Romeo und Julia – Tatort 521 #Crimetime 1207 #Tatort #Ludwigshafen #Odenthal #Kopper #SWR #Romeo und #Julia #RomeoundJulia

Crimetime 1207 – Titelfoto © SWR

Romeo und Julia ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Tatort. Der vom SWR produzierte Beitrag ist die 521. Episode der Reihe und wurde am 5. Januar 2003 im Ersten Programm der ARD ausgestrahlt. Lena Odenthal ermittelt in ihrem 27. Fall als Tatortkommissarin einen Mord an einem jungen Mann aus dem rechtsradikalen Milieu.

„Der Tatort ‚Romeo und Julia‘ hatte bei der Erstausstrahlung am 5. Januar 2003 eine Zuschauerquote von 19,9 % und es waren 6,64 Millionen Menschen an den Fernsehapparaten. Heute wären das Zahlen, bei denen man über Absetzung des Teams mindestens nachdenken würde, die Reihe hat sich mittlerweile gut erholt und immer wieder neue, innovative Inszenierungen und Ideen sorgen für seit Jahren wieder anwachsendes Interesse.“ So die Einleitung unseres Rezensensionsentwurfs aus dem Jahr 2015, den wir weitgehend übernehmen, an dieser Stelle aber nicht  unkommentiert lassen können. Neun Jahre später gibt es so etwas wie eine Schleife: Insbesondere Teams, die nicht  zu den beliebtesten zählen oder Tatorte, die vorab keine guten Kritiken erhielten, haben durchaus wieder Zuschauerzahlen ähnlich den oben genannten. Die Innovationskraft der Reihe hat in den letzten Jahren nachgelassen, vor allem aber werden bei diesen Zahlen und Quoten die Streaming-Aufrufe nicht mitgezählt. Wer also nur ein klein wenig zeitversetzt schauen möchte und dafür einen Tatort in der Mediathek aufruft, rechnet nicht zu den Premierenzuschauer:innen. Mehr zum 521. Tatort steht in der Rezension.

Handlung

Der junge Marcello ist sehr verliebt und sehr in Sorge. Seine Freundin Julia klingt am Telefon in Ludwigshafen verängstigt und einsam – Marcello aber ist in Italien. Die Familie lehnt die deutsche Freundin vehement ab, so macht Marcello sich einfach davon, um Julia beizustehen. Eine günstige Mitfahrgelegenheit ergibt sich mit seinem neuen Freund Mario Kopper, der mit Kollegin Lena Odenthal bei einer Hochzeit in Italien zu Gast war.

Julia ist erleichtert und glücklich, als sie Marcello wieder sieht. Noch bevor sie ihm sagen kann, was sie quält, unterbricht ihr Bruder Robbi die Wiedersehensfreude. Robbi, unbeschäftigt, ausländerfeindlich und gewaltverliebt, gönnt der Schwester ihre Liebe zu dem jungen Italiener nicht. Er lauert den beiden auf, greift Marcello an und zückt sein Messer. Marcello wehrt sich und verletzt Robbi tödlich. Erschrocken fliehen Julia und der verletzte Marcello und verstecken sich in einem Abbruchgebäude.

Lena und Kopper ahnen nicht, dass ihr neuer Fall etwas mit dem sympathischen jungen Italiener zu tun haben könnte, den sie in Italien kennen gelernt haben. Noch am Tatort erfahren sie, dass Robbi zu einer Clique von Neonazis gehörte. Als sie Robbis Mutter verhören, wird ihnen noch etwas anderes klar: Robbi hat seine Mutter zum Opfer seiner Gewalttätigkeit gemacht und auch seine Schwester Julia geschlagen. Julia, sagt die Mutter, sei mit Freundinnen in Urlaub. Lena jedoch erkennt auf einem Familienfoto das Mädchen, das sie im Viertel gerade erst gesehen hat. Offensichtlich versteckt Julia sich vor der Polizei. Das Mädchen wird zur Hauptverdächtigen.

Während Lena und Kopper Indizien sammeln, sinnen Marcello und Julia in ihrer Zuflucht auf einen Ausweg. Sie sind niedergedrückt, aber entschlossen, sich nicht mehr zu trennen, und das heißt auch: sich nicht der Polizei zustellen. Marcello hat die rettende Idee: Sie werden nach Italien fliehen und dort ein gemeinsames Leben beginnen. Koppers Kumpel Roberto wird sie mitnehmen.

