Filmfest 1073 Cinema – Concept IMDb Top 250 of All Time (152) – Die große Rezension
Filmfilm ohne Anfang und Ende?
Mulholland Drive – Straße der Finsternis (Originaltitel: Mulholland Drive, auch: Mulholland Dr.) ist ein Thriller mit Drama– und Mystery-Elementen von David Lynch aus dem Jahr 2001.
Der Titel des Films ist auch eine Anspielung auf Billy Wilders Klassiker Boulevard der Dämmerung, der als ein Lieblingsfilm von Lynch gilt.[3] Im Abspann widmet Lynch den Film der Schauspielerin und damaligen Partnerin von Keanu Reeves, Jennifer Syme, die Anfang April 2001 im Alter von 28 Jahren bei einem Autounfall starb.
Wenn man beginnt, sich mit David Lynch, dem Regisseur von „Mulholland Drive“ zu befassen, passiert genau das, was man erlebt, wenn man sich mit dem Film selbst annähern will: Man gelangt in einen Trichter, in einen Sog der Wahrnehmung. Eine Persönlichkeit wie Lynch führt von Verweisen auf die Metaphorik, aufs Kino selbst bis hin zu TM und es hat alles kein Ende. Wenn es kein Ende gibt, gibt es vielleicht auch keinen Anfang, und David Lynch ist als Möbiusband auf die Welt gekommen. Wer sich bildlich vorstellen mag, was wir meinen, ohne technischer dabei zu werden, als wir es selbst können, der schaue sich H. C. Eschers Bilder von unmöglichen Treppenbändern an. Vielleicht erklärt dieses Phänomen, warum wir bei „Mulholland Drive“ nicht herausfinden können, was der eigentliche Beginn des Films und das eigentliche Ende sein soll. Trotzdem haben wir mehr dazu in der Rezension geschrieben.
Handlung (1)
Ausgehend von den sich ändernden Identitäten der meisten Figuren, lässt sich der Film in zwei Teile gliedern, von denen der erste mehr als vier Fünftel umfasst und zwar mehrsträngig, aber chronologisch erzählt wird. Die zwei weiblichen Hauptfiguren – beide um die 30, die eine dunkelhaarig, die andere blond – kommen durch eine außergewöhnliche Verkettung von Zufällen zusammen.
Erstere, „Rita“ (Laura Harring) entgeht einem Mordanschlag nur dadurch, dass sie als Einzige einen Autounfall auf dem Mulholland Drive überlebt. Äußerlich nur leicht verletzt, aber desorientiert, schlüpft sie am Morgen danach in einer Wohnung unter, die eine ältere Frau gerade verlässt, offenbar für längere Zeit. Am gleichen Tag quartiert sich deren Nichte Betty Elms (Naomi Watts) dort ein, die mit der Hoffnung auf eine Schauspielkarriere nach Hollywood gekommen ist. Sie ist überrascht von der Anwesenheit der Fremden, die sich als Rita ausgibt, hegt aber keinen Argwohn. Später gesteht „Rita“ Betty, dass sie nicht weiß, wer sie wirklich ist. Um ihre Identität zu ermitteln, öffnen beide „Ritas“ Tasche, finden dort aber statt eines Dokuments einen großen Geldbetrag und einen seltsamen blauen Dreikant-Schlüssel.
Bettys Neugier, „Ritas“ Geheimnis auf die Spur zu kommen, ist geweckt. Sie entlockt ihr den möglichen Unfallort (Mulholland Drive) und findet dies durch einen anonymen Anruf bei der Polizei bestätigt. Eine weitere Spur ist „Ritas“ Erinnerung an eine „Diane Selwyn“, ausgelöst durch eine Kellnerin namens Diane, die sie im Schnellrestaurant Winkie’s bedient. Sie finden sie im Telefonbuch, erreichen jedoch nur den Anrufbeantworter. Inzwischen sind beide Frauen so miteinander vertraut, dass sie die Szene gemeinsam einstudieren, die Betty für ihr Vorsprechen bekommen hat. Sie spielt sie im entscheidenden Moment völlig anders und hat grandiosen Erfolg. Eine mit anwesende renommierte Casting-Agentin stellt ihr noch Größeres in Aussicht und nimmt sie mit zum Set, um sie dem Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux) vorzustellen, bei dem gerade das Casting für die Protagonistin seines Films The Sylvia North Story läuft.
