So (un)frei ist die Presse (Statista + Zusatzinfos + Kommentar) Briefing 516 | Gesellschaft, Geopolitik, Demokratie in Gefahr

Briefing 516 DiG, Gesellschaft, Geopolitik, Pressefreiheit weltweit, Index 2024

Es gibt aus Deutschland, die Demokratie betreffend, tatsächlich einmal etwas Positives zu berichten: Die Pressefreiheit hat sich verbessert. Warum, lesen Sie im anschließenden Begleittext zur Grafik, wie immer kommentieren wird im Anschluss.

Infografik: So (un)frei ist die Presse | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Der Zustand der Pressefreiheit in Deutschland hat sich im jährlichen World Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen (RSF) im Vergleich zum Vorjahr leicht verbessert. 2023 wurden weniger körperliche Angriffe auf Journalist:innen registriert, die Organisation geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Insgesamt wird die Lage in der Bundesrepublik als “zufriedenstellend” angesehen – das bedeutet einen Indexwert von 83,84 und Platz 10 unter 180 bewerteten Ländern. Im Vergleich zu 2022 klettert Deutschland somit ganze elf Plätze nach oben.

Die Gesamtbetrachtung der weltweiten Pressefreiheit zeigt jedoch eher eine Verschlechterung der Situation. Im aktuellen Ranking wurde mit 36 Staaten eine Rekordzahl an Ländern als „sehr ernst“ eingestuft – ein klares Indiz dafür, wie bedroht die Pressefreiheit weltweit ist.

Als positives Beispiel für Pressefreiheit gilt seit Jahren Norwegen. Obwohl die Konditionen für Journalist:innen bereits vorbildlich waren, hat die Regierung 2022 zudem eine Kommission ins Leben gerufen, welche die Ausbreitung von Fake News und Hate Speech im Internet hemmen soll. Des Weiteren soll sie die Rolle der Presse als unabhängiges Überwachungsorgan schützen. Also im engeren Sinne beispielsweise das Aufdecken von Korruption erleichtern.

Zu den Ländern, in denen die Pressefreiheit am stärksten eingeschränkt wird, gehören vor allem Länder aus dem Nahen bis Mittleren Osten und Nordafrika wie Afghanistan (178), Syrien (179) und das Schlusslicht Eritrea (180). Damit liegen diese drei Nationen im 2024er Ranking sogar hinter dem traditionell letztplatzierten Nordkorea, wo es de facto keine freie Presse gibt.

Der Nahe Osten war 2023 die tödlichste Region für Journalist:innen, wie eine weitere Statista-Grafik zeigt. Im Libanon und den palästinensischen Gebieten kamen im vergangenen Jahr etwa 19 Medienschaffende bei der Ausführung ihres Berufes zu Tode. Der Krieg im Gazastreifen ist seit Oktober 2023 von einer Rekordzahl von Übergriffen auf Journalist:innen und Medien geprägt. Mehr als 100 palästinensische Reporter wurden von den israelischen Streitkräften getötet, darunter mindestens 22 bei der Ausübung ihrer Arbeit, so berichtet Reporter ohne Grenzen.

Den Expert:innen zufolge wirkt sich vor allem ein weit verbreitetes Nachrichten- und Informationschaos negativ auf die weltweite Pressefreiheit aus – der globalisierte und unregulierte Online-Informationsraums begünstigt Fake News und Propaganda. Auch stabile Demokratien sind nicht vor der Bedrohung durch Falschinformationen geschützt. Laut Bericht waren politische Akteur:innen in 138 von 180 untersuchten Ländern direkt von Desinformationskampagnen betroffen. Im Hinblick auf das Super-Wahljahr 2024 rechnet Reporter ohne Grenzen mit einem vermehrten Aufkommen von Propaganda und systematisch verbreiteten Falschinformationen.

Natürlich ist es schön, mal etwas Erfreuliches zu berichten. Das gelingt aber schon, wenn man den obigen Text gelesen hat, nur noch, wenn  man sich auf Deutschland beschränkt. Außerdem steht die Frage im Raum, ob nicht eine vergleichsweise ruhige Lage im Land in Relation zur Zeit der Corona-Demos diese leichte Verbesserung beim Punkteschnitt, die aber im Ranking gleich elf Positionen ausmacht, verursacht hat. Nichts ausgesagt ist in dem Zusammenhang über den staatlichen Umgang mit der Presse.

