Filmfest 1111 Cinema
Das Grauen, stellenweise poetisch
Bram Stoker’s Dracula ist ein Horrorfilm aus dem Jahr 1992 unter der Regie von Francis Ford Coppola nach dem Roman Dracula von Bram Stoker. Die Hauptrollen spielen Gary Oldman als Graf Dracula und Anthony Hopkins als sein Kontrahent Professor van Helsing.
In diesem Jahr feierte „Nosferatu“ von F. W. Murnau seinen hundertsten Geburtstag. Was immer später zum Dracula-Stoff gefilmt wurde, muss sich auch mit diesem ersten Vampirfilm von Rang vergleichen lassen. Natürlich kannte Francis Ford Coppola „Nosferatu“, zumal er als Figur mehrfach erwähnt wird. Es gibt auch Reminiszenzen. Am wichtigsten ist aber, ob der Coppolas Idee von den Vampiren im Jahr 1992 etwas Neues war. Dazu und zu anderen Aspekten stehen Anmerkungen in der -> Rezension.
Handlung (1)
Nach dem Fall von Konstantinopel dringen die Osmanen in Europa unaufhaltsam vor. Der siebenbürgische Prinz Dracul, dessen Figur Vlad Țepeș nachempfunden wurde, zieht gegen das Heer des Sultans in den Krieg. Er überlebt die schweren Kämpfe und reist zurück zu seiner Frau Elisabeta. Diese hat sich jedoch das Leben genommen, nachdem sie von den Türken die falsche Botschaft erhalten hat, Dracul sei im Krieg gefallen. Man teilt ihm mit, dass die Selbstmörderin exkommuniziert wurde. Erfüllt von Zorn und Trauer schändet Dracul ein Kreuz und wendet sich von Gott ab. Daraufhin wird er zu ewigem Leben verdammt, in welchem Blut seine Nahrung sein soll. So wird Dracul zum Vampir.
Jahrhunderte später reist der englische Anwalt Jonathan Harker nach Transsilvanien, um die Verhandlungen über den Verkauf mehrerer Londoner Immobilien an einen gewissen Grafen Dracula abzuschließen. Im Schloss angekommen, wird er von dem greisen Grafen willkommen geheißen. Die Verträge sind rasch unterschrieben. Dem Vampir sticht dabei ein Bild von Harkers Verlobter Mina Murray ins Auge, die seiner verstorbenen Frau Elisabeta täuschend ähnlich sieht. Die jahrhundertealte Liebe entflammt von neuem, und so reist Dracula nach England, um die Geliebte zu finden. Den Anwalt lässt er in seinem Schloss zurück, wo dieser der Lust dreier vampirischer Gespielinnen ausgeliefert ist. In London angekommen, umgarnt Dracula Mina in Gestalt des jungen, charismatischen Prinzen Vlad von Székel. An ihrer besten Freundin Lucy Westenra jedoch stillt er erbarmungslos seinen Hunger und macht auch sie zum Vampir. Selbst der Beistand des berühmten Professors Abraham van Helsing kann sie nicht retten. Schließlich wird sie unter seiner Anleitung von ihrem Verlobten Lord Arthur Holmwood getötet.
Währenddessen gelingt Harker die Flucht aus Draculas Schloss. Seine Verlobte Mina reist nach Transsilvanien, die beiden heiraten dort und kehren gemeinsam nach London zurück. Professor van Helsing beschließt, sich zusammen mit Harker, Lord Holmwood, van Helsings früherem Studenten Dr. Jack Seward und dem Amerikaner Quincey P. Morris dem Vampir zu stellen. Sie beginnen damit, seine Schlafstätte zu zerstören. Zur gleichen Zeit treffen Dracula und Mina zusammen. Obwohl ihr der Vampir seine wahre Natur gesteht, will sie mit ihm fliehen. Doch es kommt zu einer Auseinandersetzung mit den Vampirjägern, und Dracula muss allein und geschwächt die Flucht nach Transsilvanien antreten.
