Crimetime – Titelfoto © SWR / Maran Film
Stalking für Anfänger
Unter Kontrolle ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort und eine Produktion des SWR in Zusammenarbeit mit Maran Film. Diese 623. Episode der Reihe wurde am 5. März 2006 im Ersten Deutschen Fernsehen zum ersten Mal ausgestrahlt.
Ergänzung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes im „neuen Wahlberliner“ im Jahr 2024: Wir haben keine inhaltlichen Anpassungen vorgenommen. Der Beitrag enthält daher viele Angaben, die sich auf das Jahr 2015 beziehen, in dem er erstmals publiziert wurde. Auch die Angaben zum Tatort-Fundus haben wir aus historischen Gründen nicht geändert, obwohl die Rangliste nicht mehr aufrufbar ist. TH, Februar 2024.
Die Handlung in einem Satz, ohne Auflösung: Ein Eventmanager kommt zu Tode, verdächtig ist die junge Frau, die mit ihm zusammen ein Event verlassen hat, in der Folge ermitteln sich Odenthal und Kopper mühsam durch eine erstaunliche Anzahl von Verdächtigen und kommen einer Tat auf die Spur, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt und erklären uns nebenbei den Begriff Stalking.
Im 36. Von bisher 62 Fällen hatte Lena Odenthal noch kurze Haare und man sieht sie in der ersten gemeinsamen Szene mit Kopper im Bett. Falscher Alarm, sie hilft ihm nur im Möbelhaus beim Probeliegen. Bei dieser Gelegenheit lernt Mario eine hübsche Bettenverkäuferin kennen, was noch eine Relevanz in Bezug auf die Haupthandlung haben wird.
Diese zeigt uns, wie man einen im Grunde vorhersehbaren Whodunit so linear abarbeiten kann, dass trotz der erwähnt großen Tatverdächtigen-Schar kein Zuschauer den Handlungsfaden verlieren kann. Das ist ein klassischer und simpler Plot, Experimente gab es zu dieser Zeit in Ludwigshafen nicht so häufig. Allerdings gibt es einige schön bebilderte Szenen, wie zum Beispiel diejenige in der U-Bahn-Station, in der die Verlorenheit des Opfers angesichts des übermächtigen Stalkers sehr atmosphärisch wirkt.
Ebenfalls erfahren wir, dass Selbstverteidigungstraining nicht unbedingt zu mehr innerer Klarheit führen muss und zu logischem Handeln in Gefahrensituationen – die mentale Komponente wurde offenbar im Kursus, den das Stalking-Opfer bei der besten Freundin absolviert hat, entscheidend vernachlässigt.
Nur so ist zu erklären, dass vor allem zum Ende hin diese junge Frau einen Fehler nach dem anderen begeht und einem gar nicht so elaboriert wirkenden Täter damit die Chance gibt, diesen Krimi noch einmal so richtig Fahrt aufnehmen zu lassen. Mehr lesen Sie in der Rezension.
Handlung
Markus Möller, Inhaber einer Event-Agentur, wird während eines Betriebsfestes, das seine Agentur für eine Versicherung ausrichtete, ermordet. Im Zuge ihrer Ermittlungen stoßen Lena Odenthal und Mario Kopper auf unsaubere Vorgänge in der Firma. Sie fragen sich, ob Möllers Bruder Jörg oder seine Mitarbeiterin und Ex-Geliebte Martina von den Betrugsabsichten wussten und Möller deshalb sterben musste. Aber auch Rike Hoffmann wirkt verdächtig. Die junge Versicherungsangestellte war die letzte, mit der Markus Möller gesehen wurde. Sie ist überaus verängstigt und nervös.
Lena Odenthal findet heraus, dass Rike schon seit einiger Zeit das Opfer eines Stalkers war, der anscheinend über jeden ihrer Schritte Bescheid wusste und sie mit Anrufen und Geschenken belästigte. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? War etwa Markus Möller der Unbekannte? Und hat Rike Hoffmann an jenem Abend beschlossen, sich gegen ihn zu wehren?
Rezension
Manches an diesem Tatort hat etwas, wie zum Beispiel die Musik, die sich am Klingeln eines Telefons orientiert und dieses als fernes, bedrückendes Echo allgegenwärtig macht, wenn Rike Hoffmann eine Szene hat – insbesondere eine solche, in der sie mit dem Stalker kommuniziert, vor ihm flieht, an ihn denkt. Die teilweise sehr gelungene Bildsprache haben wir bereits erwähnt.
Gut kommt auch Annett Renneberg als Stalking-Opfer. Sie wirkt glaubwürdig, die zarte Frau, die Männer anzusprechen scheint, welche Macht und Kontrolle ausüben wollen. Vom Eventmanager Möller über dessen Bruder und den lauschenden Nachbar bis hin zum unauffälligen Kollegen beflügelt sie die Fantasie verschiedener Männertypen, die alle irgendetwas von ihr wollen. Das Szenario wirkt bedrückend, aber realistisch. Es gibt ein paar Verdächtige zu viel und die Handlungsführung ist ein wenig zu linear, um Hochspannung zu erzeugen, das sind die negativen Aspekte dieses Tatortes – nebst einigen Szenen und Dialogen, die von Logik und Stimmigkeit ungefähr so weit entfernt sind wie Gesamtschüler von der perfekten Orthografie.
Nicht, dass dieser Tatort auf Humor getrimmt wäre, aber die beschriebene erste Szene von Kopper und Odenthal im orangegelben Bettzeug sollte wohl ein Gag sein und der geht ziemlich daneben, vor allem wegen der hölzernen Dialogführung.
Schön hingegen, wie aus dieser Szene dem Mario eine neue Freundin zuwächst, die im Verlauf des Films immer lästiger wird. Darin spiegelt sich auf eine leicht ironische Weise das Stalker-Thema. Während Rike um ihr Leben fürchtet, geht es bei Mario nur um die Freiheit und die Contenance, die unter der Verkäuferin Bettina leiden könnten. Stalking in schwerer und leichter Variante, erstere didaktisch aufbereitet, wie es sich gehört, letztere als ein durchaus sinnvolles Element des Ermittler-Privatlebens beigefügt.
Die beiden bewährten Ermittler agieren eher unauffällig, auch wenn Lena, wie immer, Anteil am Geschehen nimmt und Rike sogar Unterschlupf in der eigenen Wohnung gewährt. Allerdings kriegt der Stalker das spitz und wir sehen, wie seine Kontrolle bewirkt, dass Lena den Zugriff auf und die Kontrolle über das Geschehen verliert. Und natürlich ist mal wieder ein Polizist, der vor der Tür eines Krankenzimmers sitzt, unfähig, die dahinter zwecks Heilung untergebrachte Person zu schützen. Das ist mittlerweile einer der Tatort-Standards und die Ludwigshafener können nichts dafür, dass es jetzt schon gewaltig nervt, denn viele dieser sich wiederholenden Situationen ereigneten sich erst nach 2006 und damit nach dem Tatort 623. Dass die Polizeiarbeit auch sonst hin und wieder zu dilettantisch ausgeführt wird, passt zu den Logikschwächen in „Unter Kontrolle“.
Fakten
Der Tatort 623 fällt in eine ansteigende Phase der „Odenthal-Kurve“ gemäß Rangliste des Tatort-Fundus, die wir in eine Grafik umgesetzt haben (hier die aktualisierte Version vom 11.12.2015):
Mit nur 6,23 Millionen Zuschauern bei der Premiere und einem Marktanteil von etwas über 16 % war „Unter Kontrolle“ für heutige Verhältnisse ein magerer Zuspruch beschieden – wobei die Betonung auf dem Zusatz „für heutige Verhältnisse“ liegt, denn die Tatort-Serie hat seit 2006, als der Film erstmalig ausgestrahlt wurde, einen erheblichen Aufschwung erfahren. Mit einer Bewertung von etwas über 6,5 gemäß obiger Rangliste liegt „Uner Kontrolle“ etwas über dem Durchschnitt aller Odenthal-Tatorte (derzeit 6,49/6,32) gemäß Fundus-Ranking.
Im internen Odenthal-Ranking liegt er nach diesem Maßstab allerdings nur auf Rang 34 von 58 (dieses und folgende Daten Mai 2015), Lena Odenthal liegt derzeit auf Platz 31 aller aktiven und inaktiven Tatort-Ermittler (insgesamt 86), direkt hinter dem noch aktiven Wiener Moritz Eisner und vor der Bremer Kollegin Inga Lürsen (Stand 06.11.2013). Bei den aktiven Ermittlerin liegt sie gemäß Fundus-Wertung auf Platz 14, dieses Mal hinter Lürsen – und vor der Leipzigerin Eva Saalfeld (Liste).
Lena Odenthal ist nicht die erste Kommissarin im Südwesten, aber sie hält den Rekord für die längste Dienstzeit (seit 1989) und wird im kommenden Jahr somit ihr 25jähriges Jubiläum feiern. Das läuft auf die Dauer echter Polizeikarrieren hinaus und ist absolut bewundernswert, wenn man bedenkt, dass alle bereits inaktiven Ermittler höchstens 15 Jahre geschafft haben, darunter Legenden wie Schimanski und Stoever & Brockmöller. Allerdings sind die Münchener Batic & Leitmayr als noch aktive Kollegen (Start 1991) der Lena dicht auf den Fersen und haben bereits mehr Fälle gelöst (69 zu 62).
Fazit
Insgesamt ist „Unter Kontrolle“ ein durchschnittlicher Tatort mit einigen auffälligen Stärken und guten Ideen, dagegen stehen Schwächen, die bis heute die Handlungen vieler Tatorte prägen und es vermutlich auch beim 50jährigen Jubiläum der Serie oder beim 100jährigen noch tun werden. Nachlässigkeiten en gros und en detail bei der Handlungskonstruktion und der Logik von Geschehensabläufen, Dialoge von unterschiedlicher, manchmal schwacher Qualität und einhergehend verfehlte Ansätze von Humor oder literarischer Verdichtung.
Dafür gibt es keine Fragezeichen und der Film wirkt weder gewollt künstlich-künstlerisch und macht das Thema „Stalking“ nicht zu einem Vehikel überbordender Ambitionen. Ludwigshafen ist nicht nur als Stadt eher unauffällig, wenn man vom großen BASF-Werk absieht, das in beinahe jedem Pfalz-Tatort bei Tag oder Nacht aus unterschiedlichen Perspektiven ins Bild gesetzt – so auch in „Unter Kontrolle“.
Der Beitrag ist die Tandem-Rezension zum aktuellen Ludwigshafen-Tatort „Roomservice„.
7/10
© 2024, 2015 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | René Heisig |
|---|---|
| Drehbuch | Stefan Rogall |
| Produktion | |
| Musik | Rainer Michel |
| Kamera | Jürgen Carle |
| Schnitt | Martina Butz-Kofer |
| Premiere | 5. März 2006 auf Erstes Deutsches Fernsehen |
| Besetzung | |
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