UPDATE 9: Exakte Ergebnisse, Rechtsruck in den Ländern und Analyse | Briefing 552/9 | #Europe #Europa #Politics #Politik #Europawahl2024 #Europawahl #Europe #EU

Briefing 5529 Update 9 Ergebnisse und allgemeine Analyse des Rechtsrucks in Europa

Unser heutiger Artikel wird nicht der längste zur Europawahl sein, aber der informationsreichste. Die exakten Ergebnisse in Deutschland sind ebenso enthalten wie die vorläufige Verteilung der EU-Parlamentarier:innen aus der gesamten Union auf verschiedene Fraktionen.

Mindestens ebenso wichtig, weil aus vielen Quellen selbst und mit Hilfe von KI aufbereitet: Die Analyse des Rechtsrucks.

Letztere können wir in einem solchen Zusammenfassungartikel nur auf einerrecht allgemeinen Ebene leisten, vertiefte Artikel zu Europa werden bei uns aber wieder mehr rechtliche und ökonomische Details behandeln.

Ergebnisse der Europawahl 2024[1]

Die Grunddaten: Europäisches Parlament, Fraktionen, und deutsches Ergebnis

Die Sitzverteilung im EU-Parlament (vorläufig):

  • EVP – Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten): 186
  • S&D – Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament: 135
  • Renew Europe Group: 79
  • EKR – Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer: 73
  • ID – Fraktion Identität und Demokratie: 58
  • Sonstige (Neue Mitglieder, die keiner Fraktion des scheidenden Parlaments angehören): 55
  • Grüne/EFA – Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz: 53
  • NI (Non Inscrits) – Fraktionslose: 45
  • The Left – Fraktion Die Linke im Europäischen Parlament – GUE/NGL: 36

 

Deutschland – Endergebnisse

Nationale Parteien

Prozentsatz (%)

CDU/CSU – Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern

30,00 %

AfD – Alternative für Deutschland

15,90 %

SPD – Sozialdemokratische Partei Deutschlands

13,90 %

Die Grünen – Bündnis 90/Die Grünen

11,90 %

BSW – Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit

6,20 %

FDP – Freie Demokratische Partei

5,20 %

Die Linke – Die Linke

2,70 %

FW – Freie Wähler

2,70 %

Volt – Volt Deutschland

2,60 %

Die Partei – Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative

1,90 %

Tierschutzpartei – Partei Mensch Umwelt Tierschutz

1,40 %

Familie – Familien-Partei Deutschlands                                                              

0,60 %

ÖDP – Ökologisch-Demokratische Partei

0,60 %

PdF – Partei des Fortschritts

0,60 %

Piratenpartei – Piratenpartei Deutschland

0,50 %

Sonstige Parteien – Sonstige Parteien

3,30 %

 Damit ziehen 15 deutsche Parteien ins EU-Parlament ein (CDU und CSU einzeln gezählt). Die Wahlliste enthielt 34 Parteien. 

Bei der Europawahl am 9. Juni 2024 konnten rechtsaußen stehende und rechtspopulistische Parteien in mehreren EU-Ländern deutliche Zugewinne verzeichnen. Laut dem Deutschlandfunk erzielte die AfD in Deutschland 16% der Stimmen, ein Plus von 5 Prozentpunkten gegenüber 2019, und wurde im Osten sogar stärkste Kraft. In Frankreich könnte laut Prognosen die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National von Marine Le Pen mit dem Doppelten der Sitze von Präsident Macrons Allianz zur stärksten Kraft werden. Auch die Fratelli d’Italia in Italien unter Regierungschefin Meloni, die PVV von Geert Wilders in den Niederlanden und die FPÖ in Österreich feierten Erfolge.

Auswirkungen auf die EU-Politik

Experten befürchten einen Rechtsruck in der EU und eine Verschiebung hin zu einer härteren Haltung bei Migration, Asyl und Umweltpolitik anstelle einer Energiewende. Die EU-Kommission werde „zwangsläufig einen Rechtsruck erleben“, zitiert der Tagesspiegel Analysten. Laut MDR bleibt zwar der Kern der Klimapolitik wie der Green Deal intakt, einzelne Anpassungen seien aber möglich. Die Umsetzung könnte durch fehlende Mehrheiten erschwert werden. Unternehmen fordern eine konsistente Linie.

Unterschiedliche Entwicklungen

Während rechte Parteien in Ländern wie Italien, Frankreich und den Niederlanden an Boden gewannen, blieben sie andernorts wie in Spanien hinter den Erwartungen zurück, so der Spiegel. Die hohe Wahlbeteiligung von geschätzt 51% EU-weit zeigt laut Europäischer Bewegung Deutschlands, dass die Mehrheit der EU-Bürger pro-europäisch eingestellt ist. Insgesamt zeichnet sich jedoch ein Erstarken anti-europäischer und anti-demokratischer Kräfte im neuen Parlament ab, was die Bildung von Mehrheiten erschweren könnte. Die Zukunft der progressiven EU-Agenda für Klima, Soziales und Migration ist unsicher.