Aus den vorangegangenen Szenen weiß man, dass Adam – die männliche Hauptfigur – nicht nur ein privates Dilemma hat (er ertappt seine Frau bei einem Seitensprung und wird von deren Liebhaber aus dem Haus geworfen), sondern vor allem ein berufliches. Er sieht sich einer Phalanx undurchsichtiger Typen gegenüber (zunächst noch im Beisein seines Managers und Produzenten, dann allein einem Fremden namens „Cowboy“), die massiv Druck ausüben, die Hauptrolle durch die ihm unbekannte Camilla Rhodes (Melissa George) zu besetzen. (…)
Rezension
Alle unsere Erfahrungen auf den Kopf zu stellen, um David Lynch zu verstehen, ist ein Exzerzizium, dem sich viele Kritiker klugerweise entzogen haben. Sie konstatieren, dass Mulholland Drive ein faszinierendes visuelles Erlebnis sei, bei dem man vor sich selbst kapitulieren mag – so drückt es Roger Ebert in seiner Rezension aus.
Wir haben im zweiten oder dritten Anlauf David Lynchs frühes Meisterwerk „Dune“ einigermaßen verstanden, wir finden seine Serie „Twin Peaks“ hat bis heute keinen adäquaten Nachfolger gefunden und sind fasziniert von einem Geist, der sich dies alles ausdenkt und es auch wagt, es mit hohem Risiko auf die Leinwand oder ins Fernsehen zu bringen. Der sehr unterschiedliche kommerzielle Erfolg seiner Filme bescherte Lynch das zweifelhafte Vergnügen, von den Studios nicht mehr mit kommerziellen Großprojekten betraut zu werden.
Dafür hat er in Berlin 200 Yogis fliegen lassen und damit die Energie unserer Wahlstadt verbessert. In der Tat hebt sich die wirtschaftliche Lage seit etwa diesem Ereignis (2010) schrittweise positiv vom Bundestrend ab. Leider hat Lynch es versäumt, die Imageschande und das Milliardengrab, die Möbiusbandartige Baustelle BER in seine Energieverbesserungsaktion einzuschließen. Unsere Leser werden an dieser Stelle bemerken, selbst wenn wir ironisch werden und esoterischen Ansätzen generell skeptisch gegenüberstehen, Lynch ist ein Faszinosum. Dass Berlin sich wirtschaftllich seit einigen Jahren positiver entwickelt als Deutschland im Ganzen liegt vor allem an einem ungeheuren Nachholbedarf und einer noch vor wenigen Jahren für eine Hauptstadt unwürdigen wirtschaftlichen, historisch bedingten Schwäche. Und ob die Energie der Stadt durch ihre Flutung besser wird, müssen wir erst einmal abwarten. Bisher wird alles vor allem teurer und voller, und da Berlin immer noch viele sozialschwache Einwohner hat, kann dies zu einer gefährlichen Zuspitzung führen.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung der Rezension im Jahr 2024: Wir lassen diesen kuriosen Exkurs mal so stehen, Folgendes inbegriffen, erweitern ihn sogar aufgrund neuerer Erkenntnisse: Es hat in erster Linie damit zu tun, dass die Einwohnerzahl der Stadt stärker wächst als im Bundesdurchschnitt, die Kaufkraft hingegen bleibt bescheiden, anders als bei den Menschen, die real am Mulholland Drive wohnen.
Berlin war aber in seiner echten Glanzzeit aber auch die Stadt, in der Billy Wilder sein Filmhandwerk erlernt hat, und Billy Wilder gehört, da sind wir ganz bei David Lynch, zu den Regisseuren, von denen man lernen kann, wie man Filme macht. Seine Werke genau zu studieren ersetzt viele, viele Stunden Filmtheorie, ohne dass wir damit andeuten wollen, man könne heute als Kritiker hne Diplom überhaupt einen Fuß vor die Tür setzen. Genies unter sich, Lynch und Wilder. Wer Wilder nicht kennt, kann „Mulholland Drive“ nicht einmal auf einer ganz oberflächlichen Ebene entschlüsseln, denn der Film bezieht sich auf Wilders „Sunset Boulevard“ (1950), der vielen Kritikern und Fachleuten als einer der besten Filme aller Zeiten gilt.
Der Mulholland Drive liegt im oberen Teil Hollywoods, dort findet zu Beginn von „Mulholland Drive“ der Unfall statt, nach dem Camilla / Rita leicht verletzt aus dem Auto steigt und stadtabwärts flieht, bis sie am Sunset Boulevard angelangt ist. Da Lynch selbst auf „Sunset Boulevard“ von Wilder verwiesen hat, da „Mulholland Drive“ von Kritikern gerne als eine Art Eindringen ins Innere von Hollywood bezeichnet wird, von einer naiven Anfangsposition aus, möchten wir hinzufügen, wie sie Betty Elms zu Beginn des Films einnimmt, wird alles, was geschieht, zunehmend zu einem Alptraum, wird eine nette junge Frau zu einer Besessenen, und wird das, was am Ende geschieht, der Anfang dessen, was wir zu Beginn sehen. Die Struktur muss nicht die genannte sein, aber es ist eine Möglichkeit.
Etwas gefährlich wird es, wenn man sich die Hinweise, die David Lynch gegeben hat, allzu sehr zu Herzen nimmt und sie singulär betrachtet, wir wollen sie aber unseren Lesern nicht vorenthalten:
- Schenken Sie dem Anfang des Films besondere Aufmerksamkeit: Zwei wichtige Hinweise finden sich bereits vor dem Vorspann.
- Beobachten Sie, wann und wo rote Lampenschirme eine Rolle spielen.
- Achten Sie darauf, wie der Titel des Films heißt, für den die Schauspielerinnen bei Adam Kesher vorsprechen. Wird dieser Titel an einer anderen Stelle wiederholt?
- Ein Unfall ist ein schreckliches Ereignis … Beachten Sie genau den Ort des Unfalls.
- Wer gibt wem einen Schlüssel – und warum?
- Achten Sie auf den Bademantel, den Aschenbecher, die Kaffeetasse.
- Was wird im Club Silencio gefühlt, erkannt und mitgenommen?
- Half Camilla allein ihr Talent?
- Beobachten Sie genau die Vorkommnisse im Umfeld des Mannes hinter Winkie’s.
- Wo ist „Tante Ruth“?
Wir haben diese Liste leider erst nach dem Anschauen und Löschen des Films entdeckt, sodass wir auf eine zweite Sichtung angewiesen sind, um zu ermitteln, inwieweit sich aus der Beachtung dieser Hinweise eine konsistente Deutung ergeben kann, aber wir wagen zu bezweifeln, dass dies tatsächlich gelingt. Lynch spielt mit uns, das dürfen wir nicht vergessen, er bricht konsequent unsere Erwartungen, die auf konventionelle Erzählstrukturen ausgerichtet sind – und negiert damit das Training, das wir von klein auf bekommen, wenn es darum geht, Dinge konsequent zu Ende zu bringen, alles aus der Sicht der Logik zu betrachten, die Welt zu ordnen und zu kategorisieren.
Nach dem Anschauen von „Mulholland Drive“ beschleicht uns eine Ahnung, dass zum Beispiel auch deutsche Regisseure und vor allem Drehbuchautoren, die für die Reihe „Tatort“ schreiben, glauben, sie seien David Lynch und seiner postmodernen Erzählweise nähern. Die zunehmende Auflösung der Logik würde dafür sprechen, aber eine solche sogartige Wirkung erzielen sie normalerweise mit ihren Arbeiten nicht – mit einer Ausnahme im Jahr 2014, die sich „Im Schmerz geboren“ nennt. Für diesen Film haben wir andere Vorbilder und Zitategeber als „Mulholland Drive“ ausgemacht und wollen Lynch nicht nachträglich hinzudichten, aber die Wirkung ist in Ansätzen tatsächlich so, weil beide Filme aufgrund ihrer visuellen Ausnahmekonzeption eine große Macht über uns gewinnen.
Es wäre leicht möglich, Lynchs Spiel mit uns zu verabscheuen und es schrecklich zu finden, wie aus der hübschen, aufgeschossenen Betty die obsessive Diane wird, das Opfer einer verschmähten Liebe und von Hollywood-Intrigen. Es wäre leichter möglich, wenn das alles nicht auf eine perverse Art sexy gefilmt wäre. Lynchs Umgang mit seinen Figuren ist ebenso außergewöhnlich wie seine visuelle Einfühlung und die Atmosphäre, die seine Filme ausstrahlen. Sprachlich, und darauf legen wir besonders viel Wert, gibt es nichts zu bemängeln, aber im Gegensatz zu Billy Wilders dialogreichen Filmen liegt der Akzent von Lynch eindeutig mehr auf den Bildern. Wilder pflegte eine weniger individualistische, sondern dem Sujet gemäße Bildsprache, was auch bedeutet, seine Filme wirken visuell zwar profiliert, aber sehr unterschiedlich. Lynch ist ein Autorenfilmer, Wilder war dafür geschaffen, das Studiosystem so zu verwenden, dass die besten Filme ihrer Genres innerhalb dieses Systems inszeniert werden konnten. Eine großartige Atmosphäre hatten auch Wilders Filme.
Schauspieler so zu führen, dass dabei ein magisches Band zwischen uns als Zuschauern und den Figuren entsteht, das konnten bzw. können sie beide, auch wenn die Mittel nicht exakt die gleichen sind. In „Mulholland Drive“ zeigt uns Lynch die schönste lesbische Liebeszene, die wir bisher gesehen haben, wobei wir einschränkend hinzufügen möchten, dass wir keine Pornos schauen. Da wir aber im Normalfall auch keine Lesbensex-Fans sind, bedeutet es für uns umso mehr, wie natürlich, wie selbstverständlich und wie fantastisch sensibel ausgeführt diese Szene ist. Ebenso eindrucksvoll ist das spätere Gegenstück, in dem Diane voller Verzweiflung und in ihren Schweiß gebadet masturbiert. Dass Lynch uns auf diese beiden Schlüsselszenen in seinem Kanon der Interpretationshilfen nicht verweist, finden wir beinahe wieder typisch, denn sie belegen nach unserer Ansicht beinahe alles, was der Kern von „Mulholland Drive“ ist: Den Wechsel von Zugewandtheit zu Abgeschiedenheit, von Liebe zu Einsamkeit, von Faszination zu Verzweiflung. Es ist eine Dystopie von Hollywood, die uns gezeigt wird, und wenn wir über das Werk selbst wieder hinausblicken, liegt eine solche Sicht von David Lynch auf der Hand.
Wie Orson Welles konnte Lynch nach großen Anfangserfolgen nicht mehr das verwirklichen, was er möglicherweise hätte können, wenn man ihm die totale Kontrolle über sein Werk zugestanden hätte, wenn man ihn überhaupt verstanden hätte. Das Ergebnis ist eine nach wie vor ungeheuer vielseitige Künstlerpersönlichkeit, die aber gebrochen ist durch das Dilemma zwischen kommerziellen Ansprüchen der Geldgeber, der daraus resultierenden Notwendigkeit, das Massenpublikum zu bedienen und dem eigenen Anspruch, das umzusetzen, was der mächtige Wille der Kreativität gebietet. Nachdem Lynch mit „Dune“ einen für die frühen 1980er unfassbar teuren Film kommerziell buchstäblich in den Sand gesetzt hatte, war er ebenso wie Welles seit „Der Glanz des Hauses Amberson“ beinahe ein Torso seiner Ambitionen, auch wenn ihm mit Werken wie „Twin Peaks“ immer wieder eindrucksvolle Comebacks gelangen (ebenso wie Welles u a. mit „Touch of Evil“). In den USA bekommt man immer wieder eine Chance, das gehört zum Mythos der Nation – aber es gilt im Filmbusiness nur eingeschränkt und nur, wenn viel Gras über einen kommerziellen Misserfolg gewachsen ist. Hinzu kommt, dass die ganz Großen oft auch daran scheitern, dass sie nicht die zwielichtige Form des Selbstmarketings drauf haben, das mittelmäßige Persönlichkeiten gut können und dass sie fordernd bei hrem Umgang mit denen sind, auf die sie bauen und zählen müssen, um sich verwirklichen zu können.
Wir haben den vorherigen Absatz nicht einfach so vor uns hingeschrieben. Denn alles, was darin steht, sehen wir in „Mulholland Drive“. Wie Regisseur Adam Kesher dazu genötigt wird, einen Film mit einer talentschwachen Hauptdarstellerin zu besetzen, das weist uns darauf hin, dass der Mann mindestens ein halbes alter ego von Lynch darstellt. Es geht um die Kompromisse, die Mächte den Künstlern aufzwingen, die nichts vom Medium Film verstehen, wie in diesem Fall irgendwelche Mafiosi, die aus jedem Espresso eine fiese Schweinerei machen können und die tausend Tricks wie den mit dem angeblich schlechten Espresso beherrschen, um ihre Verhandlungspartner weichzuklopfen und eine für diese bedrohliche Atmosphäre zu schaffen. Auch diese Szene im Konferenzzimmer der Filmproduktionsgesellschaft, in der über die Besetzung von Adams Film gesprochen wird, ist großes, böses und eindringliches Kino. Hier lernt man, wie Macht funktioniert, ohne sich auf irgendeine Kompetenz stützen zu müssen. Wenn dieser Moment und alle anderen, die um Keshers Projekt kreisen, keine Verarbeitung von Lynchs Erfahrungen in der Traumfabrik sind, dann liegen wir so falsch, dass wir das Rezensieren einstellen sollten.
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes im Jahr 2024: So leicht nun auch nicht. So leicht nicht.
Außerdem glauben wir, um wieder den Kreis zu Orson Welles zu schließen, dass darin eine Anspielung auf „Citizen Kane“ aus der Sicht der Malträtierten liegt – und vor allem auf die George Randolph Hearst / Marion Davies-Geschichte, die Hollywood in den frühen 1930ern so entzückt hat. Der Zeitungsmogul Hearst hatte seine Geliebte Marion Davies als Besetzung in A-Produktionen bei großen Studios durchgedrückt, weil er durch sein Zeitungs- und Radioimperium eine erhebliche Macht auf die Meinung der Öffentlichkeit, auch über Filme, ausübte und mit den Hollywood-Firmen auch geschäftlich verbandelt war. Derjenige im Hintergrund, der Camilla Rhodes in „Mulholland Drive“ mit aller Macht ins Business hieven will, ist wohl ein Wiedergänger von Hearst. Bekanntermaßen hat selbiger auch versucht, „Citizen Kane“ zu stoppen und zu vernichten, dieses kritische Porträt seiner Person, und Orson Welles schon damit einen irreparablen Schaden zugefügt, dass die Studios ihn nach dieser Auseinandersetzung als heißes Eisen betrachteten, das man gut hätte schmieden können, aber dann doch lieber nicht mehr anfasste.
