sogar vorwerfen, danach eine Partei gewählt zu haben, die ebenfalls immer zahmer wird und sich jetzt konsequenterweise gespalten hat. Die Illusion war, dort noch etwas wie Gerechtigkeitsluft atmen zu können. Die Entschuldigung liegt allerdings auf der Hand: Wen bitte? Wen soll man wählen, der die Chance und den Willen hat, wirklich etwas zum Besseren zu wenden? Wer will diese Demokratie wirklich schützen, indem er sagt, wir müssen uns auf die Wurzeln, auf Solidarität und das Wohl der großen Mehrheit besinnen? Meine NATO-Haltung ist ja ein Spiegelbild der Ratlosigkeit, die auch meine prägende Haltung gegenüber dem hiesigen Parteiensystem darstellt. Klar, man kann zivilgesellschaftlich aufstehen, wie jetzt gegen die AfD, aber was erreicht man damit? Dass sich die Herrschenden diesen Protest zunutze machen. Und irgendetwas sagt mir, dass da ein Modul fehlt. Denn letztlich ist es doch unsere Angst, nicht unser Mut, die uns immer wieder auf diese Narrative von Mächtigen hereinfallen lässt, auf die eine oder andere Weise, durch Manipulationen, die man erst einmal im Zusammenhang erkennen muss – um dann festzustellen, wie man in der Falle sitzt. In welch einem Dilemma man steckt. Wie Krisen ausgenutzt und geschürt werden, um die Menschen so kirre zu machen, dass sie zu 70 Prozent oder mehr die NATO in ihrem gegenwärtigen, gefährlichen Zustand, in dem sie komplett auf das System eines taumelnden Imperiums ausgerichtet ist, super finden. Dieser Artikel kann gar kein sinnvolles Ende haben, keine Conclusio haben, weil geopolitisch kein sinnvolles Ende abzusehen ist.

Versuchen wir’s trotzdem mit einer Art Fazit, wie es sich für einen Leitkommentar gehört?

Niemand ist in Sicht, der den kunstvoll geschlungenen gordischen Knoten zerschlagen will und kann. Im Grunde wäre Trumps Bashing der „Säumigen“ die Gelegenheit, endlich unabhängiger zu werden. Aber traut sich das jemand? Der hochgelobte Verteidigungsminister Boris Pistorius hat schon eilends versichert, er verlasse sich auf den Schutz durch die USA. Wenigstens rhetorisch könnte man doch mal ein Ausrufezeichen durch Dagegenhalten setzen. Aber: nichts. Wohin man auch schaut, einfach nichts. Nichts als ein Bündnis mit höchst zweifelhafter Ideologie, das gedenkt, den Rest der Welt einfach mal wieder totzurüsten, weil das schon einmal funktioniert und mit zum Zusammenbruch des Ostblocks geführt hat. Leider wird diese Strategie angesichts der abnehmenden ökonomischen Dominanz des Westens dieses Mal zum Scheitern verurteilt sein. Beten wir noch einmal. Nämlich dafür, dass die ersten, die das erkennen oder die bereits vorhandene Erkenntnis auf die übliche ruchlose Art in Politik umsetzen wollen, nicht den Atomkrieg und den Neuanfang mit ein paar Milliarden Menschen weniger als Ausweg aus der Scheiße wählen, in die sie uns geritten haben. Ich finde, ein „Unentschieden“ ist in diesem Kontext eine äußerst großzügige und zahme Bewertung der NATO. Wieso lebe ich eigentlich noch in Berlin? Zumindest in Deutschland wird das die erste Stadt sein, die dran glauben muss, wenn es richtig losgeht. Aber, wie der Mensch so ist: Er will es nicht  wahrhaben, dass es wirklich so kommen könnte und wie er mit dem Feuer spielt. Und das wird ihn letztlich seine Existenz auf diesem Planten kosten.

Ein wahrlich deprimierendes Schlusswort. Zumal hierin anderen Artikeln, wenn auch nicht mit Hurra, für die atomare Unbhängigkeit Europas plädiert wurde.

Vielleicht hält uns ja die NATO noch ein paar Jahre in der Illusion, dass sie nicht selbst ein Teil des Problems ist. Sie bietet dann Schutz vor einer Bedrohung, die sie selbst mit angerührt hat. Vielleicht funktioniert das ja so lange, dass wir nicht mehr erleben, dass das Richtige im Falschen niemals richtig sein kann und unsere Nachfolgegenerationen uns bis in alle Ewigkeit dafür verfluchen werden, was wir zugelassen haben, sofern sie noch die Gelegenheit dzau haben werden. Dass ich mich pro europäischer Atomrüstung geäußert habe, folgt ja diesem Richtigen im Falschen. Es wäre eine Möglichkeit, eine Situation noch irgendwie für einige Zeit zu bewältigen, die komplett verfahren ist.

Ich kann es nicht ändern, ich sehe im Moment nur einen Aufschub, falls Trump doch noch zurückgepfiffen wird, von den Wähler:innen oder als Präsident von seinen geostrategisch etwas weniger rabulistischen Beratern, aber keine Lösung. Die USA sind aufgrund ihrer innenpolitischen Fliehkräfte nicht mehr zuverlässig und daher selbst aufgrund ihrer Macht brandgefährlich. Sie waren schon rücksichtslos in ihrer Weltpolitik, als sie innenpolitisch noch stabil waren, aber im Zustand der Zersetzung der Demokratie  werden sie auf eine Weise unberechenbar, bei der  absolute Vorsicht und zeitiger Strategiewechsel Europas angesagt wären. Aber, siehe oben: unsere Politik duckt sich wieder einmal weg und wir fangen an, uns hier im Kreis zu drehen, weil wir im politischen Hamsterrad unterwegs sind.

TH

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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