Glücksatlas 2024: Deutschland im Sinkflug | Briefing 477 | Gesellschaft, Demokratie in Gefahr, International Day of Happiness

Briefing 477 Gesellschaft, Deutschland, Glücksatlas, Demokratie, Zukunftsfähigkeit

Wie glücklich sind Sie? Wie zufrieden mit Ihrem Leben? Der neue Glücksatlas ist da und zeigt interessante Entwicklungen:

Infografik: Wie zufrieden sind die Menschen mit ihrem Leben? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

2012 riefen die Vereinten Nationen den 20. März als International Day of Happiness oder Weltglückstag aus, der seitdem jedes Jahr an diesem Datum stattfindet. Ziel sei es, ein Bewusstsein für „einen inklusiveren, gerechteren und ausgewogeneren Ansatz für das Wirtschaftswachstum, der das Glück und das Wohlergehen aller Menschen fördert“ zu schaffen. Obwohl Glück und Zufriedenheit subjektive Parameter sind, hat das Team hinter dem World Happiness Report auch dieses Jahr erneut ein Länderranking erstellt, das deutliche Unterschiede zwischen westlichen Industrienationen und Ländern in Asien und Afrika sichtbar macht.

Um die Zufriedenheit der Befragten in den 143 untersuchten Ländern abzubilden, mussten diese eine Einschätzung über die Zufriedenheit mit ihrem derzeitigen Leben auf einer Zehn-Punkte-Skala abgeben. Daraus wurde ein Durchschnittswert für die Ergebnisse zwischen 2021 und 2023 pro Land ermittelt. Wie die Statista-Grafik auf Basis des Reports zeigt, sind Finnland (7,74), Dänemark (7,58) und Island (7,53) dieser Berechnung zufolge die Länder mit den zufriedensten Bewohner:innen, während die drei niedrigsten Werte bei den Einwohner:innen Lesothos (3,19), des Libanon (2,71) und Afghanistans (1,72) zu finden sind. Deutschland erreicht in der diesjährigen Auswertung Platz 24 von 143.

Neben den deutlichen Unterschieden in den geografischen Regionen gibt es auch Differenzen bei der Zufriedenheit in verschiedenen Altersgruppen. Blickt man auf die Ergebnisse bei den Unter-30-Jährigen, nehmen Litauen, Israel und Serbien die ersten drei Ränge ein, bei den Über-60-Jährigen sind es Dänemark, Finnland und Norwegen.

Wichtig zu beachten: Entgegen der Erwartungen handelt es sich beim Ranking des World Happiness Report nicht um eine objektive Erhebung, die sich an Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, Lebenserwartung oder der Qualität des Sozialsystems orientiert. Diese werden laut den Autor:innen des Reports als „unterstützende Faktoren“ analysiert, haben jedoch keinen Einfluss auf die Punktewertung.

Auch wenn es sich nicht um eine objektive Erhebung handelt: Es fällt auf, dass in den Ländern, in denen die objektiven Sozialdaten am besten sind, die Menschen auch am glücklichsten sind. Drei skandinavische Staaten sind ganz vorne, Schweden, auf der Karte nicht eigens ausgewiesen, folgt auf Platz 4. Die erste Verblüffung stellte sich auf Platz 5 ein: Vor allem junge Israelis scheinen die zunehmend aggressive Aufstellung ihres Staates cool und das Lebensgefühl boostend zu finden.

Europa betreffend, könnte man witzeln, dass die Franzosen und Französinnen vermutlich vor allem mit sich selbst und ihrem Charakter nicht zufrieden sind, das ist aber auch eine Tradition des Landes, die sich insgesamt in einer sehr kritischen Einstellung widerspiegelt. Die Deutschen waren da lange Zeit anders: Man meckert immer über die Politik, aber irgendwie ist der Michel doch ein wenig naiv in einer Wohlfühlblase unterwegs. Was wir schade finden: Ddass die Menschen in Ländern, die wirklich gut nach vorne gekommen sind, noch nicht glücklicher werden konnten, Spanien ist uns dabei im europäischen Umfeld aufgefallen. Im Nordosten Europas funktioniert die Synthese zwischen Fortschritt und Glück ja einigermaßen.

Jetzt ist es in Deutschland allerdings durchgeschlagen:

Wie haben sich die Rankings im Vergleich zum letzten Jahr verändert? Während die Top-Ten-Länder weitgehend unverändert geblieben sind, hat sich in den Top-20 deutlich mehr getan. Costa Rica und Kuwait sind beide Neuzugänge[10] in den Top 20 auf den Plätzen 12 und 13. Die anhaltende Annäherung des Glücksniveaus zwischen den beiden Seiten Europas führte im vergangenen Jahr dazu, dass Tschechien und Litauen unter den Top 20 waren, fast gleichauf mit Slowenien auf Platz 21. Zu den Neueinsteigern gesellt sich auch das Ausscheiden der Vereinigten Staaten und Deutschlands aus den Top 20, die von 15 und 16 im vergangenen Jahr auf 23 und 24 in diesem Jahr zurückgegangen sind.

Wenn die Menschen in den USA unzufriedener werden, ist das auch deshalb beunruhigend, weil die dortige Stimmung so große Auswirkungen auf die Stabilität der Demokratien im Ganzen hat. Außerdem ist die Entwicklung aus wirtschaftlicher Sicht nicht so logisch wie in Deutschland, die USA zeigen ein wesentlich besseres ökonomische Profil. Hierzulande haben die Krisen dazu geführt, dass immer mehr Menschen auf dem Boden der Realität ankommen, und der ist schwankend.

