Gleichberechtigung statt Blumen +++ Mehr politische Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern? | Briefing 467 Update | Gesellschaft, Wirtschaft

Briefing 467-UD Gesellschaft, Wirtschaft, Weltfrauentag, Gleichstellung, Erwerbstätigkeit, Erwerbsquoten, Gender Pay Gap, Equal Pay Day

Liebe Leser und vor allem liebe Leserinnen, der Weltfrauentag war schon gestern, wir hatten einen kleinen Artikel dazu geschrieben.

Mehr politische Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern? | Briefing 467 | Gesellschaft, Wirtschaft – DER WAHLBERLINER

Wir haben uns in diesem Artikel für mehr Gleichstellungsmaßnahmen ausgesprochen, um das zu beschleunigen, was im untenstehenden Artikel angesprochen wird. Er stammt vom Verfassungsblog, der insbesondere durch das „Thüringen-Projekt“, das Abwehrstrategien gegen die AfD aufzeigt und diskutiert, seit einiger Zeit einen immer größeren Bekanntheitsgrad erlangt. Wir lesen diese Publikation schon länger und freuen uns, dass es bisher möglich ist, deren Artikel zu republizieren, weil sie mit einer entsprechenden Lizenz versehen sind. Unterhalb kommentieren wir noch einmal kurz.  

Dieser Beitrag wurde unter einer Lizenz CC BY-SA 4.0 Legal Code | Attribution-ShareAlike 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben ihn gemäß den Vorgaben der Lizenz unter gleichen Bedingungen weiter.

***

Gleichberechtigung statt Blumen

1910 beschloss die II. Sozialistische Frauenkonferenz in Kopenhagen auf Antrag von Clara Zetkin und Käte Duncker, jedes Jahr einen Internationalen Frauentag durchzuführen, „der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient“. Als Termin wurde auf Betreiben kommunistischer Frauen der 8. März festgelegt, um jener streikenden Frauen zu gedenken, die 1917 in St. Petersburg die russische Februarrevolution ausgelöst hatten. Die Weimarer Republik brachte 1918 endlich das allgemeine Wahlrecht auch für Frauen. Die politischen Forderungen am Internationalen Frauentag verlagerten sich deshalb auf bessere Arbeitsbedingungen für Frauen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Gleichberechtigung in Partnerschaft und Familie sowie den Kampf gegen § 218 StGB, der seit der Kaiserzeit Abtreibung kriminalisierte. Die Nationalsozialisten verboten den Internationalen Frauentag und erhoben den Muttertag, von Blumenhändlern unterstützt, zum „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“. Davon erholt sich die deutsche Gesellschaft bis heute.

Unzweifelhaft ist die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in vielen Staaten der Welt wesentlich vorangekommen seit 1910, besonders in Demokratien. Warum sollte also nach 114 Jahren noch immer der Internationale Frauentag gefeiert werden, und warum in Deutschland? Zwar ist das allgemeine Wahlrecht für Frauen in europäischen Demokratien inzwischen unbestritten. Doch paritätische Repräsentation von Frauen in Parlamenten, hohen und höchsten Regierungsämtern oder den Spitzenpositionen in der Justiz und in der Wirtschaft ist in Deutschland längst nicht erreicht. Vor wenigen Tagen wurde erstmals in seiner siebzigjährigen Geschichte mit Dr. Christine Fuchsloch eine Frau zur Präsidentin des Bundessozialgerichts ernannt. Im Jahr 2024 ist die Forderung nach „Frauen in die Rote Roben“ noch immer erstaunlich aktuell und notwendig.

Heute kämpfen Frauen gegen gender care gapgender pay gap (das mit der „Bereinigung“ ist übrigens selbst kompliziertund kommt nicht ohne gender bias aus), digital gender gapgender data biasgender lifetime earnings gapgender pension gap – gaps, Lücken also, wohin das Auge blickt. Und das ist ein Grund, warum der Internationale Frauentag weiterhin wichtig ist.

Hinzukommen jene Kämpfe, die schon 1910 aktuell waren und es noch immer sind. Einen Überblick über die aktuellen Kämpfe geben die fundierten Stellungnahmen des Deutschen Juristinnenbundes (djb), der als überparteilicher Verband seit 75 Jahren feministische Forderungen beharrlich in die rechtspolitischen Diskussionen einbringt. Ich greife drei aktuelle Themen heraus: reproduktive Autonomie, körperliche Unversehrtheit und Gleichberechtigung im Arbeitsleben.

