Der Dicke liebt – Polizeiruf 110 Episode 412 #Crimetime Vorschau Das Erste 21.04.2024, 20:15 Uhr #Halle #Koitzsch #Lehmann #MDR #dick

Crimetime Vorschau – Titelfoto © MDR / filmpool fiction, Felix Abraham

Der Dicke liebt ist ein Fernsehfilm aus der Krimireihe Polizeiruf 110. Der vom MDR produzierte Beitrag ist die 412. Polizeiruf 110-Episode und zeigt zum zweiten Mal das Ermittlerduo Henry Koitzsch und Michael Lehmann aus Halle (Saale). Der Film soll am 21. April 2024 im Ersten ausgestrahlt werden.

Zunächst dachte ich, heute würde wieder ein Tatort ausgestrahlt und begann mit der Vorschau  für „Diesmal ist es anders“, darin geht es um Liebe. Dann sah ich das Premierendatum – und wunderte mich, dass stattdessen schon wieder ein Polizeiruf an der Reihe ist. Vermutlich liegt es daran, dass er außer der Reihe ist. Der Polizeiruf Nr. 412.

Freuen Sie sich also auf den zweiten Tatort mit Peter Kurth als Kommissar Koitzsch, wie er in Halle an der Saale tätig ist. Der MDR bringt nach drei Jahren wieder einen Film mit dieser Figur. Deswegen „außer der Reihe“, denn eigentlich ist Magdeburg die etatmäßige MDR-Polizeiruf-Stadt, während in der Regel Leipzig oder Dresden einen Tatort haben, es gab auch schon welche in Weimar und Erfurt.

er erste Koitzsch-Film „An der Saale hellem Strande“ war uns seinerzeit eine Sonderrezension wert, das heißt, wir haben ausnahmsweise direkt nach der Premiere eine Kritik geschrieben. Das ist seit einiger Zeit ebenso eine Ausnahme wie die Halle-Tatorte. Die Älteren unter Ihnen werden sich vielleicht erinnern: Vor Magdeburg war Halle der Schauplatz von nicht weniger als 50 Polizeiruf-110-Krimis mit Schmücke und Schneider. Auch wenn ihre Filme heute teilweise antiquiert wirken, haben sie damals viel zur Stabilisierung des Sonntagabendkrimis beigetragen, der aus dem Osten kommt.

Die Vorschau gestaltet sich in diesem Fall recht einfach oder würde es, wenn man schlicht der Wikipedia folgen würde, wo der Film, anders als die letzten Tatorte, schon vor der Premiere mit einer recht umfangreichen Handlungsbeschreibung ausgestattet wurde, es werden auch einige Kritiken anzitiert.[1]

Obwohl wir aufgrund der Tatsache, dass wir zunächst einen anderen Artikel für heute begonnen haben, spät dran sind, wollen wir es uns aber nicht ganz so einfach machen.

Worum geht es?

Halle an der Saale. Die achtjährige Inka ist spurlos verschwunden. Während Kommissar Michael Lehmann hofft, die Grundschülerin lebend zu finden, hat sein Kollege Kommissar Henry Koitzsch eine grausame Vorahnung. Tatsächlich wird die Leiche des kleinen Mädchens nur wenig später in einer Kleingartenanlage entdeckt. Das Schlimmste ist eingetreten. Fieberhafte Ermittlungen beginnen. Das familiäre Umfeld wird durchleuchtet und auch einschlägig bekannte Straftäter geraten in den Fokus der Ermittlungen. Parallel führen die Nachforschungen die Kommissare in Inkas Schule. Hier trifft Kommissar Koitzsch auf eine alte Bekannte: die Lehrerin Monika Hollig – sein Blinddate aus der ersten Folge. Auch sie befindet sich in einem emotionalen Ausnahmezustand. Gleichzeitig gerät der beliebte Mathelehrer Herr Krein unter Verdacht. Er pflegt ein inniges Verhältnis zu seinen Schülerinnen und im Besonderen zu Inka. Womöglich zu innig? Eine Bürgerwehr bedroht Kreins Leben und setzt die Kommissare zusätzlich unter Druck. Doch Koitzsch und Lehmann lassen nichts unversucht, den Täter zu finden. Am Ende ist die Lösung des Falls so überraschend wie schockierend.[2]