Viel Zeit haben die Liebenden nicht mehr. Lena findet immer mehr Hinweise darauf, dass Julia einen Freund hat, der in den Fall verwickelt ist. Als Kopper Marcello wiedersieht, beginnt er zu ahnen, dass es sich bei diesem Freund um den jungen Italiener handelt. Er versucht Marcello zu schützen. Zunächst ist er ganz erfolgreich, aber dann merkt Lena, dass Kopper etwas vor ihr verbirgt. Sie zwingt ihn, ihr seinen Verdacht mitzuteilen. Lena ist zutiefst enttäuscht von Koppers Verschleierungstaktik. Kopper ist enttäuscht, weil Lena kein Verständnis für die Liebe aufbringt. Innerlich entzweit fahren die beiden hinter Marcello und Julia her.

 Rezension 

Aber nachdem in den 1990ern wichtige neue Teams an den Start gingen und sich eingespielt hatten, war wohl vor nunmehr zwölf Jahren eine gewisse Sättigung erreicht. Die Frage stellt sich auch, wie die Zuschauer damals Plots wie den von „Romeo und Julia“ aufgefasst haben. Wir glauben, dass damals die Ansprüche an Logik und an Plausibilität noch ein wenig höher waren als jetzt, wo, befördert durch die 2002 gestarteten Münster-Ermittler und furiose, absichtlich überzogene und ironisierte Darstellungen wie die im letzten, grandiosen Murot-Thriller („Im Schmerz geboren“), die Sichtweise des Publikum bereits beeinflusst haben.

Außerdem ist die reale Welt mittlerweile ein Ort, in dem niemand mehr behaupten kann, alles sei in der Ordnung, im Griff und lasse sich auf konventionelle Art lösen. Der Wendepunkt 9/11 lag zwar zum Produktionszeitpunkt des 521. Tatorts schon zurück, aber dieser Film ist ein klassischer Sozialkrimi der 1990er, wie ihn z. B. die 1997 gestarteten Kölner Ballauf und Schenk zu einer Art Subgenre erhoben haben. Denen wäre es auch zuzutrauen gewesen, dass sie a.) ohne jede institutionelle Absicherung im Ausland ermitteln und b.) den Täter einfach laufen lassen. Wir erinnern uns an mehrere Filme mit den beiden sympathischen Rechtsbeugern, in denen sie Beweismittel verschwinden ließen, weil die Lösung des Falls nicht mit ihrem sozialen Gewissen konform war – und damit Strafvereitelung im Amt begingen.

Aber auch Lena Odenthal ist ein Ermittlertyp, dem man das abnimmt. Nach heutigen Maßstäben gehört sie eher zu den realistisch wirkenden Polizisten bzw. Polizistinnen, aber bei Filmen wie diesem merkt man schon, dass das Romeo-und-Julia-Prinzip nicht besonders gut in einen Howcatchem zu pressen ist. Um die Handlung zu dramatisieren, wird keinerlei Hinweis dazu angebracht, dass Marcello möglicherweise sowieso straffrei ausgeht, zumindest die begangene Tötungshandlung betreffend, weil ihm § 32 StGB, Notwehr, als Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Es handelt sich u. E. auch nicht um einen Notwehrexzess, § 33 StGB, sodass Marcello keinen Grund hat, schwerverwundet das Salzwasser des Mittelmeers (oder ist es die Adria?) zu durchpflügen. Der nächste Punkt, den wir nachgerade lächerlich fanden – wie der Junge mit seiner schweren Stichverletzung, die ihn beinahe ausbluten lässt, durch die Gegend rennt und reist und schwimmt. Lieber Gott, kann’s denn nicht ein klein wenig weniger dramatisch sein (z. B. die Verletzung etwas weniger gravierend) oder eben so geschrieben, dass er das nicht alles aus eigener Kraft leisten kann?

Wenn „Romeo und Julia“ auf  skurril gemacht und das Augenzwinkern bei solchen Handlungselementen sichtbar wäre, alles geschenkt. Aber wenn das Sozial- und Jugendliebe-Drama im Vordergrund steht, das Rechtsextremismus, Alkoholismus und Nepotismus aller Italiener untereinander meint in einem Tatort behandeln zu können, nervt diese schlampige Überspielung jedweder Glaubwürdigkeit. Dass Mario Kopper zudem seiner Chefin Odenthal verschweigt, dass er den Täter schon kennt, weil dieser zu seiner eigenen italienischen Community gehört, ist dann auch das dritte No-Go. Sicher, es passt dazu, dass beide Cops am Ende alles Recht fahren lassen, aber nach vielen Jahren der Zusammenarbeit, hätte man sich dann nicht absprechen können? Nein, geht nicht, denn das interne Verhältnis von Kopper und Odenthal muss, weil schon der Fall nicht maximal spannend ist und man der Kraft der Lovestory, die man zeigt, nicht vertraut, ebenfalls dramatisiert werden, auch wenn die Logik vergeblich um Hilfe schreit und das Vertrauen zwischen den Ermittlern normalerweise nun schwer erschüttert sein müsste.