Reproduktive Autonomie

Der Kampf für reproduktive Autonomie und die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist ein feministischer Dauerbrenner. „Weg mit § 218 StGB!“ war eine Forderung bereits der kaiserzeitlichen Feministinnen seit 1871. Dass wir in Deutschland über 150 Jahre später immer noch mit dieser Strafrechtsnorm zu tun haben würden, war nicht zu erwarten. In den USA droht aktuell die Verwirklichung des dystopischen Romans „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood, in dem eine theokratische Männerdiktatur Frauen zum Gebären zwingt. „Reproduktive Autonomie“ ist ein weltweites (Verfassungsrechts)Thema. Hoffnungsfroh stimmt, dass Frankreich diese Woche das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert hat. Das wäre ohne die mutige Kämpferin Simone Veil nicht möglich gewesen, die 1974 erstmals dieses Recht mit der „Loi Veil“ politisch durchgesetzt hatte. Zu welchen Ergebnissen wird die Kommission der Bundesregierung gelangen, die derzeit prüft, wie sich der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs regeln ließe? Ein mit nur einer Frau besetzter Zweiter Senat des Bundesverfassungsgerichts hatte 1993 allerhand Vorgaben aus dem Grundgesetz abgeleitet, bis hin zur fachlichen Qualifikation für die Beratung (Rn. 237 ff.). Wird in Deutschland endlich Schluss sein mit der krassen Bevormundung von Frauen durch die verpflichtende Zwangsberatung, die sie als unmündige Personen behandelt? Von einer Frau im Jahre 2024 gelesen erzürnt die Zweite Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ganz außerordentlich, und es ist ungeheuerlich, dass dieses paternalistische, sexistische und bevormundende Konzept noch heute gelten soll. Und das ist ein Grund, warum der Internationale Frauentag weiterhin wichtig ist.

Femizide und sexualisierte Gewalt

Täglich werden in Europa zwischen 6 und 7 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, in Deutschland fast jeden dritten Tag eine (Femizide). Jedes Jahr werden in der EU circa 1,5 Millionen Frauen vergewaltigt. Wer eine auch literarisch eindrückliche Schilderung typischer Gewaltdelikte im Nahbereich lesen möchte, dem seien die Bücher von Christina Clemm ans Herz gelegt, „Akteneinsicht“ (2020) und „Gegen Frauenhass“ (2023). Gleichwohl blockierte Bundesjustizminister Buschmann unlängst eine einheitliche europäische Definition des Vergewaltigungsstraftatbestandes in der EU-Richtlinie zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, weil Einvernehmlichkeit zur Bedingung von Geschlechtsverkehr gemacht werden soll. Das ist der Unterschied zwischen dem in Deutschland seit 2016 geltenden Prinzip „Nein heißt nein“ (gegen den erkennbaren Willen) und dem autonomiewahrenden Prinzip „Ja heißt ja“ (mit freiwilligem Einverständnis), das die Istanbul-Konvention völkerrechtlich bindend vorgibt. Ein überzeugender Grund für diese Blockadehaltung ist nicht ersichtlich. Noch 2010 meinte ein ehemaliger Berliner Generalsstaatsanwalt, hätte er eine Tochter, würde er ihr abraten, eine Vergewaltigung anzuzeigen. Frauen bleiben weitgehend schutzlos gestellt, es herrschen weiterhin Mythen über Vergewaltigungen in der Strafjustiz (vor allem Täter-Opfer-Umkehr à la „sie hat sich nicht gewehrt“, „sie war leichtsinnig“, „sie war aufreizend angezogen“). Sexualisierte Gewalt muss effektiv verfolgt, Femizide müssen verhindert werden. Und das ist ein Grund, warum der Internationale Frauentag weiterhin wichtig ist.