Die achtjährige Inka wird vermisst. Suchtrupps finden schließlich ihren leblosen Körper in einer Kleingartenanlage nahe der Otto-Möhwald-Schule auf, an der die Schülerin die dritte Klasse besuchte. Kriminalhauptkommissar Henry Koitzsch trifft bei seinen Ermittlungen auf Schuldirektorin Monika Hollig, die er als sein Date aus An der Saale hellem Strande wiedererkennt.[1][2][3]

Unterdessen ergibt die rechtsmedizinische Untersuchung, dass die Schülerin vergewaltigt und ermordet wurde. Spuren an der Toten legen nahe, dass die Schülerin sich heftig gewehrt haben muss, bevor sie von einem massiven Körpergewicht niedergedrückt wurde und dabei einen Genickbruch erlitt. (…)[3]

Die Meinungen

Um dies noch anzumerken: Der Dicke aus dem Titel ist nicht der Kommissar, obwohl sein Darsteller nicht magersüchtig genannt werden kann. Es ist ein anderer, der anders liebt oder was er für Liebe hält.

„So drastisch ist nämlich das Leben. Einmal bringen sie es in diesem sehenswerten Film ganz beiläufig auf den Punkt. Fragt die Frau von Kommissar Lehmann: ‚Wie hältst du das aus?‘ Und Lehmann flüstert: ‚Gar nich.‘“ – Holger GertzSüddeutsche Zeitung[6]

„Selbst die schockierende Auflösung plus eines bitteren Nachschlags […] ändern nichts an der Distanz, die nicht nur die Zuschauer zum Geschehen einnehmen, sondern die offenbar auch die Macher bei der Inszenierung gegenüber ihrem eigenen Stoff verspürt haben. «Der Dicke liebt» bekommt seine Thematik einfach nicht zu fassen.“ – Christian LukasQuotenmeter.de[7]

Ich bin bei einem Film, in dem mein Lieblingsdarsteller aus „Babylon Berlin“ mitwirkt, geneigt, sofort in die Verteidigung zu gehen, etwa so: Bei dem Thema gebietet sich eine gewisse Distanz, die vollkommene emotionale Ausschlachtung aller Privat-Trash-TV kann nicht angehen! Vielleicht würde ich beim Anschauen aber diese Distanz auch empfinden, an Stellen, an denen etwas mehr Nähe angesagt wäre. Wir haben bisher also ein gemischtes Bild.

Die „Polizeiruf“-Kommissare aus Halle machen bei „Der Dicke liebt“ (ARD / filmpool fiction) in einer ähnlich temperierten, alltagsrealistischen und filmisch ausgeruhten Tonlage weiter wie bei ihrem fulminanten Einstand „An der Saale hellem Strande“ (2022). Sie nehmen sich Zeit, viel Zeit. Bei Koitzsch fordert der Alkohol Tribut, bei Lehmann ist es seine Sensibilität, die ihn bremst. Der aktuelle Fall ist der reinste Horror: Ein achtjähriges Mädchen ist ermordet worden. Der Film beginnt augenzwinkernd, später überwiegt Themen-gemäß die Molltonart. Dieses von tiefer Lebenserfahrung und stoischer Melancholie getragene Krimi-Drama stellt weder Gefühle aus, noch erzeugt es künstlich Emotionen. Mit Momenten epischen Erzählens, mit Rückblenden & visualisierten Vorstellungen, kommt eine wohltuende Distanz in die Geschichte. Indem man dem Thema keine klassische Spannungsdramaturgie überstülpt, läuft man weniger Gefahr, die Kindstötung für Unterhaltungszwecke zu „missbrauchen“. Neben vielen ungewöhnlichen Details, mit denen Thomas Stuber und Clemens Meyer dem Genre eine sehr menschliche Note schenken, werden vor allem die drei Hauptdarsteller in Erinnerung bleiben: ihre Gesichter, ihre Körper, ihr Schweiß.[4]

Das ist wieder die richtige Stelle, um zu betonen, dass wir solche Artikel meist im Discovery-Modus schreiben, also bis zu einem bestimmten Punkt, dann ein Zitat, dann die Reaktion darauf, nicht vorher schon alles lesen. In diesem Fall wegen der Distanz und weil diese Zusammenfassung darauf rekurriert, was wir oben angedeutet haben. Distanz ist Ansichtssache, hier wird sie als wohltuend empfunden, als richtig eingesetzt, dafür gibt es 5/6 Sternen. In der DDR hat es diese zuweilen extrem distanziert wirkenden, entweder betont sachlichen oder das Leben der Kriminellen als eine zuweilen schrullige Form des Daseinskampfes ironisierenden Krimis der frühen Tatort-Jahre so nicht gegeben, es ging über von eher klassischen Darstellungen bis hin zu den Psychodramen der 1980er, die dafür gesorgt haben, dass der Polizeiruf den seinerzeit inhaltlich stagnierenden Tatort überholte, so meine Einschätzung nach der Sichtung aller DDR-Polizeirufe und etwa 75 Prozent aller Tatorte aus der Zeit bis 2020.