Sogar die emotionale Logik, denn nach so vielen Jahren einerseits so kommunikationsverweigernd gegeneinander zu arbeiten und andererseits diese Szene mit den Handschellen – wer denkt sich sowas aus? Dagegen ist die Verwendung eines fremden Fischerbootes als Rettungskreuzer geradezu ein flauschiges Detail. Ebenso wie die Verwendung von Inga Lürsens Tochter als Kaugummi mampfende Jungnazi. Hätte Inga das mitbekommen, wäre in deren Haushalt kein Platz für zwei mehr gewesen und sicher hätte sie es nicht zugelassen, dass die Tochter später ihre Chefin wird. Aber Ludwigshafen ist nicht nur viel weniger attraktiv als italienische Küstenstädtchen, sondern auch weit genug von Bremen weg.

Ob wir des Weiteren Ideen wie den Holzklotz als Instrument der Demütigung und Folterung gut finden, ermitteln wir jetzt nicht, sondern stellen uns neutral, denn es gibt es auch an diesem Tatort, wie an den meisten, Gutes, worüber ebenfalls geschrieben werden muss.

Zum einen finden wir das Milieu, aus dem Julia kommt, wenn auch klischeehaft standardisiert, nicht so schlecht ins Bild gesetzt, abzüglich der Art, in der die Nazis sich in Konfrontation zu anwesenden Italienern setzen, in dieser Karaoke-Bar oder Kneipe mit Karaoke-Extra – das dürfte auf diese Weise wohl in der Realität nicht ablaufen. Dafür trägt Lena Odenthal noch die Kurzhaarfrisur, die so gut zu ihr passt, und zeitweise, ein nettes Detail, als Kopper und sie mit den Italienern zugange sind, sogar à la italienischem Jungschönling gestylt, also gegeelt oder pomadisiert und nach hinten gekämmt. Sehr fesch, besonders im Vergleich mit der üblichen Optik deutscher Tatortermittlerinnen.

Wichtiger aber, dass das Paar Matteo und Julia funktioniert. Vor allem Jasmin Schwiers ist genau der Typ einer kleinen, unscheinbaren Schönheit, ein wenig verhuscht, ein wenig verschüchtert und sehr fixiert auf die Person des Lovers, mangels anderer Perspektiven und aus einer Situation eines nicht nur sozial, sondern auch emotional unterbelichteten Umfeldes heraus, das macht die Jungschauspielerin ausgezeichnet. Dennis Moschitto spielt den Italiener sehr dezent und die beiden passen richtig gut zueinander und wirken auf uns authentisch – bei Matteo leider abzüglich der erwähnten Verletzungsbewältigung und der Tatsache, dass er nicht selbst darauf kommt, dass er vielleicht in Notwehr gehandelt haben könnte. Auch das Shakespeare-Original ist in der Hinsicht kaum besser, aber vielleicht gab es zu der Zeit, in welcher das Stück entstand und in der es spielt, kein solches strafrechtliches Rechtfertigungsinstrument. Heute aber weiß jedes Kind, dass, wenn es einen möglicherweise tödlichen Angriff auf sein eigenes Leben abwehrt, keinen Mord begangen hat, wenn es im Handgemenge zur Tötung des Gegenübers kommt. Gerade in den Kreisen, deren Alltag etwas gefährlicher ist als der einer Pädagogenfamilie in unserem Kiez, wird über solche Themen gewiss immer wieder gesprochen.

Finale

Schade, dass das schöne Jugendliebe-Drama von einer allzusehr gedrückten und gebogenen Handlung geschwächt wird. Was hier alles angestellt wird, damit Kopper und Odenthal ihr das Dienstverständnis bei weitem überragende Einfühlungsvermögen – völlig unnötigerweise, die Rechtslage zu verwenden, hätte es auch getan – zur Schau  stellen können, ist zu wild konstruiert. Trotzdem bleiben die beiden Jugendlichen, die sich in einer eher freudlosen und unsicheren Welt aneinander klammern, ein starkes Paar. Der Romeo-und-Julia-Auftrag ist also erfüllt, der Tatort-Auftrag weniger.

6/10

© 2015 Der Wahlberliner, Alexander Platz

Regie Nicole Weegmann
Drehbuch Harald Göckeritz
Produktion Ulrich Herrmann
Musik Oliver Biehler
Kamera Thomas Makosch
Schnitt Carola Hülsebus
Premiere 5. Jan. 2003 auf Das Erste
Besetzung

Hinterlasse einen Kommentar