Pflichtversicherung in Deutschland (für Katastrophenschäden) (Umfrage + Kommentar) | Briefing 547 | Wirtschaft, PPP Politik Personen Parteien, Gesellschaft, Klima / Umwelt

Briefing 547 Wirtschaft, Eigentum, Katastrophenschutz, Gebäudeversicherung, PPP, Klimawandel, Umweltschäden, Elementarschäden

Das Wetter hat wieder einmal zugeschlagen. Erst im Südwesten, jetzt im Süden. Hochwasser, schwere Schäden, Todesfälle. Sollte man nun eine Pflichtversicherung für Gebäudeeigentümer einführen? Dazu die gestrige Civey-Frage. Lesen Sie bitte unseren Kommentar dazu.

Civey-Umfrage: Sollte Ihrer Meinung nach eine Versicherungspflicht für Elementarschäden (z.B. Überschwemmungen, Starkregen) in Deutschland eingeführt werden? – Civey

Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter

Bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 starben über 180 Menschen, etliche Gemeinden wurden verwüstet. Laut ARD lag der Versicherungsschaden bei rund 8,4 Milliarden Euro. Aktuell versichert gegen derartige Naturgefahren seien dem GDV-Branchenverband nach rund 54 Prozent der Gebäude hierzulande. Am Wochenende kam es nach heftigen Regenfällen in Süddeutschland erneut zu verheerenden Überflutungen. Allein in Bayern waren nach Angaben des Bayerischen Innenministeriums vom Montag rund 3.000 Menschen von Evakuierungen betroffen. 

Angesichts der kritischen Lage mehren sich Forderungen, eine Pflichtversicherung für Elementarschäden in Deutschland einzuführen. Diese stellten etwa die Ministerpräsidenten von Bayern und Hessen, Markus Söder (CSU) und Boris Rhein (CDU). Naturkatastrophen dürften weder Menschen in den finanziellen Ruin treiben, noch die Steuerzahler belasten, sagte Rhein dem RND. Mittlerweile spricht sich laut rbb auch die SPD-Bundesfraktion für eine Pflichtversicherung für Gebäudeschäden aus, da extreme Wetterereignisse zunehmen würden. 

Die FDP lehnt eine Versicherungspflicht wegen des Bürokratieaufwandes  und der hohen Kosten für Haushalte ab. „Eigentum ist in Deutschland jetzt schon für viele Menschen […] zu teuer, Eigentum wäre danach weitaus teurer“, erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Montag laut ntv. Der Eigentümerverband Haus und Grund fordert derweil Präventivmaßnahmen, um Schäden vorzubeugen. Verbandspräsident Kai Warnecke schlug im rbb etwa Bauverbote in Überschwemmungsgebieten vor.

Unser Kommentar

Gut, dass wir mit dem Artikel einen Tag gewartet haben, nachdem die Umfrage aufgesetzt wurde. Denn bevor Sie abstimmen, sollten Sie diesen Artikel lesen: Hochwasser – und Politiker starren mal wieder auf Sandsäcke (t-online.de), hier der entscheidende Ausschnitt:

„Bund und Länder nämlich haben bereits 2013 ein großes Programm auf den Weg gebracht, um dem Wasser im Notfall mehr Raum zu geben: das „Nationale Hochwasserschutzprogramm“. Bitter aber sind die Zahlen nach mehr als einer Dekade: Von 168 Maßnahmen bundesweit sind nur 15 Prozent im Bau oder abgeschlossen. Der Rest steckt in der Vorplanung, in der Konzeption, in der Genehmigungs- oder Vergabephase.Und auf Länderebene sieht es oft nicht besser aus. In Bayern wollte die Staatsregierung sieben große Flutpolder bis 2020 fertigstellen – bis heute sind nur zwei davon verwirklicht“.

Es ist nicht die Eigentumsideologie, die uns dieses Mal mit der FDP zusammen hat abstimmen lassen, sondern das genaue Gegenteil, das Staatsversagen in Sachen Katastrophenschutz. Ein weiteres Problem der Resilienz in Deutschland. Wir sind nicht vorbereitet auf Pandemien, nicht auf Kriege, nicht auf Veränderungen in der Wirtschaftswelt, nicht auf Katastrophen. Und das ist eine Katastrophe. Um gleich wieder von der FDP wegzukommen: Der freie Markt hat gar nichts geregelt, der Staat muss diese Gemeinschaftsaufgaben in die Hand nehmen oder zumindest bei der Steuerung aktiver werden. Bedenkenlos wollen Union und SPD mal wieder das Politikversagen den Bürger:innen aufhäufen, wie auf so vielen anderen Gebieten.