Manchmal meine ich, noch etwas von der Polizeiruf-Tradition zu erkennen, aber sind die Teams nicht doch zwischen Ost und West insofern austauschbar, als nur das Lokalkolorit einen Unterschied ergibt? Nun ja, Sachsen-Anhalt ist nicht gerade die Gegend, in der man sich prickelnden Zukunftsoptimismus angesiedelt vorstellt, da wirkt das, was oben zu lesen war, sowieso stimmig. Das war übrigens bei Schmücke und Schneider noch anders, deren Filme hatten sich bewusst von der Ost-Elegie ferngehalten, die zum Beispiel den Dresden-Tatort mit Ehrlicher und Kain prägte, die aktuellen Magdeburg-Filme oder die Polengrenze-Polizeirufe des RBB. Aber wenn da steht, dass die Kommissare selbst auch schon viele Probleme haben, ist klar, es gibt mehr Schweiß als Spaß. Und dann heißt er auch noch Henry, der Koitzsch. Wie Henry Maske oder Henry Hübchen. Es ist ein Kampf und das Echo aus dem anderen deutschen Staat hallt immer wieder rüber, nicht nur in die Hallenser Gegenwart.

Trotzdem kann das ein sehr ansehnliches Krimierlebnis beinhalten und gute Darsteller:innen.

Der große Suff In der einen Jackentasche Jack London, in der anderen Jack Daniels: Peter Kurth steigt ein zweites Mal als Kommissar Koitzsch in die Abgründe Halles hinab – und in neue Dimensionen des Selbstekels.[5]

Wie oben geschrieben, nicht vorausgelesen, es passt aber wieder. Was diese Stelle von dem Film im Weiteren hält, können Sie leider nur erfahren, wenn Sie über die Bezahlschranke hüpfen.

Warum hat es nur so lange gedauert, bis der MDR Folge zwei seines außergewöhnlichen, vor allem aber außergewöhnlich guten „Polizeirufs“ aus Halle fertigstellen konnte? Die Antwort dürfte bei den Machern selbst liegen. Autor Clemens Meyer erschafft nebenbei gefeierte Literatur, sein Roman „Im Stein“ stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Mit Regisseur Thomas Stuber arbeitet Meyer auch fürs Kino („In den Gängen“ mit Sandra Hüller). Vor allem aber ist das Leipziger Duo bekannt für seine sorgfältige Arbeitsweise, die nun mal eben Zeit braucht. „Der Dicke liebt“ erzählt wie auch Fall eins von einem bitteren, anscheinend sinnlosen Mord im Milieu einer Kleine-Leute-Nachbarschaft. Wohl nicht ganz zufällig das Kern-Setting, für das auch die bodenständigen, in Sachen Kriminalistik detailverliebten Verbrechen des alten DDR-„Polizeirufs“ standen. Auch das neue Retro-Krimiwerk von Stuber und Meyer bewegt sich in diesem Genre und beobachtet seinen – mal wieder großartigen – Cast mit großer Empathie und Genauigkeit.[6]

Da ist ja auch die DDR, dieses Mal in Form der Typizität ihrer Polizeirufe, obwohl hier eher der Wert auf das kriminalistische Detail ausgedrückt wird, nicht die psychologische Komponente, die in den Filmen der Vorwendezeit im Laufe der Jahre immer wichtiger wurde. Und Sie erfahren, warum dies erst der zweite Film mit Kommisssar Koitzsch ist. Offenbar wollte man kein anderes Macher-Team ranlassen, aber vielleicht hat es auch ein wenig damit zu tun, dass Kurth mittlerweile einer der gefragtesten deutschen Charakterdarsteller ist. Lassen wir noch einmal die eben zitierte Stimme zu Wort kommen.

Jede Begegnung, jede menschliche Regung in diesem melancholischen Krimi über einen einsamen Lehrer, die Vorurteile gegen Außenseiter und den Kampf spät heimatloser Ostdeutscher um Erinnerungen und Identität ist ein Highlight in Sachen präzise Erzählkunst und Inszenierung. (…) Bleibt zu hoffen, dass es nicht wieder drei Jahre dauert, bis Koitzsch und Lehmann ihren dritten Halle-Fall lösen. (…)

Dem schließe ich mich an. Und bin selbst schon so melancholisch, dass ich es bei diesen Stimmen belasse und eines meine ich versprechen zu können: Sie werden gute Schauspielleistungen sehen. Wie man den Fall aufnimmt, hängt von vielen Faktoren ab, selbst, ob man die Figuren annehmen kann, ob Distanz als zu weit weg oder eher als  Raum gebend empfunden wird, aber gut ausgeformt sind sie sicherlich.

Ach kommt, Leute, eine Stimme geht noch, muss auch sein, weil wir diese Stelle normalerweise immer zitieren. Allerdings am Beginn der Kritikenschau. Aber diesmal ist es anders.

Der große Peter Kurth als „Lonesome Cowboy“ und Peter Schneider als sein stets besorgter und sich kümmernder Kompagnon: Diese Kombi mit dem gewissen „Ost-Charme“ kommt gut an und findet auch in der zweiten Folge sofort zueinander, auch wenn diese atmosphärisch ziemlich düster gestrickt ist. Gerade die leisen Töne sind es aber, die diesen Krimi auszeichnen: Ohne aufgesetzte Empörung oder boulevardeske Sensationsgier wird ein Fall nachgezeichnet, der unter die Haut geht und seine Eindringlichkeit gerade durch die lakonisch-zurückhaltende Erzählweise gewinnt, die auch über einzelne dramaturgische Schwächen hinwegtröstet. Last but not least: ein Lehrstück über Selbstjustiz, den Mob der Straße und die ach so „besorgten Bürger“. Aufrüttelnd und eindringlich, genau zur richtigen Zeit.[7]

Wir können es nicht ändern, wir sind heute ein bisschen hellsichtig. Dass der Darsteller des Kommmissars schon „der große Peter Kurth“ genannt wird, ist sehr besonders, das liest man mittlerweile selten. Ich meine aber, es passt, sie meine Einlassungen dazu weiter oben. Die Melancholie hebt sich natürlich nicht weg, nach dieser Kritik. Je nachdem, was man für einen Job hat, sollte man vielleicht zu einem passenden Zeitpunkt streamen, nicht  unbedingt heute Abend vor dem Beginn der Arbeitswoche nochmal ordentlich Melancholie tanken. Nicht, dass es damit endet, dass man, anstatt Jack London zu lesen, gleich noch etwas Jack Daniels nachtanken muss. Ein Scherz natürlich, unserer Leser sind alle stabil, in jeder Hinsicht, sonst würden sie uns nicht lesen.

Besetzung und Stab

Hauptkommissar Henry Koitzsch – Peter Kurth
Kommissar Michael „Michi“ Lehmann – Peter Schneider
Susanne Lehmann, seine Frau – Sophie Lutz
Lehrer Krein – Sascha Nathan
Monika Hollig, Konrektorin – Susanne Böwe
Thomas Grawe – Andreas Schmidt-Schaller
Rainer – Thomas Gerber
Inka – Merle Staacken
Juli – Romy Miesner
Inkas Mutter – Katrin Hansmeier
Inkas Vater – Matthias Walter
Wilhelm – Jona Levin Nicolai
Mike – Florian Geißelmann
Wortführer „Bürgerwehr“ – Johannes Kienast
u. v. a.

Stab

Drehbuch – Clemens Meyer, Thomas Stuber
Regie – Thomas Stuber

[1] Polizeiruf 110: Der Dicke liebt – Wikipedia

[2] Der Dicke liebt – Polizeiruf 110 – ARD | Das Erste

[3] Polizeiruf 110: Der Dicke liebt – Wikipedia

[4] Polizeiruf 110 – Der Dicke liebt – Kritik zum Film – Tittelbach.tv

[5] »Polizeiruf 110« aus Halle: »Der Dicke liebt« mit Peter Kurth – DER SPIEGEL

[6] „Polizeiruf 110: Der Dicke liebt“: TV-Kritik zum neuen Sonntagskrimi (prisma.de)

[7] Polizeiruf 110: Der Dicke liebt – Tatort Fans (tatort-fans.de)


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