Equal Pay

Vom gender pay gap war schon die Rede. Bereits im Parlamentarischen Rat hatte die Delegierte Helene Weber (CDU), eine von nur vier Frauen unter den insgesamt 77 Abgeordneten der verfassunggebenden Versammlung, eine Normierung der Entgeltgleichheit gefordert: „Männer und Frauen stehen bei Wahl und Ausübung des Berufes gleich, verrichten sie gleiche Arbeit, so haben sie Anspruch auf gleiche Entlohnung.“ Darauf wurde als allgemeine Auffassung von den männlichen Abgeordneten verkündet, dieser Grundsatz sei schon in der allgemeinen Formulierung enthalten, „Frauen und Männer sind gleichberechtigt“. Der Parlamentarische Rat hielt also den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ für ein verfassungsrechtliches Gebot. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, wie wenig die Entgeltgleichheit bislang rechtlich sichergestellt ist. Das „Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern“ von 2017 ist ein zahnloser Papiertiger geblieben. Mehr Hoffnung ruht jetzt auf der EU-Entgelttransparenzrichtlinie, die Deutschland umsetzen muss. Hier gilt es, den Druck hochzuhalten, um tatsächliche Veränderungen zu erreichen und uns 75 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes dem Zustand anzunähern, den die Abgeordneten im Parlamentarischen Rat bereits für selbstverständlich hielten. Und das ist ein Grund, warum der Internationale Frauentag weiterhin wichtig ist.

Tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung!

Formal gewährte Gleichheit tatsächlich zu erfüllen ist keineswegs ein Selbstläufer, sondern muss nach wie vor mühsam in einzelnen Themen und in Einzelfällen erstritten werden. Nicht selten müssen wir das Erreichte gegen Angriffe verteidigen. Rückschritte sind möglich und werden von manchen politisch erstrebt, die auch sonst einen Rückfall in braune Zeiten anstreben. Die Verbindung von rechtsextremen Gesinnungen und Frauenfeindlichkeit ist klassisch. Die bunten Demonstrationen der letzten Wochen sind deswegen ein ermutigendes Zeichen für Frauen und für die Demokratie ganz allgemein. Diese Form von Solidarität ist in einer Demokratie unerlässlich. Wenn Einzelne diskriminiert und ausgegrenzt werden, so setzt sich die Demokratie in Widerspruch zu ihrem eigenen Gleichheitsversprechen. Dieses Versprechen steht nicht nur auf dem Papier, sondern hat eine tatsächliche Dimension.

Soziale und rechtliche Kämpfe gegen Diskriminierung verlaufen in historischer Perspektive in drei Phasen: Rechte werden verwehrt, Rechte werden gewährt, tatsächlich gleiche Rechte müssen schließlich noch durchgesetzt werdenElisabeth Selbert erkämpfte 1948/49 im Parlamentarischen Rat Art. 3 Abs. 2 GG: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Nach der Wiedervereinigung fügten 1993 kämpferische Frauen einen zweiten Satz hinzu: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Seither betont unsere Verfassung: Das mit der Gleichberechtigung der Frauen ist keine Verfassungslyrik. Wir als Demokratie meinen es damit ernst! Um uns an dieses Verfassungsgebot zu erinnern, feiern wir einmal im Jahr den Internationalen Frauentag – es sollte wie in Berlin ein Feiertag sein, damit wir auch Zeit haben zu demonstrieren! Und wir stehen solidarisch mit den Frauen in der ganzen Welt, die noch immer für Gleichberechtigung kämpfen! Diese Kämpfe sind leider im Jahr 2024 längst noch nicht vorbei. Und das ist ein Grund, warum der Internationale Frauentag weiterhin wichtig ist.

***

Heutzutage geht es natürlich um den andauernden Kampf von Frauen um echte Gleichberechtigung. Wir haben übrigens festgestellt, dass der Frauenanteil im Deutschen Bundestag 2019 schon einmal bei fast 40 Prozent lag, im Jahr 2017 auf etwas über 30 Prozent sank und 2021 auf 35 Prozent stieg.

