Todesangst – Tatort 413 #Crimetime 1215 #Tatort #Dresden #Ehrlicher #Kain #MDR #Todesangst

Crimetime 1215 – Titelfoto © MDR

Gelber Penis mit schwarzen Punkten

Todesangst ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort der ARD, des ORF und SRF. Der Film wurde vom MDR unter der Regie von Miko Zeuschner produziert und am 23. Mai 1999 erstmals ausgestrahlt. Es handelt sich um die Tatort-Folge 413. Für den Kriminalhauptkommissar Bruno Ehrlicher und seinen Kollegen Kain ist es der 19. Fall, in dem sie in Dresden ermitteln.

Eines kann man von „Todesangst“ nicht sagen – dass zu wenig geboten wird. Selbst für heutige Verhältnisse ist dieser Ehrlicher-Tatort flott gefilmt und sehr wendungsreich, und wie ragt er aus den sonstigen, eher gemächlichen Filmen des langjährigen Sachsen-Teams heraus! Okay. Das ist das eine. Und was ist das andere? Es steht in der Rezension.

Handlung

Die zehnjährige Lina wohnt mit ihrer Mutter seit einigen Monaten bei Tommi, dem Sohn von Hauptkommissar Ehrlicher. Nach dem gemeinsamen Besuch einer Schwimmhalle wird das Mädchen vor Bruno Ehrlichers Augen entführt.

Ehrlicher fühlt sich schuldig und gerät unter enormen Druck. Auf mißtrauisches Unverständnis bei der Kommissarin Steiner, die in diesem Entführungsfall die Ermittlungen leitet, stößt der Umstand, daß Ehrlicher kaum brauchbare Hinweise zum Hergang der Tat und nur ungenaue Angaben zum Äußeren des Täters machen kann. Es gibt keine anderen Zeugen für Linas Verschwinden.

Trotz der Hilfe durch Kain kommt Ehrlicher mit seinen eigenen, von den Vorgesetzten nicht gewünschten Ermittlungen nicht voran. Als er eines Abends heimkommt, durchsucht die Polizei gerade das Haus, in dem Linas Mutter, Tommi und Bruno Ehrlicher leben. Kommissarin Steiner findet eine Zeichnung von Lina, die ihrer Meinung nach auf Kindesmißbrauch hindeutet. Für sie gehört auch Ehrlicher zum Kreis der Verdächtigen. Der tatsächliche Entführer, der sich nach Jahren für eine falsche Anschuldigung rächen will, die seine Existenz ruiniert hat und für die er Ehrlicher verantwortlich macht, produziert inzwischen neue Indizien, die den Kommissar belasten.

Ein blutverschmiertes Handtuch Linas wird in dem Wagen, den Ehrlicher zur Tatzeit gefahren hatte, gefunden. Ein Presseartikel, der auf anonymen Hinweisen basiert, diskreditiert ihn öffentlich. Ehrlicher wird vom Dienst suspendiert und unter Bewachung gestellt. Ihm und Kain bleiben nur noch wenige Stunden, um das Leben der kleinen Lina zu retten. 

Rezension

Das andere ist ein Plot, der nicht nur Fragen aufwirft, sondern auch heikel ist, wenn man ihn nach mehr als 15 Jahren betrachtet. Das Drehbuch lässt hübsche Einblicke in die Seele von Filmemachern zu, die offenbar mit dem Thema Frauen und Sexualität ein Problem haben. Grundlage ist natürlich das Drehbuch, und man soll nicht zu sehr von einer Handlung auf deren Verfasser schließen. Nicht allein jedenfalls, denn der MDR hat das Buch ja angenommen. Und wir finden es richtig, dass der Sender die Ehrlicher-Traditionspflege nicht zu selektiv betreibt, wie wir es etwa beim NDR jetzt erleben, wo zu unserer Enttäuschung genau die Stoever-Tatorte wieder gesendet werden, die wir schon kennen – nicht aber die ca. 20, die beim letzten Durchgang seit 2011-2012 nicht ausgestrahlt wurden.

Vielleicht ist es aber ganz anders und der MDR hält den Film, wie auch viele Tatort-Fans, für einen der besten seiner Ära. Ja, spannend ist er, obwohl in dem Moment, als seine Finger knackten, der Aushilfspianist für uns stark in den Fokus rückte. Solch ein Merkmal zu inszenieren und dessen Träger dann nicht auch zum Täter zu machen, wäre eine böse, böse Verarschung des Publikums. Aber auch so hat man den Eindruck, der Film ist stellenweise nicht ernst gemeint. Grundsätzlich kein Problem, etwa bei handfesten Räuberpistolen, aber nicht beim Thema Kindesentführung, da sollte der Ton  seriös klingen.