Wenn Sie ab und zu „Alternativemedien“ lesen,  gewinnen Sie den Eindruck, hierzlande muss man um sein Leben kämpfen, wenn man auf seine Meinungs- und Pressefreiheit pocht. Es gibt tatsächlich Grenzen. Klassische Grenzen wie die Holocaust-Leugnung, die in Ländern wie Norwegen nicht eingehalten werden müssen, aber auch neue Grenzen bezüglich Fake News und Hate Speech. Ein Phänomen, mit dem friedliche Länder im Norden ebenfalls weniger zu kämpfen  haben als derlei kontroverse Gesellschaften wie die unsrige.

Es liegt nah, sich darüber zu ärgern, dass die Skandinavier es wieder einmal besser machen, aber anders als bei den persönlichen Freiheiten oder den sozialen Tatbeständen, wo sie ebenfalls besser sind, ist eine maximale Pressefreiheit, die immer auch mit maximaler Meinungsfreiheit verbunden ist, in Deutschland aus historischen Gründen nicht möglich. Das sollte man auch als Medienschaffende:r verstehen. Formal sind die Tatbestände sehr eng gefasst, die die Pressefreiheit einschränken, und auch in der Realität hat man nicht gerade den Eindruck, es darf nicht jeder so ziemlich von sich geben, was er will. Mit der Gefahr, dass auch der krudeste Unsinn in die Gesellschaft hineinwirkt und sie weiter auseinandertreibt. Das Destruktive hat bei uns ohnehin einen sehr großen Stellenwert, deswegen darf man auch schreiben: es ist so gewollt oder mindestens akzeptiert, also muss die Gesellschaft es aushalten.

Schwierig, angesichts immer neuer extremistischer Herausforderungen, angesichts infamer medialer Formate und Postings, die auf Menschen treffen, die a.) aufgrund ihrer Persönlichkeit aufnahmewillig für Hetze sind und b.) nicht politisch gebildet im Sinne der Demokratie, und beides trifft oft zusammen. Demgegenüber stehen konkrete Einschränkungen von Bürgerrechten, die vielleicht auch übers Ziel hinausschießen. Wer zum Beispiel die Versammlungsfreiheit rigide handhabt, der schränkt auch die Presse- und Meinungsfreiheit ein. Deswegen haben wir uns, wie immer bei solchen Rankings, die zugrundeliegende Analyse angeschaut.

Ein bisschen darf man demnach stolz sein auf das „alte Europa“ und versteht auch, warum es von Diktaturen so gehasst wird. Es leuchtet immer noch in Grün oder wenigstens in hellgelb, wie Deutschland. Alle acht „grünen“ Länder sind westeuropäische Demokratien + Estland als erster Konversionsstaat. Portugal hat eine sehr erfreuliche Entwicklung genommen und zählt nun zu den Spitzenreitern. Da aber weiterhin nur acht Länder „grün“ sind, muss es auch einen Verlierer geben. Es ist Litauen, das sich um einige Plätze verschlechtert hat.

Als der kartierte Index mit dem heutigen Punkteschema im Jahr 2013 eingeführt wurde, ebenso wie im Folgejahr 2014, waren nicht weniger als 25 Länder in der „grünen Zone“, darunter alle in Mitteleuropa, inklusive der mitteleuropäischen Konversionsstaaten, auch Polen. Heute reichen im Fall Deutschlands knapp 84 Punkte aus, um unter den Top 10 weltweit zu landen, vor zehn Jahren stand Deutschland mit fast 90 Punkten auf Platz 14.

Schauen wir kurz zu unseren westlichen Nachbarn. Obwohl sich die Bewertung für Frankreich sogar minimal verschlechtert hat, hat das Land trotzdem drei Plätze gutgemacht. Das deutet bereits auf eine überwiegend negative Entwicklung der Pressefreiheit hin. Großbritannien hat sogar einen ganzen Punkt verloren und trotzdem drei Plätze gewonnen. Dass es in Norwegen nicht mehr die fast totale Freiheit gibt, wurde bereits erwähnt. Das Land ist aber so viel besser als alle anderen, dass selbst ein Rückgang von etwa vier Punkten nicht zum Verlust des Platzes an der Sonne führt. Man darf also festhalten, dass die neuen Module, die zur Stärkung der Pressefreiheit installiert wurden, von RSF nicht zu einer erhöhten, sondern zu einer niedrigeren Punktzahl geführt haben. 