So muss man sich viele Kämpfe von Frauen vorstellen: Es geht mal voran, aber auch immer wieder rückwärts. Vor allem der Rechtsdrall in vielen Ländern, in manchen mit einem religiös-fundamentlistischen Background kombiniert, wie in den USA, der uns, wenn auch ohne diese besondere Ausprägung,, ebenfalls bevorstehen könnte, ist derzeit eine Gefahr für viele Demokratien und damit auch für Frauenrechte. So weit, dass das Frauenwahlrecht abgeschafft wird, dürfte es nicht kommen, aber der Kampf um den berüchtigten § 218 StGB könnte für die Frauen endgültig verlorengehen – das ist nur ein Beispiel. Denn Männer haben immer noch die weitaus größere ökonomische Macht und würden sie, gäbe es nicht gesetztliche Vorgaben, auch zu Lasten der Frauen einsetzen. Ob es bei umgekehrter Konstellation auch umgekehrte Diskriminierungen gäbe, brauchen wir nicht zu diskutieren, denn davon sind wir weit entfernt.

Deutschland hat in vieler Hinsicht keine herausragende Position bei der tatsächlichen Gleichstellung: In anderen westlichen Ländern ist die Quote an Topmanagerinnen höher als bei uns. Als wir uns die Zahlen dazu angeschaut haben, ist uns aufgefallen, wie gerade früher als besonders konservativ und dem Machismo zugeneigte Länder wie Spanien gesellschaftlich vorangekommen sind und Deutschland bei der realen Gleichstellung in vielen Punkten überholt haben. Wir finden es beeindruckend, wie progressiv manche Gesellschaften trotz des Drucks durch das Kapital und von rechts noch sind. Dass es in den „Scandics“ besser aussieht als bei uns, müssen wir nicht näher ausführen, diese sind uns gesellschaftlich auf allen Gebieten voraus. Aber es gibt auch Konversionsstaaten des ehemaligen Ostblocks wie die baltischen Länder, in denen es viel reibungsloser möglich scheint als bei uns, offen für eine moderne, gleichberechtigte Gesellschaftsordnung zu sein.

Der deutsche Mehltau hat sich auch in weiten Teilen über den gesellschaftlichen Fortschritt gelegt, deswegen ist es wichtig, den Kampf weiterzuführen. Würden Frauen das nicht tun, würden sie wieder an Einfluss verlieren. In Deutschland nimmt auch die Gewalt gegenüber Frauen in Partnerschaften langsam ab, aber auch hier sind wir nicht Spitze und vor allem hat uns überrascht, dass diese Form von spezifisch frauenfeindlicher Gewalt z. B. in den USA geringer ausprägt scheint als bei uns. Es gibt allerdings verschiedene Erhebungen dazu, die unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen. Eines jedoch nicht: Dass es keine Gewalt gegenüber Frauen in Partnerschaften gäbe, die darauf zurückzuführen sind, dass Männer ihre physische Überlegenheit ausnutzen und / oder glauben, dass sie die ihnen von Gott oder wem auch immer verliehene oder gesellschaftlich tradierte Berechtigung haben, Frauen körperlich zu verletzen.

Sozialpolitische Kämpfe, Kämpfe um Fortschritte und mehr und mehr auch um den Bestand sozialer Tatbestände in einer Demokratie, in der die Menschenwürde für alle gewahrt sein sollte wiederum sind für uns auch gesellschaftspolitische Kämpfe und umgekehrt. Das muss die Zivilgesellschaft, auch deren männliche Mitglieder, begreifen: Es sind auch ihre Rechte, die in Gefahr sind, wenn Antidemokraten sich immer mehr politisch ausbreiten können.

Es ist sehr schade und auch bedenklich, dass die Krisen der letzten Jahre mit dazu beigetragen haben, dass es schwieriger wird, an den Themen dranzubleiben und dafür Aufmerksamkeit zu schaffen, die gesellschaftlich nach wie vor wichtig sind, aber keine Alarmstimmung auslösen. Das war bei den Frauenrechten einmal anders, wenn wir uns an „Mein Bauch gehört mir“ erinnern, an die 1970er. Auch damals galt schon das Prinzip der Aufmerksamkeitsökonomie; was schrill wirkt und kontrovers, wirkt relevant. Ob einige Übertreibungen dafür gesorgt haben, dass der Konsens nicht erreicht werden konnte, der in anderen Ländern zu einem moderneren Abtreibungsrecht geführt haben, sei dahingestellt. Faktisch ist Deutschland in vielen Bereichen der Selbstbestimmung und der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen nicht so gut, wie es wünschenswert wäre.

