Deutsche Rüstungsproduktion ausbauen? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 512 | Geopolitik, Wirtschaft

Briefing 512 Geopolitik, Wirtschaft, Rüstungsindustrie, Rüstungsproduktion, NATO-Beistandspflicht, Staatsausgaben, Zwei-Prozent-Ziel

Da haben sie uns zum Wochenende wieder eine schöne Nuss zum Knacken gegeben. Die Meinungsforscher von Civey. Das Thema liegt, wieder einmal, in der Luft. Es geht darum, wie der veränderten Sicherheitslage in der Welt begegnet werden soll. Die einfachste Antwort scheint zu sein: Rüstungsausgaben erhöhen. Sollte man, in Anbetracht, dessen, dass gerade ein 100-Milliarden-Sonderschuldenberg aufgetürmt wurde und auch das 2-Prozent-Ziel der NATO nun erreicht werden wird?

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung von Wirtschaftsminister Robert Habeck, die Rüstungsproduktion in Deutschland auszubauen? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter:

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will die deutsche Rüstungsproduktion hochfahren. Der Ausbau der Waffenproduktion sei nötig, damit Deutschland die Ukraine weiter federführend unterstützen könne, argumentierte Habeck am Montag im Deutschlandfunk. Kurz zuvor hatte der Minister bei einem Treffen mit der Rüstungsindustrie betont, dass Deutschland auch zur Verbesserung der eigenen Wehrhaftigkeit aufrüsten müsste, berichtete die Rheinische Post Ende März. 

Habeck räumte ein, dass die Aufrüstungspläne „Konkurrenzsituationen“ verursachen könnten. Er verwies dabei auf den knappen Finanzhaushalt und den Fachkräftemangel. Auch er würde vorzugsweise in andere Bereiche investieren, eine Erhöhung der Militärausgaben sei aber aufgrund der aktuellen Sicherheitslage erforderlich. Zudem erwarte die Rüstungsindustrie Planungssicherheit und schnellere Beschaffungsverfahren. Um das Rüstungsvorhaben zu ermöglichen, würde der Grünenpolitiker auch eine höhere Staatsverschuldung erwägen. 

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich im Februar gegen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben aus. Deutschlands Bemühungen seien mit dem nun erfüllten Zwei-Prozent-Ziel der NATO ausreichend, sagte er dem Spiegel nach. Der FDP-Chef warnte außerdem „davor, die Lösung in weiteren Schulden zu suchen.“ Die Linke lehnt jegliche Aufrüstungsvorhaben ab. Auf der Parteiwebseite beklagt Partei-Co-Chefin Janine Wissler fehlende Gelder für Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur. Es sei nicht hinnehmbar, dass die Regierung drastische Kürzungen im Sozialbereich zugunsten des Verteidigungsbudgets hinnehme.

An dieser Stelle muss nach längerer Zeit wieder einmal ein Hinweis sein: Wir arbeiten nicht mit Civey zusammen oder gar für Civey, wir verwenden nur einige von dessen Umfragen, um unsere Meinung dar- und zur Diskussion zu stellen. Fast alle aktuellen politischen Themen finden auf diese Weise auch ihre Möglichkeit, darüber abzustimmen. Mit Ausnahme des Gazakrieges, der ist den Machern von Civey wohl ein zu heißes Eisen. Manchmal kommentieren wir auch die Art, wie die Umfragen gestellt werden, zum Beispiel, wenn eine Obergrenze für Geflüchtete mit dem aktuellen Anti-Bürgergeld-Spin der CDU vermischt wird.

Heute sind wir auf der Seite von Christian Lindner, wo gibt’s denn so was? Nein, sind wir nicht, wir haben mit „unentschieden“ votiert und sind damit ganz klar in der Minderheit. Auch, weil die meisten eine sehr deutliche Meinung zur Aufrüstung haben. Derzeit lehnen etwa 24 Prozent sie eindeutig ab, 57 Prozent sind eindeutig dafür.

So einfach machen wir uns das aber nicht, denn nach wie vor stehen folgende Fragen im Raum: Wieso können andere Länder mit ähnlich großen Armeen und zudem der teuren Aufgabe, ihre Atomwaffen zu verwalten, mit Budgets ähnlich dem deutschen auskommen, ohne dass ihre Streitkräfte als marode gelten (Großbritannien, Frankreich)? Mit Geld jedes Missmanagement zuschütten ist genau das, was die Privaten doch immer so am Staat kritisieren, jetzt können den Marktwirtschaftlern die Rüstungsausgaben nicht hoch genug sein, obwohl ganz offensichtlich eine gehörige Portion Ineffizienz in alldem steckt. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius hat bewiesen, dass er Forderungen stellen kann, aber noch nicht, dass er ein guter Manager ist, der die Ineffizienz der deutschen Streitkräfte zu bewältigen in der Lage ist. Das möchten wir erst einmal sehen: Wie es ausschaut, wenn das Geld sinnvoll ausgegeben wird. Wenn dann immer noch Mehrbedarf besteht, muss man darüber reden.

Dies aber wiederum nicht zulasten des Sozialetats, der die Gesellschaft noch halbwegs zusammenhält. Und da kommt wieder Christian Lindner ins Spiel. Wenigstens ist er konsequent, er verweigert jede zukunftswichtige Mehrausgabe, als wäre der Bundeshaushalt das Budget einer schwäbischen Hausfrau. Vielleicht müsste man den Begriff „Haushalt“, auf die Staatsausgaben bezogen, einmal durch einen Terminus ersetzen, der weniger irreführend in dem Sinne ist, dass es wirkt, als seien Staatseinnahmen und Staatsausgaben mit den Nettoeinkommen und Kosten einer Einzelperson gleichzusetzen.  Bei Lindner ist es nicht mangelndes Wissen, sondern Ideologie. Die Liberalen wollen den Staat schädigen, um dem Kapital eine noch freiere Bahn zu verschaffen und die Bürger:innen wehrlos zu machen. Dazu bedienen sie sich wiederum der Einfalt vieler Wähler:innen, die von der typischen FDP-Politik überhaupt nichts haben.

Dieses Mal hat der Finanzminister aber bezüglich der Volksmeinung danebengegriffen, denn ausgerechnet bei den Rüstungsausgaben sehen die Leute immer mehr Ausgaben interessanterweise nicht zu eng. Wir wüssten auch gerne, was Lindners Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dazu sagt, die bekanntlich der Rüstungsindustrie zugeneigt ist.

Dass wir uns nicht klar zu einer Steigerung der Rüstungsausgaben bekannt haben, hat einen weiteren Grund. Die ersten Politiker und Experten kommen schon daher und fordern, dass Deutschland seine Rüstungsausgaben noch wesentlich stärker erweitert, bis hin zu abenteuerlichen 3,5 Prozent des BIP, wie die USA, aber auch Russland sie aufweisen (in Russland dürfte es mittlerweile aber ein noch höherer Anteil sein). Wo soll das hinführen? Und wird dadurch wirklich mehr Sicherheit erzeugt?

Letztlich führt uns das zu der Frage, ob Russland die NATO angreifen wird. Der, ein gewisses Mindestmaß an Verständnis vorausgesetzt, bösartige Spruch, die Russen werden nicht morgen vor Berlin stehen, der gerne von BSW-Politiker:innen verwendet wird, führt komplett in die Irre und kommt auch von Menschen, die ein paar Tage vor Putins Einmarsch in die Ukraine noch Experten lächerlich machen wollten, die auf diese konkrete Gefahr hinwiesen.

Um Berlin geht es nicht, ohne Atomwaffen. Sollte Putin aber ein baltisches Land angreifen, wäre die Bundeswehr ebenfalls im Rahmen ihrer NATO-Beistandspflichten gefordert. Deswegen ist es prinzipiell auch ein richtiges Zeichen, dorthin Soldaten zu entsenden. Ein teures Zeichen, wohlgemerkt, wie alle Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mehrausgaben dafür erscheinen uns zumindest prinzipiell logisch, ohne dass wir uns zur genannten Höhe von gigantischen 11 Milliarden Euro (innerhalb welches Zeitraums?) zu positionieren.

Wir waren prinzipiell der Meinung, dass die Bundeswehr ihre höchst ineffizienten Auslandseinsätze einstellen soll, besonders nach dem Afghanistan-Desaster. Wir machen davon eine seinerzeit nicht erwähnte Ausnahme, nämlich, dass dies nicht für das Territorium von NATO-Staaten gilt, zumal nicht in einer Lage wie der aktuellen. Da wir, wenn auch nicht mit Freude, die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO im Moment für notwendig halten (Sieg der Kriegstreiber und aggressiven Geopolitikstrategen), wäre es unsinnig, deren Aufgaben nicht ebenfalls zu akzeptieren. Sie ist auf die auf die Solidarität aller ausgerichtet, auch wenn nur ein NATO-Land angegriffen wird. Gerade Deutschland wird dabei ohnehin eine wichtige Rolle spielen, weil es das Logistik-Hub der Amerikaner in Europa ist. Auch zur Sicherung dieser Logistik wird die Bundeswehr einsatzfähig sein müssen.

Wir haben lange auch das Zwei-Prozent-Ziel der NATO als zweifelhaft angesehen, aber was jetzt diskutiert wird, würde über dessen Erfüllung weit hinausgehen. Deutschland macht bei der weltweiten Rüstungsspirale, die gerade angelaufen ist, sowieso mit, aber wie weit muss man gehen, um das Notwendige zu tun? Für uns zu undurchsichtig, um klar mit „ja“ stimmen zu können. Man darf nie vergessen, dass Einlassungen dazu auch interessengesteuert sind. Viele, die dem Militär und der Rüstung nahestehen, wittern jetzt die Chance, einen erheblichen Bedeutungs- oder wirtschaftlichen Gewinn erzielen zu können, also ihre Macht ausbauen und das Kapital mehren zu können.

Falls Sie Ideen und Argumente zur Rüstung haben, schreiben Sie uns gerne Ihre Meinung dazu – diesen Satz werden Sie künftig vielleicht häufiger von uns lesen. Vor allem, wenn wir uns nicht eindeutig positionieren können.

TH

 

 

 

 

 

 


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