Olaf Scholz: Bürgernah? (Umfrage + Kommentar) | Briefing 546 | PPP Politik, Parteien, Personen

Das Sholzen als das Gegenteil einer kompakten, bürgernahen Sprache ist mittlerweile ein geflügeltes Wort, es hat das Potenzial sowohl zum Wort als auch zum Unwort des Jahres. Je nachdem, wie man Scholz‘ Art interpretiert und wie gut sie zur eigenen Persönlichkeit passt? Jedenfalls hat Civey aus Scholz‘ (mangelnder) Bürger:innennähe eine Umfrage gemacht.

Civey-Umfrage: Ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ihrer Meinung nach „bürgernah“? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Seit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Amt ist, musste er sich diversen Krisen und Kritiken stellen. Zu Beginn der Ampel-Legislaturperiode stand die Corona-Pandemie im Fokus. Kurz darauf folgte die russische Invasion der Ukraine mit den damit einhergehenden Diskussionen um Waffenlieferungen. Später gab es heftige Debatten um das Heizungsgesetz oder die AKW-Verlängerung im Zusammenhang mit der Energie- und Haushaltskrise. Dabei wurde Scholz oft schwammige Kommunikation, Führungsschwäche und Zögerlichkeit vorgeworfen.

Nach dem jüngsten Besuch Emmanuel Macrons in Berlin äußerte sich etwa CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter letzte Woche kritisch. Er wünsche sich laut ntv einen deutschen Kanzler mit derselben Entschlossenheit wie die von Frankreichs Präsident. FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann übte noch deutlichere Kritik an Scholz. Im Interview mit der noz nannte sie ihn einen „krassen Rechthaber“ mit „geradezu autistischen Zügen“, den man nicht erreiche. Er sei nicht in der Lage, „den Bürgern sein Handeln zu erklären”. Zudem würde er seine Politik ausschließlich nach Umfragen gestalten.

SPD-Co-Chef Lars Klingbeil verteidigte Scholz und warf der FDP-Politikerin eine absolut unanständige, „verbale Entgleisung” vor. Er forderte sie in der Bild auf, sich zu entschuldigen, was sie kurz danach auch teilweise tat. Klingbeil erinnerte daran, dass sich die demokratischen Parteien auf einen fairen Europawahlkampf geeinigt hatten. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese nannte die Äußerungen Strack-Zimmermanns laut Welt einen unwürdigen und befremdlichen „Total-Ausfall“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf der Verteidigungsexpertin „Respektlosigkeit“ vor, zu der sie sich offenbar mangels echter Argumente entschieden hatte.

Unser Kommentar

Jüngste Umfragen sehen die SPD bei der kommenden Europawahl (gehen Sie bitte hin bzw. wählen Sie per Brief, wenn Sie es nicht schon getan haben!) auf Höhe 16 Prozent. Das wäre ein minimales Plus gegenüber 2019 von 0,2 Prozent. So genau auf den Punkt wird die Wahl nicht ausgehen, aber es wäre wenigstens keine Verschlechterung gegenüber einem ohnehin miserablen Ergebnis zuvor, bei dem die SPD nicht weniger als 11 Prozent gegenüber 2014 verlor.

Das ist allgemein wichtig der Einordnung wegen und auch, weil man Scholz, anders als andere Spitzenpolitiker der Bundesregierung oder der Opposition, auf den Wahlplakaten sieht, zusammen mit der Auch-dieses-Mal-wieder-Spitzenkandidatin fürs Europaparlament, Katharina Barley. Auf den Plakaten stellt er sich als Friedenskanzler dar. Ausgerechnet jetzt, wo in Sachen Ukrainekrieg ein wichtiger Schritt nach vorne oder hin zur weiteren Eskalation getan wird, je nachdem, wie man es bewertet, dass die Ukraine nun auch Angriffe von russischem Gebiet aus auf russischem Gebiet abwehren darf. So riesig ist der Schritt nicht, aber er hat eine große Symbolik.

Wir denken hingegen darüber nach, die SPD bei der Europawahl mit unserer Stimme auszustatten. Erstmalig SPD. Aber nicht aus Begeisterung für Olaf Scholz. Dem haben wir nämlich maximale Bürgerferne attestiert, in der obigen Umfrage. Und wir wissen auch, dass das vielleicht nicht gerecht ist. Denn es gibt auf der einen Seite die Kommunikation und auf der anderen Seite das reale Handeln, und im Handeln ist Scholz bürgernäher als in der Kommunikation. Das ist schlecht für ihn, weil es bei den meisten Politiker:innen genau umgekehrt ist. Sie versprechen viel, sind ständig mit großen Worten unterwegs und wenn sie wirklich zur Macht gelangen, hat man das Gefühl, es ändert sich gar nichts.

Was sich mit Scholz geändert hätte, wäre er in „normalen“ Zeiten Kanzler, wissen wir nicht. Aber die Anzeichen deuten darauf hin, dass er den Grünen in Sachen Klimaschutz noch weiter entgegengekommen wäre, als das nun insbesondere nach dem Haushaltsurteil des BVerfG noch möglich ist, das wiederum darauf fußt, dass schon viel Geld für Krisenmanagement draufgegangen ist. Ein wenig sozialer wäre es vielleicht auch geworden, das von den Rechten hart attackierte Bürgergeld war immerhin ein kleiner Fortschritt und in anderen Punkten gab es wenigstens keine größeren Einschnitte. Leider blieben die Ambitionen dann stecken und nun würde man am liebsten zurückrudern. Ob Scholz das gerne tun würde, weil er sich angeblich immer an Umfragen orientiert? Wir meinen, ja. Leider. Aber getan ist erst einmal getan, man kann nur mit der klassistischen Verfahrensweise wieder beginnen, ausgerechnet den Ärmsten Nullrunden reinzudrücken, Andeutungen in der Richtung gibt es schon. Da sieht man auch, wie angeblich rechtlich gerahmte Tatbestände zum politischen Spielball werden, wenn der Wind schlecht steht für gute Politik.

Wenn Scholz sich wirklich an Umfragen orientieren würde, dann würde er nun seinen Kommunikationsstil ändern, denn die CIvey-Umfrage sieht im Moment eine satte 60-Prozent-Mehrheit, die ganz klar sagt, Scholz sei nicht bürgernah. So wie wir.

Daraus wird aber von den Politiker:innen anderer Parteien und von rechten Kommentator:innen ganz schnell ein Handlungsmuster gestrickt, das man wenigstens hinterfragen muss.

In Sachen Ukrainekrieg kann Scholz machen, was er will, es ist für viele immer falsch. Wir haben seine vorsichtig-bejahgende Lage unterstützt, obwohl uns die Ukrainehilfen längst zu sehr ins Kraut schießen, wenn man wirklich alle Kosten zusammenrechnet. Wofür wird er jetzt kritisiert?

Nicht dafür, Dass er den oben erwähnten Schritt gegangen ist. Leicht ist ihm das sicher nicht gefallen und es konnte nur in Abstimmung mit den USA geschehen und dann, wenn Joe Biden vorangegangen ist. Dass es, wenn überhaupt, so laufen würde, hatten wir vermutet. Sondern es wird kritisiert, dass er nicht vorgeprescht ist und außerdem wird dieser Schritt so bewertet, dass er nicht eigenständig, sondern nur im Gefolge der westlichen Führungsmacht erfolgt ist. Ausgerechnet rechte Kommentatoren beziehen sich auf Willy Brandt und Gerhard Schröder als Gestalter eigenständiger Politik. Willy Brandt kam seine Ostpolitik teuer zu stehen, wie wir wissen, so richtig sie auch damals war. Und Gerhard Schröder ist nach seiner Irakkrieg-Abstinenz auch nicht mehr lange Kanzler gewesen.

Es wird bei Scholz angesichts gegenwärtiger Umfragen auch so sein, dass er 2025 abtreten muss, aber die Falle ist offensichtlich: Es muss jedem klar sein, dass Deutschland in seiner geopolitischen Situation im Ukrainekrieg nicht über das hinausgehen kann, was die USA tun, vielmehr wäre zu diskutieren, ob man nicht dahinter zurückbleiben müsste, wegen der geografisch exponierten und militärisch schwachen Lage Deutschlands, die uns jeden Tag vor Augen geführt oder verkauft wird.

Wir haben in mehreren Artikeln geschrieben, Scholz wäre ein adäquater Kanzler für ruhige Zeiten gewesen, in denen man auch den Fortschritt bürokratisch organisieren kann, in Sachen Klimaschutz, Wirtschaftstransformation und was eben so auf der Agenda steht, wenn es nicht Corona, wenn es nicht mittlerweile zwei Kriege gäbe, die uns beschäftigen, nicht die resultierende Energieproblematik  und die enormen Kosten für die Beteiligung an der Koalition gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Selbst in ruhigen Zeiten hätte er aber eines nicht gekonnt: Er hätte Deutschland nicht das dringend notwendige neue Narrativ vermittelt, an dem sich die Gesellschaft ausrichten und die ein Staatsziel sein könnte. Stattdessen wird der Begriff Staatsräson viel zu offensiv verwendet. Aber auch das ist auf eine Weise typisch. Die Begründung, auch wenn sie weitere Verstrickungen und Verkrustungen befördert, ist wichtiger als progressive Ziele.

Zu diesen progressiven Zielen würde es zum Beispiel gehören, die Hetze gegen die Immigration zu kontern, was angesichts der Krisen und Kriege, die für weitere große Zugänge durch Geflüchtete sorgen könnten – oder soll man schon realistisch schreiben: werden? – kaum möglich ist. Das wiederum ruft Ohnmachtsgefühle bei der Bevölkerung hervor und Scholz ist nicht der Typ, der die damit verbundenen Ängste dämpfen kann. Er kann nicht einmal, wie Angela Merkel im August 2015, sagen: Wir schaffen das, womit sie gemein hat, ihr, die Zivilgesellschaft und die Politik vor Ort, ihr werdet das schon schaffen. Trotzdem wurde sie dafür gefeiert. Scholz wurde im Grunde noch  nie gefeiert, wenn man von der  Zeitenwende-Rede absieht, die aber, anders als Merkels statuarischer Satz, bald vielfacher Zerfledderung mangels Implementierung der Erkenntnisse in die Realität ausgesetzt war. Das ist eine falsche Darstellung, aber sie lässt sich gut verbreiten, weil Scholz eben wirkt, wie er wirkt. Das wissen Journalist:innen und politische Gegner:innen natürlich.

Und sie wollen nach rechts. Die Mehrheit jedenfalls. Und selbst aus der Mitte gibt es Feuer, zum Beispiel von den Grünen und ihnen nahestehenden Publikationen, weil es mit wichtigen Projekten nicht maximal schnell vorangeht oder weil man im Ukrainekrieg nicht längst eigene Bodentruppen einsetzt, überspitzt formuliert. Wir würden ja gerne von der Seite, die immer fordert und fordert, gerne mal zum Ausgleich hören, wo sie die Grenzen setzen würde.

Scholz‘ Persona lädt auch dazu ein, ihn quasi als prinzipienlos zu markieren. Auch dafür eignet sich wieder das Beispiel Ukrainekrieg: Wie oft hat er schon Positionen räumen müssen! Hätte er dem Kriegsverlauf keine Rechnung getragen und die deutsche Haltung immer wieder angepasst, was hätte er sich da erst anhören müssen. Es ist wirklich nieder, wie mit dem Kanzler umgegangen wird, weil er ist, wie er ist. Selbst schuld, er könnte doch mal ein Seminar für gute Kommunikation besuchen?

Dann würden sich die Kritiker auch nicht immer so widersprechen, weil er die nicht so schwer erklärbaren, echten und scheinbaren Widersprüche selbst besser erklären würde. Ja, das wäre möglich. Scholz müsste in diesen Zeiten populistischer sein, das sehen wir auch so. Auf einen groben Klotz gehört eben doch ein grober Keil.

Erinnern wir uns daran, dass Scholz aber nicht wegen seines Talents in Sachen Disput und Menschen einfangen gewählt wurde. Sondern, weil die Union einen Fehler bei der Aufstellung des Kanzlerkandidaten für 2021 gemacht hatte. Gegen Angela Merkel hätte er die Bundestagswahl verloren, davon sind wir überzeugt, auch wenn sie kein sehr gutes Ergebnis eingefahren hätte, vielleicht ein noch schlechteres als die mageren 32 Prozent im Jahr 2017. Scholz ist ein Trotzdem-Kanzler, der im Grunde trotz seines Mangels an Mehrheitsfähigkeit ins Amt kam.

Aber er beschwert sich nicht über seine relativ schwache Position und man hört selten, dass er klarstellt, dass die Ampelkoalition mehr zu bewältigen hatte in drei Jahren als Angela Merkel während ihrer gesamten Regierungszeit. Im Wesentlichen waren es die Bankenkrise, der Herbst der Geflüchteten und Corona, die ihre Stationen markieren. Keine Aufgabe hat sie wirklich gut gelöst, das sehen wir auch daran, dass die Gesellschaft so wenig krisenresilient ist. Merkel war keine Kanzlerin, die nach vorne gedacht hat. Scholz muss selbst dann nach vorne denken, wenn er es gar nicht will, es nicht seiner Struktur entspricht, weil jeder heutige Schritt fatale Folgen für die Zukunft haben kann, wenn er falsch gesetzt wird, während Merkel immer viel Spielraum hatte, den sie nur dann nutzte, wenn es darum ging, Lösungen zu verschieben oder die Menschen im Land zu Humanität aufzufordern, steckt Scholz seit dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft, spätestens aber seit dem Ukrainekrieg, in dem Dilemma, das wir besonders in Bezug au diesen Krieg mehrfach allgemein beschrieben haben. Da gibt es jetzt auch keine einfachen Lösungen, wenn man ehrlich ist und kein Arschloch sein will.

Es ist legitim, dass Scholz‘ viele Gegner nun ihr Süppchen auf diesem Dilemma kochen, und es bleibt, dass Scholz offensiver werden müsste in seiner Rhetorik. Krise als Chance, das müsste er viel stärker in den Vordergrund rücken. Wenn in den 2000ern Politiker in Katastrophengebiete gefahren sind wie jetzt in die Hochwasserzonen, dann wirkte das wie: Jetzt kommen die Helfer und Macher. Wenn Scholz das tut, wirkt es, als erscheine die personifizierte Hilflosigkeit vor Ort. Dabei ist das alles Unsinn. Die damaligen Macher haben nichts bewegt, um Deutschland zukunftssicher zu machen, die Opfer der Naturereignisse mussten oft ewig lange auf die finanzielle Unterstützung warten, die ihnen zugesagt worden war. Die jetzige Bundesregierung hat in Sachen Klimaschutz trotz aller Krisen schon mehr getan als alle vorherigen Regierungen zusammen.

Davon profitieren aber nur die Grünen, deren wichtigster Minister auch gerne den Ersatzkanzler spielt, unter großem Applaus von Medien und in den sozialen Netzwerken, der darüber hinwegtäuscht, dass auch diese Art von Verhalten nicht mehrheitsfähig ist und nur dort ankommt, wo die politische Denkschärfe ein bisschen im Argen liegt. In Wirklichkeit hat Scholz das Problem, dass die gesamte Koalition nicht glänzen kann, weil selbst gute Absichten mit präpotenten Auftritten von verschiedenen Seiten konterkariert werden. Was würde geschehen, wenn er sich als Führungsfigur mehr hervorheben würde, anstatt immer wieder zu vermitteln und, wenn wir genau hinschauen, durchaus ein Machtwort zu sprechen, wenn es nicht anders geht? Mit der Betonung auf Letzterem.

Die Ampel ist eine Fehlkonstruktion, die Neoliberalen passen da nicht rein, aber ohne wieder mit der Union zusammenzugehen, hätte es für die SPD keine andere Regierungsmöglichkeit gegeben, nachdem man bei mehreren Wahlen die Chance auf Rot-Rot-Grün verpasst hatte, die sich danach geboten hätte. Die SPD mit Kanzler Scholz auch in diesem Dilemma: Zwischen zwei Partnern eingeklemmt, die beide wenig Vertrauen in die Regierungsfähigkeit des gesamten Teams vermitteln, auch wenn die Umwelt-Klima-Agenda zumindest ihre Adresse gefunden hat. Der Verdacht ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass es auf dem Weg zu mehr Klimaschutz zu unnötig hohen Wohlstandsverlusten kommen wird, verstärkt durch den Ukrainekrieg. Und auf der Seite sind die Menschen besonders empfindlich: Wie stehe ich persönlich da, in diesen Zeiten? Manche spüren die Auswirkungen dieser Krisen jetzt ganz konkret, anders als noch während der Bankenkrise, die für die meisten ziemlich abstrakt geblieben ist uns deren Schäden sich erst in den kommenden Jahren allmählich zeigten, interessanterweise, ohne dass dies zu einem politischen Wechsel geführt hätte.

Auch Angela Merkel war vielen Anfeindungen ausgesetzt, und alles, was wir heute an Problemen sehen, hätte sie in den vielen Jahren ihrer Kanzlerschaft angehen können, weil alles schon auf dem Tisch lag. Aber die Menschen wollten es offenbar so und konzentrieren ihren Hass jetzt auf Scholz und die Ampel, denn: Wer hinterfragt sich und sein Wahlverhalten schon ernsthaft?

So könnte man immer weiter nachdenken, aber wir machen hier mal Schluss und hinterfragen uns selbst: Ja, der Artikel hat etwas von Scholz selbst, er bleibt episodisch, reißt vieles an, kann aber nicht in die Tiefe gehen und wir stehen dazu, dass er ist, wie er ist. Nicht, weil Scholz ist, wie er ist, aber weil wir ihm hier weder gerecht werden können, noch seine Schwächen hinreichend markant und damit gut kommunizieren können. In der ausformulierten Umfrage (der Link) steht der Begriff „bürgernah“ übrigens in Anführungszeichen. Diese Handhabe kennzeichnet ganz gut, dass es sich dabei auch nur um einen Teil einer Formel handelt.

TH

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