Dass Deutschland noch bei den „blauen Staaten“ ist, stellt wieder einmal ein Lehrstück darüber dar, wie man statistische Karten so aufbaut, dass damit auch manipuliert wird. Es gibt keinen wirklich logischen Grund, die Farbe Blau von 7,7 bis 6,7 gehen zu lassen. Warum nicht? Das Land, das am höchsten liegt, Finnland, hat nämlich einen Glücks-Score von 7,724, also hätte eine Blaufärbung von  7,8 bis 6,8 oder 6,9 viel näher gelegen, bei der gewählten Einteilung ist das Land im Grunde gar nicht enthalten. Und dann wären Deutschland und die USA aus dem blauen Bereich gefallen und hätten sich mit Frankreich und anderen, auch mit Russland, im mittelguten grün gefärbten Bereich wiedergefunden, während vor allem die Scandics wieder einmal einen Besten-Block dargestellt hätten. Deutschland liegt mit 6,719 minimal über dem unteren Rand der „Blau-Grenze“, weil diese eben sehr großzügig bemessen wurde.

Damit wird optisch kaschiert, wie rasant es hierzulande abwärts geht. Auch im Text findet man, obwohl er in Deutsch verfasst ist, kein Wort zur Situation in Deutschland und wie sie sich negativ entwickelt. Damit haben wir wieder einen Faktor identifiziert, der eine Gefahr für die Demokratie darstellt. In den USA springt das sowieso jedem ins Auge, aber auch die gärende Unzufriedenheit hierzulande ist gefährlich für den Zusammenhalt und für die demokratische Konstitution des Landes. Denn leider ist es in vielen Ländern, auch in Deutschland, augenblicklich so, dass die negative Stimmung nicht etwa zu einer massiven Bewegung für den Fortschritt führt, sondern man wieder einmal das Heil in autoritären und rückständigen Ideen und Personen sucht. Nicht so extrem wie schon einmal, nicht so schnell, aber die schleichende Erosion eines Systems, das von immer weniger Menschen geliebt oder wenigstens geschätzt wird, ist evident. Hingegen ist niemand da, der die Unzufriedenheit in Vortrieb anstatt Rückwärtsgewandtheit kanalisieren kann.

Gemäß Glücksatlas waren die Deutschen früher gar nicht miesepetrig, auch nicht im Vergleich zur realen Entwicklung des Landes, die schon seit Jahrzehnten im Vergleich zu anderen rückwärts-seitwärts läuft und durch die Wahrnehmungsverzerrungen im Wege der Wiedervereinigung mitgeprägt ist, die es in anderen Ländern nicht gibt.

Die politischen Figuren im Land werden den Rückgang des Glücksgefühls überwiegend dazu nutzen, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben, nicht dazu, ihr entgegenzuwirken und etwas anzubieten, das Glück spendet, einen Vertrag, einen Deal.

Selbstverständlich kann man sagen, schauen Sie mal in andere Länder. Aber wenn man von wirklich gepeinigten Gesellschaften in einigen Regionen der Welt absieht, kann man nicht mehr so recht erkennen, wo Demokratien noch wesentlich besser liegen als Autokratien. Japan und China sind beide im grünen Bereich, warum sich nicht auch Deutschland und die USA dort finden, haben wir oben erklärt, es ist im Grunde ein Trick. Man kann das so machen, verschleiert dadurch aber die wenig erfreuliche Kernaussage, dass Freiheit offensichtlich nicht mehr so viel Glück spendet, wie es zu deren Verteidigung notwendig wäre. Die Perspektiven schwinden, immer mehr Menschen fühlen sich gefangen und eben nicht frei. Die Freiheit die wir meinen, zu hinterfragen, nützt relativ wenig, wenn die Stimmung grundsätzlich schlechter wird. Wir können Menschen verstehen, die diesem Land den Rücken kehren. Menschen, die etwas beitragen könnten, es sich aber nicht mehr antun wollen.

Das wird irgendwann auch diejenigen vor Fragen stellen, die sich auf ihren Privilegien und dem hohen Ross ausruhen. Denn eine wegbrechende Basis von Gutwilligen und Leistungsbereiten wird zu immer massiveren Problemen führen. Ebenfalls signifikant in dem Zusammenhang: In Deutschland sind die Alten viel zufriedener als die Jungen. Diejenigen, die es schon in den sicheren Hafen geschafft haben, also glücklich im Vergleich zu denjenigen, die die Lasten der Zukunft wuppen müssen. Wir finden es nicht gut, wenn alte Menschen unglücklich sind, deswegen ist ein ausgeglichenes Verhältnis, das von einem gesunden Generationenverständnis spricht, das Ideals. In Deutschland verschlechtert sich dieses Verhältnis aber. Man kann auch sagen, die Aussichten für Junge verschlechtern sich nach deren Gefühl noch rascher als die der Älteren. Kein Wunder, dass auch die Geburtenrate nicht auf Touren kommt. Man macht seinen Stiefel und versucht irgendwie klarzukommen. Das ist es, was wie bei vielen wahrnehmen. Von Aufbruchstimmung aus der Krise heraus (Corona), trotz der Krisen (Ukraine, Naher Osten, Wirtschaftsflaute) keine Rede. Und keine politischen Personen, die Vertrauen vermitteln. Eine zukunftsfähige Gesellschaft ist anders drauf.

TH


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