Spider-Man (USA 2002) #Filmfest 1078 #Top250

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Aus dem Comic erwächst eine CGI-Präsentation

Spider-Man ist eine US-amerikanische ActionComicverfilmung des Regisseurs Sam Raimi, die am 3. Mai 2002 in den US-amerikanischen Kinos und am 6. Juni 2002 auch in den deutschsprachigen anlief. Der Film entstand in Koproduktion von Columbia PicturesMarvel Studios und Laura Ziskin Productions. Als Vorlage diente die gleichnamige Comicserie Spider-Man. Die gleichnamige Hauptrolle wurde mit Tobey Maguire besetzt.

Der Eindruck nach dem Film? Besser fragen wir nach dem Eindruck von heute. Denn es ist uns etwas passiert, das es bisher nie gab. Wir hatten uns den Film am gestrigen Abend angeschaut und um jetzt, am Spätnachmittag, darüber zu schreiben. Und als wir anfangen wollten, wussten wir nicht mehr, welchen Film wir gestern angeschaut haben. Nein, es ist keine Alzheimer-Demenz. Okay, der Tag war etwas turbulent und die Abfolge verschiedener Tätigkeiten ein wenig anders als üblich, aber das kann nicht der Grund dafür sein, dass wir einen Film, den wir gestern noch ganz witzig fanden, heute komplett vergessen haben. Doch Trost in Sicht: Wäre der Film komplett furchtbar gewesen, hätten wir uns daran gewiss erinnert. Ist es nicht doch beunruhigend? Dazu mehr in der Rezension.

Handlung (1)

Peter Parker lebt bei seiner Tante May und seinem Onkel Ben. In der Highschool ist er schüchtern und unbeliebt. Auf einem Schulausflug wird er von einer genetisch manipulierten Spinne gebissen und entwickelt daraufhin Superkräfte: die vergrößerte Kraft, Geschwindigkeit und Wendigkeit einer Spinne, die Fähigkeit Wände zu erklettern und einen besonderen „Spinnensinn“ für Gefahren. Anders als im Comic wirft er die Netze nicht mechanisch ab, sondern sie werden organisch im Körper produziert. Ebenfalls kann er, wie im Comic, verschiedenartige Netze spinnen, dünne elastische Fäden, um durch die Wolkenkratzerschluchten Manhattans zu schwingen, sowie stabile Netze zum Schutz oder um Verbrecher einzuschnüren.

Um seine Klassenkameradin und Nachbarstochter Mary Jane zu beeindrucken, will er sich ein Auto kaufen und versucht, das dafür nötige Geld bei einem Wrestling-Kampf zu verdienen. Der Ringrichter benennt den von Parker erdachten Namen „The Human Spider“ (dt. ‚Die menschliche Spinne‘) spontan in „Spider-Man“ um. Nach dem gewonnenen Match will Peter sein verdientes Geld abholen, bekommt jedoch nur einen lächerlich kleinen Teil davon. Kurz nach der Geldübergabe wird der Veranstalter beraubt, was Peter hätte verhindern können. Aus Rache für seine geringe Bezahlung lässt er den Dieb jedoch ungehindert entkommen. Kurz darauf wird sein Onkel von einem Autodieb angeschossen und stirbt in Peters Armen. Peter Parker, entsetzt und wütend zugleich, hört aus einer Polizeidurchsage die Position des Täters, verfolgt ihn unter erstmaligem Einsatz seiner Superkräfte. In einem Lagerhaus angekommen, schnappt er sich den Dieb und zieht ihm die Maske vom Gesicht. Es ist der Dieb aus dem Wrestling-Stadion. Ihm wird bewusst, dass er den Tod seines Onkels hätte verhindern können. Der Dieb will ihn erschießen; er fällt aber, nachdem ihm Peter blitzschnell die Waffe aus der Hand geschlagen hat, rücklings durch eine Fensterscheibe und stirbt. Peter erinnert sich an eine Weisheit Onkel Bens: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, merk dir das.“ Er widmet sich fortan der Verbrecherjagd. Sein Leben als Superheld Spider-Man scheint sich gut zu entwickeln. (…)

 Rezension

Was ist also beunruhigend? Dass ein optisch so auf die Spitze getriebener Film seine Wirkung so schnell verliert. Es ist beinahe, als hielten die Netze, die Spider-Man überall spannt, kaum einen Tag und zerfielen dann von selbst. Das wird auch eine Abwertung gegenüber der gestern direkt nach dem Anschauen gewählten Punktzahl bringen. Denn die Viertelstunde, die wir gebraucht haben, um nochmal drauf zu kommen, was wir gestern geguckt haben, die ist unwiederbringlich verloren.

