Briefing 527 PPP, Bildungspolitik, Bund und Länder, Zukunftsinvestitionen, Bildungsnotstand als Spiegel, Demokratie in Gefahr durch Bildungsmängel
Bildung tut not und ist in Not. Wie könnte man dies ändern? Ein Vorschlag, nicht gerade neu: Die Bildungspolitik mehr vereinheitlichen, indem der Bund Kompetenzen im Bildungsbereich erhält.
Civey-Umfrage: Soll Bildungspolitik Ländersache bleiben? – Civey
Begleittext aus dem Civey-Newsletter:
Die Bildungspolitik ist gegenwärtig Aufgabe der Länder. Als größte Vorteile dieses Systems gelten Bürgernähe und Wettbewerbsförderalismus. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) möchte die alleinige Zuständigkeit der Länder in der Bildung hingegen beenden. Sie schlug vor, dass der Bund unter anderem die Zuständigkeit für die Digitalisierung und die Erhebung der Leistungsergebnisse übernimmt.
Ein hypothetisches Bundes-Kultusministerium wäre für rund 45.000 Schulen in ganz Deutschland zuständig. Regionale Besonderheiten und Bedürfnisse könnten in einem solchen Ministerium wohl kaum berücksichtigt werden. Die vielfältigen Systeme der Bundesländer bieten das Potenzial, sich im Wettbewerb weiterzuentwickeln. Die Länder könnten von den Fehlern anderer lernen oder auch übernehmen, was gut läuft. Zuletzt wehrte Hessens Kultusminister, Achim Schwarz, Vorschläge des Bundes als „übergriffig“ ab.
Laut Stark-Watzinger sei es wichtig, genau zu wissen, „wo wir bei der Bildung der Kinder und Jugendlichen eigentlich stehen, damit gezielt nachgesteuert werden kann“. Zudem solle der Bund einheitliche Standards setzen. „In der heutigen Zeit versteht doch kein Mensch mehr, warum ein Umzug von einem in das andere Bundesland zur Herausforderung beim Schulwechsel wird“, sagte sie
Unser Kommentar:
Es gibt also schon eine Bundesbildungsministerin, trotz der Länderzuständigkeit. Gut, dass dies noch einmal herausgestellt wurde. Sie wäre dann auch die „Super-Kultusministerin“. Sie wagt gar nicht erst, alle Kompetenzen für den Bund zu fordern, sondern schlägt ein Mischsystem vor.
Aber die bisher Abstimmenden haben sich nicht foppen lassen, auch nicht von der Fragestellung, die kognitiv gegen die Neuerung ausgerichtet ist, nämlich: Soll die Bildung Ländersache bleiben? Sie wissen, was wir meinen. Man hätte auch schreiben können: Soll der Bund mehr Kompetenzen in der Bildungspolitik bekommen?
Ja, sollte er, haben wir, zusammen mit derzeit etwa 48 Prozent der Abstimmen geklickt. Also: Nein, die Länder sollten nicht die (ausschließliche) Kompetenz behalten.
Der deutschlandinterne Wettbewerb durch die Bundesländer mag ja eine gute Sache in der Theorie sein, aber seit es internationale Vergleichsstudien gibt, sollten wir uns doch besser an Ländern messen, die es offensichtlich weitaus besser machen als irgendein deutsches Bundesland. Die Zerstückelung ist auch angesichts der europäischen Integration viel zu kleinteilig, denn der Zeitpunkt wird kommen, da sich auch die EU in die Bildung verstärkt einmischen wird. Da ergibt es keinen Sinn, auf natioinaler Ebene umzusetzendes EU-Recht wieder auf seine Vereinbarkeit mit den Regelungen in den einzelnen deutschen Bundesländern zu überprüfen. Seltsam, dass uns dieser Aspekt zuerst eingefallen ist, es mag an den kommenden Europawahlen liegen.
Denn viel schlimmer finden wir, dass der Wettbewerb innerhalb Deutschlands in den letzten Jahrzehnten sich als absolut untauglich in Sachen Qualitätssteigerung erwiesen hat. Es ist kein Best Practice entstanden sondern eine Spirale nach unten. Mangelnde Ausstattung, fehlende Lehrkräfte und eine Ideologisierung der Lehrer:innen-Interessenvertretungen, vor allem der GEW, die sich die Kleinteiligkeit zunutze gemacht hat, indem sie in vorgeblich progressiven Bundesländern gezielt auf eine Leistungsminderung der Schüler:innen hinarbeitet, haben es vermasselt. Das Ding mit dem Wettbewerb unter den Ländern.
Schon zu unseren Zeiten war alles ungleich. Wer sich um eine Uniplatz beworben hat, dem hat die ZVS einen Malus oder Bonus verpasst, wenn er aus diesem oder jenem Bundesland kam, weil die Abiturnoten als solche den Wettbewerb verzerrt hatten. Um es klar auszudrücken: Es war schon damals viel leichter, in Berlin oder Hessen ein Einser-Abi zu machen als im Süden und Südwesten.
Schon damals hätte man gerne eingreifen können, denn zumindest das Gesamtniveau war noch einigermaßen auskömmlich und man wäre gezwungen gewesen, die Leistungssysteme in bestimmten Bundesländern zu überprüfen. Vielleicht wäre nicht das Beste gerade gut genug gewesen, aber das Schlechteste hätte man verbessern können.
Uns ist vollkommen klar, dass es selbst mit der kompletten Beseitigung des bildungspolitischen Flickenteppichs lange nicht getan wäre. Die Vernachlässigung der Schul-Infrastruktur wäre damit nicht behoben, die Mittelmäßigkeit deutscher Unis würde nicht über Nacht verschwinden, zumal es in dem Bereich bereits mehr Bundeszuständigkeiten gibt und Abschlüsse wenigstens formal, auf den ersten Blick, als gleichwertig gelten. Es kommt trotzdem auch darauf an, wo man studiert hat, das hat der nivellierende Bologna-Prozess nicht vollkommen beseitigen können. Er hat bloß auch an den Unis das Niveau verdorben und aus denkenden Student:innen konfektioniertes „Humankapital“ gemacht.