Es gibt nur wenige Pflichtversicherungen, die Sozialversicherungen, und diese Pflicht gilt auch nicht für alle. Die Sozialversicherungen werden Schritt für Schritt demoliert. Es ist uns gerade wieder bewusst geworden, weil wir eine neue Brille brauchen. Hoffentlich muss der Zahnarzt nächste Woche nicht bohren. Vieles geht im Grunde nur noch mit privaten Zusatzversicherungen. Wenn man sie sich leisten kann. Der Staat zieht sich immer mehr aus seinen Aufgaben zurück.

Katastrophen dürfen den Steuerzahler nichts kosten. Das hallt nach. Wir wollen nicht den Katastrophenschutz gegen andere Ausgaben ausspielen, schon gar nicht gegen soziale Belange. Aber er ist eine Gemeinschaftsaufgabe und die muss von der Gemeinschaft bewältigt werden und der Staat muss diese Aufgabe durchführen. Dafür sind Steuern da. Auch für die Krisenvorsorge. Wir stellen uns gerade vor, dass für den Kriegsfall keine Schutzmaßnahmen mehr ergriffen werden und sich alle Bürger:innen  privat gegen den Exitus durch Angriffe versichern müssen, inklusive der Hinterbliebenen natürlich. Gut, wenn jemand eine Kapitallebensversicherung hat, sofern man dieses Instrument für eine sinnvolle Geldanlage hält. Die Pflichtversicherung gegen Gebäude könnte man auch gleich noch auf Kriegsschäden ausdehnen, fällt uns ein. Das wäre praktisch, der Staat müsste nicht für den Wiederaufbau eines Landes eintreten, dessen Zerstörung die Politik zu verantworten hätte.

Wir haben keine Gebäudeversicherung, aber wir haben mal eine für unser Wohngebiet berechnet, für ein ganz normales Einfamilienhaus ohne Besonderheiten. Ab 600 Euro jährlich geht es los, wenn man „Elementarschäden“, also Naturkatastrophen, insbesondere Hochwasser, mitversichert. Es ist also, wenn man Eigenheimbesitzer:in ist, im Grunde keine Frage des Könnens, eine Summe von 600 bis 1.000 Euro sind für Eigentümerpersonen in der Regel machbar und wenn man bedenkt, was man dafür bekommt. Während Sozialversicherungen immer mehr gestrippt werden, trotz immer höherer Beiträge, ist der Preis auch nicht ganz unfair. Es ist also eher eine Frage des Prinzips, ob man Sozialaufgaben wieder einmal privatisiert oder nicht.

Wir würden sogar eher eine Sonderabgabe Katastrophenschutz befürworten als eine Pflichtversicherung, weil damit klar wäre, dass das Geld nur zweckgebunden verwendet werden darf, dass es nicht für Quersubventionen dienen kann, auch nicht innerhalb der Versicherungskonzerne und Gewinnausschüttung an Aktionäre. Es handelt sich hier um Daseinsvorsorge,  und die darf nicht immer mehr kapitalisiert werden, sondern  es hier um eine Aufgabe der Politik, finanziert durch alle, die es betrifft. Ob also wirklich alle diese Sonderabgabe zahlen müssten, ist darum eine andere Frage. Wir meinen: Nur Gebäudeeigentümer. Die Vermieter unter ihnen werden die Kosten ohnehin an die Mietenden weiterreichen und selbst wieder einmal gar nichts für den Schutz ihrer Renditeobjekte ausgeben müssen. Siehe Grundsteuer etc. Wir müssen mal wieder einen Artikel über die weitreichende Privilegierung der Immobilienkapitalisten schreiben und warum es durchaus Sinn ergibt, über Enteignungen in diesem Bereich nachzudenken.

Selbstnutzer müssen die Kosten für den Hochwasserschutz ohnehin tragen, so oder so. In normalen Zeiten wäre eine Sonderabgabe für uns kein Thema, dafür muss das normale Steueraufkommen ausreichen. Aber da das BVerfG gerade die Schuldenbremse festgestanzt hat und an allen Ecken und Enden Mehrausgaben anfallen, besonders für die Aufrüstung, wäre die Finanzierung  der überfälligen Investitionen in Form eines Sondervermögen (Sonderschuldenberg) das zuerst angelegt und in schnelle Schutzmaßnahmen investiert, dann über die Jahre durch die Sonderabgabe abgetragen wird, keine ganz falsche Idee.

Gegenwärtig, wohl auch unter dem Eindruck der Ereignisse und inklusive aller, die schon eine Versicherung haben, stimmen etwas mehr als 40 Prozent eindeutig für eine Pflichtversicherung. Wir sind bei den etwas über 20 Prozent, die das anders sehen. Und zum Schluss: das Wetter. https://x.com/Kachelmann/status/1798082055806579143

 

TH


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