In einzelnen Ländern

Die Europawahl 2024 hat in mehreren Ländern einen deutlichen Rechtsruck gezeigt, wobei rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien erhebliche Zugewinne verzeichneten. Hier sind die wichtigsten Ergebnisse und Entwicklungen in den betroffenen Ländern:

Deutschland

  • Die AfD erzielte 16% der Stimmen, ein Plus von 5 Prozentpunkten gegenüber 2019, und wurde im Osten Deutschlands sogar stärkste Kraft.  Die AfD konnte ihre Position als zweitstärkste Kraft hinter der Union festigen, insbesondere in den östlichen Bundesländern.

Frankreich

  • Das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen wurde mit 31,36% der Stimmen stärkste Kraft, während die Liste von Präsident Emmanuel Macron nur 14,6% erreichte. Das  RN konnte seine Sitze im Europäischen Parlament verdoppeln und wird eine bedeutende Rolle im neuen Parlament spielen.

Italien

  • Die Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni erzielten erhebliche Zugewinne und festigten ihre Position als führende rechte Kraft in Italien. Die Partei konnte ihre Sitze im Europäischen Parlament deutlich ausbauen und wird weiterhin eine zentrale Rolle in der italienischen Politik spielen.

Niederlande

  • Die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders konnte ebenfalls signifikante Zugewinne verzeichnen und ihre Position im Europäischen Parlament stärken. Die PVV profitierte von einer allgemeinen Verschiebung nach rechts in der niederländischen Politik.

Österreich

  • Die FPÖ erzielte 25,5% der Stimmen und konnte damit ihre Position als die führende  führende Partei in Österreich festigen. Die FPÖ wird voraussichtlich eine zentrale Rolle in den kommenden nationalen Wahlen spielen und könnte den nächsten Kanzler stellen.

Schweden und Finnland

  • In Schweden und Finnland konnten rechtspopulistische Parteien wie die Schwedendemokraten und die Finnen-Partei ebenfalls Zugewinne verzeichnen, obwohl die Ergebnisse weniger dramatisch ausfielen als in anderen Ländern.

Polen und Ungarn

  • In Polen und Ungarn konnten die regierenden rechtspopulistischen Parteien ihre Positionen weiter festigen und ihre Dominanz in der nationalen Politik ausbauen.

Zusammenfassung der Fraktionen im Europäischen Parlament

  • Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) kommt auf 73 Sitze (+4 Sitze), und die Fraktion Identität und Demokratie (ID) auf 58 Sitze (+9 Sitze).
  • Dabei ist anzumerken, dass die AfD nicht mehr zur Fraktion ID zählt, sonst hätte diese erheblich stärker zugelegt (+24 Sitze).

Diese Zugewinne werden das Zentrum des künftigen Europäischen Parlaments weiter nach rechts verschieben, obwohl die grundlegende Gewichtung der politischen Lager weitgehend unverändert bleibt.

Sozioökonomische Faktoren für den Rechtsruck

 Unsicherheit und Ungleichheit

  • Die Finanzkrise 2008 und die daraus resultierenden sozioökonomischen Ungleichheiten haben laut Studien der Hans-Böckler-Stiftung zu einem Vertrauensverlust in politische Systeme und der Entwicklung antidemokratischer Einstellungen geführt, insbesondere bei Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen.

Armut wird nicht nur als wirtschaftliches, sondern auch als gesellschaftliches Problem gesehen, da sie die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt und zu einem Gefühl der Isolation und Ausgrenzung führen kann. Soziale Faktoren

  • Der Vertrauensverlust in etablierte politische Eliten und Institutionen verstärkt den Rechtsruck zusätzlich.

Ängste vor Einwanderung, kulturellem Wandel und der Wahrnehmung, dass die Interessen der Benachteiligten nicht vertreten werden, mobilisieren rechtspopulistische Bewegungen.

In Ländern mit hohen Zuwanderungsraten wie Frankreich oder den Niederlanden gelang es Populisten früh, Immigration als Hauptursache für soziale Konflikte darzustellen.

Rolle des Wohlfahrtsstaats

  • Laut Karin Priester hat die Entwicklung und Rolle des Wohlfahrtsstaates Einfluss auf den Rechtspopulismus, da die Menschen den Staat für soziale Sicherheit verantwortlich machen.

Globalisierungsängste

  • Ängste vor den Folgen der Globalisierung wie Arbeitsplatzverlusten durch Outsourcing und Konkurrenz aus Billiglohnländern haben ebenfalls zu wirtschaftlicher Verunsicherung beigetragen.
  • Rechtspopulisten versprechen häufig Protektionismus und eine Abschottung von Globalisierungsprozessen.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass wirtschaftliche Faktoren wie Ungleichheit und Armut, aber auch soziale Aspekte wie Ängste, Ausgrenzung und Vertrauensverlust den Nährboden für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa bilden.

Ökonomische Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Reallohnverluste und die Angst vor sozialem Abstieg haben den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen begünstigt, die einfache Lösungen für komplexe wirtschaftliche Probleme versprachen. Gerade die unter Druck geratenen mittleren gesellschaftlichen Schichten erwiesen sich als anfällig für Parolen von Rechtsaußenparteien.

Dieses Muster gab es bereits in den späten 1920ern und frühen 1930ern in Deutschland: Anteilig mehr als die Arbeiter:innen haben Kleinbürger:innen die Nazis gewählt, auch wenn in ihrem Parteinahmen der Betriff Arbeit eingebunden ist.

Der Rechtsruck wird nicht zur Lösung dieser Probleme führen, sondern die Ungleichheit und die sozialen Probleme verschärfen:

Der Erfolg rechter und rechtspopulistischer Parteien bei der Europawahl 2024 könnte die Bemühungen zur Verringerung sozialer Ungleichheiten in der EU erschweren:

  • Bedrohung für den Europäischen Green Deal
    Experten befürchten, dass ein Rechtsruck im Europäischen Parlament zu einer Verlangsamung des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft und weniger Investitionen in Klimaschutz und Sozialpolitik führen könnte. Der ambitionierte Green Deal zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 könnte an Schwung verlieren.
  • Schwächung der Europäischen Säule Sozialer Rechte
    Die 2017 proklamierte Europäische Säule mit 20 Prinzipien für mehr soziale Gerechtigkeit, faire Arbeitsbedingungen und Sozialschutz könnte durch einen Rechtsruck ausgehöhlt werden. Initiativen für Chancengleichheit und gegen Diskriminierung wären gefährdet.
  • Rückschlag für Geschlechtergleichstellung
    Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen könnten durch konservative Kräfte im Parlament gebremst werden.
  • Schwächung der EU-Sozialpolitik
    Generell könnte ein Rechtsruck die Koordinierung der Sozialversicherungssysteme und Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU erschweren und zu einer Renationalisierung der Sozialpolitik führen.
  • Verschärfung regionaler Ungleichheiten
    Laut Studien können große sozioökonomische Ungleichheiten zwischen EU-Regionen zu neuen Interessenkonflikten führen, die den Integrationsprozess belasten. Ein Rechtsruck könnte diese Spannungen verstärken.

Insgesamt warnen Experten, dass ein Erstarken anti-europäischer und nationalistischer Kräfte die Fortschritte bei der Verringerung sozialer Ungleichheiten in der EU gefährden und zu einer Schwächung des Europäischen Sozialmodells führen könnte.

Dabei sind die wirtschaftlichen Folgen einer Renationalisierung noch nicht benannt, darauf werden wir an dieser Stelle auch nicht im Einzelnen eingehen können. Fest steht: Kein EU-Staat ist alleine stark genug, um die Herausforderungen im globalen Wettbewerb zu meistern, hier wäre intern eine fairere Praxis als bisher und nach außen ein wesentlich geschlosseneres Auftreten der EU erforderlich, das wirtschaftliche und geopolitische Aspekte miteinander vereint.

[1]Verwendete Primärquellen für diesen Artikel:

https://www.deutschlandfunk.de/europawahl-2024-prognosen-hochrechnung-ergebnisse-100.html

https://www.tagesspiegel.de/internationales/analyse-zum-erfolg-der-rechten-bei-der-europawahl-auch-die-eu-kommission-wird-zwangslaufig-einen-rechtsruck-erleben-11793065.html


https://www.mdr.de/wissen/umwelt-klima/klimapolitik-nach-europawahl-rechtsruck-green-deal-100.html

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/europawahl–was-bedeutet-der-rechtsruck-fuer-die-zukunft–34784638.html

https://www.tagesspiegel.de/internationales/warum-gibt-es-einen-rechtsruck-in-europa-erst-verstehen-dann-verdammen-11797157.html

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/7-europaeische-autoren-ueber-den-rechtsruck-in-europa-19788654.html

https://www.fr.de/politik/daten-europawahl-eu-ergebnisse-rechts-rutsch-afd-folgen-asyl-klima-karte-zr-93121013.html

https://www.spiegel.de/ausland/europawahl-2024-populisten-in-frankreich-deutschland-und-italien-erfolgreich-aber-anderswo-nicht-a-a822f77f-da41-4ff8-9825-ae987d17becf

https://web.de/magazine/politik/wahlen/europawahl/rechtsruck-europawahlen-rechtsaussenparteien-europa-39754118


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