Auf der Habenseite steht gewiss Peter Sodanns Spiel als Bruno Ehrlicher. Eine seiner besten Leistungen in über 40 Tatorten, keine Frage. Wie er raunzt, poltert, sich engagiert, zornig ist und in Angst gerät, das erfordert eine Menge Einsatz für eine Rolle, die hier recht zweifelhaft angelegt ist. Wie eben so vieles. Zum Beispiel, dass Ehrlicher tatsächlich auf der Straße noch komplett arglos ein Kind anspricht, als er schon im Verdacht steht, pädophil zu sein und einen dienstlichen Schatten mit sich herumschleppt, das ist mehr als naiv, damit verdient er sich den Verdacht nachträglich. Aber auch mit Ehrlicher im Schwimmbad mit Lina haben wir ein Problem – muss das Kind unbedingt nackt gezeigt werden, wenn auch nur für eine oder zwei Sekunden?

Und wie kommt das Nacktbild dann in die Zeitung? So etwas darf eine Zeitung niemals ohne Balken drüber drucken, wenn überhaupt. Man hat hier manchmal das Gefühl, wir sind nicht im Jahr 1999, sondern irgendwo in den 1970ern, als in der DDR Sexualität anscheinend so freizügig gehandhabt wurde, dass man sich offenbar bei gar nichts mehr etwas dachte. Oder hat sich in den letzten 15 Jahren in der Wahrnehmung so viel verändert, durch die ständigen Pädophilie-Schlagzeilen? Außerdem wird das Thema verballhornt, durch die  Zeichnung mit dem Riesen-Penis, der in Wirklichkeit der Schlüssel ist, den der OB von Dresden an den verdienten Kommissar überreicht hat.

In diesem Zusammenhang: Wie kommt die Zeichnung von dem Polizisten mit dem fragwürdigen Element vor der Brust ins Zimmer des Mädchens? Ebenso, wie die Puppe daraus verschwindet? Beides nicht nachvollziehbar, unlogisch und legt eine komplett falsche Spur, in diesem Fall auf dem Publikum gegenüber wenig respektvolle Weise. Die einzige schlüssige Erklärung ist nämlich, dass die Mutter mit im Spiel ist und Ehrlicher irgendwas will, obwohl er sich so rührend-naiv um Lina kümmert. Klar, dass diese Zeichnung auch direkt entdeckt wird von der streitbaren Ehrlicher-Kollegin, und gegen ihn verwendet. Dann hätte der Kinderpsychologin aber auch auffallen dürfen, dass der Malstil dieses Elements von dem der übrigen Zeichnung abweicht, denn es stammt vom Entführer. Und was wollte der damit? Sollte es nun ein Penis sein oder nicht? Und wenn das so vage ist, was nützt es beim Rachefeldzug? Fragen über Fragen, die leider im Kern des Falls angesiedelt sind und deren Nicht-Beantwortung der Qualität des Plots schadet.

Ein weitere Punkt, und den sehen wir durchaus im Zusammenhang mit der Pädophilie-Behandlung, ist der Blick auf Frauen, den der Film vermittelt, und damit – ja, auch auf Kinder weiblichen Geschlechts. Okay, es gibt genauso böse Frauen wie böse Männer, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass das Böse existiert, aber hier wird schon ziemlich zugehauen. Man ist am Ende komplett gegen die leitende Ermittlerin im Entführungsfall eingestellt, weil sie Ehrlicher dermaßen zusetzt – dabei verursacht er bei genauer Betrachtung das Problem mit, weil er anfangs so unkooperativ ist und stellenweise unbedarft wirkt. Und die als Anti-Argument gemeinte Vermutung seines Vorgesetzten, Ehrlicher könne sich wohl einer Frau nicht unterordnen, ist durchaus nicht an den Haaren herbeigezogen. Natürlich hat er es als traditioneller Typ schwer, sich einer Frau unterzuordnen, das sieht man deutlich. Abgeschwächt vielleicht dadurch, dass er mit Hierarchien, wie fast alle Tatort-Cops, Probleme hat. So toll Sodann seine Rolle spielt, so ungeschickt verhält sich Ehrlicher zeitweise und gießt damit Öl ins Feuer.

Was nichts an der äußerst unsympathischen Darstellung der Kollegin ändert, die zur Emotionalisierung kontra beitragen soll, denn sie ist nicht differenziert, wie der Kommissar, sondern ein Stereotyp für diesen Typ, der mit äußerster Gefühlskälte auf dem Weg ist, Männerdomänen zu erobern, in denen es bisher so warm und kumpelhaft zuging. Diese Ironie drängt sich auf, wenn man den Subtext identifiziert.

Wunderbar gedoppelt wird das durch Linas Mutter, die sich mit ihrem Ex-Mann vergnügt, während Ehrlichers Sohn der Gehörnte ist. Dann setzen sich die beiden auch noch zusammen und philosophieren über falsche Frauen. Auweia! Sex als Instrument zum Angst abreagieren ist übrigens nicht undenkbar, aber dann natürlich mit dem aktuellen Partner, nicht mit dem Ex, nur, weil der vor vielen Jahren das Kind gezeugt hat. Oder soll man das psychologisch doch durchgehen lassen? Sicher sind wir nicht, aber so, wie das hier gezeigt wird und Ehrlicher dieses Ex-Pärchen in Flagranti ertappt, die Frau dann bald wieder mit dem Koffer beim Sohn vor der Tür steht und von dem guten Tommy Vertrauen für die Zukunft einfordert, das ist eine der übelsten Manipulationen gegen Frauen, die wir bisher gesehen haben, auch deswegen, weil sie so roh gefilmt ist, so offensichtlich spekulativ. Wir haben nur gedacht: Tommy, selbst schuld. Entweder man will die Frau wirklich zurückhaben, um jeden Preis, oder man weist zumindest vorerst die Tür, aber man gibt nicht nach, weil man das größte Weichei östlich der früheren Zonengrenze ist und stellt die Frauen damit als emotionale Ausnutzer hin.

Da loben wir uns doch den Kain, obwohl auch seine Persönlichkeit hier bis an die Schmerzgrenze ausgewalzt wird – nämlich die des guten Kollegen und Freundes, der, egal, was passiert, loyal zu seinem Chef steht. Auch da wieder: Wie die Frau Kollegin versucht, Kain gegen Ehrlicher auszuspielen, gruselig. Und wie er so fest bleibt – da hätten wir ihn knuddeln können. Wenn man so jemanden in der realen Arbeitswelt trifft, muss man ihn einfangen und so einschließen, dass er atmen und sich bewegen, aber niemals mehr entkommen kann. Denn es ist ein Unterschied, ob man mit Kollegen gut auskommt und ihnen gewogen ist, oder ob man die eigene Karriere tatsächlich für sie aufs Spiel setzt. Dieser Osten! Was es da für Menschen gab, die natürlich in der DDR sozialisiert wurden.

Aber Vorsicht, Bumerang: Auch die Frauen stammen von dort und die Stasi-Spitzel. Auch ein guter Gag: Dass der Polizist, der zum Infotheken-Beamten degradiert wurde, das wirkliche Ziel des Entführers ist, Ehrlicher aber mal locker einwirft, die Spitzelei sei gar nicht bewiesen. So was durfte man 1999 ungestraft filmen, dass ein Polizist auf einen reinen Verdacht hin aussortiert wird – und damit die nächste Diskriminierung: nämlich gegen die Stasi-Aufbereitung und damit gegen die massivste Rechtsstaatsverletzung seit dem Ende der Nazi-Diktatur. Das Blöde ist, wir glauben, dass Peter Sodann diesen Satz nicht mit Überzeugung gesprochen haben kann. Er ist zwar ein Linker, aber sicher gemäß eigener  Biografie kein Stasi-Freund. hätte er sich gegen diesen Satz verwahren müssen, als MDR-Zugpferd? Vielleicht ist da aber wirklich eine gute Portion Naivität im Spiel, denn es gehört sich ja nicht, alle einfach zu verdächtigen.

In diesem Themenbereich findet sich ein weiteres Plot-Problem: Warum zum Henker hat der wirklich zuständige Polizist ein wichtiges Dokument mit Ehrlichers Namen unterzeichnet? Wem die Erklärung, im Wendechaos sei das ja alles nicht so genau genommen worden, genügt, der ist selbst schuld, wenn er von Leuten hochgenommen wird, die ihre Haltung schon dadurch erkennen lassen, dass andere als so schrecklich unterkomplex, aber gut und wieder andere als stereotyp bösartig dargestellt werden, wo etwas mehr Ausgewogenheit zugunsten des Themas und eines glaubwürdigen Plots angesagt gewesen wäre.

Finale

Auch die Schlussszene und die gesamte Motivation hängen damit mehr oder weniger in der Luft, denn Rache für eine frühere Inhaftierung, die sich als Justizirrtum herausgestellt hat, in Form einer Kindesentführung, ist schon ziemlich krude, und außerdem gab es kein Duell zwischen Tatverdächtigem und Polizist vor der Verhaftung, sondern lediglich eine Unterschrift als Indiz, wer überhaupt damals zuständig war. Das heißt auch, der damals Tatverdächtige hatte gar keine persönliche Beziehung zum Emittler, wusste nicht einmal, wer gegen ihn ermittelt hatte und kannte die Person nicht von Angesicht zu Angesicht.

Auf einem so vagen Gegner ein solches Rachemotiv zu projezieren? Psychologische Glaubwürdigkeit ist, wie aufmerksame Leser im Verlauf der Rezension gewiss bemerkt haben, nicht das Panier des Tatorts 413. Kein Wunder, bei den Typen in Dresden, dass Ehrlicher und Kain sich nach Leipzig vertschüsst haben. Und auch kein Wunder, dass das Tatort-Format beim Millenniumswechsel in der Krise war: nur 4,94 Millionen Zuschauer sahen „Todesangst“ bei der Erstausstrahlung, trotz des reißerischen Titels. Heute ist, auch bei den MDR-Tatorten, beinahe das Doppelte üblich.

5,5/10

© 2024, Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Miko Zeuschner
Drehbuch Peter Probst
Produktion Jan Kruse
Musik Jonas Schoen
Kamera Frank Küpper
Schnitt Margrit Schulz
Premiere 23. Mai 1999 auf Das Erste
Besetzung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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