Briefing 493 Geopolitik, 75 Jahre NATO, 32 Mitgliedsstaaten
Gestern feierte die NATO ihr 75-jähriges Bestehen. Eine Erfolgsgeschichte? Jedenfalls wurde in diesen 75 Jahren noch nie ein NATO-Staat angegriffen, jedenfalls nicht von einem anderen Staat. Terror gab es in vielen NATO-Ländern zu beklagen. Eine der interessantesten Grafiken der letzten Zeit liefert Statista mit der heutigen Veröffentlichung einer Umfrage der NATO selbst.
Wie solidarisch ist die Bevölkerung in den verschiedenen Staaten mit den anderen NATO-Staaten?
NATO: Mangelnde Solidarität im Verteidigungsbündnis? (msn.com)

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Auch 75 Jahren nach ihrer Gründung ist die North Atlantic Treaty Organization (NATO) weiterhin mit geopolitischen Herausforderungen konfrontiert. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine rückte die NATO als Schutzmacht in den Fokus und hat seit Beginn des Krieges mit Finnland und Schweden zwei neue Mitglieder gewonnen. Doch ist die NATO überhaupt in der Lage ihre Mitgliedsstaaten im Falle eines militärischen Überfalls zu verteidigen?
Wie aus der jährlichen NATO-Umfrage hervorgeht, verlassen sich die meisten Länder in so einem Fall auf ihre Bündnispartner, zeigen jedoch deutlich weniger eigene Verteidigungsbereitschaft. Wie die Statista-Grafik anhand einer Auswahl von Mitgliedsstaaten zeigt, sind beispielsweise 73 Prozent der Befragten in Deutschland der Meinung, dass die Bundesrepublik im Angriffsfall von den Bündnispartnern verteidigt werden sollte. Dass Deutschland selbst sein Nötigstes tun sollte, um andere NATO-Staaten zu schützen denken hingegen nur etwa 59 Prozent.
Ein ausgeprägter Mangel an Solidarität zeigt sich aber vor allem im Südosten Europas. In Griechenland, Ungarn, Bulgarien und Montenegro stimmen jeweils weniger als die Hälfte der Befragten der Verteidigung anderer durch ihr Heimatland zu – beschützen lassen wollen sich aber 58 bis 71 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen. Die größte Diskrepanz zwischen den beiden Fragen weist aber Island vor – 78 Prozent denken die NATO sollte den Inselstaat verteidigen, während nur 47 Prozent es auch umgekehrt sehen. Als deutlich solidarischer stellten sich in der Umfrage die Einwohner:innen Norwegens heraus.
Die Grafik zeigt den Anteil der Befragten, die zustimmen, dass ihr Land andere NATO-Staaten verteidigen sollte und umgekehrt.
Die Grafik ist wundervoll. Sie weist auf eine menschliche Grundeigenschaft hin: Solidarität ist doch eher für andere als für die eigene Person. Oder ist es gar nicht so dramatisch?
Bevor wir schreiben, die Norweger haben es ziemlich gut verstanden, die benachbarten Isländer nicht, was Solidarität im Militärbündnis bedeutet, sollten wir noch einmal kurz überlegen, ob man bestimmte Unterschiede in der Haltung nicht doch anders erklären kann als mit einer egoistischen Einstellung. Norwegen ist ein NATO-Gründungsstaat mit einschlägigen Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Nazi-Besatzung, wie so viele Länder in Europa, die in irgendeiner Form wichtig waren oder sind.
Wir haben uns mal Norwegen und Island ein wenig angeschaut, militärtechnisch:
Die Streitkräfte Norwegens bestehen aus etwa 23.250 aktiven Personal12 und 40.000 Reservisten in der Heimatgarde1.