Die Bildung ist ein Spiegel des Landes und der Zustand des Landes spiegelt sich in der Bildung. Was natürlich eine FDP-Ministerin nicht in den Vordergrund stellt: Allein für die Wiederrichtung eines erstklassigen Bildungssystems müsste vor allem die Schuldenbremse aufgehoben werden. Das wäre wichtiger als eine geänderte Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Ansonsten bekommen weiterhin nur noch ein paar Privilegierte wirklich gute Bildung, genau, wie die FDP es gerne sieht. Es ist bodenlos, wie schon mit Kindern und jungen Menschen auf diese Weise Klassismus betrieben und die Ungleichheit gefördert wird.
Das Bildungssystem ist eine Waffe zur Verstärkung des Auseinanderdriftens der Gesellschaft geworden, wo es doch genau das Gegenteil sein sollte: Alle lernen unter gleichen, guten Voraussetzungen und werden zusätzlich dort individuell gefördert, wo ein Talent sichtbar wird oder wo Schwächen doch besser behoben werden sollten, als dass man sich nur auf die Stärken konzentriert. Es ist nicht so, dass man in Deutschland keine gute Bildung bekäme, aber sie ist so teuer, dass sie mindestens drei Viertel der Gesellschaft von der Teilhabe daran ausschließt. Unterhalb der Privilegiertenschicht, die auf Inklusion und immer größere Lernhemmnisse aufgrund fehlender Grundvoraussetzungen bei immer mehr Schüler:innen pfeifen kann, sieht es genau deshalb immer schlechter aus. Wir können verstehen, dass alle, die genug Geld zusammenkratzen können, ihre Kinder dem, was heute unter staatlicher Schule verstanden wird, nicht aussetzen wollen. Es bleibt trotzdem eine Fehlstellung im System oder gerade deswegen.
Dies ist das Werk von nachlässigen oder gezielt neoliberal-klassistisch agierenden Bundesregierungen seit Jahrzehnten. Der Bildungsaufstieg vieler Menschen mit einfacher Herkunft in den 1970ern ist Geschichte, gute Bildung ist auch Geldsache und wird demgemäß wieder tradiert. Und zwar nicht im unteren und mittleren Mittelstand, schon gar nicht in einfachen Verhältnissen, sondern ganz oben, wo es egal ist, was Bildung kosten darf. Das beginnt schon mit den sehr unterschiedlich aufgestellten Kitas, setzt sich vor allem in der Sekundarstufe fort und selbstverständlich gibt es auch bei den Unis große Unterschiede. In manchen Bereichen sind die Privaten im Grunde deshalb besser, weil sie dem Gesamtsystem die benötigten Mittel entziehen, die allen zugutekommen müssten, nicht nur den wenigen, die mit dem goldenen Löffel geboren wurden.
Ausgerechnet einer FDP-Ministerin mehr Kompetenzen in die Hand zu geben, könnte ein trojanisches Pferd sein, aber grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass die Effizienz des Bildungssystems auch durch Vereinheitlichung verbessert werden könnte. Mehr Vergleichbarkeit ermöglicht gezieltere Eingriffe dort, wo Schwachstellen identifiziert werden.
Die Bildung in dem Zustand, in dem sie in Deutschland derzeit ist, ist eine Gefahr für die Demokratie, denn sie fördert nicht Inklusion, sondern Ungleichheit. Sie verstellt Menschen den Weg zum analytischen Denken und zum Verständnis komplexer Zusammenhänge, das ganz wichtig für die Funktion einer Staatsform ist, die differenziertes Denken, Abstraktionsvermögen und vor allem politische Bildung voraussetzt. Damit sich die Demokratie ihrer vielen Feinde erwehren kann, müssen Demokrat:innen für diese Demokratie ausgebildet werden. Der Einschnitt an den Unis war seit unserer Zeit besonders hart, exekutiert wurde ein mehr als fragwürdige Paradigmenwechsel, während das System Schule einen schleichenden Niedergang erlebte, der mittlerweile zu lauten Misstönen in der Gesellschaft führt.
Die Gründe sind vielfältig, auf jeder Ebene anders gelagert, nichts ist irreversibel, denn zum Glück kommen immer wieder junge Menschen nach, mit denen man die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen muss.
Investitionen in die Bildung sind Investitionen in die Zukunft. Bisher sieht es aber nicht so aus, als ob man diese Erkenntnis in eine Handlungsmaxime umsetzen will. Diese Erkenntnis kommt nicht in der Politik an und kann der Basis somit nicht helfen. Die Erkenntnis allein wird die vielen Menschen nicht zufriedenstellen, die sich als Praktiker:innen an der Bildungsfront mit den alltäglichen Mängeln herumschlagen. Es ist wie in der Ukraine, es wird einfach nicht genug Munition geliefert, um das totale Bildungsversagen abwehren zu können. Ein diskutables Bild, das selbst die rüstungslobbyfreudige FDP verstehen sollte. Apropos, weil wir die Neoliberalen mehrfach markiert haben. Diese Partei wagt es tatsächlich, im Europawahlkampf mit dem Thema Bildung zu plakatieren, obwohl sie in der Ampelregierung alle Zukunftsinvestitionen blockieren möchte.
Sehen Sie, um diese Frechheit als das, was sie ist, zu identifizieren, braucht es was? Sie ahnen es, denn wer uns liest, der hat es.
TH
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