Die Geschichte von Welles ist beinahe ein Film noir epischen Ausmaßes. Da wir derzeit auch besonders mit diesem Subgenre des Krimis befasst sind, fällt es uns leicht, eine weitere Obsession von David Lynch aufzudecken: diejenige für ebenjene spannende, faszinierende Spielart des amerikanischen Films der 1940er und 1950er Jahre, die Lynchs Sicht auf die Welt, hier auf die von Hollywood, sehr entgegenkommt. Das Genre und Lynch sind seelenverwandt und mussten einander finden. Der Film noir verwendet als Erzählstruktur oft einen Rahmen und hilft uns mit einer Narration, die Bilder zu deuten. Letztere gibt es heute kaum noch, auch nicht bei Lynch, aber das Komplexe der Handlung von „Mulholland Drive“ wirkt wie eine Loslösung der ebenfalls nicht einfach zu verstehenden Handlungen großer Noirs wie „The Big Sleep“ oder „Out oft he Past“ von den Verankerungen in der Realität, die sie trotzdem noch aufweisen – auch wenn insbesondere Raymond Chandlers Plots, die einigen Noirs als Drehbücher oder Kriminalromane zugrunde liegen, schon Ansätze von Dekonstruktion aufweisen und mehr Wert auf das Sittengemälde einer verkommenen Welt legen, als dass auch das letzte Detail in die Nachvollziehbarkeit eingezwängt wird.
Eine große Anspielung auf die Noirs ist zum Beispiel die Appartementanlage, in der Betty einzieht und in die Rita sich flüchtet, sie ähnelt vielen Behausungen mit ebensolchen schmiedeeisernen Eingangsgittern wie etwa diejenige, die Humphrey Bogart in „The Blue Gardenia“ bewohnt, und die Concierge oder Verwalterin Coco hat ebenfalls Vorbilder, wie etwa den Appartmentanlagen-Detektiv in „Die blaue Dahlie“ – wobei ihr exzentrisches Outfit den Namen vorgibt und an Coco Chanel erinnern soll. Selbst die Rollenbesetzung ist eine Anspielung, denn ihre Darstellerin ist Ann Miller, MGM-Musicalstar der 1950er Jahre („On the Town“, 1949; „Kiss me Kate“, 1953). Hätten 2001 noch Originalstars der Schwarzen Serie zur Verfügung gestanden, David Lynch hätte sie gewiss für „Mulholland Drive“ gecastet.
Finale
Die weitere Aufschlüsselung des Films überlassen wir, wie die erwähnten klugen Kritiker, unseren Lesern, gerne unter Zuhilfenahme der von David Lynch vorgegebenen Anhaltspunkte. Wer uns dazu schreiben möchte, bitte sehr gerne, wenn wir die Argumentation für stichhaltig erachten, bauen wir sie unter Nennung des Namens des betreffenden Lesers / Kommentators in diese Rezension ein, wie jeden anderen Hinweis. Ursprünglich hatten wir die Idee, die wichtigsten Kritiken zu diesem Film zu sammeln und sie essayistisch zu reflektieren, dies könnte eine Aufgabe für eine Erweiterung des vorliegenden Textes nach einem erneuten Anschauen von „Mulholland Drive“ sein – und wir werden uns mit diesem Film gewiss noch einmal befassen.
Auch den psychologischen Subtext können wir dann vielleicht ein wenig mehr ansprechen, nachdem wir uns hier vor allem um die Bezüge zu Hollywood und seiner Geschichte bemüht haben.
Einstweilen vergeben wir 8,5/10 und freuen uns auf ein Wiedersehen mit der langen, kurvenreichen Straße nach Downtown Hollywood, mit Betty und Diane und Camilla und Rita.
Zusatzinformation (2015 noch nicht erhältlich) im Rahmen der Veröffentlichung der Kritik im Jahr 2014:
Laut einer Umfrage der BBC von 2016, bei der weltweit 177 Filmkritiker befragt wurden, handelt es sich um den bis dahin besten Film des 21. Jahrhunderts.[20] Im Jahr zuvor hatte Mulholland Drive in der BBC-Wahl der 100 bedeutendsten amerikanischen Filme Platz 21 belegt.[21]
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia
| Regie | David Lynch |
|---|---|
| Drehbuch | David Lynch |
| Produktion | Neal Edelstein, Tony Krantz, Michael Polaire, Alain Sarde, Mary Sweeney |
| Musik | Angelo Badalamenti |
| Kamera | Peter Deming |
| Schnitt | Mary Sweeney |
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