Aber was macht den Film so – wenig nachhaltig? Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir nie Sinn für Superhelden-Comics hatten und vor allem den zweiten Teil lächerlich übertrieben fanden. Gestern nur übertrieben, heute lächerlich. Schön, was man mit Computer Generated Imagery alles machen kann, aber es wirkt ein wenig zu leicht und unwirklich. So, wie sich der Charakter Peter Parker, den Tobey Maguire anfangs überzeugend spielt, in Action auflöst, die allzu schwerelos wirkt, löst sich auch unser Zugang zu diesem Charakter schrittweise auf.

Der Moment, in dem ein Mensch sich plötzlich verändert, ist so spannend, man kann ihn in tausend Filmen auf zehntausend Arten zeigen, ohne dass man der Metamorphose überdrüssig wird – weil dieser Wunsch, die Identität zu wechseln und plötzlich alles zu können, nur allzu menschlich ist. Aber da muss noch etwas wie eine echte Herausforderung bleiben, und die hat Spider-Man, wenn überhaupt, nur noch, weil er diesem sehr künstlich wirkenden Kobold gegenübersteht, der in Wirklichkeit das alter ego eines Unternehmers ist, der sich in eine Art Dr. Jekyll und Mr. Hyde gespalten hat (eine Reminiszenz auf Filme wie „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ gibt es in Form einer recht gelungenen Spiegelszene).

Hat der Film nicht alle Zutaten der berühmten Superhelden-Märchen? Doch, grundsätzlich. Sonst hätte er nicht so viel Geld eingespielt (allein in den USA über 400 Millionen Dollar bei 139 Millionen Produktionskosten), aber man darf sich ja von der Kindlichkeit, die vor allem die zweite Hälfte des Films beherrscht, ein wenig absetzen, vor allem als Kritiker. Sicher war es cool für die Macher um den Regisseur Sam Raimi, das Maximale aus der Technik herauszuholen, die es 2002 gab, und die sehr schnellen Bewegungen Spider-Mans in den Häuserschluchten von Manhattan sind auch ein guter Trick, um nicht zu viele Details zeigen zu müssen, aber die Figuren, die uns anfangs interessiert haben, verlieren durch die allzu starke Fixierung auf optische Schau an Wertigkeit.

Das gilt auch für Spider-Man selbst: Was können wir einer Figur zurechnen, wie uns mit ihr identifizieren, wenn sie so ungeheuer überlegen ist, dass man sich am Ende zudem fragt, wie es kommen konnte, dass Spider-Man in einer früheren Situation dem Kobold unterliegt und der ihn quasi laufen lässt. Vielleicht war er in der Anwendung seiner Möglichkeiten noch nicht erfahren genug. Kaum auszudenken, was ein paar Wochen in der Zukunft alles möglich sein wird. Spider-Man könnte zum Beispiel das ganze Solarsystem mit einem Spinnfaden mit der Erde zu einem einzigen, irrwitzigen Klumpen verschmelzen, indem er die übrigen Planeten wie kleine, bunte Drachen an dieser überaus haltbaren Schnur heranzieht. Nicht auszudenken, wenn er wirklich schlecht wäre. So, wie es der Zeitungsmacher J. Jonah Jameson in den Raum stellt, um den Spider-Man dämonischer wirken zu lassen und damit die Auflage zu erhöhen. Schade, dass dieser Charakter eine reine Karikatur ist, den hätte man, wie einige andere Figuren, mit mehr Substanz füllen können. Das dicke Ende aber ist das Ende.

Was stimmt mit dem Ende des Films nicht? Jetzt hat dieser Peter Parker mehr als ein Jahrzehnt lang für Mary Jane geschwärmt und als sie am Ende tatsächlich ihn liebt, nach Umwegen über einen doofen Muskelmann, dem Spider-Man die Grenzen aufzeigt und dessen eigenen Freund Harry Osborn und Spider-Man selbst, also da verletzt er sie, indem er sagt, er kann ihr nur ein Freund sein. Und wirkt dabei ganz zufrieden, nicht einmal enttäuscht, hat nicht einmal das große Sorry im Gesicht.

Was ist da passiert? Wir haben es uns so zusammengereimt, dass die große Verantwortung, die er jetzt dank seiner großen Kraft hat, ihn genauso beziehungsunfähig macht wie seine bisherige Nerd-Stellung. Alles, was vorher nicht möglich war, ist jetzt nicht gewollt – bis zum Schluss weiß Mary Jane ja auch nichts von der Personenidentität zwischen Peter und dem Spinnen-Helden.

