Recht(s) viel Auswahl (Verfassungsblog + Kommentar: Warum die Kommunalwahl in Thüringen kein Grund zum Aufatmen ist | Briefing 542 | PPP Politik Personen Parteien, DiG Demokratie in Gefahr, Gesellschaft

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Eine Woche vor der Europawahl blicken wir zurück auf die Kommunalwahl in Thüringen vor einer Woche. Warum in der Presse vielfach der Tenor vorherrschte, die Demokratie sei noch mal davongekommen, erläutert sich recht gut aus der Karte der Einzelergebnisse – auf den ersten Blick zumindest: Alle Ergebnisse der Kommunalwahl in Thüringen auf einen Blick | MDR.DE

Nur in einem Landkreis lag ein AfD-Kandidat im ersten Wahldurchgang vorne. Man muss aber Kreise anklicken, um zu sehen, wie viele Stichwahlen es noch geben wird und wie weit rechts in diesen Landkreisen gewählt wurde. Dass hingegen auf Kommunalebene beliebte Personen eine sehr wichtige Rolle spielen, zeigt sich daran, dass die SPD mehrere Landkreise oder Städte im ersten Anlauf gewinnen konnte, gegen den Trend für die Landtagswahlen im September. Die Kommunalwahlen sind dafür nur bedingt ein Gradmesser – und doch. Warum sich Demokraten keinesfalls zurücklehnen können, erklärt der folgende Artikel des Verfassungsblogs, das Editorial dieser Woche.

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Recht(s) viel Auswahl – Verfassungsblog

Wer die Kommunalwahlen in Thüringen vergangene Woche nur über die Schlagzeilen überregionaler Medien verfolgt hat, wird meinen, dass der “Durchmarsch” der AfD “vorerst ausgeblieben ist” und Demokratinnen und Demokraten Ämter und Parlamente nun unter sich aufteilen. Eine “Blaue Delle” für die AfD also? Von wegen. Ihr Ergebnis bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 2019 konnte die Partei von 17,7 auf nun 25,8 Prozent kräftig ausbauen. Dass die Gewinne der extrem rechten Partei(en) in der Berichterstattung untergehen, zeigt, wie selbstverständlich sich die AfD als etablierte Kraft im Parteiensystem behauptet. Es ist ein schlechter Auftakt ins deutsche Superwahljahr – anders, als das weithin vernehmbare Aufatmen suggeriert. 

Und das ist gefährlich. Die Normalisierung der AfD schreitet voran, ihre rechtsextreme Programmatik driftet weiter Richtung Mainstream. Die sogenannte “Brandmauer”, die in den Kommunen ohnehin lockerer gebaut ist als auf Landes- oder Bundesebene, wird den neuen Mehrheitsverhältnissen in Kreistagen und Stadträten sicher nicht überall standhalten.

Verloren ist die Demokratie in Thüringen deswegen nicht. Die CDU hat, Stand jetzt, die meisten Landrats- und Oberbürgermeisterämter errungen. Die Thüringerinnen und Thüringer haben sich mehrheitlich für demokratische Parteien entschieden. In Weimar etwa konnte Peter Kleine (CDU und Wählerbündnis “weimarwerk”) sein Amt im ersten Anlauf verteidigen. Stärkste Kraft im Stadtrat ist die CDU, die AfD liegt mit 13,7 Prozent hinter der Linkspartei. Der Stadtrat ist damit weiterhin nicht auf die AfD angewiesen, um Beschlüsse zu fassen. Aber die kulturbürgerlichen und studentischen Inseln Weimar und Jena bleiben in Thüringen eine Ausnahme.

In neun der 22 Kommunalparlamente ist die AfD nun stärkste Kraft, in acht Stadträten und Kreistagen besetzt sie nach der CDU die meisten Sitze. Wenn man bedenkt, welche Skandale den Wahlkampf der AfD in den letzten Wochen begleitet haben, ist das ein deutliches Zeichen für ihre fortschreitende Normalisierung. Umso mehr, als es der AfD vielerorts an lokal bekanntem Personal und an Persönlichkeiten fehlt, die sich schon in kommunalen Spitzenämtern bewiesen haben. Kommunalwahlen sind häufig Personenwahlen und unterliegen anderen Gesetzmäßigkeiten als Landtags- und Bundestagswahlen.

Natürlich ist es eine gute Nachricht, dass es der AfD bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen ist, in der Fläche kommunale Spitzenpositionen zu besetzen. Allerdings stehen einige Stichwahlen noch aus. Besonders unangenehm wird es wider Erwarten nicht dort, wo die AfD mit in die Stichwahl zieht, sondern in Gemeinden, wo zwei bürgerliche Kandidaten antreten. Zum Beispiel in Gera: Hier kämpfen Julian Vornarb (parteilos, früher CDU) und Kurt Dannenberg (CDU) um das Amt des Bürgermeisters. Amtsinhaber Vonarb dürfte links und in der Mitte gegen den CDU-Herausforderer kaum neue Stimmen mobilisieren können. Dannenberg hingegen ist auf die Stimmen von Wählerinnen und Wählern angewiesen, die noch in der ersten Runde die Kandidaten der AfD oder der “Miteinanderstadt” wählten, ein Verein um den Neonazi Christian Klar. Der ruft seine Anhänger indes zur Wahl des CDU-Kandidaten auf. Es sind die Wählerinnen und Wähler der extremen Rechten, die entscheiden, wer ins Rathaus zieht. 

Ob Dannenberg oder Vornarb, für keinen von beiden wird es gemütlich. Die AfD ist im Geraer Stadtrat mit 15 Sitzen (wieder) stärkste Kraft. Die restlichen 27 Sitze teilen sich insgesamt acht Parteien und Wahlbündnisse. Alle demokratischen Parteien außer der CDU haben Sitze verloren. Weil es recht(s) viel Auswahl gab und sich weniger Wählerinnen und Wähler für linke Parteien entschieden haben, bekommt der Stadtrat eine politische Schlagseite ohne Gegengewicht. Die Ausgrenzung der rechtsextremen Partei in Entscheidungsprozessen wird indes schwer bis unmöglich. Die Brandmauer bröckelt hier schon lange, doch jetzt hört man die Planierraupe anfahren. 

In Eisenach zieht der gerade aus der U-Haft entlassene, mehrfach vorbestrafte Parteivorsitzende der “Heimat” (ehemals NPD), Patrick Wieschke, mit zwei seiner Parteikollegen in den Stadtrat ein. Mit der AfD kommt “Die Heimat” auf dieselbe Zahl von Sitzen wie LINKE, SPD und GRÜNE zusammen. Zwar könnten die demokratischen Parteien und Wählerbündnisse noch eine Mehrheit ohne AfD und “Die Heimat” finden. Aber vielleicht wollen die neuen Mitglieder des Eisenacher Stadtrates gar nicht entlang harter Parteilinien entscheiden. Schließlich geht es bei ihren Beschlüssen um Bürgeranliegen, bei denen rechte und linke Programmatiken oft eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn sich AfD und “Die Heimat” für den Schutz der Hörsel in Eisenach einsetzen wollen – wie auch die CDU – wieso dieses Ziel nicht zusammen verfolgen? Wieso nicht zeigen, dass Politik in der “Wiege der Demokratie”, in den Kommunen, noch funktioniert? 

Manche CDU-Kreisverbände tänzeln schon seit einiger Zeit um die extreme Rechte herum. ohne sich tatsächlich abzugrenzen. Der ehemalige Bürgermeister von Waltershausen und Präsident des Thüringer Städte- und Gemeindebunds, Michael Brychcy, hat sich im vergangenen Jahr für eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen. Auch die Listen zur Kommunalwahl zeigen, dass Unvereinbarkeitsbeschlüsse im kommunalen Klein-Klein (das diesen Namen nie verdient hat) leichter zu überwinden sind als auf Landesebene: Nach den Wahlen sitzt der parteilose Kommunalpolitiker Frank Böwe für die AfD im Kreistag des Wartburgkreises – und gleichzeitig für die Fraktion der CDU im Stadtrat von Ruhla. In Eisenach ist ein AfD-Mitglied in den Stadtrat eingezogen, das gerade erst dieses Jahr aus der CDU ausgetreten (und bereits ein Jahr zuvor dem Verfassungsschutz aufgefallen) ist. So weicht der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU zur Zusammenarbeit mit AfD und LINKE in Thüringen auf kommunaler Ebene immer weiter auf – aber nur nach rechts. 

Was nach der überregionalen Berichterstattung der letzten Tage nach einem süßen Wahlerfolg der CDU über die AfD riecht, schmeckt vor Ort bitter. Die Thüringer Kommunalwahlen eins zu eins als Stimmungsbild für die kommenden Landtagswahlen zu betrachten, wäre kurzsichtig – die kommunale Ebene unterliegt ihren eigenen Dynamiken. Maßgeblich für die Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern und die Gestaltung des Lebens vor Ort ist sie aber. Je dünner die Unterstützung für die linken Parteien wird, desto bestärkter fühlt sich die extreme Rechte. Vergessen wir nicht, dass in Thüringen politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger leben, die sich jetzt schon um ihre Sicherheit sorgen. Der Rechtsruck durchzieht nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft. Dennoch: Die Wählerinnen und Wähler der rechtsextremen Parteien sind in der Minderheit – noch. Die demokratischen Parteien, noch in der Mehrheit, müssen nun gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Rezepte finden, um den Rechtsruck aufzuhalten.

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Unser Kommentar

Im Vergleich zu den teilweise mächtigen Artikeln, die sonst im Editorial erscheinen, ist der vorstehende relativ kurz und weit mehr politisch als rechtlich ausgerichtet. Er stammt von drei Mitarbeiter:innen des Verfassungsblogs, die alle am „Thüringen-Projekt“ dieser Publikation teilnehmen, die sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Stimme der Demokratieverteidigung entwickelt hat.

Im Fall Thüringen hat das den Vorteil, dass sehr genau hingeschaut wird, was sehr genau hingeschaut wird, was sich vor Ort ereignet und die Linie der Beiträge an der Verteidigung der Demokratie ausgerichtet ist und nicht an einer „Normalisierung der AfD“, von der viele traditionelle Medien, natürlich besonders in Ostdeutschland, infiziert sind.

Wir finden das, was im Editorial steht, sehr bedenklich. Wir weisen schon seit Längerem darauf hin, dass eine Brandmauer gegen die AfD, die von der CDU organisiert werden soll, nicht halten wird. Nicht halten kann. Will die CDU regierungsfähige Mehrheiten im Osten bilden, nicht in die Opposition gehen und der AfD womöglich damit weiteren Vorschub leisten, wird sie vielerorts darauf angewiesen sein, mit ihr zusammenzuarbeiten. In manchen Städten und Lankreisen kann es sogar dazu kommen, dass etwas weiter links stehende Parteien ebenfalls mit der AfD kooperieren müssen.

Bei der CDU kommt hinzu, dass viele ihrer ostdeutschen Vertreter:innen der AfD ideologisch gar nicht so fern sind und schon länger daran arbeiten, die Brandmauer einzureißen. Uns überrascht es keineswegs, dass die CDU nach rechts viel offener ist als nach links, zu einer mittlerweile wirklich handzahm-demokratischen Linken hin, die in Thüringen aktuell sehr unauffällig und pragmatisch regiert.

Wenn man sich die Landtagswahlergebnisse vom letzten Oktober anschaut, Hessen und Bayern, gibt es jeweils rechte Mehrheiten zu verzeichnen. In Bayern hat das zwar Tradition, aber wie weit rechts ist tolerabel, für eine Demokratie? Die CSU hat es nicht geschafft, dass rechts von ihr keine Parteien entstehen können, also wird der eigene populistische Ansatz auch nach rechts verschoben, um beim Rechtsdrift Schritt halten zu können.

Nicht die Programmatik der AfD driftet in Richtung Mainstream, sondern der Mainstream nähert sich immer mehr Positionen der AfD an. Das merken wir auch an vielen Civey-Umfragen, an denen wir teilnehmen und deren Ergebnisse wir auswerten. Bei vielen Themen hat sich eine erschreckend rechte Einstellung breitgemacht. Ob die Ergebnisse vor Jahren so viel anders gewesen wären, lässt sich nicht klären, aber es geht um die Themen, die gerade aktuell sind. Nicht nur beim Thema Migration zeigt sich dies und war zu erwarten, sondern auch bei sozialen Themen, und beides ist gefährlich für den Bestand der Gesellschaft und der Demokratie. Es geht eben nicht nur um die AfD, sondern auch darum, wie andere Parteien ihre Positionen verschieben. Das neue CDU-Grundsatzpgrogramm ist in vielen Punkten ein deutliches Angebot an rechte Wähler, ein Rückkehr-Angebot für jene, die zur AfD gegangen sind.

Nicht irgendein:e AfD-Politiker:innen sticht am meisten schlagzeilenträchtig mit klassistischen, rechten Parolen hervor, sondern Friedrich Merz und der kleine Merz, Carsten Linnemann, Markus Söder, das sind die Namen. Diese Politiker versuchen auf ihre Weise, den Diskurs weiter nach rechts zu verschieben und können dieses Anliegen gut kaschieren, weil sie ja Repräsentanten einer Gründungspartei der demokratischen BRD sind. Diese Leute werden doch nichts Rechtes im Sinn haben? Doch, haben sie. Im Moment noch etwas gebremst von den Ministerpräsidenten der CDU, die vor Ort eine mehr ausgleichende Politik machen (müssen) … oder nicht? Wir meinen, nein. Wir sind gespannt, welche Linie sich letztlich in der Bundes-CDU durchsetzen wird, aber wir müssen unbedingt ein Auge auf den Osten haben. Wenn dort die Machtpositionen nicht ohne die AfD zu halten sind, wird ab einem gewissen Punkt pragmatisch entschieden werden, und das heißt: Wenn die Wähler:innen nun einmal nach rechts gehen, dann gehen wir mit und befeuern mit unserer Rhetorik diesen Rechtstrend, damit wir den Anschluss nicht verpassen.

Man kann sich auf die Parteien konzentrieren, man kann aber auch fragen, was wir alle eigentlich tun, um die Demokratie zu schützen. Die Menschen, die für den Verfassungsblog tätig sind, haben das für sich getan, und sie verweisen auf die Zivilgesellschaft. Wir haben uns mit der Zivilgesellschaft in Berlin von 2018 bis 2020 ausführlich und auf das Thema #Mietenwahnsinn bezogen auseinandergesetzt. Selbst diese ausgeprägte Zivilgesellschaft in der Hauptstadt, die viel weiter links orientiert ist als die Menschen in irgendeinem ostdeutschen Flächenland, hat es nicht hinbekommen, die #Rückschrittskoalition zu verhindern, die aus einer nach rechts driftenden SPD unter Franziska Giffey und aus einer CDU besteht, die nicht zu den besonders mittigen, sondern zu den mehr rechten Landesverbänden zählt.

Auch wenn der Regierende Bürgermeister Kai Wegner scharfe Rhetorik möglichst vermeidet, weil er nicht nahezu die gesamte Innenstadt gegen sich aufbringen kann, auch wenn diese ihn nicht wollte, die Zivilgesellschaft hat verloren. Sie hat alle ihre wichtigen sozialen Kämpfe verloren. Einzelne kleine Erfolge, die bis ca. 2021 erzielt wurden, können den Verlust bei weitem nicht ausgleichen, der sich in den großen Fragen eingestellt hat. Die Zivilgesellschaft ist noch da, aber sie hat erst einmal viel an Schwung verloren und muss sich erst einmal neu finden und wieder zu Kräften kommen, das ist unser persönlicher Eindruck. Man kann ihr in Berlin wirklich nicht vorwerfen, dass sie nicht alles versucht hat, eine bessere Gesellschaft zu erreichen, und doch: die Politik tendiert nach rechts.

Wie soll das auf dem Land im Osten besser laufen, wo sich demokratisch Engagierte außerdem ihrer körperlichen Integrität nicht sicher sein können, wenn sie gegen den Rechtsdrall mobil machen wollen? Dieses Problem gibt es in Berlin in der Regel noch nicht. Wenn alle zusammenstehen würden, wären wir tatsächlich immer noch mehr, aber wir stellen uns gerade vor, wie in den kleinen Städten und Ortschaften des Ostens, wo jede:r jede:n kennt, gemobbt wird, wenn jemand sich nicht auf der rechten Linie einfinden will. Wir analysieren nicht, wo das alles herkommt, nicht hier und heute, es würde auch den Blick darauf verstellen, dass die beiden oben angesprochenen Wahlen im Westen stattfanden.

Selbst in Berlin steht die AfD nach aktuellen Umfragen bei 12 Prozent (Abgeordnetenhauswahl Berlin: Neueste Wahlumfrage | Sonntagsfrage #aghw (dawum.de)), weil vor allem in den Randbezirken es vielen noch nicht genug ist, dass die vorherige Rot-Grün-Rot-Koalition abgewählt wurde, sie wollen von außen die politisch viel aktiviere Innenstadt, „alles, was innerhalb des S-Bahn-Rings liegt“, majorisieren.

Die oben verlinkte Umfrage hat größere Verschiebungen gegenüber der letzten zuvor ergeben, insbesondere, weil das BSW dieses Mal aufgenommen wurde – und die AfD hat dabei drei Punkte verloren. Wir hatten noch die vorherige Umfrage im Kopf und oben schon die Zahl 15 eingetragen. Es ist interessant, was man aus dieser Verschiebung schließen kann, nämlich, dass das BSW der CDU, der FDP und der AfD Stimmen wegnimmt, also rechts einzuordnen ist, nicht links. Wäre es Teilnehmer an einer Berliner Brandmauer gegen die AfD? Die Umfrage ist schon über einen Monat alt, aber wir gehen davon aus, dass die Skandale der AfD, die im Artikel erwähnt werden, der Partei nicht sehr schaden werden. Es ist wie mit den Trumpisten in den USA: Zeigt der Rechtsstaat einmal Zähne, wird von den Rechten die Verschwörungskeule ausgepackt.

Für Berlin muss man festhalten, es kommt bloß darauf an, wo man die SPD einordnet, wenn man entscheiden will, ob es hier bereits eine rechte Mehrheit gibt. Viele in der Zivilgesellschaft werden sagen: Diese SPD ist nicht links. Ganz und gar nicht. Mit Michael Müller, dem früheren Regierenden Bürgermeister, ist das Scharnier weg, das die SPD nach links anschlussfähig gehalten hat, die wegen einer fehlerhaft abgehaltenen Wahl nur kurzlebige Rot-Grün-Rot-Koalition unter Franziska Giffey war erkennbar nicht deren Herzensanliegen, sie ließ sich nach der Neuwahl 2023, die aus demokratietechnischer Sicht eine Katastrophe war, lieber zur Senatorin zurückstufen, als einen Berliner Mittelweg weiterzugehen.

Bei allen seinen Fehlern, so weit rechts wie Giffey & Co. war Mülelr nicht, und das führt im Nachgang dazu, dass man seinen Weggang bedauert. Die internen Gründe dafür könnten wir hier auch teilweise referieren, aber was würde es nützen?

Es kann gar nicht ausbleiben, dass, wenn Menschen die Verhältnisse in Thüringen schildern, wir auch über Berlin nachdenken, wo wir ebenso dicht dran sind oder es einmal waren. Eigentlich müssten wir uns voll auf den Kampf für die Demokratie in Berlin konzentrieren, aber es hängt nun einmal alles miteinander zusammen. Deswegen schreiben wir mittlerweile auch eher über Themen, die nicht nur diese Stadt betreffen und ziehen uns dadurch auch aus dem aktiven Part zurück, der Detailwissen über die hiesigen Vorgänge und einen aktivistischen Zugang erfordert.

In Thüringen stehen noch viele Stichwahlen aus und zu Recht weist der Verfassungsblog darauf hin, dass im kommunalen Klein-Klein, bei allen seinen prinzipiellen Vorteilen, leicht untergeht, wie normal die Zusammenarbeit mit den Rechten wird. Dieses Mal geht die Entdemokratisierung möglicherweise von unten nach oben vonstatten, und zwar im demokratischen Kleid des Miteinanders vor Ort, das ja bloß pragmatische Entscheidungen zugunsten der Menschen vor Ort erbringen soll. Wir können leicht den Bogen nach Berlin schlagen. In einem der rechteren Randbezirke haben CDU, AfD und FDP schon zusammengewirkt, um Anträge in den Bezirksparlamenten durchzubringen. Wir haben darüber geschrieben, wie sich so etwas vermeiden ließe, aber wir befürchten, dass die Menschen vor Ort diese Art von Taktik nicht unterstützen werden und sie am Ende wieder nur der AfD nützen wird. Und am Ende geht es auch um viele Posten und Ämer und darum, dass man sich jeden Tag sieht und eigentlich irgendwie auch gegenseitig normal findet und als Verweigerer aus Prinzip oftmals blöd dasteht. Psychologisch ist die Demokratie als ein Staatsprinzip immer im Nachteil gegenüber einer Menschelei am falschen Ort und mit den falschen Personen. 

Den Vorteil haben wir in Berlin immerhin: Wir können uns hier besser abgrenzen, weil die Größe der Stadt Milieubildung fördert. Hier hat die Zergliederung der Gesellschaft auch einmal Vorteile. Der Nachteil liegt auf der Hand: Es ist mühsam, eine so interessendivergente Stadtgesellschaft auf gemeinsame Ziele einzuschwören. Vielleicht klappt es ja bei der Demokratieverteidigung, auch wenn es nur ein Oberflächenziel ist, bei dem viele, die sich als Akteur:innen auf Abruf verstehen, die sozialen Gründe für die Erosion außen vor lassen. 

TH

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