Island hingegen unterhält keine stehende Armee3. Die Verteidigung Islands besteht aus der isländischen Küstenwache, die isländische Gewässer patrouilliert und ihren Luftraum überwacht3. Es gibt etwa 55 Personen, die in verschiedenen Untereinheiten dienen4
Pro Einwohner hat Norwegen also etwa so viele Menschen in der Armee wie Schweden, die Armee doritige ist etwa 31.000 Personen stark. Das Land hat etwa 9 Millionen Einwohner, Norwegen etwa 6 Millionen. Beide Streitkräfte gelten als sehr modern und der Größenvergleich auch mit Deutschland ist erlaubt: Die Bundeswehr müsste etwa 100.000 Soldat:innen mehr haben, um auf den gleichen Anteil an der Bevölkerung zu kommen wie in den beiden skandinavischen Staaten (0,3 / 0,4 Prozent).
Hingegen hat Island also gar keine Streitkräfte. Logischerweise ist man deshalb eher darauf aus, verteidigt zu werden, als andere zu verteidigen. Islands Mitgliedschaft in der NATO ist aber nicht nur symbolisch, denn seine geografische Lage macht das Land im Kriegsfall möglicherweise zu einer wichtigen Drehscheibe. Und dann könnte es angegriffen werden und muss auch verteidigt werden – natürlich von anderen, da es kein eigenes Militär besitzt.
In den USA ist man insgesamt skeptischer als in Norwegen, hat das Prinzip aber einigermaßen verstanden. Da hätten wir sogar einen größeren Unterschied für normal gehalten, denn viele Amerikaner könnten sich sagen, wir verteidigen zwar die anderen, aber wenn wir wirklich selbst angegriffen werden sollen, wer sollte uns in den Dimensionen verteidigen können, die dann nötig sind, außer unser eigenes Militär? Wieder etwas weniger NATO-geneigt ist man in Frankreich, vermutlich aus dem Grund, weil man die eigenen Atomwaffen hat, die nicht unter NATO-Befehl stehen. Trotzdem ist die Solidarität mit einem Abstand von 10 Punkten zwischen „verteidigt werden“ und „verteidigen“ normal. In Deutschland sind es schon 14 Punkte, ein wenig blamabel, um es offen zu schreiben. Wir wüssten zu gerne, wie diejenigen ticken, die zwar verteidigt werden wollen, aber andere nicht verteidigen wollen. Die meisten werden es ja ohnehin nicht persönlich tun müssen, aber es versteht sich doch eigentlich von selbst, dass man, wenn man Solidarität erwartet, auch Solidarität beweisen muss.
Der Unterschied ist aber noch gering gegenüber den auch von Statista erwähnten südosteuropäischen Ländern. Griechenland ist das mit am stärksten militarisierte Land in der NATO mit einem riesigen Militärbudget in Relation zu seiner Größe und Wirtschaftskraft. Das wissen viele gar nicht, weil dort immer so getan wird, als ginge man auf dem Zahnfleisch, legendär zum Exzess getrieben während der Finanzkrise.
Richtig mächtig ist hingegen die Türkei, sie hat eine der größten Armeen des Kontinents, aber die Türk:innen wollen trotzdem mehrheitlich keinen Beitrag leisten, wenn andere angegriffen, wohl aber selbst verteidigt werden. Vielleicht denken sie bei dieser Abneigung an Griechenland vice versa.
Ähnlich sieht es in südosteuropäischen kleineren Ländern aus, wobei dabei auch wieder die Kleinheit und die Skepsis bezüglich eines eigenen wichtigen Beitrags in einem NATO-Kriegsfall eine Rolle spielen könnte, auch die noch junge Geschichte und die vielen Widersprüche in diesen Ländern, die sich daraus ergeben, könnten diese Haltung befördern; besonders bei den Staaten, die aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen sind.
Trotzdem sehen wir etwas, das wir auch in der EU wahrnehmen: der Osten ist nicht so stabil pro-europäisch wie der Westen. Uns haben die Werte von Italien, Spanien und Portugal sehr interessiert, denn je weiter westlich man in Südeuropa kommt, desto mehr hat man das Gefühl der Verlässlichkeit. Das betrifft viele Bereiche und auch hier hat sich vieles bei uns während der Krise 2008/2009 herausgebildet: Geplagt waren sie alle, in Südeuropa, aber wie unterschiedlich sind die Menschen damit umgegangen und wie gut stehen Länder wie Spanien und Portugal heute als Demokratien da, im Grunde sind in Europa nur noch die Skandinavier besser, und die machen es eh weltweit allen anderen vor. In Sachen NATO zum Beispiel die Norweger. Aber auch die „Neuen“, Finnland und Schweden, sind schon mental recht eng bei der NATO, wir werden darauf weiter unten noch kurz eingehen.