Trotzdem ist es ärgerlich und unerklärt. Sollte damit etwa das geschaffen werden, was die ganz großen Romanzen oft auszeichnet, vor allem im Film? Die Nichterfüllung? Möglich ist es, sogar wahrscheinlich. Aber da das vorher dramaturgisch nicht entsprechend vorbereitet wurde, verpufft dieser Effekt und man denkt sich: Typsich. Einmal Nerd, immer Nerd, da helfen alle Superkräfte nichts. Die Fähigkeit zur Empathie kann eben nicht durch einen Spinnenbiss injeziert werden. Der wirkliche Hintergrund für dieses offene Ende ist vermutlich noch trivialer: Der Film ist von Beginn an als Fortsetzungsstory konzipiert worden, was ja auch der Handhabe bei Comic-Serien entspricht, aus der die Vorlage stammt. Stimmt das?

Die Handlung jedes einzelnen Heftes oder Buches ist in der Regel abgeschlossen, nicht organisiert wie eine Daily Soap. Also hat man einen Mittelweg gewählt: Der Bösewicht ist erst einmal besiegt, aber das Privat harrt weiterhin einer Lösung, zumal Onkel Ben tot ist.

Onkel Ben starb aber schon recht früh im Film. Im Film starb er wirklich schon nach ca. 30 Minuten, und der Grund ist so etwas von einer Botschaft: Zuvor hatte sich Peter, ganz langsam seiner neuen Kräfte bewusst, 3000 Dollar für ein wirklich bescheidenes Gebrauchtauto zusammenwresteln wollen, um damit Mary Jane zu beeindrucken. Da war er noch darauf aus, dem Mädchen zu imponieren, noch nicht so überaus erwachsen wie am Ende. Uns kann man’s nicht recht machen, in „Back tot he Future“ haben wir noch den überbordenden Materialismus eines ansonsten allerdings hervorragenden Films kritisiert. Klar gewinnt Spider-Man gegen den martialischen Wrestler, der Promotor des Ganzen zahlt ihm nur einen Kleckerbetrag aus – und wird umgehend beraubt und Peter lässt den Räuber laufen. Der aber schnappt sich das Auto von Onkel Ben und tötet ihn dabei. Die Sache ist klar: Hätte Peter nicht aus einer kleinen Rache heraus dem Promotor nicht geholfen, hätte der Räuber nicht auf Peters Onkel treffen können.

So, jetzt müssen wir uns vergegenwärtigen, dass der Film kurz nach 9/11 gedreht wurde (in einem frühen Trailer gibt es eine Szene, in der Spider-Man einen Hubschrauber in einem Netz zwischen den Türmen des WTC fängt, das aber bei der Premiere des Films nicht mehr existierte). Die Zeiten waren schon seit Amtsantritt des reaktionären George W. Bush härter geworden, aber 9/11 hat die Welt und besonders die USA auf einen Schlag verändert. Moral ohne Schatten war wieder gefragt – wer die kleinen Gauner nicht bedingungslos fängt, der wird nie die Superschurken bewältigen, wie diesen Kobold, hinter dessen grünlich-stählern schimmernder Maske sich das schlechtere Ich von Mr. Osborn verbirgt. Es gibt keine Relativität von Handlungen aus persönlichen Interessen und Gefühlen heraus wie zum Beispiel: Geschieht dir recht, du Geizkragen, dass du jetzt um deine Barschaft erleichtert wirst, weil du mich übers Ohr gehauen hast. Schon in der Szene spürt man, da ist etwas falsch. Es ist anders als in mindestens einer Million amerikanischer Filme, die uns verkaufen wollen, dass Menschen eben nicht zur kleinen Rache oder wenigstens zum Defätismus gegenüber anderen neigen, die ihnen gerade mächtig auf die Füße getreten sind.

Die Wirklichkeit sieht uns alle in relativen Positionen: Wir behandeln meist diejenigen gut, die gut zu uns sind, wobei wir nicht darüber philosophieren wollen, dass ja jemand mal mit dem positiven Verhalten angefangen hat. Es fängt ja schon bei der Geburt an – schon im Mutterleib, wie viele Menschen wir uns später auf welche Weise zu Freunden machen können. Peter Parker, der elternlose Junge, der von Verwandten aufgezogen wurde, hat da ein Handicap – auch wenn seine Tante und sein Onkel sehr nett wirken. Man darf auch nicht vergessen, von welcher Vorlage der Film abstammt.

