Holocaust-Gedenktag und Interview mit dem israelischen Botschafter Ron Prosor: Leitkommentar zum Gazakrieg | Briefing 522 | Geopolitik, Geschichte, Nahostkonflikt, Israel, Palästina

Briefing 522 Jom Haschoa, Geopolitik, Deutschland, Israel, Palästina, Demokratie, Ron Prosor, Demokratie

Ron Prosor, der israelische Botschafter in Deutschland, hat web.de ein Interview gegeben, auf das wir glücklicherweise rasch gestoßen sind, weil wir unser mit dem Wahlberliner verknüpftes Mailpostfach bei diesem Provider angesiedelt haben. Wir überlegen derzeit hin und her, ob wir einen Artikel des Verfassungsblogs zu den Studierendenprotesten in den USA nachpublizieren, zumal es ja nun auch hierzulande propalästinensische Demos gab, auch an der Freien Universität in unserer Stadt. Das Interview mit dem israelischen Botschafter macht es uns leichter, weil wir auch eine Gegenstimme kommentieren können.

Ron Prosor: „Mit der Hamas kann es keinen Frieden geben“ | WEB.DE

Israel steht wegen seiner Kriegsführung in Gaza immer stärker in der Kritik. Doch Ron Prosor, der Botschafter Israels in Deutschland, sagt: „Wir müssen unsere eigene Bevölkerung schützen.“ Der Terrororganisation ginge es um die Vernichtung des jüdischen Volkes. Hamas-Sympathisanten im Westen machen ihn fassungslos. (…)

Ron Prosor ist kein Diplomat der leisen Töne. Manche Kritiker würden ihn gar undiplomatisch nennen. Immer wieder mischt sich der 65-jährige Botschafter beherzt in öffentliche Debatten ein, wenn es um sein Heimatland geht: Israel, den einzigen jüdischen Staat auf der Welt. Derzeit muss Prosor wohl mehr diskutieren und erklären als je zuvor in seinem Amt, das er vor fast zwei Jahren übernommen hat.

Die erste Frage des Interviews zitieren wir ebenfalls, auch aus informatorischen Gründen: Am Montag war Jom Haschoa, der Holocaust-Gedenktag, und am Dienstag der Jahrestag der Niederlage des Nationalsozialismus. Hat sich für Sie die Bedeutung dieser Tage vor dem Hintergrund des 7. Oktobers, dem Hamas-Massaker in Israel, verändert?“ Ron Prosor setzt z war nicht die Ereignisse, wohl aber die Ideologien der Nazis und der Hamas gleich. Eine kurze Präzisierung:

[Jom haScho’a, auch bekannt als Holocaust-Gedenktag, fällt auf den 27. Tag des jüdischen Monats Nisan1Im Jahr 2024 wird Jom haScho’a am 6. Mai begangen2Es ist ein Gedenktag zu Ehren der 6 Millionen Juden, die dem Holocaust zwischen 1933 und 1945 zum Opfer fielen123. Bitte beachten Sie, dass das genaue Datum jedes Jahr variiert, da es auf dem jüdischen Kalender basiert.]

Bevor wir zu irgendetwas anderem kommen, verneigen wir uns drei Tage nach dem Jom Haschoa vor den Opfern des Nationalsozialismus, allen Überlebenden, allen Angehörigen und Nachkommen. Mit dieser Haltung müssen wir auch an das Interview herangehen und deshalb unsere Wortwahl anpassen. Wir dürfen und werden nicht vergessen, was in deutschem Namen geschehen ist, unabhängig von der persönlichen Biografie und der unserer Vorfahren. Mich berührt das gerade sehr tief und ich lese gerade Margot Friedländers „Versuche, dein Leben zu machen – als Jüdin versteckt in Berlin.“

Nichts kann demnach auch den Angriff vom 7. Oktober 2023 auf Israel rechtfertigen, es wa rein beispielloser Terrorakt. Ich habe die Bilder des Massakers sehr wohl noch präsent.

Hat die Hamas dieselben Ziele wie die Nazis, die auch die Angehörigen von Margot Friedländer auf dem Gewissen haben?

Es gibt ein Papier aus dem Jahr 2007, glaube ich, über das Zeichen der Abkehr diskutiert wird, aber es gibt meines Wissens keine offizielle Änderung der Doktrin der Hamas, und diese geht in der Tat auf die Vernichtung Israels.

Fragen wir die KI, sie sagt: „Ja, die offizielle Doktrin der Hamas beinhaltet immer noch die Vernichtung Israels. Die erste Charta der Hamas von 1988 rief indirekt zur Ermordung von Juden und zur Vernichtung Israels auf1Die zweite Charta von 2017 gab sich bei vielen Fragen gemäßigter, aber eine kritische Prüfung zeigt, dass sich die Hamas nicht gewandelt hat1. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Positionen international weitgehend verurteilt werden und im Widerspruch zu den Prinzipien des Völkerrechts und der Menschenrechte stehen.“

Ich verweise sogar auf ein weiteres Problem, das uns hier direkt betrifft: Das Landeskriminalamt Berlin beobachtete ab 2015 jahrelang Bezüge zwischen der Islamisten- und der Drogenszene. Es verdächtigte Mitglieder bekannter arabischer Großfamilien, unter anderem die Hamas mit Geld aus kriminellen Aktivitäten zu unterstützen.[114] (Hamas – Wikipedia).

Es ist eindeutig. Solange die Hamas sich nicht verändert und, wie einst die PLO, aus der die Fatah hervorging, dem Terrorismus abschwört, kann sie kein Partner für Verhandlungen über die Zukunft des Gazastreifens sein. Dass es ein Dreieck Islamismus-OK-Hamas gibt, überrascht mich nicht besonders. Die Haltung ist immer gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung gerichtet, ob bei uns oder in Israel. Ob die Hamas damit ideologisch den Nazis nahesteht, ist eine Frage, die man so beantworten kann: Der extremistische Islamismus ist auch faschistisch. Er trägt viele Züge, die dem Faschismus eignen, wie etwa die Verachtung für die Demokratie, für die Freiheit, für gleiche Menschenrechte für alle, für alles, was uns im Westen das Leben angenehmer gemacht hat, was Minderheiten schützt und uns eine relativ freie Lebensgestaltung ermöglicht, eine viel freiere Handhabe unseres Schicksals, als es für diese ideologisierten Menschen in ihren Ländern je möglich war. Einige missbrauchen diese Freiheit aufs Übelste, aber ich will nicht zu sehr vorgreifen.

Was ist Ursache und Wirkung im aktuellen Gazakrieg?

Dann greifen wir also doch voraus. Was mich an dem Interview nicht zufriedenstellt, was aber auch logisch ist: Die Historie wird verkürzt. 2005, als die IDF sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen und damit der Hamas auch die undemokratische Übernahme der dortigen Regierungsgewalt ermöglicht hat (2007), ist nicht der Startpunkt des Nahostkonflikts. Er begann sogar vor der Gründung Israels, mit der Einwanderung von Juden in ihr biblisches Land, vermehrt ab den 1920ern. Ich werde bezüglich dieser Zeit keine Schuldzuweisungen vornehmen. Sicher ist, dass die Araber die Juden nicht gerade willkommen hießen. Sicher ist auch, dass der Zionismus sich sehr exklusiv auf deren Rechte stellt.

Und was ist an der Verkürzung logisch, die wir jetzt großzügig bis in eine Zeit vor 100 Jahren ausgebügelt haben, ohne diese Zeit näher zu analysieren?

Ron Prosor ist kein Journalist, kein politischer Beobachter. Er hat sie Politik seiner Regierung, der Regierung Israels, in Deutschland zu vertreten und zu vermitteln, würde er das nicht tun, wäre er in seiner Position falsch. Ich beobachte vor allem das, was von der israelischen Regierung oder Vertretern von ihr in die internationale Presse gelangt. Ich finde, das möchte ich an der Stelle gleich ausdrücken, dass Prosor sich in dem Interview auch nicht mit einem Ton hervorgehoben hat, wie z. B. Andrej Melnyk, der frühere ukrainische Botschafter, es gegenüber Deutschland und der hiesigen Regierung gegenüber getan hat und zu Recht abberufen wurde. Ein Botschafter darf nicht neutral sein.

Er hebt demgemäß den 7. Oktober 2023, Israels 7/10, wenn  man so will, hervor, und warum aktuell kein Abkommen mit der Hamas über die noch in ihrer Gewalt befindlichen jüdischen Geiseln erzielt wird.

Ich kann seine Argumentation diesbezüglich  nachvollziehen, unter dem Vorbehalt, dass ich nicht wissen kann, was hinter den Kulissen verhandelt wird oder wurde. Es ist vielleicht zu einfach gedacht, wenn man sagt, die Hamas hält die Geiseln zurück, weil die isrealische Regierung bzw. die IDF nach deren Herausgabe keinen Grund mehr hätte, den Gazastreifen nicht zu zerstören. Oder endgültig, zu mehr als einem Drittel ist er das ja baulich bereits. Ich glaube, das ist verkürzt, da muss man etwas vorsichtig sein. Trotzdem klingt aus Prosors Aussagen durch: Wenn erst die Geiseln frei sind, wird nicht etwa Frieden gemacht, sondern erst richtig zugeschlagen. „Mit Rücksicht auf die Geiseln kann das Militär nicht frei agieren“, sagt er, verkürzt wiedergegeben.

Ist Israel wie Samson?

Ich finde diese alttestamentarischen Beispiele eigentlich schön und sie gehören zum Judentum dazu. Aber sie stimmen nicht immer exakt. Israel ist der bei Weitem militärisch stärkste Staat der ganzen Region und schlägt sehr wohl auch jetzt zurück, siehe Iran, siehe Angriffe auf Ziele im Libanon. Das wirft die Frage auf, wie er sich ohne die Notwendigkeit verhalten würde, die verbliebenen Geiseln möglichst lebend zurückzubringen.

Prosor setzt den Hamas-Terror in eine Beziehung mit den Forderungen nach einem Kalifat in Deutschland, die wir gerade erlebt haben.

Die sich gerade öffentlich gemacht haben. Ich bin mir sicher, dass noch viel mehr Menschen mit muslimischem Glauben so denken. Ich will da keine Schätzung eingeben, aber ich glaube, dass viele zwar auf deutschem Boden leben, aber nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Ich bin traurig und wütend über diese Art von Demonstrationen und alles, was dieser Demokratie schadet, egal, von welcher Seite es kommt, werde ich nicht unkommentiert lassen. Deswegen komme ich auch mit dem Schreibe nicht nach, weil es von so vielen Seiten kommt. Aber was man nicht tun sollte, ist, die Dinge zu sehr vermengen. Wer gegen die schrecklichen Zustände im Gazastreifen demonstriert, muss kein Kalifat-Anhänger sein. Und er muss auch nicht äquidistant sein, also gleichermaßen die israelischen Belange berücksichtigen. Wer einen arabischen Hintergrund hat, muss sich auch nicht die Schuhe der Deutschen anziehen, die zwar nicht mehr jene sind, welche die Nazis trugen, aber doch in einer Weise noch aus demselben Geschäft stammen, indem schon die Nazis ihre Laufwerkzeuge einkauften, die sie trugen, als sie die Menschenrechte niedertrampelten, die sie trugen, als sie millionenfach töteten. Was jemand, der sich für Palästina einsetzt, nicht darf, ist, Juden beleidigen, sie gewaltsam angehen, die Vernichtung Israels fordern. Und kein Kalifat in Deutschland. Da endet die Meinungsfreiheit für mich, da beginnt die wehrhafte Demokratie. Da ist der Rechtsstaat auch zu wenig in Aktion zu sehen.

Jetzt gehen wir etwas vom Interview weg und stellen eine ganz schwierige Frage: Stehen denn die Juden in Deutschland heute auf den Pfeilern des Grundgesetzes?

Im Privatleben tun sie das nach meiner Ansicht in etwa so viel oder wenig wie die  nichtjüdischen Deutschen.

Sie sehen sich aber nicht als Deutsche. Der Zentralrat der Juden ist ein Beispiel dafür.

Wegen seiner Bezeichnung? In der Tat wollte man damit Distanz ausdrücken und deshalb heißt es auch „Zentralrat der Juden in Deutschland“ und nicht „Zentralrat der deutschen Juden“. Das hat mit der Shoah zu tun und es hat auch damit zu tun, dass die Juden sich auch als Volk auffassen. Solange sie deutsche Staatsbürger sind, gehören sie aber auch zum deutschen Staatsvolk, zwangsläufig.

Ist das im Kopf, wenn Israels Politik immer bedingungslos gebilligt wird und verlangt wird, dass das deutsche Staatsräson ist?

Verlangt wurde das nicht, deutsche Politiker sind meines Wissens selbst auf die Verwendung dieses Begriffs gekommen. Ich halte ihn in diesem Zusammenhang für ahistorisch verwendet und auch für gefährlich. Kanzler Scholz gilt als belesener Mann, er müsste das wissen. Bei einigen anderen überrascht mich angesichts von deren mangelhafter politischer Denkschärfe gar nichts mehr.

Aber ich verstehe, woraus die Frage hinausgeht. Ich bleibe dabei, dass die Demokratie für mich oberste Priorität hat und damit die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Menschenrechten. Der Zentralrat sagt, zwischen Israel und uns passt kein Blatt Papier, wir lassen uns nicht spalten. Es kommt dadurch vermehrt zu der Lage, dass der Zentralrat sich auch für die Einschränkung demokratischer Rechte ausspricht. Und das kann man nicht verstehen, ohne die Entwicklung in Israel selbst in den Blick zu nehmen.

Wegen der Rechtsverschiebung?

Es ist entsetzlich, dass es diese fast überall gibt. Aber in Israel ist sie ziemlich weit fortgeschritten. So weit sind wir hier noch nicht. Das lässt sich auch an allen relevanten Freiheits- und Demokratieindizes ablesen. Wir haben noch viel zu verlieren, bis wir auf dem geschrumpften israelischen Demokratieniveau angekommen sind. Die alten weißen Männer dort, um es etwas zuzuspitzen, sind keine perfekten Repräsentanten der freiheitlich-westlichen Werte, sondern teilweise auch verbal ultra-rabiate Rechtsausleger, die zum Beispiel am liebsten Atombomben gegen die Palästinenser einsetzen würden. Und da gibt es Benjamin Netanjahu, der für den eigenen Machterhalt auch ganz Palästina einebnen würde, wenn es nicht anders geht. Ich traue ihm nicht und halte ihn für zu sehr vielem fähig.

Die Politik dieser Leute muss Ron Prosor in Deutschland vertreten und der Zentralrat der Juden fordert wissentlich Demokratieeinschränkungen mit sehr dünnen Argumenten, bei denen es immer so wirkt, als ob alle Menschen, die sich für Palästina einsetzen, Antisemiten wären, die Israel das Existenzrecht absprechen. Da besteht in Wirklichkeit ein sehr großer Unterschied. Bei den meisten, und bei denen er nicht besteht, muss individuell verfahren werden, da kann man nicht einfach alles, was als „propalästinensich“ gelabelt wird, verbieten.

Das bedeutet auch, dass die rechtsgerichtete israelische Politik auf Deutschland einwirkt, und zwar in nicht geringem Ausmaß. Wer sagt, die Solidarität mit Israel bedeutet auch unbedingte Solidarität allem gegenüber, was diese Regierung tut und noch tun wird, stellt einen Blankoscheck auch gegen unsere eigene Demokratie aus. Dass demokratische Politiker das nicht sehen, kann ich mir nicht vorstellen. Also nehmen sie es bewusst in Kauf, und das ist sehr bedenklich. Das könnte darauf hindeuten, dass auf dieser Schiene generell mehr Repression organisiert werden soll. Mithin: Die Israel-Solidarität wird auch als Vorwand eingesetzt, die Juden werden instrumentalisiert und liberale Juden werden diskriminiert, diffamiert („semitische Antisemiten“) zusammen mit anderen, die vor allem Menschenrechte und Demokratie im Blick haben und schützen wollen. Wo die isrealische Regierung hingeht, geht auch der Zentralrat hin, und wo er hingeht, muss die deutsche Politik hingehen, wenn wie ihr absolutes Solidaritätsversprechen einhalten will. Das heißt, sie muss jeden Protest unterbinden, bei dem möglicherweise Menschen mittun  können, die antisemtisch sind.

Wer mit der Kultur des Straßenprotests ein wenig vertraut ist, weiß, dass es sich nie vollkommen vermeiden lässt, dass jemand mitläuft, der über die Ziele hinausschießt oder gar die Veranstaltung missbraucht. Gegen diese Personen muss vorgangen werden, aber nicht gegen legitime Protestziele, wie Öffentlichkeit für die Situation in Gaza herzustellen.

Niemand verbietet übrigens Juden und Unterstützern Israels, ihrerseits zu demonstrieren. Das tun sie ja auch, ohne dass nun genau hingeschaut wird, ob jemand dabei ist, der die Palästinenser generell verachtet oder gerne den Gazastreifen als Parkplatz hätte. Ich weiß, das stammt von einem deutschen Politiker, aber es bleibt leider haften. Das Unmenschliche daran steht dem, was die Hamas ideologisch vertritt, nicht nach.

Ich kann es nicht ändern, das alles entspricht nicht meinem Verständnis einer modernen, demokratischen Politik und Staatsverfassung. Es muss Grenzen geben für die Solidarität, die sich aus übergeordneten Prinzipien ergeben, deren Überordnung ja gerade eine Lehre aus der Shoah sein sollte.

Aber der Angriff vom 7. Oktober ging nun einmal von der Hamas aus, was immer auch danach geschehen sein mag.

Wir lassen ja auch die Vorgeschichte, die weit zurückreicht und sehr kontrovers diskutiert wird, fast ganz außen vor. Ich verstehe absolut, dass Israels Regierung diesen Angriff nicht unbeantwortet lassen konnte. Ich hatte mit dem üblichen Opferverhältnis 10 zu 1 auch gerechnet. Wir stehen aber mittlerweile bei 30 zu 1, und wo soll das noch hinführen? Die Hamas wird auf eine Weise überleben, da sollte man sich in Israel keinen Illusionen hingeben. Das heißt, ihre Ideologie wird in diesem großen arabischen Raum überleben, auch wenn die IDF es schafft, alle, wirklich alle bestehenden Kommandostrukturen zu zerschlagen. Die Menschen dort sind auch nicht objektiv. Sie sind auch  ideologisch geprägt, sind religiös geprägt, sind daher auch teilweise antijüdisch-antisemitisch geprägt, auch wenn sie selbst Semiten sind. Es kommt darauf an, dass daraus keine tödliche Bedrohung wird, und bei allem Respekt vor den Opfern: Der Angriff vom 7. Oktober war nicht geeignet, um Israel zu zerstören. Das ist nicht möglich, das müssen auch die umliegenden  Ländern und der fanatisierte Teil von deren Bevölkerung begreifen. Wir wissen es aber und diese Tatsache der israelischen Überlegenheit darf von keiner Seite geleugnet oder instrumentalisiert werden. Im Gegenteil, es ist gut, dass wir uns darauf verlassen können, dass Israel seine Existenz sehr wohl selbst schützen kann.

Deshalb ist jetzt die Frage nach dem Maß der Reaktion zu beachten. Ist es richtig und klug, das Opferverhältnis immer weiter zu verschieben?

Und die humanitäre Hilfe?

Das machen wir bitte kurz. Wie soll die Hamas denn ihren Leuten helfen, aus diesem abgeschnittenen Gazastreifen heraus oder von außen. Wichtig ist, dass Israel ungehindert Waren in die Zone lässt, und zwar möglichst, ohne dass dabei humanitäre Helfer getötet werden. Um das nicht aus dem Auge zu verlieren. Ich bin kein Freund der Hamas. Und deshalb muss von hier aus der nächste gedankliche Schritt gegangen werden. Israel hat die Hamas lange Jahre schön machen lassen, um damit die Fatah und Mahmut Abbas zu schwächen. Und da kommen wir zum Westjordanland. Selbstverständlich werden die Zustände dort überhaupt nicht im Interview angesprochen. Selbst die USA haben Schritte gegen gewalttätige, ultrazionistische Siedler dort eingeleitet, die Palästinenser dort verdrängen und ermorden. Diese Siedler sind wiederum zwar die Speerspitze des extremistischen Zionismus, aber sie repräsentieren auch die Rechtsverschiebung in Israel. Mir ist nicht bekannt, dass die israelische Regierung diese Leute bremsen will. Im Gegenteil, die Siedlungen werden weiter so ausgebaut, dass eine Zweistaatenlösung faktisch von Tag zu Tag unrealistischer wird, weil das Siedlungsgebiet der Palästinenser sich immer mehr verkleinert und durch strategisch sehr überlegt platzierte israelische Siedlungsvorposten zerstückelt wird.

Man  denkt in historischen Dimensionen und werkelt sozusagen im Kleinen an Groß-Israel und weiß genau, dass man nicht gefährdet ist, sondern andere gefährdet, weil man ihnen technisch klar überlegen ist. Der Support aus dem Kernland ist uneingeschränkt, es gibt da keine Distanz mehr, dass etwa die Regierung sagen würde: Ihr macht das auf eigene Kappe, wir schützen euch nicht. Jüngst hat Israel wieder ein Gebiet im Westjordanland direkt annektiert. Es waren nur 300 oder 400 Hektar, aber es ist eben auch symbolisch und es wird registriert und es verstärkt die Wut und die Ohnmachtsgefühle in der arabischen Welt.

Dabei könnte doch der Gazastreifen längst wie Singapur sein.

Ja, wenn die Palästinenser nicht so der Hamas hinterherrennen würden, sondern sich aufs Geschäft konzentrieren, und wie das einst arme Städtchen Singapur, eine der undurchsichtigsten Kapitalsammelstellen der Welt aufbauen würden. Wirklich, wir brauchen nicht noch einen Kleinstaat, der so tickt, es gibt wahrlich mehr als genug davon. Ob es für Israel gut wäre, wenn die Palästinenser das wirklich umsetzen würden, lassen wir dahingestellt. In diesem Sinne ist auch jener Vergleich nicht korrekt. Um so verfahren zu  können, bedarf es eines völkerrechtlich anerkannten Territoriums oder, wie bei den British Cayman Islands, des Schutzes durch ein anerkanntes Mutterland.

Solange Palästina kein völkerrechtlich anerkannter Staat ist, werden die scheuen Kapital-Rehe vorsichtig sein mit Investitionen dort. Da kann jederzeit etwas passieren wie jetzt. Nicht nur wegen der Hamas, sondern, weil letztlich Israel dort die Hoheit hat, Rückzug der IDF 2005 und mehr Selbstverwaltung hin oder her. Erst, wenn Israel die Zweistaatenlösung zulässt, kann man beurteilen, wie sich der Gazastreifen als eigenständiges Territorium entwickelt. Für Israel hätte das den Vorteil, dass ein Angriff von dort ein regulärer Kriegsgrund wäre. Mit allen Konsequenzen, die in einem symmetrischen Waffengang angelegt sind. Aber es gibt eben auch andere Überlegungen, und die gehen sehr wohl darauf hinaus, den Gazastreifen und die noch in palästinensischer Hand befindlichen Teile des Westjordanlands leerzukriegen und Israel anzugliedern. Die Salamitaktik im Westjordanland, in dem die geschwächte Fatah dem Vordringen der Siedler nichts entgegenzusetzen hat, ist gar nicht anders zu deuten. Die Zeiten, in denen gemäßigtere israelische Regierungen auch mal Siedlungen haben räumen lassen, um ein besseres Auskommen mit ihren Nachbarn zu erzielen, sind nach meiner Ansicht endgültig vorbei. Man ist den anderen sozusagen entwachsen, man muss auf sie keine Rücksicht mehr nehmen. Nicht einmal auf die USA und den dortigen Wahlkampf.

Ist es Absicht?

Joe Biden zu düpieren?

Ja.

Leider ist das nicht von der Hand zu weisen. Die Demokraten in den USA zerreißen sich gerade in der  Israel-Frage, während die Republikaner und Trump ähnlich tendieren wie die Bundesregierung: Was immer die israelische Politik tut, es wird durchgewunken. Klar hätten die Hardliner in Israel lieber Trump als Präsident. Daran kann man sehen, wie große der Einfluss des Landes auch auf die USA sind. Biden tut mir auch leid, in dieser Situation, das muss ich offen gestehen. Von überall her hagelt es Einschläge, nicht einmal die gute Wirtschaftslage hilft, weil sie subjektiv vor allem als Inflation wahrgenommen wird. Ja, stimmt auch, aber dazu an anderer Stelle einmal, wie unsere Systeme sich selbst beschädigen. Ich denke jetzt wieder an die Demokratie. Die leidet unter solchen Zuständen und dem Dilemma der Demokraten, die sich wirklich einen Kopf um die Demokratie in ihrem Land machen, während die Rednecks, die Trump lieben, die Büchse auspacken, wenn ihnen etwas nicht passt und das weiße Haus von Washington besetzen. Dass sie sich den Siedlern im Westjordanland verbunden fühlen, ist für mich sonnenklar: religiös-fundamentalistisch, rassistisch und sich selbst eine Art Pioniermythos zuschreibend, der nachgerade lächerlich ist. In den USA hat das Militär nachgeholfen, um das Land von den Ureinwohnern zu „befreien“, im Westjordanland können sich die Siedler auf den Schutz der IDF verlassen.

Wir sind nun weit weg von dem Interview, aber liegt lag auch an den Fragen, wie wir gestellt haben.

Wir sind ganz dicht dran. Wir sind an Aspekten dran, die darin nicht verhandelt werden, die einfach weggelassen werden. Wie gesagt, ich verstehe das. Ich verstehe, dass der israelische Botschafter über das alles ganz sicher nicht diskutieren wird, weder mit Journalisten noch mit deutschen Politiker:innen. Letztlich  müsste man dann nämlich auch darüber reden, ob die BDS-Bewegung nicht ihre Punkte hat, die darauf hinaus will, Siedlerprodukte zu boykottieren.

Sie wird hierzulande als antisemitisch betrachtet.

Hierzulande gibt es auch eine rechte Presse, die sich die Israelfahne umhängt, um ihren Klassismus und Rassismus auf infame Weise salonfähig zu machen. Ich hätte mir dann, wenn diese Presse gegen soziale Proteste journalistisch Felde zieht, so sehr gewünscht, dass der Zentralrat sagt, wir als Juden lassen uns dafür nicht instrumentalisieren. Aber leider, leider gibt es die oben geschilderten Zusammenhänge. Verstehen im Sinne von kognitiv erfassen und bewerten und Verständnis im Sinne von Gutheißung sind da bei mir nicht immer deckungsgleich. Und für mich sind auch Juden mit deutschem Pass deutsche Staatsbürger. Das kommt natürlich auch daher, dass ich religiöse Identität niemals mit Volkszugehörigkeit gleichsetzen und über die Zugehörigkeit zur weltweit besten Staatsform, der vollständigen Demokratie, stellen würde. Das gilt für das auserwählte Volk genauso wie für die Umma und für alle anderen, die dafür sorgen, dass die Welt nicht friedlicher wird. Ideologie und Fanatismus. Und Profit. Wie man gerade wieder sieht. Kaufen Sie Aktion von Rüstungsschmieden, da liegen Sie im Trend.

Trotzdem bleibe die Hamas-Unterstützung undemokratisch, wenn wir uns schon so auf die Demokratie als überragendes Prinzip unserer Weltanschauung stellen.

Das streite ich auch nicht ab. Ganz und gar nicht. Da bin ich ja gerade äquidistant. Ihre Ideologie gehört für mich zu den Treibern von Unfrieden und Unfreiheit. Aber Ron Prosor sagt etwas, was ich noch kurz beleuchten möchte: Wir Demokraten in den freiheitlichen Demokratien dürfen das nicht unterstützen.

Ich glaube, ich habe oben genug ausgeführt, wie auch die Freiheit bei uns durch diese Konflikte unter Druck steht und wie man diese Konflikte zur Reduzierung der Freiheit verwenden kann. Kein anderes außenpolitisches Thema eignet sich dafür so gut wie der Nahostkonflikt, weil die Versuchung sehr groß ist,  Kritik an der aktuellen Handlungsweise der israelischen Regierung sofort als „Antiemitismus“ zu labeln. Von wegen kein Problem, es ist sehr wohl ein Problem, das zu kritisieren, das weiß auch der israelische Botschafter. Und er weiß auch, dass Israel immer dichter an die Grenze zu den nicht mehr als vollkommen frei angesehenen Ländern heranrückt, was gerade Menschen, die ebenjene freiheitliche Demokratie lieben und verteidigen wollen, die Solidarisierung zunehmend erschwert. Wir sehen doch in den Spiegel, manchmal jedenfalls. Da sehen wir, dass wir uns selbst ins Gefängnis begeben, wenn wir es gutheißen, dass andere in einem Gefängnis leben müssen. Wir meinen damit nicht einmal diesen Begriff „Freiluftgefängnis“ für den Gazastreifen, sondern die immer zahlreicheren Einschränkungen von bürgerlichen Freiheiten, die dazu führen, dass auch Israel, dass auch die USA, dass auch Europa, wenn auch derzeit noch höherem Freiheitsniveau, in Gefahr sind, die Freiheitlichkeit zu verlieren. Es sind keine chinesischen oder russischen Propagandisten, die uns diesen Spiegel vorhalten, sondern NGOen, die größtenteils in den USA beheimatet und sogar teilweise staats- oder / und „philanthropisch“ finanziert sind. Die im System verankert sind und es doch kritisieren.

Vielleicht wäre es an der Zeit für ein „Wir-Schluss-Statement“.

So möchten wir auch die vorliegende Kritik verstanden wissen: Als der Demokratie zugewandt, der Freiheit, den Menschenrechten für alle, jede andere Deutung lehnen wir ab. Deswegen denken wir zum Schluss noch einmal an die Opfer in den Jahren, als Deutschland keine Demokratie, sondern die gewaltsamste und totalste vorstellbare Diktatur war.

So weit sind wir noch lange nicht wieder, in keinem westlichen Staat. Aber es gibt genug Fehler, die schon gemacht wurden in den letzten Jahrzehnten, sie häufen sich zusehends, und wir wünschen uns inständig, dass endlich diese Radikalisierung auf allen Seiten gebremst wird. Sie bedingt sich gegenseitig, das ist so leicht zu erkennen, wenn man nicht Teil davon ist.

Für uns ist dieser Artikel deshalb auch ein Beitrag zum 8. Mai 1945, nicht nur zum Gedenktag des 6. Mai.

Wir haben gestern nichts zum Kriegsende geschrieben, das sich zum 79. Mal gejährt hat.

 Wir haben nicht den Eindruck, dass wir hier und heute Teil einer echten, dauerhaften, verantwortungsvoll von allen Seiten verwalteten Friedensordnung sind. Schon jetzt sind Demokratie und Freiheit in Bedrängnis und diese Tendenz wird sich immer weiter verstärken, je mehr gefährliche Lagen herbeigeführt werden.

Alle in Deutschland müssen mitmachen und auch die Konflikte hinter sich lassen, denen sie doch entkommen wollten, als sie hierherzogen. Protest muss friedlich sein, muss aber auch möglich sein. Nur dann wird sich Hass nicht immer weiter aufstauen, wenn er im Rahmen der FDGO und unter deren Berücksichtigung ausgedrückt werden darf. Dass sie von Protestierenden nicht berücksichtigt wird, muss sicher belegt werden, dann kann man Protest auch verbieten oder Personen herausgreifen, die sanktioniert werden können. Ein Generalverdacht hingegen ist nicht zulässig, weil er grundsätzlich undemokratisch und gruppenfeindlich ist, ebenso wie dies bei einem Kollektivstrafrecht der Fall wäre, das es in Deutschland niemals geben darf.

Dies vorausgesetzt und in der Realität der Demokratie des Grundgesetzes verankert, wollen wir immer wieder darauf hinweisen, dass jeder Staat das Recht hat, sich gegen einen Angriff wie den der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hin zu wehren. Die Hamas ist zwangläufig Verhandlungspartner in der Geiselfrage, aber bei einer langfristigen Ordnung des Friedens im Gazastreifen ist sie das nicht, weil sie dem Terrorismus nicht abschwört. Dagegen hilft nicht das Argument, dass sie die Agenda der Palästinenser wieder als Thema Nr. 1 oder 2 der Weltpolitik etabliert hat. Es liegt nah, es zu verwenden, aber es reicht nicht aus, um die Hamas-Methoden zu legitimieren.

Zu den Gründen, besonders zu den Vorgängen im Westjordanland, haben wir uns letztlich doch geäußert. Vermutlich hat das etwas mit einem speziellen Gerechtigkeitsgefühl zu tun, das sich gegen Verdrängung und Vertreibung in allen ihren Formen richtet. Es war ein wenig Kratzen an der Oberfläche, aber auch ein Interview wie jenes, auf das wir Bezug genommen haben, kann gar nicht in die Tiefe gehen. Das ist dem Format geschuldet und der Interessenlage.

Bezüglich der eingangs und auch im Interview erwähnten Proteste an Unis hierzulande (oder in den USA)  können wir nun mehr oder weniger auf den hier vorliegenden Artikel verweisen und die Kommentierung verkürzen.

TH

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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