Briefing 544 Housing, Mieten und Wohnen, Mietenwahsinn, Wohnen als Menschenrecht, Zivilgesellschaft, Aktivisten, Akteure, Politik, Parteien, Personen, Berliner Stadtpolitik
„Wir sind wieder da!“. Gestern demonstrierten nach Angaben der Veranstalter etwa 12.000 Berliner:innen gegen den #Mietenwahnsinn. Wir senden herzliche Grüße an alle, die dabei waren – und nehmen den Anlass zu einer Bestandsaufnahme und vorsichtigen Annäherung wahr.
Vor Corona waren es bis zu 40.000 Menschen, die für eine bessere Wohnungspolitik auf die Straße gingen, 2021 hatten sich 59 Prozent aller Berliner:innen, die eine gültige Stimme abgegeben hatten, für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ entschieden. Wie steht es in Sachen „Housing“ und „Wohnen ist Menschenrecht?“.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass der jetzige Senat jemals die Bevölkerungsmehrheit ernst nehmen und wirklich ein Enteignungsgesetz auf den Weg bringen wird. Spätestens seit dem Eklat bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 2021, der zu einer Wiederholungswahl und zur #Rückschrittskoalition im Jahr 2023 geführt hat, ist das nicht mehr zu erwarten.
Die Frage stand deshalb am Anfang, weil der obige X-Post von „DW enteignen stammt.“
Früher hätte ich dieses Bild als Titelbild für den Artikel übernommen.
Warum jetzt nicht?
Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, beinahe jedenfalls, im Sinne des Aktivismus nicht erst groß nachfragen zu müssen. Mittlerweile ist der Abstand zu groß. Das hat aber nichts mit den Menschen zu tun, die diesen Volksentscheid auf den Weg gebracht haben, das war und ist immer noch großartig und vorbildlich im Sinne des zivilgesellschaftlichen Engagements. Aber da ist mittlerweile ein Gap, der eher die Politik adressiert. Das Thema #Mietenwahnsinn ist an sich schon sehr groß, aber es wird von allen möglichen Krisen zugeschüttet – und der Rechtsdrall wird auch hier direkt spürbar, ich habe mir die Antworten zu dem obigen Post durchgelesen.
Wie äußert sich dieser Rechtsruck konkret?
Ich kann mich noch gut an die Mieter-Vermierter-Diskusisonen erinnern, die Immobilienlobby gegen die Mietenden, die vor Corona die Diskussion beherrscht hatten. Mittlerweile braucht der kapitalistische Tross und seine Trolls gar nichts mehr zu machen, die Rechten versuchen, ihren Anti-Migrations-Spin gegen die Mietenden einzusetzen und kapieren nicht, wem sie damit wirklich dienen und haben natürlich auch keine Ahnung von den Verhältnissen in den großen Städten, scheint mir. Natürlich, es kann auch alles eine absichtliche Arschloch-Haltung sein, weil das vergleichsweise linke Innenstadt-Berlin ihnen schon immer ein Dorn im Auge war. Und sie meinen, sie haben Oberwasser.
Stimmt das nicht?
Der Kampf der Zivilgesellschaft ist auf eine Weise in die Defensive geraten, die komplett demokratieschädlich ist. Wenn das schon in Berlin so läuft, wie erst in Gegenden, in denen es nicht eine Basis für stabilen Widerstand gegen jedweden neoliberalistischen Durchmarsch gibt?
Aber der Zugang in den Wohnungsmarkt aufgrund immer neuer Weltkrisen hält doch wirklich an.
Es gibt in dem Bereich Ungerechtigkeiten, in gewisser Weise bin ich sogar direkt davon betroffen. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Aber in Wirklichkeit spielt man Menschen, die ein Heim brauchen, aus welchen Gründen, gegeneinander aus, das muss verstanden werden. Und es muss verstanden werden, dass die Wohnungspolitik in Berlin zwar während Rot-Rot-Grün leicht besser war als jetzt, aber die Verdrängung nie aufgehört hat, egal, von woher gerade wie viele Menschen in die Stadt gezogen sind. Diese billigen populistische Spins, die ich da gelesen habe, halten keiner näheren Betrachtung stand. Da wir aber immer noch hin und wieder ein paar Simplizisten antreffen, die das alte Motto „Bauen, bauen, bauen“ ohne jede Differenzierung hochleben lassen, schauen wir uns doch die Bauzahlen in Berlin an.
Die Entwicklung lässt sich wie deuten?
Wohnungen in Berlin – Neubauentwicklung | Statista. Seit Michael Müller Regierender Bürgermeister von Berlin war, stiegen die Bauzahlen rapide an und erreichten unter der Rot-Rot-Grün-Regierung ihren vorläufigen Höhepunkt. Man kam nicht ganz an die eigenen Vorgaben heran (bis zu 18.000 gegenüber geplanten 25.000 Wohnungen pro Jahr), aber seitdem stagniert es. Dabei spielte zunächst Corona eine Rolle, das auch die Bauwirtschaft beeinträchtigte, mittlerweile dürften makroökonomische Daten die Rolle der Bremse übernommen haben. Jedenfalls wird die aktuelle CDU-SPD-Stadtregierung sich nicht als diejenige hervortun, die am meisten bauen ließ. Und das hat mit der Struktur zu tun. Es wird zu wenig kontinuierlich öffentlich gebaut und bei den hochpreisigen Wohnungen der privaten Bauträger spielt natürlich jede Änderung der ökonomischen Lage sofort eine Rolle bei der Renditeberechnung. Baugrund bleibt teuer, die Bauzinsen sind gestiegen, die Bautätigkeit geht zurück. Den Mieter:innen hilft es hingegen überhaupt nicht, dass auch die Preise auf dem Bestandsimmobilinemarkt etwas gesunken sind – von den irren Überpreisen Ende der 2010er oder bis 2021 aus gesehen, die die andere Seite der Niedrigzinspolitik beleuchten. Die Preise für Mietwohnungen steigen weiter.
Während des Immobilienhypes wurde zu fast Nullzinsen ein riesiger Umsatz am Bestandsimmobilienmarkt erzielt, Kauf und Miete wurden immer teurer, nicht eine Wohnung entstand dadurch extra. Da ist die Wahrheit, nicht, dass die Enteignung keine Vorteile für Bestandsmieter:innen brächte. Deshalb ist es lächerlich, jetzt noch mit „Bauen, bauen, bauen“ anzukommen, ohne zu diskutieren, was von wem gebaut werden soll und wie es bisher wirklich gelaufen ist.
Außerdem hält die Mietpreissteigerung an.
Ein Preisaufschlag von 18 Prozent bei den Neuvermietungen in einem ökonomisch so schlechten Jahr wie 2023 geht nur bei Wohnungsnot. Und da wird einfach zugeschlagen. Mietpreisbremse und deren Überwachung? Quatsch. Mietendeckel? Vom BVerfG auf eine absolut kapitaldienliche Weise einkassiert. Vorkaufsrechtsausübung durch die Bezirke, um wenigstens ein paar Mietenden zu helfen? Vom Bundesverwaltungsgericht bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Die Justiz sorgt schon dafür, dass das Grundgesetz komplett einseitig ausgelegt wird. Die Zivilgesellschaft wird in der Wohnungspolitik komplett vorgeführt. Und diejenigen, die diesen Laden mit den in Berlin üblichen niedrigen Löhnen aufrechterhalten müssen sich noch damit konfrontieren lassen, dass sie keine Wohnungen ab 500.000 Euro aufwärts kaufen. Ich meine, alle, ohne Rücksicht auf Verluste, die davon betroffen sind, sollten einfach mal in den Streik treten und ihre überhöhten Mietzahlungen einstellen.
Das geht rechtlich nicht.
Ich weiß. Aber was mittlerweile alles rechtens ist, das geht auf keine Kuhhaut mehr. Da ist rechts und menschenfeindlich.
Wird es eine Gegenbewegung geben? Ist die gestrige Demo ein erstes Anzeichen?
Ganz zum Erliegen kam das Engagement gegen den #Mietenwahnsinn nie. Aber viele Akteur:innen müssen sich ab und zu auch um ihren eigenen Kram kümmern. Die können nicht die Beine baumeln lassen und den ganzen Tag auf X Spins verbreiten, wie die Gegenseite, die sogar bezahlte Leute für so etwas hat. Das ökonomische Ungleichgewicht ist mittlerweile so groß, dass ich es für verfassungsfeindlich halte, und das betrifft nicht nur ein einzelnes Grundrecht, sondern ein ganzes Bündel davon. Mittlerweile scheint die Rechtspraxis in Deutschland nur noch auf Promotion für Artikel 14 Abs. 1 ausgerichtet zu sein. Das ist so dürftig und armselig.
Und es wird der Demokratie schaden?
Das tut es doch längst. Und genau darauf setzt das Kapital und setzen seine rechten Handlanger in der Politik und wo immer. Wir haben viel weniger Demokrat:innen hier, als man so denkt, wenn man die Maßstäbe wirklich am Grundgesetz ausrichtet, wie es geschaffen und gedacht war, und das ist ein trauriger Zustand von dessen Implementierung in die heutige Realität, nach 75 Jahren.
Trotzdem: Wird die Gegenbewegung kommen?
Eine machtvolle Gegenbewegung setzt die Kraft und gewisse Erfolgsaussichten für die Zivilgesellschaft voraus. Es setzt voraus, dass wenigstens in den Großstädten eine halbwegs humanistische Grundgesinnung erhalten bleibt, die Systemfragen im Blick behält und daher soziale Tatbestände nicht ausblendet. Ich habe immer schon ein Auge darauf gehabt, dass viele da zu einseitig sind. Wovon man selbst nicht betroffen ist, das ist unwichtig. Das gilt auch für viele Linksliberale.
Der komplette Raumblick?
Was ich lange Zeit nicht berücksichtigt hatte, ist die Stimmung an der Basis im Sinne von Menschen, die einfache, aber wichtige Jobs ausüben, die sich nicht nach oben ins Bullshit-Business absetzen können. Da hatte ich in letzter Zeit viele Gelegenheiten, mich umzuhören. Das Ergebnis kann man nur als erschreckend bezeichnen. Auf einer rein faktischen Ebene kann man manches gar nicht abstreiten, aber darunter liegt eine dicke Schicht aus mangelnder Empathie und beschränkter Aufnahme- und Analysefähigkeit für Informationen aller Art, die dazu führt, dass Gründe nicht ausgeleuchtet werden. Ich bin immer wieder entsetzt darüber, wie versimpelt gedacht wird und kann es aus der Sicht derer, die sich jeden Tag den Frust in dieser meschuggenen Berliner Arbeitswelt abholen, doch auf einer Ebene verstehen, das will ich noch einmal betonen. Viele handeln am Ende gegen ihre eigenen Interessen, und wäre das nicht so, hätten wir ganz andere politische Verhältnisse. Die AfD kann machen, was sie will, sich auch selbst sabotieren, aber sie kriegt ihren Zulauf. Von links bräuchte es quasi eine makellose messianische Leitfigur, damit überhaupt noch etwas geht, auf Wahlen bezogen oberhalb der Fünfprozentgrenze, mit angemessener Bescheidenheit ausgedrückt.
Muss das denn eine solidarische Bewegung wirklich tangieren, die weiß, was sie will?
Kommt darauf an, ob man sich wirr machen lässt von diesen gehässigen Einlassungen, die man sich bei jedem sozialen Engagement abholt. Für den Kern der Bewegung trifft das hoffentlich nicht zu, die halten einiges aus, nach meinen Beobachtungen aus der Zeit von etwa 2018 bis 2021. Aber die vielen Menschen, die im Grunde die Masse der Zivilgesellschaft bilden und gucken müssen, dass sie durch den Alltag kommen, die sind nicht immer so sattelfest, sie müssen immer abgleichen, wie viel Power sie noch in Dinge stecken können, die außerhalb ihrer engsten persönlichen Angelegenheiten liegen.
Eigene Erfahrungen oder Erkenntnisse?
Ein wenig. Aber nicht hauptsächlich. Mir hat es ab einem gewissen Punkt an Einbindung und Solidarität gefehlt, aber es war meine Entscheidung, daraufhin Justierungen vorzunehmen. Diese Entscheidung fiel zu einem Zeitpunkt, als die Rechten gerade in der Defensive waren und an das Problem, mich mit den Kapitalistentrolls auseinandersetzen zu müssen, ohne dass mal jemand ernsthaft geholfen hätte, während die anderen immer schön zusammengehalten haben, das hätte ich mit der Erfahrung, die mir dabei zugewachsen ist, einigermaßen im Griff behalten. Man muss nicht auf alles antworten, beispielsweise; die interessantesten Argumente mit den wenigen, die wirklich etwas draufhatten, sind eh längst ausgetauscht. Corona war ein Punkt, leider. Vielleicht nicht der Hauptgrund, aber Auslöser.
Resultierend, wir waren nicht dabei, gestern.
Dieses Mal nicht. Das heißt nicht, dass es 2025 nicht wieder geht. Ich fühle mich nicht nur der Idee des Kampfes gegen den #Mietenwahnsinn, sondern auch Menschen, die diese Idee vertreten, nach wie vor verbunden. Erst muss ich aber für den Wahlberliner angesichts eines auf Reduktion angelegten Panels eine Möglichkeit finden, wieder mehr über #Housing zu schreiben, ohne dass dabei jeden Tag Stunden draufgehen, die auch dem Informationsaustausch gewidmet waren und in diesem Sinne auch dem Besuch von Veranstaltungen, bis der Corona-Knick kam.
Ist das alles nicht ein Symptom für den Zustand der Zivilgesellschaft im Ganzen? Der Beitrag spiegelt das im Grunde ja auch. So viel Selbstreflexion wäre früher hier nicht rausgegangen, wenn die Not anderer beschrieben und auch an die Politik adressiert werden soll.
Das stimmt, ich adressiere jetzt auch nichts. Es ist eine Bestandsaufnahme anlässlich eines Ereignisse, das mich vor ein paar Jahren unweigerlich auf die Beine gebracht hätte. Zustimmungl, gar Applaus dafür ist mir nicht wichtig, wäre mir sogar eher peinlich. Man sollte sich selbst nicht verabsolutieren, aber ich glaube, ich bin nicht der einzige, der Dinge in den letzten Jahren neu ordnen und gewichten musste. Und ich sehe, wie immer neue Großkrisen die Zivilgesellschaft allein dadurch in die Bredouille bringen, dass sie als viel wichtiger und weniger an Partikularinteressen orientiert dargestellt werden als jeder soziale Kampf. Und wie falsch das ist, darüber könnte ich mehr schreiben.
Stattdessen schreiben wir hier genau über das: Die großen Krisen. Erst die Pandemie, dann der Ukrainekrieg, die Energiekrise, den Nahen Osten und die Welt.
Aber auch über #DiG. #Demokratie in #Gefahr. Das lasse ich nie aus den Augen. Und wie die Zivilgesellschaft von der Politik systematisch plattgemacht wird, das vergesse ich dabei auch nicht, siehe Umgang mit dem Volksentscheid #DWenteignen, aber nicht nur damit. Die Krisen haben insofern eine fatale Wirkung, die von den Herrschenden gerne genommen wird, weil sie sich so gut gegen soziale Belange instrumentalisieren lassen. In der ganzen Diskussion, die aktuell läuft, kommt überhaupt nicht mehr vor, dass die Reichen, die von den Krisen profitieren, mal etwas abgeben könnten, damit alle diese krisenbedingten Aufgaben bewältigt werden können. Da werden Sie von rechts keine Unterstützung kriegen, und das ist das Trollhafte daran. Diese Leute, die keineswegs zur herrschenden Klasse zählen, merken nicht, wie sie manipuliert und für dumm verkauft werden, nur, damit sie anderen auf den Zeiger gehen können. Ich will das hier aber nicht näher ausführen, die Assoziationsketten würden für mehrere Tage Schreiben ohne Pause ausreichen.
Was ist nun mit der Bearbeitung von #Housing, #Mietenwahsinn, #WohnenistMenschenrecht?
Wir setzen genau diese drei Hashtags in die Postings in den sozialen Netzwerken, die diesem Artikel gewidmet sind. Das ist das Zeichen für heute. Mehr kann ich im Moment nicht sagen, außer: Ich wünsche allen, die Mut und Kraft in dieser Zeit haben, die weitermachen, alles Liebe und Gute und bin in Gedanken oft bei ihnen.
TH
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