Briefing 503 Geopolitik, PPP, Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Wahlen und danach
Mit der AfD haben wir uns schon anhand vieler Artikel beschäftigt. Plötzlich wirkt sie gar nicht mehr so präsent, wenn man sich die europäischen Verhältnisse anschaut. Allerdings: In vielen Ländern sind die Wahlen, auf denen den Zuspruch für »Rechtspopulisten« (aka rechtsextreme Parteien) basiert, noch nicht so lange her wie die letzte Bundestagswahl, bei der die AfD einen Rückgang um etwa zwei Prozent gegenüber 2017 hinnehmen musste.
Wie Rechtspopulismus in Europa Fuß fasst

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Obwohl die europäische Rechte von den multiplen Krisen der vergangenen Jahre wie der Corona-Pandemie oder dem Krieg in der Ukraine profitiert, setzt sich der Vormarsch populistischer Parteien nicht uneingeschränkt fort. So wurde zwar beispielsweise Geert Wilders Rechtsaußen-Partei PVV (Partei für die Freiheit) die stärkste Kraft bei den Wahlen in den Niederlanden im vergangenen November, im Gegenzug verlor aber beispielsweise die rechte PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen ihre Mehrheit und machte damit den Weg frei für eine liberale Pro-EU-Koalition unter der Führung von Donald Tusks PO (Bürgerplattform). Auch in Kroatien scheint der Ruck an den rechten Rand Stand jetzt nicht zu verfangen: Bei den Parlamentswahlen am 17. April verlor die DP (Heimatpartei) zwei Sitze und erreichte einen Stimmanteil von 9,6 Prozent gegenüber 10,9 Prozent bei der vorangegangenen Wahl im Jahr 2020.
Wie unsere Karte zeigt, gibt es dennoch einige EU-Länder, in denen rechte oder rechtsextreme Parteien, die unter anderem Anti-EU-Rhetorik, pro-russische Einstellungen, ausgeprägter Nationalismus und sozialer Konservatismus verbindet, hohe zweistellige Stimmanteile bei den jeweils letzten Parlamentswahlen erreichen konnten. Paradebeispiel für den Erfolg einer rechten Partei ist die Fidesz von Viktor Orbán. Orbáns Partei ist in Ungarn bereits seit über zehn Jahren an der Macht, wurde von 54 Prozent der Wähler:innen gewählt und bildet eine Regierungskoalition mit der christdemokratischen Partei NKDP.
In Österreich hatte die FPÖ 2017 die Macht übernommen, erreichte zuletzt allerdings nur noch einen Stimmanteil von 16 Prozent. Das entspricht in etwa dem der Rassemblement National nach ihrem historischen Ergebnis bei den Parlamentswahlen 2022 in Frankreich. Die AfD, die laut aktueller Umfragen als zweitstärkste Partei in Deutschland gilt, erlangte 2021 einen Stimmanteil von rund zehn Prozent.
Die möglichen Gründe für den Aufstieg rechter Parteien und des Rechtspopulismus sind vielfältig. Dazu gehören Anti-Establishment-Narrative im Zusammenhang mit Gefühlen sozialer und finanzieller Abgehängtheit ebenso wie das Formulieren vermeintlich einfacher Antworten auf komplexe globale Krisen wie den Klimawandel oder die Corona-Pandemie durch rechte Gruppierungen. Die arbeitnehmernahe Hans-Böckler-Stiftung spricht im Zusammenhang mit Rechtspopulismus und Rechtsextremen von anti-demokratischen Gruppen, die sich durch »rechtspopulistische und menschenfeindliche Einstellungen« auszeichnen, »da diese grundlegenden demokratischen Prinzipien der Gleichheit aller Bevölkerungsgruppen widersprechen«.
Die Begründung für die Genese des Rechtsextremismus in Europa sind notwendigerweise im obigen Text verkürzt wiedergegeben; dazu finden Sie, insbesondere natürlich zur AfD, bei uns mehr Vertiefung.
