Filmfest 1094 Cinema
The Hours – Von Ewigkeit zu Ewigkeit von Stephen Daldry ist die Verfilmung aus dem Jahr 2002 des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Romans Die Stunden (Originaltitel: The Hours) von Michael Cunningham.
Es gibt sicher Momente, in denen „The Hours“ sicher keinen Beitrag zur seelischen Erholung darstellt, denn immerhin werden zwei Konflikte durch Selbstmord aufgelöst. 1941 bringt sich Virginia Woolf in einem Fluss in Sussex um, 2001 lässt sich ein unheilbar kranker Mann vom Fensterbrett einer Hochhauswohnung in die Tiefe kippen. Im Jahr 1951 hält eine Hausfrau die häusliche Enge nicht mehr aus und – fährt in ein Hotel, um Selbstmord zu begehen. Doch sie bringt es nicht über sich, kehrt nach Hause zurück und wir erfahren erst durch die Verknüpfung mit der in 2001 spielenden Handlung, dass sie ihre Familie bald nach dieser Szene verlassen hat. Sie kommt mit der weiblichen Hauptperson aus der Jetztzeit-Episode zusammen und es stellt sich heraus, dass sie die Mutter des gerade in den Freitod gegangenen Mannes ist. Die weibliche Hauptperson der Jetztzeit-Episode sieht sich in dieser Frau gespiegelt und denkt neu über ihr Leben nach, das ihr zu banal erschien – und weiß fortan die „Stunden“ zu schätzen. Die Stunden des Glücks, die das Glück so wertvoll machen, weil es sich nur in diesen seltenen Stunden in seiner Vollkommenheit zeigt. Mehr lesen Sie in der Rezension.
Handlung (1)
Der Film verfolgt das Schicksal dreier Frauen aus verschiedenen Generationen, deren Leben mit Virginia Woolfs Roman Mrs. Dalloway in Bezug stehen. Er verfolgt die Leben der drei Protagonistinnen jeweils einen Tag von morgens bis abends. So spielt der Film in drei Zeitebenen: 1923, 1951 und in der Gegenwart. Er bedient sich des filmischen Mittels der Parallelmontage. Die Zeitebene 1923 erzählt die Geschichte von Virginia Woolf, die mit ihrem Schriftstellergatten Leonard Woolf in der englischen Provinz lebt. Umsorgt von ihrer Familie und dem Arzt beginnt sie den Roman Mrs. Dalloway. 1951 bereitet Laura Brown mit ihrem kleinen Sohn den Geburtstag ihres Ehemanns Dan vor und liest ebendiesen Roman, der sie stark beeinflusst. In der Gegenwart bereitet Clarissa Vaughan eine Preisverleihungsparty für ihren an AIDS erkrankten Freund Richard Brown vor. The Hours kann damit als eine moderne Version von Mrs. Dalloway angesehen werden. Vom Verfasser zum Leser, bis hin zur lebenden heutigen Version von Mrs. Dalloway: Clarissas Leben ist so sehr verbunden mit der Romanfigur Mrs. Dalloway, dass es erscheint, sie sei Mrs. Dalloway.
Rezension
Es gibt Momente, in denen „The Hours“ sicher keinen Beitrag zur seelischen Erholung darstellt, denn immerhin werden zwei Konflikte durch Selbstmord aufgelöst. 1941 bringt sich Virginia Woolf in einem Fluss in Sussex um, 2001 lässt sich ein unheilbar kranker Mann vom Fensterbrett einer Hochhauswohnung in die Tiefe kippen. Im Jahr 1951 hält eine Hausfrau die häusliche Enge nicht mehr aus und – fährt in ein Hotel, um Selbstmord zu begehen. Doch sie bringt es nicht über sich, kehrt nach Hause zurück und wir erfahren erst durch die Verknüpfung mit der in 2001 spielenden Handlung, dass sie ihre Familie bald nach dieser Szene verlassen hat. Sie kommt mit der weiblichen Hauptperson aus der Jetztzeit-Episode zusammen und es stellt sich heraus, dass sie die Mutter des gerade in den Freitod gegangenen Mannes ist. Die weibliche Hauptperson der Jetztzeit-Episode sieht sich in dieser Frau gespiegelt und denkt neu über ihr Leben nach, das ihr zu banal erschien – und weiß fortan die „Stunden“ zu schätzen. Die Stunden des Glücks, die das Glück so wertvoll machen, weil es sich nur in diesen seltenen Stunden in seiner Vollkommenheit zeigt.
Glücksucher werden mit diesem Film möglicherweise ebenso wenig glücklich werden wie jene, die sich bescheiden und das Leben leben, das sie gewählt haben, wenn sie es immer wieder als so beengend empfinden, dass alles in ihnen nach Ausbruch schreit. Der Film ist aber nicht neutral zwischen diesen Situationen und den Positionen, die man in ihnen einnehmen kann. Letztlich ist er bei aller Traurigkeit und Schwermut, die den Zuschauer fast zwei Stunden lang begleitet, ein Film, der es nahelegt, sich die Stunden des Glücks genau anzuschauen, die man hatte, sie zu erkennen und zu erwarten, dass es weitere geben wird. Der historischen Persönlichkeit und berühmten Schriftstellerin Virginia Woolf, einer der drei leitenden Frauenfiguren des Films – die beiden übrigen sind fiktional – war eine solche Betrachtung des Glücks, die erst durch eine Relativierung der Ansprüche an das Glück möglich wird, allerdings nicht vergönnt, in erster Linie wohl deshalb, weil sie seit ihrer Jugend an Depressionen litt. Es war nicht die mangelnde Erkenntnis bezüglich der Stunden, die sie letztlich freiwillig aus dem Leben scheiden ließ, sondern die dunkle Zeit, die sich immer wieder zwischen Woolf und ihre Stunden des Glücks schob und sie konnte aus diesen Stunden nicht immer neue Kraft für das weitere Leben mit den inneren und möglicherweise auch äußeren Einschränkungen ihres Daseins gewinnen.
Auch der Zeitkontext spielt eine nicht unerhebliche Rolle. In den frühen 1920ern war die Gesellschaft noch nicht bereit, die Befreiung von Frauen aus ihren Rollen zu dulden, auch wenn sich seit dem Ende des viktorianischen Zeitalters viel bewegt hatte. Auch wenn gerade in den intellektuellen Kreisen, in denen sich Virginia Woolf bewegte, einiges mehr ging als im Kleinbürgertum – so hat ihr die vermutliche gleichgeschlechtliche Beziehung zu einer Frau namens Vita Sackville-West, die in den 1920ern in Woolfs Leben trat, nicht bezüglich ihres literarischen Renommees oder als Person wesentlich geschadet.
Am meisten hat uns aber die Episode „1951“ berührt. In Michael Cunninghams Roman „The Hours“ wurde dieses Jahr sicher sehr bewusst gewählt, um das amerikanische Kleinstadtleben vorzuführen. Die aufregenden, für Frauen sehr befreienden Kriegsjahre waren vorbei, die Restitution komplett abgeschlossen. Die frühen 1950er sind die wohl konservativste Zeit im Amerika des 20. Jahrhunderts gewesen, geprägt von sich mehrendem Wohlstand, aber auch von einer Hinwendung zu traditionellen Werten, die es in dieser massiven und alles umfassenden Form zuvor nie gegeben hat. Passend dazu wechselte das Präsidentenamt von den Demokraten zu den Republikanern (1952, durch die Wahl Dwight D. Eisenhowers). In dieser Kleinstadtidylle und mit einem einfachen Mann an der Seite, der nichts von Mrs. Dalloway in seiner Frau Laura erkennt, kommt es zum Kuss mit einer anderen Frau, vom eigenen Sohn hoch erstaunt beobachtet. Da wir diese Zeit aus unzähligen Filmen aus dieser Zeit und über sie so gut zu kennen glauben, ist erstaunlich, wie die braungoldene Idylle sich hier zu einem reduzierten Leben verdichtet, in dem es keine wirkliche Freude zu geben scheint. Richard, der Junge von Laura, wird als stilles, aber intelligentes und etwas altkluges Kind gezeichnet, während der Mann ein Kriegsheimkehrer ist, der seine Frau sehr schätzt, aber ihre Sehnsüchte nicht verstehen kann. Zudem wirkt sie fremd in ihrer Umgebung, da sie als Hausfrau nicht besonders patent erscheint. All dieses pralle, an Menschen und sozialer Einbindung reiche, manchmal etwas laute Leben, das uns selbst ernsthafte und diesem Leben gegenüber kritische Filme bieten, die in jenen Jahren entstanden sind, verschwindet hinter einer entmutigenden Stille, die unter anderem das wirkliche, manchmal etwas laute Leben in der Großstadt zum Beispiel wieder in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Ein solches Leben hat aber Clarissa, wie immer souverän gespielt von Meryl Streep, die dritte Frauenfigur. Ein Geburtstag ist kein Einakter für drei Personen, sondern ein Event mit einer Tischordnung, die man sich erst einmal aufmalen muss, und dazu geht es um einen Mann, der eine wirkliche Herausforderung darstellt, der schwierige Romane schreibt und eine schwierige Krankheit nicht bewältigen kann. Neben den vom Leben gezeichneten Künstlern der Welt wirkt Clarissas Dasein, von Richard als Mrs. Dalloway bezeichnet, in dem Moment, in dem der Zuschauer Einsicht nehmen darf, banal und an Alltagsdingen orientiert – und an einem Mann, der die Aufopferung, die Clarissa ihm entgegenbringt, nicht mehr ertragen kann. Über den Umweg von „The Hours“ wird Clarissa auch zu Beginn so gezeigt wie Mrs. Dalloway im Roman von Virginia Woolf: Blumen kaufend.
Dennoch profitiert Clarissa erkennbar davon, dass die Zeiten sich geändert haben – ihre gleichgeschlechtliche Beziehung ist kein Thema mehr und Richard ist eher ein Gespenst der Vergangenheit, das sie immer wieder aufsucht, um die Vergangenheit zu beschwören, die niemals wiederkehren kann. Am Ende ist es Richard selbst, der sie auch davon befreit, sodass sie sich dem Heute zuwenden kann – die Begegnung mit Richards Mutter fügt aber erst alles zusammen, was sich zu „den Stunden“ sagen lässt.
Finale
Dass uns gerade jenes der drei Frauenschicksale am meisten berührt hat, dessen Leben unserem eigenen am wenigsten nahekommt, ist sicher auch der Klarheit und Intensität zu verdanken, der Reduktion, die in dieser Episode große emotionale Kraft gewinnt. Julianne Moore verkörpert Laura mi einer leisen Intensität, die es möglich macht, jedes Detail der menschlichen Interaktionen wahrzunehmen, das in dieser zeitlich mittleren Episode stattfindet. Nicole Kidman als Virginia Woolf haben wir optisch erst im Verlauf des Films identifiziert. Für die Darstellung der großen englischen Schriftstellerin wurde sie mit dem Oscar geehrt, obwohl sie nur eine von drei etwa gleich umfangreichen Frauenrollen spielt, und sie wirkt tatsächlich sehr besonders, ungewöhnlich und neben allen Mustern stehend, die wir als gängig oder als das Gegenteil davon einordnen würden. Hier überwog, trotz eines Selbstmordes, der immer erschütternd ist, die Faszination für die Figur die Möglichkeit der Identifikation. Meryl Streeps Rolle ist vielen anderen, die sie gespielt hat, zu ähnlich, um sie besonders hervorheben zu können und ihre Clarissa und ihr Umfeld wirken am meisten von den drei Szenarien konzeptionell angelegt – nicht etwa prototypisch, dafür steht eher die Episode „1951“ als ein typisches Schicksal jener Jahre, in denen dieses Typische sich hinter Family Values besonders gut versteckte.
81/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)
(1),kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Stephen Daldry |
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| Drehbuch | David Hare |
| Produktion | Robert Fox, Scott Rudin |
| Musik | Philip Glass, Richard Strauss |
| Kamera | Seamus McGarvey |
| Schnitt | Peter Boyle |
| Besetzung | |
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