In der Mitte hat sich zum Beispiel Brasilien unter Präsident Lula da Silva um zehn Plätze verbessert, ohne dass die Punktzahl sich wesentlich verändert hätte. Gleiche Punktzahlen führen in der Regel zu Rangverbesserungen, das setzt sich auch im Bauch der „halb-pressefreien“ Welt fort.

Am unteren Ende hat Russland zwei Plätze gewonnen – obwohl es ebenfalls fünf Punkte verloren hat, es liegt jetzt auf Rang 162, im Jahr 2023 war es Platz 164. China stieg sogar von Rang 179 (zweitschlechtester Rang überhaupt) auf Rang 172, und das bei einem Plus von weniger als einem halben Punkt, den Medienschaffende wohl kaum bemerken dürften, so gering ist der Unterschied zum Vorjahr und so total die Medienüberwachung in China.

Reporter ohne Grenzen sieht die Pressefreiheit weltweit unter Druck und verspricht sich vom Jahr 2024 nicht viel Gutes:

Während 2024 das größte Wahljahr der Weltgeschichte ist, gab es 2023 auch entscheidende Wahlen, insbesondere in Lateinamerika, die von selbsternannten Räubern der Pressefreiheit und Medienvielfalt gewonnen wurden, wie Javier Milei in Argentinien (minus 26 auf Platz 66), der die größte Nachrichtenagentur des Landes in einem besorgniserregenden symbolischen Akt lahmlegte.

Das ist jener neue argentinische Staatschef, der sich dem Westen als Partner andient und von einigen rechten Medien hierzulande wegen seiner rigiden neoliberalistischen Wirtschaftsreformen gehypt wird, von denen längst noch nicht sicher ist, ob sie funktionieren werden. Werden die Argentinier Wohlstand und Sicherheit gegen Pressefreiheit eintauschen. Immerhin ist das in dem Land langfristig noch offen, das kann man von weiten Teilen des Nahen und Mittleren Ostens und Asiens nicht sagen, dort herrscht eine verkrustete Unfreiheit der Presse vor. Die Situation im Palästinakrieg wurde bereits erwähnt. Es ist der aktuelle Hotspot für Übergriffe gegen die Presse. Obwohl „RoG“ bzw. „RSF“  den V-Theoretikern gerne als Beispiel für amerikanisch infiltrierte NGOen gilt, wird auch der Verursacher von 100 Morden an Journalist:innen benannt und die USA selbst kommen ebenfalls nicht gut weg.

Eine Verschlechterung von ca. 71 auf ca. 66 Punkte ist für einen Staat, der sich Land der Freien nennt, ein Schlag ins Gesicht – und damit ist eine neue Amtszeit von Donald Trump nicht einmal sicher, der sich die Presse gewiss wieder vornehmen wird, um sie zu beschießen und Journalisten zu Vogelfreien zu machen, falls er es schafft, Joe Biden abzulösen. Im Moment sieht es leider wieder so aus, und dabei spielt der Gazakrieg eine Rolle.

Schauen wir kurz zurück: Als der Index von RoG erstmals erstellt wurde, mit einer Punktebewertung, die von der heutigen Einteilung abweicht (damals waren kleine Zahlen ein Ausweis von guter Pressefreiheit, weil sie die wenigsten Einschränkungen bedeuteten, später ist man, wie bei den meisten Indizes, auf die 100er-Skala mit „je mehr Punkte desto besser“ gewechselt). Damals lag Deutschland auf Rang 7 und die USA auf Rang 17. Heute findet man die Vereinigten Staaten auf Rang 55 wieder. Wenn das kein Abstieg der demokratischen Verfassung westlicher Demokratien ist, wissen wir nicht, was ein Abstieg ist: Nach wie vor beeinflusst das, was in den USA geschieht, die Welt erheblich und gerade Europa, das eng an die USA gebunden ist. An ein Land, in dem Freiheiten zunehmend eingeschränkt werden. In den USA fallen allerdings Presse- und Meinungsfreiheit relativ weit auseinander, Letztere ist immer noch sehr stark ausgeprägt und führt auch dazu, dass dort Publikationen erscheinen dürfen, die in Deutschland verboten sind oder wären, würden sie hier veröffentlicht. Dabei geht es vor allem um Neonazi-Literatur und Ähnliches. Im Sinne der Bösartigkeit von Meinungen spiegelt sich der gesellschaftliche Zustand eines Landes allerdings auch wieder und manche Freiheit ist auch die Freiheit, andere ungehindert diskriminieren, beleidigen und bedrohen zu dürfen.