Sehr interessant, dass Polen und Albanien zum Beispiel auch sehr NATO-soldiarische Bevölkerungen haben und natürlich liegen Portugal und Spanien relativ weit vorne, gut vor Deutschland. Dass in Großbritannien mit 74/67 der Abstand zwischen „wir wollen verteidigt werden und wir wollen andere verteidigen“ mit am geringsten ist. Was immer man vom Brexit und anderen Moves halten mag, die Briten haben wir so eingeschätzt.
Die obigen Zahlen erhellen sich noch ein wenig mehr, wenn man eine weitere Grafik anschaut: Wie viele Prozent einer Bevölkerung würden heute die NATO verlassen wollen, wenn sie darüber abzustimmen hätten? Das in der Statista-Grafik ganz hinten angesiedelte Montenegro hat die mit Abstand höchste Quote von Gehwilligen, auch in der Türkei und in Griechenland wären 20 Prozent der Menschen dafür, sich von der NATO unabhängig zu machen, wenn sie entscheiden dürften.
In Deutschland und ganz vielen anderen Ländern weiß man aber zu gut, wo die Verteidigungsstulle gebuttert ist, deswegen gibt es über die gesamte NATO hinweg nur einen Anteil von 12 Prozent der Bevölkerung, der bereit wäre, die NATO zu verlassen. In Deutschland sind es 11 Prozent. Solche Statistiken sollten sich insbesondere Linke mal anschauen, wenn es darum geht, mehrheitsfähige Positionen zu finden. Die Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO oder gar einer Abschaffung der NATO ist hierzulande kaum zu vermitteln, auch wenn klar ist, dass es künftig mehr kosten wird, dabei zu sein. Das kann man auch nicht dadurch ändern, dass man Russland im Ukrainekrieg quasi zum Angegriffenen umdefinieren will.
Wir halten diese Mehrheitsmeinung für richtig. Die NATO steht nicht für Sicherheit, sondern ist auch ein Vehikel des US-Imperialismus, aber es alleine zu versuchen, kann in diesen Zeiten wohl kaum die Alternative sein. Das haben sich auch die lange offiziell neutralen Schweden und Finnen gedacht, als sie kürzlich beitraten. Sie zählen gemäß den bisher besprochenen Umfragen auf Anhieb zu den stabilen Ländern, und auch das ist eine Mentalitätsfrage. Obwohl man sich auf seine Neutralität lange Zeit auch etwas zugute hielt: Der Anteil derer, die jetzt für die NATO einstehen würden ist deutlich höher, vor allem in Schweden, als der Anteil derer, die für einen NATO-Beitritt gestimmt hätte, als das Thema aufkam und hätte es eine Volksabstimmung dazu gegeben. Man akzeptiert die Mehrheitsmeinung, und die ging wohl auf Beitritt.
Einen Blick auf den Zustand der NATO wirft der insbesondere bei Schweden schwierige Beitrittsprozess aber auch. Hierzulande fragt man sich, was sollte jemand dagegen haben, dass ein Land beitritt, das in fast allen Punkten mit die weltbesten Standards aufweist? Trotzdem gab es Probleme mit Ungarn und der Türkei, die darüber nachdenken lassen, ob die NATO nicht in die falsche Richtung überdehnt wurde.
Bei einer weiteren Grafik ist wieder eine interessante mentale Konstellation zu beobachten. In Deutschland beispielsweise sagen 78 Prozent, die NATO sei künftig wichtig für die Sicherheit des Landes, aber nur 44 Prozent sind deutlich dieser Ansicht, 34 Prozent sagen in etwa „wichtig, aber so sehr nun auch wieder nicht“.
Wie eine relative Haltung in diesem Fall begründet sein soll, ist uns nicht klar. Entweder ist die NATO wichtig oder nicht, aber es gibt kein dazwischen, denn Deutschland ist ganz sicher nicht in der Lage, sich alleine zu verteidigen, sollte es zum Beispiel von einem Atomstaat angegriffen werden. Dann wird die Abschreckung wichtig sein, und die kann gegenwärtig nur über die NATO gewährleistet werden. Deswegen sind wir klar bei den 44 Prozent, die die NATO als sehr wichtig für die künftige Sicherheit einschätzen. Das würde sich nur dann ändern, wenn Deutschland tatsächlich eine teure eigene Atomstreitmacht aufstellen würde. Israel ist bekanntlich auch kein NATO-Staat und kommt bestens damit klar, andere zu verprügeln, ohne dass dem Land selbst viel passiert.
Die NATO ist trotzdem eine der Problemzonen in unserem politischen Weltbild. Gerade die Eindeutigkeit unserer Bejahung der deutschen Mitgliedschaft darin läuft nämlich konträr zu unserer Forderung, dass die Europäer sich endlich mehr von den USA abnabeln müssen, um nicht mehr so abhängig zu sein davon, aus welcher Richtung der Wind dort gerade weht, was die Einstellung zu den Verbündeten angeht, und auch nicht davon, wie die USA sich abroad verhalten. Der Widerspruch lässt sich aber doch einigermaßen auflösen: Europa muss innerhalb der NATO mehr Gewicht erlangen, und das ist mit zwei kompetenten Beitritten zumindest formal der Fall. Es gibt ja schon die Teilung, dass das Hauptquartier zwar in den USA ist, der NATO-General aber immer ein Europäer. Mit Jens Stoltenberg ist es derzeit ein Europäer aus dem besonders NATO-affinen Norwegen. Vielleicht trägt auch diese Personalie ein wenig zur besonders hohen Affinität bei.
Gleichwohl sind wir der Ansicht, dass die deutsche NATO-Mitgliedschaft kein Herzensprojekt ist, sondern eine Notwendigkeit. Es gibt derzeit kein besseres Angebot zum Schutz des Landes. Wer das anders sieht, soll uns bitte eines nennen, das der Rede wert ist, aber bitte nicht: es alleine machen. Dass das nicht geht, sollte angesichts von immer mehr Atomstaaten, von denen einige sehr aggressiv auftreten, klar sein. Und selbst traditionelle Atomwaffenbesitzer wie Frankreich und Großbritannien bleiben doch lieber in der NATO, als es auf eigene Faust zu versuchen. Vor allem, weil ihnen klar ist, dass auch das eigene Süppchen kostensparender auf einem gemeinschaftlichen Herd gekocht werden kann. Dass man wirklich einmal in einen Bündnisfall gerät, gab es erst einmal, und ausgerechnet die unter Trump wie Aussteiger wirkenden USA haben ihn versucht: Der Terroranschlag von 9/11 war der bisher einzige Fall, in dem der NATO-Artikel 5 zum Einsatz kam. Eine interessante Frage, der wir hier nicht nachgehen werden: Haben Deutschland und Frankreich ihre Bündnispflicht verletzt, weil sie im Kampf gegen den Terror nicht auch den Irakkrieg der USA unterstützt haben und wie wirkt es sich aus, dass in den USA Gründe für diesen Krieg im Sinne dessen, was man heute Fake News nennt, errunden wurden? An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass die NATO-Mitgliedschaft durchaus zum Problemfall werden kann, wenn Bündnismitglieder für solche politischen Übergriffe insbesondere der USA mit ins Boot genommen werden sollen.
Die nächste Grafik behandelt etwas, was uns sagt, dass auch die NATO keine Gewähr für ein totales Sicherheitsgefühl darstellt – in Deutschland merkt man das besonders. Nur 51 Prozent fühlen sich in ihrem Land sicher, 36 Prozent unsicher. NATO hin oder her. Da hier keine Menschen aus Nicht-NATO-Staaten befragt wurden, ist es schwer einzuschätzen, wie es bei den wenigen verbliebenen Neutralen in Europa aussieht. In der Schweiz vermutlich noch ganz gut, denn man kann ja nicht das ganze Fluchtkapital zerbomben, das sich dort angesammelt hat, wo käme da der Finanzkapitalismus hin?, aber wie in Österreich, das im Grunde ein klassisches NATO-Land wäre, hätte es nicht sein Neutralitätsstatut?
Weitere Grafiken belegen, dass Russland noch schlechter dasteht, in der Meinunge der NATO-Bürger:innen, als zuvor, wobei Deutschland hier sicher einen Sonderstatus hat, weil es zweigeteilt war und der Osten mehr russisch und der Westen mehr amerikanisch geprägt war. Leider gibt es zu dieser Grafik keine Länderaufschlüsselung. Vor dem Ukrainekrieg stand Russland etwa auf dem Level wie China, mit einer doppelt so hohen Ablehnung wie Zustimmung zu dem Land, jetzt sieht es natürlich noch schlechter aus. Eigentlich müsste aber auch die Zustimmung zu China weiter sinken, weil es mit seiner politischen und vermutlich auch wirtschaftlichen Rückendeckung dabei hilft, dass Wladimir Putin seinen Krieg fortsetzen kann.
Und da wir zielsicher bei der Ukraine angelangt sind: In der gesamten NATO befürworten 63 Prozent eine Fortsetzung der Ukraine-Unterstützung, in Deutschland nur 53 Prozent. Die beiden Gründe dürften klar sein, warum hierzulande die Begeisterung nicht riesig ist: Die erwähnte prorussische Prägung vieler Menschen, und natürlich, dass Deutschland in Europa die mit Abstand höchste nominelle (nicht relative) Unterstützung für die Ukraine leistet und ökonomisch durch den Ukrainekrieg am meisten geschädigt wurde. Dafür sind 53 Prozent noch ein ganz guter Wert, die Ablehnung liegt bei 36 Prozent.
So viel wir auch bisher über den Ukrainekrieg geschrieben haben, zuletzt ausführlicher wieder hier – diese Umfrage führt uns zu dem, was wir im Jahr 2023 als Ukraine-Dilemma identifiziert haben: Beides, Unterstützung oder nicht, hat sehr große Vor- und Nachteile. Wir würden uns möglicherweise zu den 9 Prozent gesellen, die sich neutral stellen. Das gegenwärtige Unterstützungsverfahren des gesamten Westens halten wir nicht zielführend im Sinne eines ukrainischen Sieges. Noch mehr zu tun, würde aber bedeuten, sich direkt zu engagieren, mit allen erheblichen Konsequenzen. Also wäre es logisch, zu sagen, man muss wissen, wann es genug ist. Warum auch das nicht so einfach dahergeschrieben werden kann, haben wir im oben verlinkten Artikel erläutert. Inwieweit die NATO oder die mögliche Mitgliedschaft der Ukraine darin bei der Entstehung des Konflikts eine wichtige Rolle spielt, besonders im Narrativ von Wladimir Putin, ist wiederum ein Punkt, den wir hier nicht ausführen können, weil wir dafür tief in die verschiedenen Argumente dazu einsteigen müssten.
Man kann jedenfalls für die NATO sein und gegen die Unterstützung der Ukraine, in Deutschland ist da soffenbar auch bei einigen Menschen der Fall.
Hochinteressant in dem Zusammenhang: in den USA ist die Unterstützungsbereitschaft höher als in Deutschland. Das müsste Biden gegen Trump eigentlich in die Karten spielen. Es reicht aber anscheinend nicht aus, um andere Themen zu dominieren, die für die Amerikaner (noch) wichtiger sind und bei denen es um wirtschafts- und gesellschaftspolitische Grundsätze geht.
In Deutschland wiederum zählt man zu den Besorgten in Europa, was die eigene Sicherheit durch den Ukrainekrieg angeht. Kanzler Scholz‘ Handeln ist Ausdruck dieser Besorgnis. Er macht, was gerade noch vertretbar erscheint und legt genau damit das Ukraine-Dilemma und die Ängste, die es befördert, offen. Siehe dazu wieder den oben verlinkten Artikel.
Am Schluss fragt die NATO wohl traditionell nach der Einstellung der Bevölkerung zu den Atomwaffen des Bündnisses: Eine sehr große Mehrheit ist dafür, dass die NATO die ihren behält, solange Nicht-Natostaaten das auch tun, und man glaubt, dass sie verantwortungsbewusst mit diesen Waffen umgehen wird. In der Tat trauen wir ihr das ebenfalls eher zu als einigen anderen neueren Atomwaffenstaaten und einigen, die kurz davor sind, Atomwaffen zu besitzen. Der Iran und Norkorea werden wohl demnächst hinzukommen, und wem davor nicht mulmig ist, der hat Nerven wir Drahtseile. Freilich können Atomwaffen auch das dickste Drahtseil pulverisieren.
Wir haben aus der Statista-Grafik nun also ein etwas größeres Roundup generiert und dabei fast alle von der NATO an die Menschen, deren Staaten im Bündnis sind, gestellten Fragen besprochen. Wir gehen davon aus, dass die Zahlen einigermaßen valide sind und halten fest, dass wir mit unserer Bejahung der deutschen NATO-Mitgliedschaft bei einer ungewöhnlich großen Mehrheit angesiedelt sind.
Weil das aber häufig, gerade bei „populistischen“ Themen, nicht der Fall ist, müssen wir zumindest zum Abschluss erwähnen, dass wir sehr wohl wissen, dass die NATO auch ein Werkzeug des US-Imperialismus ist und damit auch des Finanzkapitalismus. Er wird sozusagen mitgeschützt und je mehr die Bevölkerung zu seinen Gunsten an Rechten verliert, desto mehr dominiert sein Schutz gegenüber dem der Bevölkerung. Das ist kein Pillepalle, denn eine Fortsetzung der jetzigen Tendenz bei der Entwicklung der Demokratien, nämlich eine überwiegend negative, kann auch bedeuten, dass die NATO aggressiver, expansiver und unvorsichtiger wird, wie es oft der Fall ist, wenn sich der innere Zustand eines Gebildes verschlechtert.
Ob es so kommt, hängt in unseren Augen zu sehr von der US-Politik ab und langfristig muss es ein inklusiveres Sicherheitssystem geben, das wichtige „Schwellenländer“ einschließt, damit es wirklich zu Frieden und Sicherheit kommen kann. Die jetzige Sicherheit beruht nicht auf Kooperation, sondern, wie schon im Kalten Krieg, auf Abschreckung. Es ist in der Tat abschreckend, dass den Staatenlenkern einfach nichts Neues einfällt und sollte eine Warnung sein, dass unter den Augen der NATO gerade Kriege geführt werden. Zum Glück sind im Moment keine NATO-Länder so aktiv an einem Konflikt beteiligt, dass sie dort Kampftruppen einsetzen.
So, wie die Lage ist, haben wir noch ein recht gutes Sicherheitsgefühl, aller Unwägbarkeiten des Ukrainekriegs zum Trotz. Wir werden sehen, ob das in einem Jahr, wenn die nächste Darstellung der NATO erscheinen wird, noch so sein wird.
Eines ist jedenfalls sicher: Angesichts der Tatsache, dass immer wieder Kriege geführt werden, ist die NATO nicht überflüssig, wenn es um unsere Sicherheit geht, und das ist schade, weil es von zu viel Unsicherheit auf der Welt zeugt. Ob die NATO außerhalb des Gebiets ihrer Mitgliedsstaaten friedenssichernd wirkt oder ob NATO-Staaten Konflikte eher schüren und dabei auch das Bündnis in Gefahr bringen, ist eine Frage, die weiter diskutiert werden sollte.
TH
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