Was immer uns auch gerade beschäftigt, die Kriege, der Klimawandel – der Aufmerksamkeit dafür darf nicht der gesellschaftliche Fortschritt geopfert werden, denn es hat ja alles miteinander zu tun: Eine geschlossen agierende, gleichberechtigte Gesellschaft, in der sich alle wertgeschätzt fühlen, ist resilienter bezüglich dieser Anforderungen.

Es gibt in Deutschland aber eine, vorsichtig ausgedrückt, sehr konservative Mehrheit, die Minderheiten nicht gerne etwas gönnt. Frauen sind zwar zahlenmäßig keine Minderheit, aber sind es eben doch, wo es darauf ankommt: Dort, wo wirklich wichtige Dinge entschieden werden. Ob die Welt besser wird, wenn dort Frauen sogar überwiegend das Sagen haben werden? Wir meinen, das muss nicht so sein, wir erwarten es auch nicht. Es geht aber um ihre Chancen für Frauen, sich genauso beweisen zu können wie Männer und sich dann auch derselben Kritik überhaupt erst aussetzen zu können, weil sie wichtige Dinge entscheiden. Daran hapert es an vielen Stellen gerade in Deutschland noch, trotz der 16-jährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel, die zwar ein paar Fortschritte gebracht hat, aber keinen feministischen Wumms aufwies.

Das war ja gerade ihr Erfolgsrezept als Frau mit Intuition: Es so zu machen, dass die Mehrheit mitgehen kann, auch die Männer, und sich zum Beispiel am Ende doch recht problemlos zur Ehe für alle bereitfinden können. Eine Riesenchance hat Merkel leider nicht genutzt, weil sie wohl dachte, sie könnte dann ihre Position eben doch verlieren: Ihre Fähigkeit, Konsens herstellen zu können, für eine Zukunftspolitik einzusetzen, die in jeder Hinsicht trägt. Das könnte ihren Geschlechtsgenossinnen noch auf den Kopf fallen, wenn das rechte Rollback, das durch die saumselige Politik der letzten Jahrzehnte mit ausgelöst wird, sich auch in der Beschneidung von Rechen für Frauen niederschlägt, wie es jetzt in den USA schon sichtbar ist. Vor einem anderen Hintergrund, wie oben erwähnt.

Angela Merkel ist zum Beispiel der beste Beweis dafür, dass Frauen politisch nicht visionärer, fortschrittlicher, mit mehr Weitblick ausgestattet sein müssen als Männer. Wir haben in Deutschland generell einen Mangel an Persönlichkeiten von Format, dieser betrifft leider alle Geschlechter. Die Zeit wäre reif für eine große Frau in der Politik, die helfen kann, mit ihrer Biografie dem Land auch ein neues Narrativ zu vermitteln, das für die ncähsten Jahrzehnte trägt. Aber was wir sehen, neben Lindner,  Söder, Höcke, sind Baerbock, Wagenknecht und Weidel. Verschiedene Lager, aber Frauen mit Wirkung in der Politik, die jeder kennt und zu denen jeder eine Position hat. Doch sie alle keine Menschen, denen wir persönlich ein spezifisch weibliches Extra zurechnen würden, das den Unterschied zu den männlichen Politikern ausmachen könnte, wenn es um Überzeugungsarbeit für eine bessere, gerechtere Welt geht. 

Unabhängig  von einer leider sehr dünnen Decke an überzeugenden Politiker:innen: Was zählt, ist das einer modernen Demokratie unwürdige und frauenfeindliche Ergebnis, das uns erwarten würde, wenn Frauenrechte nicht aktiv verteidigt und weiter vorangebracht würden. Einen Rückschritt sollten wir alle in Deutschland gemeinsam verhindern, Frauen und Männer und alle anderen. Weiterzugehen auf dem Weg zur Gleichberechtigung heißt auch, das Erreichte sichern. Wir werden sehen, wie sich die Frauen-Gleichberechtigung in den nächsten Jahren in Deutschland entwickelt und es kommentieren. Natürlich ist es falsch, dran nur einmal im Jahr zu denken, aber es ist richtig, offiziell einmal im Jahr Bilanz zu ziehen und im Jahr 2024 festzustellen: Es gibt nach wie vor viel zu tun.

