Demokratie gegen Autokratie: Wer gewinnt? (Statista + Kurzkommentar) | Briefing 498 | PPP Politik Parteien Personen, Geopolitik, DiG Demokratie in Gefahr

Briefing 498 PPP, DiG, Demokratien, Autokratien, Rennen um die beste Staatsform, Ideologie, Geopolitik

Heute ist ein so schöner Samstag und wir haben schon fast alles erledigt, was wir uns so im Allgemeinen vorgenommen haben. Zeit, sich wieder ein paar Gedanken um die ganz grundlegenden politischen Dinge zu machen. Wie wollen wir leben? In einer Demokratie oder in einer Autokratie? Wir schauen heute nicht nach, wie es im Einzelnen um die Demokratie in Deutschland bestellt ist, sondern haben eine wunderschöne Grafik entdeckt, die eigentlich doch sehr hoffnungsvoll stimmt. Ein „Aber“ gibt es natürlich auch, das erwarten Sie sicherlich von uns, schließlich setzt diese Publikation sich kritisch mit der Wirklichkeit auseinander, das ist ihre „Raison d’être“, auf Staaten übertragen „Staatsräson“, Begründung für den konkreten Staat, für dessen Existenz und wie er verfasst ist.

Statistas Racing Bars sind uns oft etwas zu schnell getaktet, aber hier geht es ganz gut. Man kann schön nachverfolgen, wie sich seit fast 100 Jahren das Verhältnis von Autokratien und Demokratien auf der Welt rein zahlenmäßig verändert hat.

Quelle: Our World in Data.

Begleittext von Statista

Länder mit autokratischen Regimen waren im vergangenen Jahrhundert lange Zeit in der Überzahl und Demokratien hatten einen schweren Stand. Ein Abwärtstrend der Autokratien setzte erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Beschleunigt wurde er mit dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren, wie die Statista-Animation mit Daten des Statistik-Portals Our World in Data zeigt.

Seitdem liefern sich beide Staatsformen ein Kopf-an-Kopf-Rennen und liegen im Jahr 2022 nahezu gleichauf. Zum Stopp des Abwärtstrends der Autokratien seit Beginn des laufenden Jahrhunderts dürften ein Erstarken des Populismus und ein erodierendes Vertrauen in etablierte demokratische Parteien beigetragen haben. Als Populismus wird nach gängigen Definitionen ein bestimmtes Verständnis von Politik aufgefasst, welches durch die Idee von einem „wahren Volk“ einerseits und „korrupten Eliten“ andererseits gekennzeichnet ist.

Die Quelle unterscheidet vier verschiedene Regimeformen. Zum einen geschlossene Autokratien und Wahlautokratien, die wir in der Animation zum Datenpunkt „Autokratien“ zusammengefasst haben. In geschlossenen Autokratien finden keine nennenswerten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Hierzu zählen Länder wie Saudi-Arabien und Nordkorea. In Wahlautokratien werden zwar Wahlen abgehalten, jedoch werden diese durch die amtierende Regierung manipuliert und behindert. So werden beispielsweise Opposition und Presse unterdrückt. Ägypten, Singapur oder Ungarn gehören zu den Ländern, in welchen diese Regimeform existiert.

Bei den Demokratien unterscheidet die Quelle zwischen liberalen Demokratien und Wahldemokratien, die wir in der Animation zum Datenpunkt „Demokratien“ zusammengefasst haben. In liberalen Demokratien finden zum einen freie und faire Wahlen statt, zum anderen gewährleisten Gewaltenteilung und rechtsstaatliche Prinzipien den Bürgern weitreichende Freiheiten. Neben Deutschland zählen hierzu auch Länder wie Australien, Südkorea und die Seychellen. Diese Staatsform ist in den letzten Jahren besonders unter Druck geraten, während die Zahl der Wahldemokratien und der geschlossenen Autokratien zugenommen hat.

In Wahldemokratien werden die Regierungen zwar ebenfalls gewählt, jedoch erfüllen sie andere Kriterien nur teilweise. So kann es beispielsweise an einer effektiven Gewaltenteilung, kontrollierenden Instanzen oder Freiheitsrechten der Bürger mangeln. Beispiele hierfür sind Polen, Mexiko oder der Senegal.

Die Racing-Bar-Grafik (in dem Fall eigentlich Racing-Line-Grafik) wurd erst gestern erstellt und kam nicht mit dem abonnierten Statista-Newsletter zu uns. Reiner Zufall, dass wir darauf gestoßen sind. 

Was glauben Sie, wie es weitergehen wird im Kampf der Systeme? Die Demokratien werden von innen schwächer, die Autokratien härter, einige Staaten stehen auf der Kippe zwischen „frei“ und „nur noch bedingt frei“, auch Deutschland baut ab. Auf noch recht hohem Niveau, aber deutlich wahrnehmbar. Ob es tatsächlich noch etwa pari steht zwischen Demokratien und Autokratien hängt auch von der Definition ab: Nimmt man alle „Wahldemokratien“ hinzu, ist dieser spannende Gleichstand festzustellen, aber nicht, wenn man nur die vollständigen, freien, „liberalen“ Demokratien betrachtet. 

Kleine Kostprobe für das, was wir meinen:

Laut den Analysten leben nur etwa 45,4 Prozent der Menschen weltweit in einer Demokratie. In der aktuellen Ausgabe für das Jahr 2023 werden 24 Länder als „vollständige Demokratien“ eingestuft, darunter auch Deutschland. (Quelle: Democracy Index 2023). 

Zu den nicht mehr vollständigen Demokratien zählen unter anderem die USA und Israel, die Länder im höchsten Punktebereich von 9 bis 10 sind nur in Skandinavien zu finden, Europa betreffend kommen noch Irland, die Schweiz und die Niederlande hinzu, ein weiteres ist Neuseeland. Deutschland kommt, wie die meisten westeuropäischen Staaten, Kanada, Australien, nur auf Punktzahlen zwischen 8 und 9 von 10. Nicht erfreulich finden wir, dass in Mittelosteuropa kaum ein Land als vollständige Demokratie gilt, darunter auch EU-Länder. Richtig krass aber: Auch das EG-Gründungsland Italien gilt nicht mehr als vollständige Demokratie, ebenso Portugal, was uns noch  mehr erstaunt hat. 
 
Rechnet man nur die vollständigen Demokratien zusammen, kommt man auf wesentlich weniger als 45 Prozent der Menschen weltweit, die in einem Staat leben, den wir in Deutschland als Demokratie zu bezeichnen gewöhnt sind. 
 
Russland und China werden mittlerweile etwa gleich autoritär eingestuft, zumindest stehen sie auf derselben Punktestufe zwischen 2 und 3 von 10. Das ist nicht neu , China betreffend, in Russland eine wirklich traurige Entwicklung. Der Index wurde noch vor der letzten Präsidentschaftswahl erstellt, mit deren Ergebnis Wladimir Putin klar zu erkennen gibt, dass ihm egal ist, ob irgendjemand sein Regime noch für demokratisch hält. 
 
Am meisten aber bedrückt uns der Niedergang der Demokratie in den USA. Wenn die westliche Führungsmacht immer mehr an demokratischem Glanz verliert, verliert der gesamte Westen an Reputation, und das stärkt die Autokratien dieser Welt. Ein weiteres Problem dieser Entwicklung: Der Westen wird nach außen aggressiver, wie alle Imperien, die im Inneren restriktiver werden. Diese Entwicklung ist schon seit Jahrzehnten zu beobachten, aber die Sorge ist berechtigt, dass sie sich angesichts der vielen populistischen Strömungen im Westen weiter beschleunigen wird. 
 
Wir müssen uns dabei klarmachen, dass es sich nicht um Putsche handelt, bei denen irgendwelche Militärs die Macht übernehmen, ohne die Bevölkerung zu fragen. Die Bevölkerung wählt sich selbst Parteien, die an der Demontage der Demokratie arbeiten. Das ist sozusagen der Gipfel des Frustberges für jemanden, der sich als Demokrat bezeichnet und auf welcher Ebene auch immer für die Demokratie einsetzt. Diese höchst bedenkliche Tendenz steht hinter den negativen Entwicklungen in einigen Ländern, die wir kennen, die uns vertraut sind und deren Politik wir gerne vertrauen würden.  Die Demokratien schaffen sich selbst ab, wenn wir nicht aufpassen, und in Deutschland sehen wir ein Problem klar auf der Hand liegen: Dürfen wir die Demokratie von einer erheblichen Minderheit beschädigen lassen. Noch mehr zugespitzt: Wenn auch Parteien wie die CDU, wie gegenwärtig ersichtlich, immer mehr nach rechts tendieren, dürfen wir zulassen, die eine demokratiefeindliche Mehrheit die Demokratie zerstört? Es spielt dabei keine Rolle, ob bestimmte politische Kräfte diese Demokratie einst mitgeprägt haben. Man darf nicht vergessen, dass das damals relativ leicht war, im Vergleich zu den heutigen Anforderungen und den heutigen Verlockungen, an menschenfeindlich-populistischen Maschen zu stricken.
 
Etwas besser sieht es noch nach dem Freiheitsindex des Freedom House 2024 aus. Immerhin 43 Prozent aller Länder werden noch als frei bezeichnet. Das entspricht in etwa dem Prozentsatz von Menschen, die in einer vollkommen oder unvollkommenen Demokratie gemäß  dem oben erwähnten Democracy Index leben. Wenn man sich den Index von Freedom House genauer anschaut, wird aber auch hier eine eine negative Entwicklung dokumentiert und unser Eindruck ist, dass man bei einigen westlichen Ländern zögert, sie nicht mehr als vollkommen frei einzustufen. Wir haben den Freedom-House-Index hier ausführlicher besprochen. Nach unserer Ansicht wird dort auch Deutschland zu positiv dargestellt, trotz eines Punktes Verlust gegenüber dem 2023er Index.
 
Wird die Demokratie scheel angesehen, gilt das natürlich auch für NGOen, die die Demokratie messen, zumal, wenn sie trotz der Bezeichnung „NGO“ fast ausschließlich von der US-Regierung finanziert werden, wie das beim Freedom House der Fall ist.  Sicher könnte die Einstufung vieler westlicher Länder etwas kritischer sein, aber trotzdem gibt der Index aufgrund seiner breiten Aufstellung einen guten Anhalt und es wird nicht verschwiegen, dass selbst die Besten der Besten in Gefahr sind, ihre außergewöhnlich hohen Bewertungen zu verlieren, nicht nur der absolute Wert eines Landes, sondern auch die Entwicklung spielt also eine wichtige Rolle.
 
Es wäre eine tolle Aufgabe für eine größere Untersuchung, alle Indizes zu vergleichen und wissenschaftlich darüber zu urteilen, wie sie a.) aufgestellt sind und wie b.) die Realität durch die Brillen der verschiedenen Institute und Organisationen gesehen wird. Bei allen Unterschieden, die auch ideologisch bedingt sind: Positiv wird die aktuelle weltweite Entwicklung per Saldo von niemandem gesehen, der solche Indizes aufstellt und die Perspektive eines Verteidigers von Freiheit und Demokratie dabei einnimmt. 
 
Die Grafik von Statista, die auf einem dieser Indizes basiert, zeigt, dass die Demokratie zuletzt auf dem Rückzug war, sie bildet die Zeit bis 2022 ab. Neueste Darstellungen mit den entsprechenden Indizes weisen kaum Übergänge hin zur Demokratie statt, wohl aber einen Verfall von Demokratien. Wir wird es also weitergehen? Wir befürchten, es wird nicht besser werden. Es wäre jetzt, wo die Politik und das Kapital die Menschen versuchen unfreier zu machen, an der Zeit, dass die Zivilgesellschaft dagegen ernsthaft opponiert. Eine solche Bewegung sehen wir aber im Moment kaum irgendwo. Und die Demos gegen rechts in Deutschland sind keine solche Bewegung, um das klar auszudrücken. Sie müssten sich nämlich im Grunde gegen alle Systemparteien richten, nicht nur gegen die AfD. Sie müssten sich gegen alle richten, die diese Demokratie beschädigen. Von denjenigen laufen aber einige auf Demos gegen die AfD mit, ohne dass jemand das komisch zu finden scheint. Das ist unanständig, um es klar auszudrücken.
 
Es kommt nichts von nichts und die klassistisch-bellizistischen Grünen tragen ebenso zur Demokratiebeschädigung bei wie eine SPD, die spätestens seit Kanzler Schröder nie wieder zu ihrem Kern gefunden hat, nämlich die Interessen der Arbeitenden zu vertreten, und nicht weit überwiegend die des Kapitals. Dies alles, dass die herrschende Politik ist, wie sie ist, wäre jedoch nicht möglich ohne unsere Zustimmung dazu. Deswegen weist jede Kritik an der Politik auch auf uns selbst als Wähler:innen und potenzielle Akteur:innen in der Zivilgesellschaft. Die Politik ist ein Spiegel der Gesellschaft, nicht umgekehrt, in einer „liberalen Demokratie“, in der weitgehende Wahlfreiheit herrscht.
 
Das wird die spannende Frage der nächsten Jahre sein: Sind wir bereit, für die Demokratie einzutreten, wenn sie immer weiter beschädigt wird von jenen, die keine Demokratie wollen? 
 
Derzeit sind wir skeptisch, aber man weiß ja nicht, was noch passieren und die Menschen doch noch wachrütteln wird. 
 
TH

Hinterlasse einen Kommentar