Wir wollen hoffen, dass Deutschland wenigstens auf Ausgaben dieser Statistik, die ab Herbst 2025 erstellt werden, seine etwas rosige Farbe behält und nicht tiefer rot wird. Mehr darf man im Moment nicht erwarten, denn es müsste einiges an Positivem passieren, damit die AfD nicht ihr Ergebnis von 2017 verbessert. Und es dauert in der Regel länger, bis Positives wirkt; es kommt nicht so ruckartig wie negative Ereignisse. Das Positive ist ein Prozess, das Negative ein Event. Im Zeitalter der Fancy Events hat der Prozess einen grundsätzlichen Nachteil, weil er so langweilig wirkt.
Dass sich AfD-Politiker in irgendetwas verstricken, was die Partei diskreditiert, ist zwar möglich, aber hat nach bisherigen Eindrücken kaum Auswirkungen auf die Wählerschaft. Es ist genau jene Wählerschaft, die den »Altparteien« jede kleine Verfehlung unendlich lange nachträgt. Uns geht es tatsächlich um solche Verfehlungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Korruption, Lobbyismus, Schädigung der Volkswirtschaft, den Rechten geht es um einen Vorwand. Schmutziges Gedankengut braucht keine sauberen Politiker. Gute Ethik darf gute Politik fordern.
Auf der Grafik haben wir die eine oder andere Überraschung gefunden. Dass das kleine und so Europa-affin stromlinienförmig wirkende Slowenien einen starken Rechtsdrall hat, war uns nicht bewusst. Sehr schade auch, dass die netten Menschen in Portugal zu 18 Prozent eine rechte Partei wählen, von der wir, offen zugegeben, auf dieser Grafik zum ersten Mal gelesen haben. Auch bedrückend: Dass ein so feines Land wie Schweden über 20 Prozent Rechtswähler hat. Man kann es drehen und wenden, wie man will, dort ist mit der sehr offenen Migrationspolitik früherer Jahre etwas aus dem Ruder gelaufen. Wenn das Militär eingreifen muss, um die einstige Bullerbü-Idylle gegen Bandenkriege wenigstens halbwegs zu befrieden, dann kann man nicht von einer gelungenen Integration sprechen. In Portugal dürfte der Rechtsruck eher soziale Gründe haben. Auch wenn sich das Land in der Finanzkrise und danach mit bravouröser Haltung gezeigt hat, die Substanz hat gelitten und die Ungleichheit ist gewachsen, ebenso die Tendenz zur Gentrifizierung.
Eine Ergänzung fügen wir hier aufgrund einer Recherche vom 27.04.2024 ein:
Am 7. November 2023 trat Premierminister António Costa wegen Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit der Vergabe von Abbaulizenzen für Lithium sowie der Produktion von grünem Wasserstoff zurück.[28] Die Vorwürfe erwiesen sich noch im November als haltlos – sie basierten auf der fehlerhaften Abschrift eines abgehörten Telefonats, in dem von Wirtschaftsminister António Costa Silva die Rede war und nicht von Premierminister António Costa – Staatspräsident de Sousa hatte das Parlament aber bereits aufgelöst.[29] Die ursprünglich für Oktober 2026 angesetzte Parlamentswahl wurde damit auf den 10. März 2024 vorgezogen.[30]
Damit haben wir nämlich ein weiteres Problem, das gerade auch in Spanien eine Rolle spielt: Die Rechten versuchen, ihre politischen Gegner zu verunglimpfen und ihnen Fehlverhalten zu unterstellen, was in Portugal offenbar auch verfangen hat, sich aber als heiße Luft herausstellt. Jetzt würde die Wahl in Portugal wohl schon wieder anders ausgehen. Es belegt aber auch, wie gefährlich die Rechte als eine Ansammlung von Manipulatoren ohne Respekt für die Demokratie sein kann. In Deutschland ist dieses Phänomen bisher nicht verstärkt aufgetreten, die AfD muss sich eher selbst gegen Vorwürfe des unsauberen Verhaltens einiger ihrer Politiker wehren, aber man wird sich diese Methode für die Zukunft sicher abschauen, wenn man erst einmal etabliert genug ist. Umso wichtiger, dass die Politiker der bereits etablierten Parteien, aufhören, sich von mächtigen Lobbys steuern zu lassen, anstatt die Wähler:inneninteressen in den Vordergrund ihres Handelns zu stellen. Siehe oben: gute Ethik darf gute Politik verlangen.
Die Überschrift zur Grafik passt nicht ganz zum Begleittext, der sich ein wenig liest wie »es geht mal rauf, mal runter, hier streben die Rechtsextremen nach vorne, dort müssen sie Rückschläge einstecken«. Dass in einem EU-Land eine Partei auf 54 Prozent kommt, die auf dieser Grafik zu finden ist, kann man gar nicht negativ genug bewerten. Wir haben uns schon oft dahingehend geäußert, dass man nationalen Regierungen, die nur die Vorteile der EU abgreifen, sich aber nicht an Gemeinschaftsaufgaben wie der Aufnahme von Geflüchteten beteiligen wollen, die Gelder streichen sollte. Selbstverständlich trifft das dann auch eine Bevölkerung, die sich entschlossen hat, diese Politik zu wählen.
Mittlerweile kommt noch hinzu, dass man das auch wegen der Verletzung rechtsstaatlicher Ordnungsprinzipien tun könnte. Wie schwer die Beschädigung des Rechtsstaats in Polen zu reparieren sein wird, was wiederum der PiS helfen dürfte, haben wir gerade erst anhand eines Artikels des Verfassungsblogs beschrieben.
Die Karte ist eine Momentaufnahme, gefertigt in einem wohl eher günstigen Moment für die Demokratien, die hier dargestellt werden. Fangen wir mit den großen Ländern an. Die AfD käme in Deutschland derzeit auf mindestens 17 Prozent (+7 Prozent / ein Zuwachs von 70 Prozent gegenüber 2021), wären jetzt Bundestagswahlen. Das französische RN würde vermutlich über 25 Prozent der Stimmen erhalten und wäre mit Abstand stärkste Partei. Die Linien mit Emmanuel Macrons REM haben sich bereits im Herbst 2022 gekreuzt. Das heißt nicht, dass RN-Chefin Marine Le Pen auch die nächste Präsidentin des Landes würde, da in Frankreich das Staatsoberhaupt direkt gewählt wird. Es würde aber auf vielen Ebenen einen großen Machtzuwachs der Rechten bedeuten. Was man auf der Karte auch nicht sieht: In Frankreich ist das RN vielen nicht mehr rechts genug, es gibt die Reconquète von Éric Zemmour, der aktuell 5 bis 6 Prozent ihre Stimme geben würden und die auf jeden Fall mit dem RN koalitionsfähig wäre. In Frankreich haben wir also eine extreme Rechte, die aktuell fast so stark wäre wie zuletzt in Polen würde jetzt gewählt.
In Italien gibt es ohnehin die am meisten rechtsstehende Regierung der Nachkriegszeit, wobei diese sich im europäischen Rahmen überraschend konstruktiv verhält. Bei der Innenpolitik sieht es aber anders aus, und das hat wiederum Auswirkungen auf die sozialen Bestände.
Schauen wir auf einen (weiteren) Nachbarn: In Österreich hatte die FPÖ nur ein Zwischentief, weil sie sich mit Skandalen selbst beschädigt hat; genau in der Zeit wurde zuletzt gewählt. Heute wäre sie nach Umfragen wieder stärkste Partei, und zwar mit 25 bis 30 Prozent. Sehr interessant, dass Österreich derzeit die einzige funktionierende im Sinne von offenbar wählbarer kommunistischer Partei hat (5 bis 6 Prozent nach derzeitigen Umfragen). Ein Land der Extreme? Österreich hat bei den Hauptthemen vieles mit Deutschland gemeinsam, obwohl es wesentlich besser dasteht. Die dortige Ökonomie läuft der deutschen immer weiter davon und die sozialen Sicherungssysteme sind bei weitem besser, vor allem im Bereich des Arbeitsrechts, der Vergütung von Arbeitsleistungen und der Rente.VOX
Wir wollen nicht alle gezeigten Länder durchgehen, dazu fehlt uns die Zeit, aber Spanien als viertgrößtes EU-Land nach Bevölkerung sollte noch kurz angesprochen werden. Kurz, weil hier die Gefahr des Rechtsextremismus-Durchmarsches tatsächlich erst einmal gebannt scheint. Die VOX, die in den letzten Jahren bis zu 19 Prozent Umfragewerte erzielte, steht derzeit bei 12 Prozent, wie seinerzeit bei den letzten Wahlen. Es läuft wieder auf den klassischen Zweikampf Sozialisten gegen Konservative hinaus, der auch die Politik anderer EU-Staaten über Jahrzehnte geprägt hat. Dieser wird jedoch nicht mehr überall mit einigermaßen gleichstarkem Wähler:innenpotenzial geführt, weil die Linke sich in manchen Ländern geradezu marginalisiert hat. In Deutschland gilt das für die SPD nach aktuellen Umfragen auch, aber noch nicht so extrem wie bei den französischen oder italienischen Sozialisten und immerhin stellt sie, wie die spanische Schwesterpartei, den Regierungschef.
Zwischen Spanien und Deutschland gibt es eine weitere Parallele: Die Konservativen von der PP haben die Vox nur einhegen können, weil sie, ähnlich wie die CDU in Deutschland, selbst viele Elemente des Rechtspopulismus übernommen haben. Das bedeutet auch: Was in einem Land funktioniert, muss woanders noch lange nicht erfolgreich sein. Es gibt eben Unterschiede, die man näher analysieren muss.
Aus dem Augenwinkel haben wir noch eine Darstellung zu der oben angesprochenen Entwicklung in Kroatien gesehen, die ebenfalls auf einen Rechtsruck hindeutet. Wir zitieren kurz eine Meinung, die belegt, dass reines Zahlenrechnen nicht immer ausreicht, um eine Situation zu analysieren. So hat die rechtsexteme DP zwar etwas verloren, gegenüber den letzten Wahlen, da dies aber auch für die bisherige rechtskonservative Regierungspartei HDZ gilt, wird diese sich nur durch eine Koalition mit der DP über Wasser halten können, anders als bisher.
Einer verstärkt im nationalistischen Fahrwasser segelnden Regierung ohne Vertreter der nationalen Minderheiten dürfte es noch schwerer fallen als bisher, mit den Nachbarn und früheren Kriegsgegnern eine gemeinsame Sprache zu finden. Vermehrte Spannungen in der an Problemen keineswegs armen Region wären bei dem Regierungseintritt der Nationalisten absehbar – und für Europa sicherlich keine gute Nachricht. (Quelle)
Für heute schließen wir mit dem Fazit, dass die obige Grafik den Stand der letzten Wahlen wiedergibt, die überwiegend stattfanden, als der parlamentarische Rechtsextremismus in Europa so etwas wie eine Popularitätspause hatte. Aktuell würden einige Länder auf der Karte in dunkleren Farben darzustellen sein, wenn man Umfragen glauben darf und jetzt gewählt würde. Vielleicht auch die für Deutschland. Wir werden bei den Europawahlen sehen, wo die Reise hingeht. Sie haben den Vorteil, dass sie überall gleichzeitig stattfinden und dadurch bezüglich des zeitlichen Aspekts eine echte Vergleichbarkeit ermöglichen. Gerade beginnt die Plakatierung für die Europawahlen. Wir sind etwas wahlmüde, es passt einfach so vieles nicht, wenn man eine der Parteien wählt, die aktuell im Bundestag vertreten sind. Aber natürlich machen wir wieder mit, wir wollen ja Schlimmeres verhindern. Vielleicht nutzen wir aber auch die Abwesenheit der Fünfprozenthürde auf europäischer Ebene, um wirklich links zu wählen. Auch das Wählen kleinerer Parteien ist auf Europa-Ebene kein Verschenken der Stimme. Denken Sie mal darüber nach, im Sinne der Demokratie.
TH
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