TH

 

Auch in diesem Jahr möchten wir wieder einen Blick auf den Weltfrauentag werfen, und fangen dabei mit einer Umfrage an:

Civey-Umfrage: Sollte die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach eher mehr oder eher weniger Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen ergreifen? – Civey

Dazu der Begleittext aus dem Civey-Newsletter von heute,, anschließend ein Kurzkommentar von uns:

Heute, am 8. März, ist internationaler Frauentag. Rein rechtlich ist die Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland erreicht. Doch in der Realität haben Frauen noch nicht in allen Bereichen gleiche Chancen. Das zeigt sich etwa in der Arbeitswelt beim Einkommen. Dem Statistischen Bundesamt nach lag der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen letztes Jahr 18 Prozent unter dem von Männern. Zudem leisten Frauen durchschnittlich 43 Prozent mehr unbezahlte Sorge-Arbeit als Männer, wie aktuelle Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts zeigen. Auch dieser Umstand trägt zu ungleichen Karrierechancen bei.

Im Jahr 2020 wurde die nationale Gleichstellungsstrategie beschlossen. Diese formuliert insgesamt neun Ziele, darunter die Einkommensgleichheit und die Aufwertung sozialer Berufe. Durch die Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll eine gleichberechtigte Verteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern gefördert werden. Zudem werden die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Führungspositionen, Parlamenten sowie die gleichberechtigte Präsenz in Kultur und Wissenschaft als Ziele definiert.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wirft der Bundesregierung Untätigkeit vor. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack forderte jüngst im RND Gleichstellungsmaßnahmen, die einen echten Kulturwandel begünstigen – so wie es die Ampel im Koalitionsvertrag versprochen hatte. Die Politik müsse Anreize für eine partnerschaftliche Aufgabenverteilung setzen, so Hannack. Konkreten Handlungsbedarf sieht sie etwa beim Elterngeld oder der Besteuerung von Ehepaaren. Ein zweiwöchiger, voll bezahlter Sonderurlaub für Väter wäre ebenfalls ein wichtiger Beitrag, um traditionelle Rollenmuster aufzulösen.

Diesen Artikel zu diesem Zeitpunkt zu veröffenlichen, war möglich, weil der Weltfrauentag in Berlin ein Feiertag ist und daher für alle Geschlechter in dem Maße arbeitsfrei, wie sie nicht generell an Wochenenden und Feiertagen immer wieder im Job sind.

Wir haben für „eindeutig mehr Maßnahmen“ gestimmt. Es versteht sich von selbst, dass der „echte“ Gender Pay Gap, nämlich, dass Frauen bei vergleichbarer Tätigkeit ebenso bezahlt werden müssen wie Männer, geschlossen werden muss. Dieser „echte“ Gap liegt immer noch bei ca. 5 bis 6 Prozent. Der „unechte“ Gap ist schwieriger zu schließen, weil er mit der Marktbewertung verschiedener Berufe zusammenhängt. Wir haben das immer wieder gerne anhand eines IT-Fachmanns und einer Pflegefachkraft erläutert. Im IT-Bereich, der nach wie vor männerdominiert ist, wird für Arbeiten wesentlich mehr gezahlt, die nach unserer Ansicht nicht anstrengender, nicht wertvoller und auch nicht qualifizierter sind als alles, was sich im Care-Cluster abspielt.

Der Markt hat aber, ungerecht, wie er häufig ist, entschieden, dass IT-Menschen das Geld geradezu in den Hintern geblasen wird, während eine der schwersten Arbeiten, die es heute noch gibt und die gesellschaftlich absolut unerlässlich ist, nur etwa halb so hoch vergütet wird. Im Durchschnitt natürlich und ungeachtet der Aufwertung dieser Arbeit in den letzten Jahren, die sich jetzt auch finanziell ein wenig auswirkt. Allerdings nicht so, dass die hohe Inflation der letzten beiden Jahre abgedeckt wäre. Das heißt, auch in diesem Bereich gab es trotz guter Tarifabschlüsse einen Reallohnverlust.

Und der trifft vor allem Frauen, weil sie nun einmal die Mehrzahl derer darstellen, die sich bei immer noch eklatantem Personalmangel diesen Stress antun. Das ist natürlich nur ein Beispiel von vielen, aber eines, mit dem wir uns mittlerweile ein wenig auskennen. Einige Beobachtungen aus dem Bereich sind aber für einen Artikel zum Weltfrauentag nicht perfekt geeignet, wir werden sie an anderer Stelle referieren.

Erwartungsgemäß ist das Abstimmungsverhalten von Männern und Frauen heute unterschiedlicher als bei den Civey-Umfragen üblich. Während fast 35 Prozent der Abstimmenden für eindeutig mehr gestimmt haben, waren es unter den Männern nur 24 Prozent, umgekehrt natürlich bei der Wahlmöglichkeit, dass eindeutig weniger für die Frauenförderung getan werden soll: 23 Prozent aller Abstimmenden tendieren so, aber 28 Prozent der abstimmenden Männer. Daraus könnte man nun die Anteile abstimmender Frauen und Männer errechnen, aber das lassen wir an dieser Stelle sein und sind doch erstaunt darüber, dass auch einige Frauen lieber weniger Frauenförderung hätten.

Ganz unsinnig ist diese Haltung natürlich nicht, denn vor allem privilegierte Frauen fahren immer noch weit besser, beruflich und finanziell, als nicht privilegierte Männer. Die Klassenunterschiede sind heutzutage bei weitem größer als die Geschlechter-Unterschiede. Wenn eine Frau also ganz auf sich selbst bezogen denkt und nicht ihre vielen benachteiligten Geschlechtsgenossinnen im Blick hat, dann spiegelt diese Ablehnung von mehr Frauenförderung eben ihre persönliche, neoliberale Sicht.

Interessante Zahlen zur Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen in Berlin gibt es hier:

 Erwerbsleben – Berlin.de.

Die Erwerbsquoten von Frauen und Männern sind fast gleich. Jedoch: Männer sind weitaus häufiger in Vollzeitjobs tätig, und wenn diese auch noch gemäß dem „unechten“ Gender Pay Gap im Durchschnitt um ca. 20 Prozent besser bezahlt sind, dann ergibt sich unweigerlich ein großer Unterschied bei den Renten. Deshalb u. a. die aktuelle Diskussion um die (unbezahlte) Sorgearbeit, die von Frauen nach wie vor weitaus häufiger verrichtet wird als von Männern. Der „unechte“ Pay Gap ist derjenige, der mit dem sogenannten Equal Pay day begangen wird. Dieser wiederum lag jahrelang, aufgeladen mit der entsprechenden Symbolik, auf demselben Datum wie der Weltfrauentag, dieses Jahr ist er am 6. März. Es wird aber gleich darauf hingewiesen, dass diese leichte scheinbare Verbesserung dem Schaltjahr zuzurechnen sei. 

Equal Pay Day

Trotzdem muss es eine Veränderung gegeben haben, denn jahrelang wurde der „unechte“ Gender Pay Gab mit 20 bis 22 Prozent beziffert, derzeit sind es 18 Prozent.

Auf den ersten Blick haben Frauen im Öffentlichen Dienst sogar mehr als die Gleichstellung erreicht:

Frauenanteil im öffentlichen Dienst 2022 | Statista

Gerade bei den sichersten Jobs haben Frauen mittlerweile mit 58 Prozent der Erwerbstätigen ein deutliches Übergewicht, das es vor 25 Jahren noch nicht gab, damals waren die Zahlen ausgeglichen. In Berlin beträgt die Frauenquote im Öffentlichen Dienst 54 Prozent, in Brandenburg sogar 64 Prozent. Selbstverständlich keine Ausnahme wie der Öffentliche Dienst ohne Ausnahme: Die Teilzeitbeschäftigten sind auch hier zu über 70 Prozent Frauen, sie stellen aber nur 48 Prozent der Vollzeitbeschäftigten. Dies lässt darauf schließen, dass vor allem hoch dotierte Vollzeitjobs zu einem höheren Anteil von Männern ausgeübt werden, als es deren Gesamt-Erwerbsquote im Öffentlichen Dienst entspricht. Mithin leisten Männer selbst im Öffentlichen Dienst mehr Arbeitsstunden als Frauen. Dies wiederum deutet auf eine nach wie vor nicht ausgeglichene Arbeitsverteilung bei der Familienarbeit, der Hausarbeit und der Sorgearbeit im privaten Bereich hin.

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar