Wer hat die besten Chancen beim ESC? | Kultur, Musik, ESC | MusicMania

MusicMania – Eurovision Song Contest

Ja, habt ihr denn über nichts Wichtigeres zu schreiben? Oh doch, hätten wir, und zwar haufenweise, man kann kaum drübersteigen. Aber das ist es eben: Einfach mal Abstand nehmen und ganz chillig und in Erwartung des morgigen abermaligen deutschen Desasters kurz über ein Thema schreiben, das angeblich kaum jemanden interessiert, aber es werden eben doch wieder viele zuschauen, wenn es wieder heißen wird: Germany zero points.

Infografik: Wer hat die besten Chancen beim ESC? | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

Alle Jahre wieder ESC. Am 11. Mai erreicht die 68. Ausgabe des Eurovision Song Contests ihren Höhepunkt. In diesem Jahr findet der Wettbewerb im schwedischen Malmö statt. Die Chancen auf einen Heimsieg sind allerdings sehr gering. Wie unsere Grafik zeigt, haben die Wettbüros Stand 06. Mai einen Favoriten auf den Sieg, auch wenn dieser im Vergleich zum Vorjahr weniger deutlich ist.

Mit einer Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent wird der Kroatische Sänger Baby Lasagna mit dem Beitrag „Rim Tim Tagi Dim“ dieses Jahr den ersten Platz belegen. Das Ergebnis basiert auf einer Auswertung der Durchschnittswettquoten von 17 durch das Portal eurovisionworld.com analysierten Wettportalen. Während Kroatiens Hoffnung auf eingängigen Elektro-Beats liegt, setzen die Schweiz (17 Prozent) und Ukraine (14 Prozent) auf Platz zwei und drei des Rankings auf Popsongs mit Sprechgesangs-Elementen. Das Teilnehmer:innenfeld wird bis zum Finale jedoch noch schrumpfen – in den beiden Halbfinals am 07. und 09. Mai wird entschieden welche der 31 Nationen unter den 26 Mitgliedern der Endrunde sind.

Obwohl die Unterschiede auf den ersten Blick drastisch wirken, lagen die Buchmacher:innen in der Vergangenheit nicht immer richtig. In den sieben Wettbewerben zwischen 2015 und 2023 erreichten drei Mal Teilnehmer:innen mit den zweit- oder dritthöchsten Gewinnwahrscheinlichkeitsquoten den ersten Platz. Deutschland konnte die Veranstaltung seit 1956 zwei Mal gewinnen, 1982 mit Nicoles Beitrag „Ein bisschen Frieden“ und 2010 mit Lena Meyer-Landruts „Satellite“.

Deutschland werden Sie unter den neun Ländern, deren Teilnehmer als favorisiert gelten, natürlich nicht finden. Es hat auch Qualitätsprobleme, natürlich. Die Art, wie in Deutschland ausgewählt wird und wen man hier ins Rennen schicken kann, das ist für ein im europäischen Vergleich doch ziemlich großes Land äußerst dürftig, mittlerweile. Es hat auch damit zu tun, dass Deutschland kaum eine eigene, national gefärbte Musikszene hat, die mainstreamig genug für einen solchen Wettbewerb wäre. Es gibt ganz guter Liedermacher:innen (-bands), aber irgendwie scheint diese Art von Musik nicht mit dem ESC synchronisierbar zu sein.

Ein weiteres Problem ist die Veränderung des Publikumsgeschmacks durch die vielen Neuzugänge beim ESC im Laufe der Jahre. Der Osten ist in vieler Hinsicht sehr kitschlastig, das hat jahrelang auch die Gesamtqualität des ESC negativ beeinflusst. Nun ja, die Zeiten, wo wenigstens Abba noch einen ESC gewonnen haben, damals hieß er noch anders, sind lange her. Bei Deutschland muss es exakt passen, wie 1982, als Art des Vortrags und Inhalt genau im Trend lagen, ein hoher NIedlichfaktor, wie 2010, kann ausnahmsweise auch mal helfen, reicht aber selten alleine aus, um zu gewinnen. Vom Gewinnen reden wir aber gar nicht. Und wir schreiben über etwas, was wir schon seit Jahren auslassen, während wir in Sachen Fußball die Konsequenz gezogen haben, was wir nicht schauen, auch nicht zu thematisieren. Was bedeutet, dass wir gar nicht mehr über Sport schreiben, sondern lieber mal selbst wieder ein bisschen mehr davon machen, obwohl beim „ersten Wahlberliner“ unsere Liveticker Highlights bezüglich der Zugriffszahlen waren. Das war aber auch medial noch eine etwas andere Zeit (2011 bis 2016) und vor allem gab es damals nur wenige Ticker dieser Art über Frauenfußball wie die WM 2011 im eigenen Land.

In Deutschland muss man sich aber auch besonders anstrengen, um beim ESC zu gewinnen, es ist halt auch ein Beliebtheitswettbewerb. Früher waren die Skandinavier im Vorteil, weil sie sich untereinander als Club verstanden (und noch verstehen) und sich gegenseitig meist hohe Punktezahlen gaben. Mittlerweile sind viele Länder in Mittelosteuropa ähnlich drauf, und es gibt mehr Staaten dort als in Skandinavien. Deutschland gehört keiner Gruppe an, hatte lange Zeit mit regelmäßigen Null-Punkte-Ergebnissen aus Österreich und Holland zu kämpfen, egal, wie gut der Beitrag war, und die anderen waren auch nur mäßig freundlich eingestellt.

Es ist, wie es ist, der ESC ist sehr subjektiv, und wir haben sicher irgendwo schon einmal geschrieben, ob es nicht sinnvoll wäre, nicht mehr teilzunehmen. Deutschland ist zwar einer der großen Zahler der Eurovision und seine Musiker:innen müssen deshalb, wie die einiger weiterer größerer Länder, nicht die Halbfinals bestreiten, aber dieser diskussionswürdige Startvortel nützt nichts, wenn man im Finale auf dem letzten Platz landet.

Selbst schuld, bis zu einem gewissen Grad, vielleicht überwiegend. Diese Blöcke kann man nicht durchbrechen, von denen wir geschrieben haben, aber wenn man bei den Votes aus vielen Ländern einigermaßen in der Mitte dabei ist, kann man auch beachtliche Ergebnisse erzielen. Und da kommt dann doch der Geschmack ins Spiel, die Qualität.

Aber auch die Tatsache, dass Deutschland in den letzten Jahren immer unbeliebter wird. Es geht von der Politik aus, die in den 1950ern bis 1970ern doch recht erfolgreich war, vieles von den Lasten der Vergangenheit mildern konnte, als Deutschland auch musikalisch geradezu als cool galt, genau auf dem Feld Schlager, das für den ESC wichtig war, und viele Stars aus anderen Ländern auch in Deutsch sangen, das ist längst die fernere Vergangenheit, manche der besonders erfolgreichen Hits kamen von ihnen. Es ging viel internationaler zu als heute, Westdeutschland hatte eine enorme Zugkraft. Dass heute fast nur noch in Englisch gesungen wird, suggeriert eine Weltläufigkeit, die deutsche Musik selten wirklich noch hat. Es hatte zwar in den ersten Jahrzehnten nie zum Sieg gereicht, auch, weil die Interpret:innen keine Ausländer mit deutschen Texten sein durften oder sollten, aber es waren beachtliche zweite und dritte Plätze zu vermerken. Ab den 1980ern riss die Verbindung zwischen hierzulande hitfähiger Musik, die auch hierzulande gemacht wird und ESC-Bestückung dann ganz ab.

Vielleicht müssten wir mal die hiesige Musikszene etwas mehr untersuchen und die Art, wie die ESC-Beiträge ausgewählt werden, um einen Systemfehler aufzudecken, aber das werden wir sicher nicht an dieser Stelle tun, denn wollten ja ein wenig chillen mit Doomsaying bezüglich der deutschen Präsenz am morgigen Abend, nicht nach den Gründen forschen. Wir wünschen allen viel Erfolg, die es auf jeden Fall besser machen werden.

TH

 

 

 

 

 


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