Ist es die Qualität der Vorlage, die so viel Kritik auslöst? Man darf Comics nicht mit Weltliteratur verwechseln, wobei es leichter sein sollte, einen Comic adäquat zu verfilmen als ein Werk der Weltliteratur, zumal heute, wo sich auch in Realfilme alle Science Fiction-Elemente per Computer hineinzaubern lassen. Die Psychologie der Marvel-Vorlage wurde weitgehend übernommen, und die ist nicht sehr ausgefeilt. Das werfen wir dem Film auch gar nicht vor – sondern, dass die einfachen, aber sehr ausgeprägten Konturen, die Comicfiguren in der Regel aufweisen, hier nicht zu kompakten und eindeutigen Charakterzeichnungen verdichtet werden. Der Wandel von Peter zu einem Typ, der Verantwortung fürs Ganze übernimmt, vom Fotografen und Beobachter zum Akteur, vom schmalbrüstigen Jugendlichen zum mit Fingerkrallen bewehrten Mann, die anfangs noch nett zu beobachten ist, wird nicht zu Ende geführt – was auch an Tobey Maguire liegt. Er schaut am Ende noch genauso in die Welt sie zu Beginn, da merkt man nicht, dass er als Spider-Man buchtstäblich durchs Feuer gegangen ist (was er getan hat, um ein Kind aus einem brennenden Wohnhaus zu retten).

Der Verbund einer Comic-Vorlage mit einem Regisseur, der sich als filmenthusiastischer Jugendlicher an „The Tree Stoges“ und nicht an Screwball-Comedy oder Chaplin orientiert hat, sorgt für große visuelle Effektsicherheit, aber verliert das Storytelling ein wenig aus den Augen, wirkt am Ende sogar ein wenig bruchstückhaft. Das Drehbuch hätte man ausgewogener akzentuieren können. Mit den Drehbüchern, die für die meisten Fehler eines Films in Zeiten verantwortlich sind, in denen die Inszenierungen fast ausschließlich eine hohe Professionalität aufweisen, gehen wir bekanntlich besonders ins Gericht, weil viele dieser Fehler leicht vermeidbar wären. Hier geht es um eine Art Spezialfehler: Selbst die comicspezielle Voraussetzungslogik wird durch die Übertreibungen am Ende beschädigt. Das kommt daher, dass eben unbedingt alles gezeigt werden musste, was CGI geschwindigkeitstechnisch erlaubt.

Finale

Der Film ist nicht so schlecht, wir haben die obige Kritik aus der Sicht von jemandem geschrieben, der einen Tag nach dem Anschauen des Films enttäuscht davon ist, welch geringe Tiefenwirkung sich bei der eigenen Rezeption eingestellt hat. Man merkt diesem Werk seinen Aufwand an und zumindest im ersten Teil sind die Schauspielleistungen gut, danach so gut, wie das Skript es noch erlaubt. Aber das Love Interest, das hätten wir trotzdem an Land gezogen, Verantwortung für die Stadt und die Welt hin oder her. Gerade die Übernahme persönlicher Verantwortung stärkt doch die Fähigkeit, dies auch auf anderer Ebene zu tun. Vielleicht hatte Peter aber auch Angst, dass er sich beim Sex plötzlich in Spider-Man verwandelt und mit seinen Haftfingern an Mary Jane kleben bleibt – was deren Haut sicher nicht so unbeschadet verkraften würde, wie es die Hochhauswände von Manhattan tun.

Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Textes: Die Spider-Man-Filme bildeten ursprünglich eine Trilogie. Teil 1 und Teil 2 hatten es kurzfristig in die IMDb-Top-250-Liste geschafft und sind deshalb auch Teil unseres Konzeptes, so viele Filme wie möglich rezensieren zu wollen, die einmal in dieser Liste enthalten waren mit besonderem Akzent auf diejenigen, die immer noch draufstehen. Zwei weitere Filme in den 2010ern werden weniger hoch eingeschätzt, mittlerweile hat man aber das Spiderverse als Filmvariante des Metaverse erfunden (oder lief es, chronologisch gesehen, umgekehrt?) und damit weitere Filme mit der Hauptfigur kreiert. Alle drei stehen in der aktuellen Top-250-Liste (Stand Mai 2024). Wie das bei dem trivialen Thema möglich ist, damit werden wir uns noch befassen. Der erste Spider-Man-Film hat aktuell eine Durchschnittsbewertung von 7,4/10, war aber auch bei den Kritikern einigermaßen erfolgreich (der Metascore liegt bei 73/100).

69/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv und tabellarisch: Wikipedia

Regie Sam Raimi
Drehbuch David Koepp
ComicStan LeeSteve Ditko
Produktion Ian Bryce,
Laura Ziskin
Musik Danny Elfman
Kamera Don Burgess
Schnitt Arthur Coburn,
Bob Murawski
Besetzung

 


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