9 Minuten Lesezeit Briefing 575 Sport, Tour de France 2024, Beginn am 30.06.2024, Länder, Sieger, Doping, Systemkritik
Zur Fußball-EM haben wir uns immerhin mit einem einzigen Artikel gemeldet, warum sollten wir das bei der Tour de France nicht auch tun, deren 2024er Ausgaben gestern gestartet ist? – Wo wir doch selbst wieder unter die Radfahrer gegangen sind. Es ist jedoch nicht verwunderlich, dass Statista nicht etwa die Fahrer mit den meisten Toursiegen oder die Länder mit den meisten Toursiegern in den Vordergrund gerückt hat, sondern die Durchschnittsgeschwindigkeiten, die bei der Tour de France zum Sieg gereicht haben.
Wie schnell sind die Tour de France-Sieger?

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
41,43 Kilometer pro Stunde war die Durchschnittsgeschwindigkeit des letztjährigen Tour de France-Siegers Jonas Vingegaard. Und das über eine Strecke von insgesamt 3.401 Kilometern. Damit war der Däne etwas langsamer Unterwegs als bei seinem Tour-Sieg 2022 (42,03 km/h) bei dem Vingegaard den bisherigen Rekord von Lance Armstrong aus dem Jahr 2005 um 0,38 km/h verbessert hatte. Damals ging es aber nicht mit rechten Dingen zu. Der Titel wurde dem US-Amerikaner 2012 vom Radsportweltverband UCI wegen Dopingmissbrauchs aberkannt – zusammen mit Armstrongs sechs weiteren Titeln. Dass die Fahrer der letzten Jahr mit den Dopingsündern von damals gleichziehen kann zwar auch etwas mit der kontinuierlichen Verbesserung des Equipments zu tun haben, dennoch steht auch weiter der Verdacht im Raum, das im Radsport weiterhin gedopt wird.
Infoblock
Die Tour-de-France-Radfahrer mit den meisten Siegen sind:
- Jacques Anquetil (Frankreich)
- Eddy Merckx (Belgien)
- Bernard Hinault (Frankreich)
- Miguel Indurain (Spanien)
Diese vier Fahrer haben die Tour de France jeweils fünfmal gewonnen[1][2].
Die fünf Länder mit den meisten Tour de France-Siegen sind:
- Frankreich: 36 Siege
- Belgien: 18 Siege
- Spanien: 12 Siege
- Italien: 10 Siege
- Dänemark/USA: 3 Siege (geteilt)[1]
Es ist wichtig, zu beachten, dass Lance Armstrong ursprünglich siebenmal die Tour de France gewann, aber seine Siege wurden wegen Dopings aberkannt. Ohne diese Aberkennung würden die USA mit 10 Siegen auf dem vierten Platz liegen, gleichauf mit Italien[1].
Die Etappensiege („Tagessiege“) werden ja auch immer sehr gefeiert, dazu fiel und eine Frage ein:
Ja, es gibt tatsächlich Fahrer, die die Tour de France ohne einen einzigen Etappensieg gewonnen haben. Dies ist zwar selten, aber es ist in der Geschichte der Tour de France vorgekommen.
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist Greg LeMond, der die Tour de France 1990 ohne einen Etappensieg gewann. LeMond sicherte sich den Gesamtsieg durch Konstanz und taktisches Geschick, ohne eine einzelne Etappe für sich zu entscheiden.
Ein weiterer Fall ist der Sieg von Óscar Pereiro im Jahr 2006. Pereiro wurde ursprünglich als Zweiter gewertet, erhielt aber den Gesamtsieg, nachdem Floyd Landis wegen Dopings disqualifiziert wurde. Pereiro hatte während dieser Tour ebenfalls keinen Etappensieg errungen.
Diese Fälle unterstreichen, dass für den Gesamtsieg bei der Tour de France Konstanz und eine gute Gesamtstrategie oft wichtiger sind als einzelne Etappensiege. Ein Fahrer kann die Tour gewinnen, indem er durchgehend gute Leistungen erbringt und seine Stärken in den entscheidenden Momenten ausspielt, ohne notwendigerweise eine einzelne Etappe zu gewinnen.
Zitate
[1] https://de.statista.com/infografik/25359/gesamtsiege-bei-der-tour-de-france-seit-1903/
[4] https://www.radsport-rennrad.de/race/alle-sieger-der-tour-de-france/
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Erfolge_deutscher_Radsportler_bei_der_Tour_de_France
Kommentar
Wenn das Doping schon Gegenstand des Begleittextes von Civey ist, dann muss etwas faul sein mit dem Sport, denn das kommt ansonsten kaum vor, obwohl nach unserer Ansicht kein Spitzensport dopingfrei ist. Wenn man versucht, das Doping einigermaßen in Grenzen zu halten, wie in Deutschland, hat man international keine Chancen mehr, die Leichtathletik-EM hat das gerade wieder eindrucksvoll oder auf bedrückende Weise bewiesen, wir werden es demnächst auch bei den Olympischen Spielen sehen. Wir werden auch sehen, dass die Heimmannschaft wieder überragend abschneidet, wie zuletzt immer. Weil die Sportler:innen die Wettkampfaustragungsorte besser kennen oder vor Heimpublikum antreten oder eine plötzliche Leistungsexplosion stattfindet, immer genau rechtzeitig vor den Heimwettkämpfen?
Wir glauben eher, dass beim Doping der Gastgeber noch weniger genau hingeschaut wird als schon allgemein, damit sich immer wieder Länder finden, die solche Mega-Ereignisse gerne austragen. Auch den Fußball halten wir nicht für dopingfrei. Vor allem nicht, seit eine Mannschaft den Weltfußball dominiert hat, deren Spielweise derart kraftaufwendig ist, dass es an ein Wunder grenzt, wie man sie über 90 und mehr Minuten ohne sichtbare Konditionsverluste durchhalten kann, Ähnliches lässt sich von mindestens einer der Vereinsmannschaften in dem Land sagen. Zufällig sitzt der Weltguru des fortgeschrittenen Dopings auch in diesem Land. Deutschland wird im Viertelfinale der EM vermutlich auf diese Mannschaft treffen. Auch deswegen, nicht nur wegen der nervigen Nationalismen, schauen wir uns mittlerweile kaum noch Spitzensport mehr an. Die Zeit der naiven Bewunderung und des Mitfieberns sind wohl unwiederbringlich vorbei.
Selbstverständlich spiegelt der Sport nur die Gesellschaft im Ganzen. Was sich in den Arenen und auf den Plätzen und Strecken und in den Becken zuträgt, ist symptomatisch dafür, dass, wer bescheißt, gute Chancen hat, die Ernte für seine unsaubere Haltung einfahren zu dürfen. Sportler gehen dabei sogar ein höheres Risiko ein als die unzähligen Betrüger und Abzocker in der Wirtschaft und ihre politischen Helfer, bei denen gerade mal die Spitze des Eisbergs sichtbar wir, wenn es immer mal wieder zu einem Skandal kommt. Wir erinnern uns noch gut daran, wie sich im deutschen Fernsehen Kommentatorinnen übers Doping ausließen, die im staatlichen DDR-Dopingsystem zum Erfolg gekommen sind, das damals das härteste der Welt war, sonst hätte ein so kleines Land niemals so große sportliche Erfolge erzielen können (mehr davon als der große Bruder Sowjetunion, als es ansonsten in dem Land schon komplett mies aussah).
Sport ist Prestige, und Länder, die besonders prestigeorientiert sind, lassen besonders gerne dopen, auch wenn man vielleicht nicht mehr ganz so organisiert staatlich künstliche Leistungsanhebung organisiert wie während des Kalten Krieges. Es ist mehr die eigene Verantwortung des Teams, was passiert, und damit sind die Sportler:innen auch weniger geschützt. Wenn sie doch mal erwischt werden, weil auch die internationale Dopingagentur ja doch hin und wieder einen Erfolg vorweisen muss. Meist trifft es dann Sportler von Nationen, die nicht so en Vogue sind, wie derzeit Russland, sofern seine Sportler:innen überhaupt noch irgendwo teilnehmen dürfen.
Selbstverständlich haben sich die Trainingsmethoden im Laufe der Zeit verbessert, hat sich das „Equipment“ verbessert, auf spektakuläre Weise war das zuletzt bei den Laufschuhen der Fall, aber dass immer wieder und immer wieder Fabel-Weltrekorde aufgestellt werden, ist doch verwunderlich.
Es muss jedoch so sein, sonst wird der Sport für die sensationsgierige Menge uninteressant. Höher, schneller, weiter sind wichtiger als die Ehrlichkeit und die Gesundheit. Und da kommt das Doping ins Spiel, mit dem man natürliche Grenzen auf immer raffiniertere Weise überwinden kann. Auf das gesamte System übertragen. Die Betrügereien werden nicht weniger, sondern mehr, und sie werden immer mehr digital oder indirekt ausgeführt, sind schwer nachverfolgbar und ziehen sich über alle Stufen der Wertschöpfung.
Nur normale, angestellte Steuerbürger:innen und nur Freizeitsportler, die sich Doping nicht leisten können und auch die affine Einstellung zum Betrug nicht haben, weil er ihnen nichts einbringt, geben diesem System noch etwas wie einen legalen und freundlichen Anstrich. Vor allem jedoch deswegen, weil es an Gelegenheit zum Betrug fehlt oder / und an krimineller Energie. Sie ist nicht so stark ausgeprägt, dass sie die Angst überwindet, die ein Durchschnittscharakter vor der Entdeckung hat. Tritt man aber erst einmal in die Selbstständigkeit, in die Staatshilfe oder in den Leistungssport ein, verschieben sich diese Parameter und man erfährt von den Tricks, die man anwenden muss, um das Beste für sich herauszuholen und anderen die Solidarität zu verweigern. Wenn man damit erst einmal angefangen hat und es ging soweit gut und der Erfolg tritt ein und man bekommt Applaus oder Status, gibt es kein Zurück, denn das System ist so aufgebaut, dass es Betrüger privilegiert und niemand danach fragt, wo eigentlich ein bestimmter Wohlstand oder Reichtum oder ein weit oberhalb der Logik liegendes physisches Leistungsvermögen herkommen.
Der Radsport steht besonders im Fokus, weil bei der Ausdauer am besten manipuliert werden kann und es zu spektakulären Erfolgen kam, denen spektakuläre Enthüllungen folgten, wie bei Lance Armstrong, weil die Tour de France ein wochenlanges Massenevent ist und Radfahrer, wären sie sauber, mit diesen Leistungen, die sie erbringen, etwas wie Helden wären, die man jeden Tag stundenlang dabei beobachten kann, wie sie in die Pedale treten und schwitzen und mehr als bei jeder anderen Sportart durch die intensive Live-Berichterstattung über die ganze Zeit hinweg als Menschen sichtbar werden. Hin und wieder kommt es zu Unfällen, zu Pannen, jemand muss aufgeben, es ist großes Kino. Uns fällt kein anderer Sport ein, der diese maximale Verknüpfung von Personalität, Spannung und Leistung mit maximaler Medientauglichkeit über einen so langen Zeitraum hinweg verbindet.
Deswegen sind Radfahrer nicht populärer als andere Spitzensportler, aber man glaubt, aufgrund der Möglichkeit, sie über, mehr über sie zu wissen und wie ihre Leistung zustande kommt. Marathonläufe haben bis zu einem gewissen Grad einen ähnlichen Effekt, während Fußball und andere Team-Ballsportarten eher kaschieren, wie extrem die Physis von Menschen, die diese Sportarten heute auf Spitzenniveau betreiben, hochgezüchtet sein muss, weil es um Taktik, um Kunst am Ball, um das Regelwerk und was noch alles geht, was erst auf den zweiten Blick mit den körperlichen Möglichkeiten der Spieler:innen zu tun hat.
Die Tour de France dauert mehr als drei Wochen, konkurriert jetzt mit der Fußball-EM und wird gerade so fertig werden, dass sie keine Aufmerksamkeit von den Olympischen Spielen im selben Land abzieht.
Die Tour de France 2024 startet mit einer heftigen Etappe. Rund 3700 Höhenmeter sind bei den 206 Kilometern von Florenz nach Rimini zu bewältigen. Zu den topografischen Herausforderungen kommt wohl noch Hitze hinzu – mehr als 35 Grad sind prognostiziert.
Liegen die beiden genannten Städte nicht in Italien? Wie oben geschrieben, man kann alles immer mehr ausdehnen und ausdehnen, bis eines Tages diese sogenannte Zivilisation an ihrer eigenen Überdehnung zugrunde gehen wird. Die Anzeichen sind deutlich sichtbar.
Einmal hatten wir die Gelegenheit, die Tour de France fast komplett zu verfolgen. Damals war Jan Ullrich einer der Favoriten. Lance Armstong gewann. Ullrich ist heute einer der wichtigen Zeitzeugen, der mit seiner Verstrickung in das Dopingsystem offen umgeht. Diese Mentalität, sich zu bekennen, ändert zwar nichts am System, aber wer genau hinhört, dem werden die Assoziationen und Parallelen in den Sinn kommen, die wir oben gezogen haben.
TH
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