Einsparungen bei Entwicklungshilfe zugunsten der Bundeswehr? | Briefing 541 | Geopolitik, PPP Politik, Personen, Parteien, Gesellschaft

Briefing 541 Geopolitik, PPP, Entwicklungshilfe, Rüstungs, Bundeswehr, Schuldenbremse, Humanität, Germany first

Es ist nicht die heißeste Debatte des Tages, hat aber doch damit zu tun, nämlich mit der veränderten geopolitischen Lage und der Notwendigkeit, die Verteidigung zu stärken. Soll dafür auch die Entwicklungshilfe gekürzt werden?, fragt Civey heute.

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung von Finanzminister Christian Lindner, Einsparungen in der Entwicklungshilfe zugunsten der Bundeswehr vorzunehmen? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will Einsparungen in der Entwicklungspolitik zugunsten der Bundeswehr vornehmen. Im Interview mit der Welt sagte der FDP-Chef jüngst, dass die geplanten Entwicklungshilfeausgaben sehr hoch seien. Angesichts der Weltlage müssten mehr Gelder in die Verteidigung fließen. Daher kündigte er eine kritische Inventur der Projekte von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) an. 

Schulze hatte sich bereits zuvor gegen weitere Kürzungen in ihrem Etat ausgesprochen. Von ihren ursprünglich angemeldeten zwölf Milliarden sind derzeit nur knapp zehn Milliarden vorgesehen. Im April beklagte sie deshalb im Stern, dass das bestehende Budget nicht ausreichen werde. Sie warnte, dass Kürzungen im Entwicklungsetat auch den Wohlstand Deutschlands gefährden könnte. Schließlich sei die Wirtschaft auch auf internationale Partnerschaften angewiesen – auch, um beim Rohstoffimport nicht vollständig von China abhängig zu sein. Schulze plädiert dafür, notfalls die Schuldenbremse zu lockern, um Haushaltskürzungen zu umgehen. 

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) möchte Deutschland „kriegstüchtig” machen. Um den desolaten Zustand der Bundeswehr, die unter Material- und Personalnot leidet, abzuwenden, fordert er mehr Geld für den Wehretat. Auch er kritisierte in dem Zusammenhang die Sparpolitik der FDP im Tagesspiegel: „Mit einer Schuldenbremse in dieser Form kommen wir nicht schadlos durch diese Krisen.“ Die FDP möchte an der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse festhalten. Pistorius verweist indes auf die ebenfalls verfassungsrechtliche „Pflicht zu wirkfähiger Verteidigung zum Zwecke des Staats- und Grundrechtserhaltes”.

Unser Kommentar

Wir haben uns ja schon an die Forderungen nach immer mehr Geld für die Rüstung gewöhnt, obwohl nie geklärt wird, ob die Bundeswehr wirklich mehr Geld braucht, oder ob sie vollkommen ineffizient verwaltet wird und darauf hingewiesen, dass man mit mehr Geld alle Mängel billig zukleistern kann, insofern sind wir sogar Sparfüchse. Uns dienen aber die Militärausgaben von Ländern als Vergleich, deren Streitkräfte als intakt gelten und die außerdem noch Atomwaffen warten müssen. Sie haben ähnlich hohe Ausgaben wie Deutschland und deshalb sieht die Bundeswehr nun einmal schlecht aus, wenn sie wirklich so marode ist, wie immer behauptet wird. Die Zeit wird langsam reif, dass der nicht mehr ganz neue Verteidigungsminister Boris Pistorius den Wähler:innen darlegt, was er schon alles zur Effizienzsteigerung bei den Streitkräften in die Wege geleitet  hat, bevor an anderer Stelle wieder einmal gespart werden muss, um immer mehr Geld in die Rüstung zu pumpen.

Prinzipiell sind zehn oder zwölf Milliarden Euro Entwicklungshilfe ein sehr kleiner Betrag, verglichen mit anderen Ausgaben wie ebenjenen für die Bundeswehr, deren 100-Millliarden-Sondervermögen (Sondrschuldenberg) schon fast aufgebraucht ist. Wir sind dagegen, einfach pauschal die Entwicklungshilfe zu kürzen. Es ist erschreckend, wie sich gerade in solchen Umfragen rechte Einstellungen sozsuagen gefahrlos manifestieren dürfen. Nicht weniger als 58 Prozent sind derzeit der Ansicht, die Kürzung sei absolut richtig, weitere 8,5 Prozent finden sie überwiegend richtig. Das ist zusammen eine Zweidrittelmehrheit. Wir befürchten, da steckt ganz simpel eine „Germany first“-Mentalität dahinter, keine differenzierte Betrachtung.

Die Umfrage ist noch frisch, vielleicht sind diejenigen, die etwas humanistischer denken, nicht so schnell mit den Antworten – aber auch wir haben uns nicht auf die Seite „eindeutig falsch“ gestellt, sondern: es kommt darauf an. Also unentschieden.

Die Entwicklungshilfe ist nur ein kleiner Teil des internationalen Zahlungsflusses, bei dem Deutschland per Saldo ein Geberland ist, zum Beispiel innerhalb der EU. Im Grunde sind EU-Strukturförderungsgelder auch Entwicklungshilfe. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, warum Deutschland selbst China noch  Entwicklungshilfe zahlt. Spätestens, seit das Land die hiesige Wirtschaft mit Subventionen niederzudumpen versucht, würden wir diese Hilfe nun beenden, auch wenn sie der Höhe nach eher Symbolwert hat. Es hat sich außerdem, nicht nur in China, als falscher Weg erwiesen, sich mit Entwicklungshilfe Folgsamkeit erkaufen zu wollen. Die Rechnung, dass die Länder, denen geholfen wird, aus Dankbarkeit alle ins westliche Lager wechseln, sind sehr naiv.

Zumal gerade China einen anderen Weg geht. Es investiert auf eine Weise in diese Länder, die viel mehr direkte Wirkung zeigt, viel mehr Prestige mit sich bringt, für beide Seiten, und diese Länder nicht ethisch, sondern faktisch bindet, indem sie von China ökonomisch abhängig werden.

Wenn man sich das kleinteilig anschaut, würden sich sogar Argumente für die Fortsetzung der Entwicklungshilfe an China finden lassen, aber im Ganzen meinen wir, damit muss Schluss sein. Auch, dass die OECD das Land noch als Entwicklungsland einstuft und es dadurch viele Privilegien hat, muss endlich aufhören. Auch in anderen Ländern gibt es große Unterschiede zwischen den Regionen, und solange niemand durch Hunger gefährdet ist, müssen die Länder selbst für einen Ausgleich sorgen und sich intern gleichmäßiger entwickeln. Oder, wie in Europa, auf der Ebene, die man akzeptieren muss, wenn man europäisch denkt, der europäischen Ebene.

Dieses eine Beispiel China für eine Fehlsteuerung spricht aber nicht gegen die Entwickungshilfe im Ganzen. In erster Linie geht es darum, das Leben von Menschen zu verbessern und dabei partnerschaftlich zu handeln, das tun westliche Entwicklungshilfeorganisationen in der Regel auch. Aber ihre Hilfe ist auf sehr viele kleine Projekte verteilt und nie ist sicher, ob nicht alles umsonst war, wenn sich die politische Lage in einem Land verschärft oder es zu Dürre- und Hungerkatastophen kommt. Es ist schwierig, Entwicklungshilfe so gut zu vermitteln, dass sie in ihren Dimensionen greifbar wird, und würde man das tun, würde man feststellen: Es ist eher zu wenig als zu viel. Große Ökonomien wie Deutschland könnten ein Prozent ihres BIP für Wirtschaftshilfe einsetzen, ohne den Menschen in den eigene Ländern etwas wegzunehmen. Davon ist Deutschland weit entfernt, die Entwicklungshilfe beträgt weniger als 0,25 Prozent vom BIP. Allerdings ist das nur auf das Budget des Entwicklungshilfeministeriums bezogen, nicht auf die gesamte ODA-Situation in Deutschland.

Diese wird aber nicht gerne besprochen, weil sie wesentlich höher liegt und auch die Hilfen für die Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland beinhaltet, die  wiederum nicht zur Debatte steht, sondern eher ausgeweitet werden soll. Ist das überhaupt Entwicklungshilfe? Wir meinen, ja, auch diese Gelder müssen dazugezählt werden, vor allem, wenn die Ukraine eines Tages ein EU-Land werden soll.

ODA-Quote Deutschland 2022 | Statista, aus dieser Quelle auch der folgende Text:

 Im Jahr 2022 zahlte Deutschland öffentliche Entwicklungshilfeleistungen in Höhe von 0,85 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE). Damit stieg die deutsche ODA-Quote das dritte Jahr in Folge und auf einen erneuten Höchststand. Der deutliche Zuwachs liegt vor allem an den kriegsbedingten Zahlungen an die Ukraine, dem größten Empfängerland deutscher Entwicklungshilfe, die sich insgesamt auf rund 33,9 Milliarden Euro belief.


Was sind Entwicklungshilfeleistungen / ODA-Zahlungen?

Die Abkürzung ODA steht für Official Development Assistance. Sie setzen sich zusammen aus bilateralen Hilfen, die direkt an einzelne Länder gehen, und multilateralen Leistungen, die an internationale Organisationen fließen. International wurde das Ziel vereinbart, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Die ODA-Quote von Deutschland liegt seit 2020 über dieser Zielmarke.

Ganz sicher wurde bei der Festlegung der 0,7 Prozent nicht an Fälle wie den Ukrainekrieg gedacht, die vor allem der Rüstungsindustrie Vorteile bringen, nicht aber der Entwicklung der Ukraine in Sachen Wohlstand und Demokratie.

Wer über die Entwicklungshilfe verhandeln will, muss also auch die Ukrainehilfen in den Blick nehmen, auch wenn Einlassungen wie diejenigen, die im Civey-Begleittext wiedergegeben sind, diese Posten natürlich abtrennen möchten von der Entwicklungshilfe. Im Sinne klassischer Entwicklungsziele sind sie keine Hilfe, aber sie fließen trotzdem ab. Die Finanzhilfen für die Ukraine sollen im Jahr 2024 ohnehin bei etwa 8 Milliarden Euro liegen, eine Erhöhung auf 10 Milliarden wird bereits gefordert. Das ist etwa so viel wie der gesamte Entwicklungshilfe-Etat und nur ein Bruchteil der tatsächlichen Hilfen und Kosten, die dieser Krieg in Deutschland verursacht und die wir auf einen dreistelligen Milliardenbetrag schätzen. Statistisch ausgewiesen sind derzeit etwa 40 Milliarden Euro, wir beziehen aber wirtschaftliche Nachteile in die Berechnung ein, die die Politik hierzulande bewusst eingegangen ist, im Wege ihrer Positionierung in diesem Krieg.

Die massiven Kosten für Verteidigung, Ukrainehilfe und reguläre Hilfsmechanismen, z. B. innerhalb der EU, können nicht gegen das bisschen Entwicklungshilfe in Anrechnung gebracht werden, das Deutschland leistet. Wir verstehen diese Entwicklungshilfe auch nicht als Erziehungsprojekt, sondern als humanitären Beitrag zur Verbesserung der Weltlage, und wenn die konkreten Projekte diesen Ansatz spiegeln, sind wir dagegen, die Entwicklungshilfe zu kürzen. Im Grunde ein bedingtes Nein, insofern war die spontane Entscheidung für „Unentschieden“ vielleicht etwas voreilig. Grundsätzlich sollte diese Hilfe karitativ, nicht an geopolitische Zwecke gebunden sein, sonst entstehen Enttäuschungen und Aufrechnungsüberlegungen.

Wir sind keine Spezialisten für Entwicklungspolitik, das dürfte man diesem Artikel anmerken, aber wir folgen den Leitlinien, die wir beachten: Humanität kann nicht einfach so mit Rüstung verrechnet werden, das ist einer dieser Grundsätze, er gilt auch für den Sozialstaat in Deutschland, der nun wieder mit Billigung einer rechten Mehrheit starken Angriffen ausgesetzt wird.

Richtig ist hingegen, dass Verteidigungsmininster Pistorius gesagt hat, die Schuldenbremse muss überarbeitet werden, da die Verteidigung Staatszielaufgabe im Sinne der Erhaltung des Staates und der Demokratie ist oder sein kann, falls es wirklich zu einem Konflikt kommt. Einige sagen, die Ukraine zu unterstützen, ist bereits ein Erhaltungsbeitrag in Sachen Demokratie im Westen. Wir sind skeptisch bezüglich dieses Narrativs, obwohl man da jetzt politisch nicht mehr so leicht herauskommt. Gerade deswegen ist Entwicklungshilfe nicht an Konditionen zu binden und nicht an Nützlichkeitserwägungen.

Die Armen, egal ob global oder hier im Land, sollen für die Gewinne der Reichen und Fehler der Politik büßen. Das wird niemals unsere Zustimmung finden.

TH

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