Briefing 448 PPP, Neuwahlen 2024, Bundestagswahlen #btw25, Ampelregierung, Söder, Opposition, Wählen als Abwehrmaßnahme
Sind Neuwahlen die Lösung für die aktuelle politische Situation in Deutschland? Diese Umfrage hat Civey heute gestellt.
Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bekräftigte letzte Woche seine Forderung nach Neuwahlen. Bereits im November schlug er angesichts der Haushaltskrise und der vielen Ampelkonflikte vor, die Wahlen vorzuziehen. Aus der Union gibt es viel Rückhalt für die Forderung – etwa von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Laut Zeit warf er der Ampel im Januar auf der CSU-Klausurtagung vor, für den wirtschaftlichen Abschwung, die Migrationskrise und ungelöste Energiefragen mitverantwortlich zu sein.
Die Ampel reagierte mit scharfer Kritik auf den Vorschlag. SPD-Chefin Saskia Esken stellte der ARD nach klar, dass die Bundesregierung in der Lage sei, Lösungen zu finden – auch für schwierige Situationen wie die Haushaltskrise. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle kritisierte Söder auf X dafür, leichtfertige Vorschläge „angesichts von Krieg, Krise und Extremismus” zu machen. Aktuell bräuchte es „politische Klarheit, Führung und Orientierung – keine monatelange Hängepartie und Instabilität“. Während die AfD laut BR24 ebenfalls für Neuwahlen ist, hält Dietmar Bartsch (Linke) die Debatte für überflüssig.
Die Bedingungen für vorgezogene Neuwahlen sind im Grundgesetz geregelt. Laut Webseite der Bundeswahlleiterin ist die „Auflösung des Bundestages durch den Bundespräsidenten” die Voraussetzung, die wiederum an Bedingungen geknüpft ist. Im aktuellen Fall müsste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) laut BR24 die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Würde er keine Mehrheit erhalten, könnte der Bundespräsident auf Vorschlag des Kanzlers den Bundestag innerhalb von 21 Tagen auflösen. Anschließend müsste innerhalb von 60 Tagen einer neuer Bundestag gewählt werden.
Was meinen Sie, wie die Abstimmung derzeit steht? Haben Sie selbst schon mitgemacht? Dann wissen Sie es. Die Politik in Deutschland ist dermaßen stressig, dass man als wohlmeinender Demokrat ständig in der Zwickmühle ist. Normalerweise würden wir über Markus Söders populistische Einlassungen schmunzeln. Wir wissen doch alle, wie sehr dieser Instinktpolitiker versucht, die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung so gut wie möglich zu erfassen und das passende Statement abzugeben, anstatt Konzeptpolitik zu betreiben, die langfristig die Menschen davon überzeugen kann, ihm zu vertrauen. Seine Auffassung von Politik ist ein Teil des Problems, nicht ein Teil der Lösung. Deswegen haben wir mit „eher nein“ gestimmt. Nicht eindeutig mit „nein“.
Die negative Grundstimmung hat das eindeutige Bekenntnis zur aktuellen Regierung verhindert.
Die Ampelregierung ist für einen Großteil der aktuellen Probleme gar nicht verantwortlich, weil sie über Jahrzehnte entstanden sind. Die mangelhafte Resilienz und Resistenz des Landes gegen Krisen beispielsweise ist von gleich mehreren Kanzler:innen geradezu arrangiert worden. Und komischerweise waren dies weit überwiegend Kanzler:innen, die aus der CDU kamen. Andererseits ist es die Aufgabe der Opposition, die Regierung zu kritisieren. Trotz aller Probleme, so weit sind wir noch nicht, dass die „demokratischen Parteien“ eine Einheitsfront bilden müssten, auch nicht gegen die AfD. Viele Journalisten versuchen, eine solche herbeizuschreiben, aber das ist demokratietechnisch in der Regel falsch. Es ist nur dann richtig, wenn es darum geht, im Osten die AfD möglicherweise mit allen Kräften abzuwehren, bei den nächsten Landtagswahlen, und an besseren Zeiten mitzuarbeiten, aber dieses Mal bitte ernsthaft.
Einfacher lässt sich Politik à la Deutschland nicht erklären: Aus jeder Partei kommt in dem Civey-Text mit den Zitaten genau das Erwartbare. Wer sich aktuell etwas von Neuwahlen verspricht, fordert oder begrüßt sie, bei wem das nicht so ist, der ist dagegen, wobei die Argumente variabel sind und die Schärfe unterschiedlich ausgeprägt. Nur von den Grünen ist nichts zu lesen. Zufall oder nicht, jedenfalls, für sie würde sich nicht viel ändern. Sie würden vielleicht etwas verlieren, aber wären ziemlich sicher in der nächsten Regierung wieder dabei. Sofern die SPD nicht erneut als Juniorpartner mit der nach rechts rückenden Union zusammengeht, was ihr endgültiges Aus wäre. Die Grünen sind da schmerzfreier und ihre Wähler:innen auch.
Wer jetzt für Neuwahlen stimmt, der wird voraussichtlich Schwarz-Grün oder Schwarz-Grün-Gelb bekommen, was schon 2017 zu Buche stand und von der FDP gekippt wurde.
Kann ein solcher Wechsel das Ziel sein? Die AfD wird nicht mitregieren, nicht auf Bundesebene, da möchten wir deren Anhängern überhaupt keine Hoffnungen machen.