Die USA waren einmal das Land, in dem Ideale der Auklärung mehr umgesetzt wurden als in jedem anderen Staat der damaligen Welt, noch weit überwiegend absolut-monarchischen Welt. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte in diesem Land ist traurig. Die Wähler:innen dort müssen selbst entscheiden, ob sie Freiheit wirklich nur noch als Freiheit, eine Waffe zu besitzen und Andersmeinande niederzuknallen, verstehen wollen. Die Entwicklung ist wegen der großen Macht das Landes aber leider auch gefährlich für uns alle im Westen und im Grunde für die ganze Welt.

Solche Entwicklungen  sollen Journalist:innen beschreiben, sie sollen Aufklärungsarbeit liefern, weil sie, anders als der Meinungsträger als privates Individuum, einen berufsethischen Kodex berücksichtigen sollten. Ihre Aufgabe ist es, sich als vierte Macht kritisch gegenüber dem Staat und gesellschaftlichen Entwicklungen gleichermaßen zu positionieren. Dieser Aufgabe kommen sie auch bei uns nicht immer vollumfänglich nach, aber sie haben noch die Wahl, ob sie das möchten oder sich lieber den anderen Mächten andienen.

Wenn sie sich für die Kritik entscheiden, sind Investigativjournalist:innen in freien Ländern hoch angesehen und werden in Diktaturen besonders hart angefeindet.  Es muss dabei nicht um Systemkritik gehen. Schon das Recherchieren von Korruption kann gefährlich sein, obwohl sie doch das bestehende System verbessern soll und gerade in autokratischen Systemen besonders stark verbreitet ist – weil es kein demokratisches und kein Pressekorrektiv gibt.

Wenn es sich nicht gerade um embeddeten Komfort-Journalismus handelt, leiden Medienschaffende am meisten im Krieg. Trotzdem ist gerade die Berichterstattung von diesen Schauplätzen besonders wichtig und wir denken in diesem Moment an alle, die dort als Pressevertreter:innen tätig sind, an die Getöteten und diejenigen, die immer noch ihren Job tun, obwohl sie in Lebensgefahr schweben.

Auf vielen Gebieten, die eine Zivilisation erst als solche kenntlich machen, sieht es schlecht aus in der Welt und eine Trendwende ist nicht abzusehen. Warum sollte sich ausgerechnet der Index der Pressefreiheit von einer Negatientwicklung abkoppeln, wo er doch mit anderen Demokratie- und Freiheitsindizes verknüpft ist? Letztlich müssen wir als Zivilgesellschaft guten, ehrlichen Journalismus auch wertschätzen, damit er fortbestehen kann. In den USA kann man beispielhaft sehen, wie es darniedergeht, wenn immer größere Teile der Bevölkerung nicht mehr an Fakten, sondern nur noch an ihrer eigenen subjektiven Wahrheit interessiert sind.

Deutschland zeigt solche Entwicklungen meist etwas später, aber es ist nicht so, dass man diese Tendenz nicht hierzulande auch beobachten könnte. Vielen ist gar nicht klar, dass sich ihre negativen Einstellungen zu hoch profilierten und immer noch überragend recherchefähigen Journalist:innen, wie sie zum Beispiel bei den öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten angesiedelt sind, schlussendlich negativ auf ihre eigene Freiheit auswirken werden. Die Presse mundtot machen wollen ist ein denkbar schlechtes Zeugnis für die eigene Demokratiefähigkeit, was nichts anderes bedeutet als: Freiheit nicht verdient. 

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar