Daniel A. – Polizeiruf 110 Episode 403 #Crimetime 1210 #Polizeiruf110 #Polizeiruf #Rostock #König #Böwe #NDR #Transmann

Crimetime 1210 –Titelfoto © NDR, Christine Schröder

Wieso nehmt ihr ihn nicht mit?!

Daniel A. ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalfilmreihe Polizeiruf 110. Der vom Norddeutschen Rundfunk produzierte Beitrag ist die 403. Polizeiruf 110-Episode und wurde am 19. Februar 2023 im Ersten ausgestrahlt. Es ist der 26. Fall des Rostocker Teams. Nach dem Weggang von Kommissar Sascha Bukow ist es der zweite Fall mit Lina Beckmann als Melly Böwe. Mit dem Fall Daniel A. nimmt sie offiziell ihren Dienst im Rostocker Team auf.

Der 403. Polizeiruf ist der erste Sonntagabendkrimi der ARD, der eine Transperson in den Mittelpunkt stellt. Dies zu notieren, ist ebenso wichtig, wie darauf hinzuweisen, dass Lina Beckmann nun offiziell zum Team Rostock gehört und Kuchenbrötchen bäckt & verzehrt. Ich habe zuletzt häufiger erwähnt, dass die Weiterentwicklung der Tatorte und Polizeirufe ein wenig ins Stocken geraten ist, aber auch, dass ich damit vor allem das Formale und die Plotgestaltung meine. Neues gibt es hingegen, wie man feststellen darf, bei der Darstellung von Diversität. Von authentischer Diversität, wohlgemerkt. Wie der Krimi sich damit befasst und mehr zum Film steht in der –> Rezension.

Handlung

Die Grundschullehrerin Nathalie Gerber wird tot auf dem Parkplatz der Kneipe „Knockout“ aufgefunden. Dort war sie mit ihrem Onlinedate Daniel A. verabredet, der sie als Letzter lebend gesehen hat. Nach ihm wird nun gesucht. Doch Daniel kann sich nicht bei der Polizei melden, denn er ist ein Transmann, der sich noch nicht geoutet hat und dessen größte Angst es ist, dass sein Vater auf diesem Weg davon erfährt.

So tappen Katrin König und Melly Böwe im Dunkeln und haben nur die letzten Angaben aus Nathalies Dating-App zur Verfügung: Sie suchen einen Mann, der vermutlich in einem der Rostocker Chöre gesungen hat. Oder war auch das nur eine Finte des Mannes, der nicht verführungswillige Frauen für bestrafungswürdig hält?

Melly Böwes Einstand im Revier wird trotz Kuchenbrötchen nicht gemütlich, denn auch auf dem Kommissariat gibt es Reibungspunkte rund um Geschlechterbilder. Wie lebt es sich für Röder, Thiesler und Pöschel mit zwei Frauen an der Spitze? Und wie gehen die beiden Frauen miteinander um? Thiesler prophezeit einen Zickenkrieg, aber König und Böwe zeigen, dass es ganz anders gehen kann.

Währenddessen kämpft Daniel um sein selbstbestimmtes Outing, aber auch um seine große Liebe Hanna. Und er ringt mit seinem eigenen Verantwortungsgefühl und seinem schlechten Gewissen. Als er auf Marc Wigand trifft, Nathalies ehemaligen Kinderfreund, glaubt Daniel aus seinem Dilemma erlöst zu sein: Er kann den Täter präsentieren und seine Identität schützen. Doch da irrt er sich.

Quotenerfolg

Bereits vor zwei Wochen lief eine Ausgabe der Reihe, welche 7,47 Millionen Fernsehende überzeugte und bei sehr starken 24,1 Prozent Marktanteil landete. Bei den 1,23 Millionen Jüngeren kamen herausragende 17,0 Prozent zustande. Diese Woche landete die neuste Folge auf einem recht ähnlichen Niveau, konnte allerdings noch etwas draufsetzen. So kletterten die 7,52 Millionen Interessenten auf 24,4 Prozent Marktanteil und sicherten sich Platz eins auf der Tagesrangliste. Bei den 1,24 Millionen 14- bis 49-Jährigen standen ausgezeichnete 17,1 Prozent Marktanteil auf dem Papier.

Rezension

Lasst uns die Menschen vorsichtig an das Thema heranführen! Hat man sich wohl bei der ARD gedacht und einen Transmann präsentiert, der noch recht weiblich wirkt, nachdem aus Daniela Daniel A. geworden ist. Der eine Art Zwischenmensch geworden ist, der die alte Identität loswerden möchte, die neue aber noch nicht annehmen konnte. So muss er beinahe unbehaust den Wechsel in einem alten Wohnmobil vollziehen. Eine sehr gute Idee, der Wandel auf Achse drückt das Noch-nicht-angekommen-sein aus. Allerdings wäre der Plot in der Form, wie er gestaltet wurde auch kaum anders möglich gewesen. Jonathan Perleth, der Daniel A. oder Daniela oder Daniela A. darstellt, ist tatsächlich ein Transmann und ich gebe den Kritiker:innen, die wir in der Vorschau zitiert haben, recht: der Star des Films. Sein Kampf mit Windmühlen, die vielleicht so schnell nicht rotieren, so gefährliche Flügel wie vermutet gar nicht haben, ist beinahe heroisch und Sie dürfen das Ende nicht verpassen, gleich, ob Sie zuvor irgendetwas auszusetzen hatten, etwa zu wenig Action. Das Ende ist wunderbar und berührend und so wichtig. So wichtig gerade in dieser Zeit und wenn es darum geht, positive Zeichen für Diversität zu setzen. Onkel Daniel! Der schon als Daniela ein tolles Händchen für quengelnde Kinder und fürs Haushaltsmanagement hatte.

In einer anderen Sache tendiere ich auch anders: Ich finde den Vater von Daniel gelungen. Er ist halt ein konservativer Polizist und so, wie sich dessen emotional aufgewühlte Tochter in die aussichtslose Verbindung zu einer jungen Frau namens Hannah hineinsteigert, steigert sie sich auch in den Gedanken hinein, kein Mann sein zu dürfen, zu Hause, bei ihrer Familie, bei der sie / er mit fast 30 Jahren noch wohnt. Nicht bei einem Vater, der sich nicht zum Gespött der Kolleg:innen machen will, zu denen ja auch König, Böwe und die beiden verbliebenen Männer des Teams zählen. Die Normalität für einen Menschen, der schon ein wenig aus dem Schulalter heraus ist, wäre gewesen, man geht seiner Wege, sieht sich nicht jeden Tag, kann freier atmen in einer passenden Community. Und bestehe sie nur aus dem Autoschrauber-Transkollegen. Der übrigens weniger gut gecastet ist, weil eindeutig auch ein biologischer Mann, wie die Bartstoppeln in manchen Szenen und weitere optische Merkmale belegen.

Was mich  hingegen sehr interessiert hätte: Wie reagieren die Kolleg:innen in der Kita darauf, dass eine ihrer Erzieherinnen plötzlich ein Mann ist? Wie erklärt man oder Mann’s den Kindern, die von Sexualität noch keine Ahnung haben? Dieses heiße Eisen hat man komplett ausgespart und das Kind der jüngeren Schwester von Daniel A. ist wiederum so klein, ein Säugling, dass es den Identitätswechsel von Tante zu Onkel problemlos akzeptieren dürfte, weil es noch gar keine Vorstellung von Männern und Frauen hat. Die eigene Sozialisierung und sexuelle Ausrichtung hat bewirkt, dass ich Daniel A. als Frau interessanter, auch attraktiver fand als ihr männliches Ich, das sie gewählt hat. Wenn man selbst einer dieser alten, weißen Cis-Männer ist, tendiert man in der Regel so, und das sollte man auch nicht verleugnen.

Man darf es auch für sich selbst schade finden, dass jemand sich entschließt, sozusagen die Seiten zu wechseln. Man darf es aber der Person gegenüber nicht bewerten und sie nicht diskriminieren. Man trägt immer eine Meinung in sich und das lässt sich auch nicht durch Trianing abstellen. Trainieren kann man aber die Akzeptanz.  Je jünger und je mehr mit Diversität jemand aufgewachsen ist, desto positiver wird grundsätzlich die Ansicht  zum gesamten Bereich der LGBTI* sein und speziell zu der Gruppe der Transgender in diesem größeren Cluster.

Im Sinne der Diversität kommt es aber nicht auf die Wahrnehmung Dritter an oder auf ein Bild an, das man sich macht und vielleicht gerne bewahren würde, sondern auf Akzeptanz. Und für die Person, die einen Genderwechsel vollzieht, darauf, wie die Person  sich wohler fühlt, wie sie wahrgenommen werden möchte. Für mich lief es während des Films ohnehin so, dass ich nur noch den Mensch wahrgenommen habe, der in Panik ist und etwas verbergen zu müssen glaubt, was heutzutage vielleicht weniger problematisch ist, als er selbst denkt. Das ist auch das kleine Fragezeichen des positiven Endes. Es wirkt ein wenig, als ob Daniel A. sich wegen seines Identitätswechsels, der für sich genommen nicht einfach ist, für mehr abgewiesen hält, als dies tatsächlich der Fall gewesen wäre, hätte er sich schon geoutet.

In diese Richtung zielt auch, dass die beiden Polizistinnen, insbesondere Katrin König, Daniel A. aus seiner Zwangslage hätten befreien können, wenn er sich früher und offen mit ihnen in Verbindung gesetzt hätte, weil die gefundene Täter-DNA eindeutig einem biologischen Mann zuzuordnen ist. Daniel A. wäre nur für kurze Zeit verdächtigt worden und hätte den Zeitpunkt seines Outings weiterhin selbst bestimmen können.

Außerdem denkt man sich: Vielleicht war es gut, dass er sich zeigen musste. Wie lange wäre dieses Leben mit zwei Identitäten und zwischen den Identitäten noch gegangen, wie lange wäre es gutgegangen? Am Ende schießt Daniel A. auch nicht auf Hannah und ihren Freund, denn wiewohl als Daniela Sportschützin im Gefolge ihres Vaters, wird sie, so mein Eindruck, wieder diese Frau, die nicht in der Lage ist, andere zu erschießen und als Mann so sensibel, dass sie auf dieser Weiblichkeit aufbauen kann, die es unmöglich macht, eine persönliche Enttäuschung und Kränkung mit Waffengewalt zu beantworten. Die betreffende Sequenz vor dem oben erwähnten Ende ist ein wenig dick aufgetragen und soll der Spannung dienlich sein.

Finale

Dabei fand ich das Schicksal und die Situation von Daniel A. spannend genug, um auf diese Wendung verzichten zu können. Zuvor schon erschießt Daniela ihren Vater, um sich von dessen gedachter negativer Einstellung zu ihrem Genderwechsel zu befreien. Es wird durch optische Merkmale des Filmings nicht angedeutet, dass es sich dabei nur um eine Imagination handelt.

Ich kann mir gut vorstellen, dass „Daniel A.“ einmal zu den wichtigen Polizeirufen gezählt werden wird, zu den Meilensteinen, obwohl die Krimihandlung ziemlich dünn ist und man formal auf der Höhe der Zeit agiert, aber nicht darüber hinaus. Es ist der Einblick in die Seele eines Transmenschen, der den Unterschied macht. Vergessen wir also im Wesentlichen die Art, wie Katrin König die Neue, Melly Böwe, anzickt und die beiden Männer im Team sich daran delektieren, während der Chef, wie gewohnt, keine Witze macht und seine Leute arbeiten sehen will. Die Zusammenarbeit funktioniert ja auch. Nach der Chorszene dachte ich, es ist doch so: Ohne Mellys Idee, gemeinsam die Chöre abzuklappern, hätte Katrin nicht das auffällige Verhalten von Hannah bemerken und ihr folgen und somit den Hinweis auf Daniel bekommen können. Just war ich fertig mit diesem Gedanken, da wird er von den beiden Copinnen auch schon verbalisiert. Ich hätte es auch so verstanden, aber gut zu wissen, wenn man eine Idee richtig, im Sinne der Regie und des Drehbuchs, interpretiert hat.

Was mich ein wenig gestört hat, war nicht der Zickenkram, auch nicht die Spielweise einer der Darstellerinnen, sondern dies abgehackte Spreche, die bei König jetzt noch mehr heraussticht als während ihrer Kooperation mit Bukow. Man könnte sie als Abspaltung von ihrem Lieblings-Ermittlungspartner interpretieren, aber der Rostock-Polizeiruf ist ja nicht das einzige Fernsehformat, in dem dies als modern verkauft wird und in „Daniel A.“ ist es nicht nur König, sondern die dafür im Grunde zu gemütlich wirkende Melly Böwe, die so redet. In der Realität spricht immer noch kaum jemand so. Ich hoffe, dass der Telegrammstil keine allgemeine Modeerscheinung, sondern weiterhin nur einer gewissen Verfremdung und Verdichtung dienen wird. Wäre der Film auch ein hervorragender Krimi, hätte es eine der höchsten Wertungen für einen Polizeiruf gegeben, aber auch das, was ich letztlich für angemessen halte, ist noch sehr respektabel. Ein halber Punkt davon ist dem Ende geschuldet, ein ganzer dem Spiel von Jonathan Perleth als Daniel A. / Daniela. Das Team König / Böwe muss mich erst noch ein wenig überzeugen.

So, wie zu Beginn dieses Polizeirufs darf man es jedenfalls nicht weiterhin auf Kontrast bürsten. Das würde zu künstlich wirken, wenngleich der kundige Zuschauer weiß, dass König durch Bukows Halbschwester als Ersatz für ihn noch mehr getriggert wird als durch seinen Abgang. Immerhin ist sie aber auch eine Verbindung zu ihm.

8/10

© 2023 Der Wahlberliner, Thomas Hocke  

Vorschau zum Film.

Besetzung und Stab

LKA-Analystin Katrin König – Anneke Kim Sarnau
Kriminalhauptkommissarin Melly Böwe – Lina Beckmann
Henning Röder, Leiter der Mordkommission – Uwe Preuss
Kriminaloberkommissar Anton Pöschel – Andreas Guenther
Kriminaloberkommissar Volker Thiesler – Josef Heynert
Daniel Adamek – Jonathan Perleth
Frank Adamek – Jörg Witte
Hanna Blankenstein – Alina Stiegler
Simon Blankenstein – Maximilian Kraus
Sonja Gerber – Katharina Spiering
Marc Wigand – Max Krause
Armin – Bernd Hölscher
u. v. a.

Drehbuch – Benjamin Hessler
Regie – Dustin Loose  

 


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