Die Merz-CDU wird dieses Land aber nicht aus der Krise führen, das sollte allen klar sein. Natürlich, der Auftritt wird nicht mehr eine solche Mischung aus Inkompetenz und Arroganz sein wie gerade bei den Grünen. Die Arroganz wird aber bleiben, gerade bei jemandem wie Friedrich Merz, dem Begründer des Merz-Mittelstands mit eigenem Flugzeug. Und die Rezepte der CDU sind von gestern bis vorgestern und werden lediglich dazu führen, dass die Mehrheit zugunsten der Reichen oder des Merz-Mittelstands noch mehr geschröpft wird.
Vor allem wird dies der Fall sein, wenn die FDP auch noch dabei ist und ein gigantischer Fehler aus der Weltwirtschaftskrise von 1930 sich wiederholt und festfrisst: Die Schuldenbremse wird endgültig zur politischen Gottheit erhoben und das Land wird weiter kaputtgespart. Damals hatte man Panik vor Hyperinflation, wie sie wenige Jahre vorher zu beklagen war, aber heute weiß man, dass die Bedingungen anders sind. Und die zuletzt starke Inflation kam vor allem von den Energiepreisen, die alle anderen Preise getrieben haben. Welche Antwort will die Union darauf geben? Vermutlich, weiter teures LNG aus den USA zu kaufen, falls diese überhaupt liefern. Innovationsfeindlichkeit und strategische Mängel vor allem bei der Wirtschaftspolitik haben in der langen Kanzlerschaft Angela Merkels mit zur heutigen Situation geführt. Das wird Friedrich Merz mit BlackRock-Methoden nicht wenden können. Im Gegenteil. Deutschland wäre das letzte Land, das noch einen neoliberalen Kurs fährt und dadurch weiter an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Man sollte sich keine falschen Hoffnungen durch einen Regierungswechsel machen.
Vielleicht könnte man eine kurze Scheinblüte erzeugen, wie Schröder mit dem Niedriglohnsektor und Merkel mit dem billigen Gas aus Russland.
Die langfristigen Schäden wären jedoch unausweichlich und was wir seit vielen Jahren sehen, würd sich beschleunigen: Die Fähigkeit des Staates, Verfassungsvorgaben zu erfüllen, wird immer mehr reduziert. Die Folgenkette liegt auf der Hand. Man braucht ein willfähriges Verfassungsgericht, das die Akzente bei den Staatsprinzipien verschieben hilft, also kommt es zu weiteren Defiziten der Demokratie und der Grundrechte, also kommt es zu einer weiteren Rechtsbewegung. Natürlich würde das einigen gefallen, auch in der CDU. Nach den nächsten Wahlen, gleich, ob diese 2024 oder 2025 stattfinden werden, wird auf Bundesebene die „Brandmauer“ aber noch halten, da sind wir uns relativ sicher.
Man hat sich an der Ampelregierung sattgesehen, keine Frage. Es ging verdammt schnell. Wir haben sowieso keine der darin vertretenen Parteien gewählt, aber auch keine von jenen, die jetzt Neuwahlen fordern. Kämen diese Neuwahlen tatsächlich, könnten wir uns vorstellen, erstmals die SPD zu wählen. Auch sie steckt mit in der Schuld für die vergeigten Jahrzehnte, in denen es in diesem Land kaum echten Fortschritt gab, ganz klar. Das lasten wir ihr mehr an als die Tatsache, dass Olaf Scholz die Bundesregierung auf eine Weise führt, die einigen Verdruss im Land hervorruft. Auch die alte Tante ist ein Teil des Problems. Sie ist aber auch die einzige Partei, die sich zu einem Schritt vorwärts bereitfinden könnte, ohne dabei ihre Identität zu verlieren, im Gegenteil. Außerdem gibt es in ihr, neben anderen, ein paar Politiker:innen, die nicht ganz so verpeilt wirken.
Natürlich würden wir bei einer Neuwahl wieder zur Urne latschen, wir sind es in Berlin nun wirklich gewöhnt.
Aber der Spaß an der Demokratie ist nicht das Motiv für das Zotteln in die Wahlkabine. Sondern, nicht zum ersten Mal, um noch Schlimmeres zu verhindern. Und das zehrt wirklich, wirklich an den Nerven und es hört nicht auf.
Deshalb, gerade aus dieser negativen Stimmung heraus: Die Zivilgesellschaft muss sich viel mehr einbringen, viel progressiver werden, wenn sie ein besseres Land will. Sie muss der Politik unter die Arme greifen, im Sinne der Demokratie, nicht, weil sie die Politiker, die wir haben, so bezaubernd findet. Und schon gar nicht im Habeckschen Sinne, von wegen aus der gemütlichen Ecke herauskommen. Schon dieser kürzlich getätigte Spruch, der einmal mehr klarmacht, dass dieser Mann nichts dazulernt, hat den Frust bei uns noch tiefer eingegraben. Aber wir machen es nicht für ihn. Auch das Schreiben von Artikeln pro Demokratie nicht. Wir machen es trotzdem. Wir wollen der Demokratie die Stange halten. Und wir sehen durch Neuwahlen gegenwärtig keine Verbesserungsmöglichkeit, so deprimierend diese Erkenntnis sein mag. Uns ist sogar 2025 im Grunde zu früh. Es ist kaum möglich, die Schäden, die über viele Jahre angerichtet wurden, bis dahin zu beseitigen. Auch bei günstigstem erreichbarem Verlauf der Zukunft ab morgen nicht.
TH
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