Nach einer aufreibenden Verfolgungsjagd über Land und Meer stellt die Gruppe um van Helsing den Vampir vor seinem Schloss und kann ihn schwer verwunden. Zunächst schützt die mit der Gruppe gereiste Mina ihren geliebten Prinzen vor den Angreifern. Gemeinsam ziehen sie sich in die alte Kapelle zurück, in der Dracula einst Gott abgeschworen hat. Dort wird er, auf eigenen Wunsch, von Mina schließlich aus Liebe und Mitleid getötet und findet so doch noch seine Erlösung. In einer letzten Einstellung sieht sie ein Bild des wiedervereinten Liebespaars Dracul und Elisabeta.[2]
Rezension
Coppolas Filmadaption gilt – trotz einiger dramaturgischer Abweichungen – als die werktreueste Umsetzung von Stokers Vampirroman. (…) Im Gegensatz zur Romanvorlage, die aus Briefen und anderen von den Protagonisten verfassten Quellen besteht, spielt die Entwicklung der Person des Grafen in Coppolas Filmfassung eine zentrale Rolle. Die im Film erzählte Liebesgeschichte zwischen Dracula und Mina Harker (die ihn im Buch eher verabscheut als liebt) wird durch das Hinzufügen der Figur der Elisabeta erklärt und macht Dracula somit zu einer tragischen Figur. Der Film stellt also keine reine Verfilmung des Stoffs dar, sondern interpretiert diesen in gewissem Sinne. Dieser Umstand hat viele Kritiker auf den Plan gerufen, die den ursprünglichen Roman entstellt sahen.
Beide Aussagen (vor und nach den (…)) stehen im selben Wikipedia-Artikel, also müsste man den Roman kennen, um beurteilen zu können, was stimmt. Ich wage trotzdem eine Beurteilung: Was Coppola in seiner Verfilmung von 1992 alles an Show-Effekten auffährt, mag heute gängig sein, zumal man mit CGI massiv nachhelfen kann, was damals noch nicht der Fall war – aber niemals konnte es so Gegenstand eines Buches gewesen sein, das im Jahr 1897 erschien. Die vielen Ergänzungen und sogar eine Veränderung der Charaktere lassen das Bestehen auf „Bram Stoker’s Dracula“ eher wie einen Anspruch auf zeitgemäße Weiterentwicklung als auf dicht am Werk bleiben wirken.
Wer „Nosferatu“ kennt, wird sofort merken, dass der Aufbruch eines jungen Mannes, der verheiratet ist bzw. gerade heiraten will in die Karpaten offensichtlich auch im Roman so vorkommt, denn diesbezüglich sind beide Filme prinzipiell handlungsähnlich. Auch, wie die Vampire sich nach Mittel- oder Westeuropa einschiffen, auch wenn es bei „Nosferatu“ nur einer war, ist wiedererkennbar. Womit auch der Einbruch des Untoten in die Welt der Lebendigen vorprogrammiert ist. Die intensive Beziehung zwischen Mina und Dracula ist eher postmodern und zeugt nicht von dem viktorianischen Geist, in dem Bram Stokers Roman notabene entstanden sein dürfte. Doch schon 25 Jahre später kam es in „Nosferatu“ zu dem einen oder anderen Moment, in dem der Vampir bemitleidenswert wirkt.
„Aufwendige Neuverfilmung eines Literatur- und Filmklassikers, der opernhaft die Topoi des Horror-, Abenteuer- und Splatter-Genres ausbeutet, aber letztlich zu keiner eigenen Handschrift findet“, befand das Lexikon des internationalen Films. Die Kameraarbeit und Gary Oldmans Interpretation der Titelrolle seien jedoch „beeindruckend“.[4] Cinema fand: „Mit seinem famosen Kameramann Michael Ballhaus entfachte Francis Ford Coppola einen wahren Bilderrausch. Zudem betont seine Adaption kunstvoller als die Vorgänger den erotischen Aspekt der Dracula-Figur.“ Das Fazit lautete: „Horrorbilderbogen, mit Herzblut gemacht“.[5]
„Coppola entwirft ein oftmals überraschendes Dekor mit einer enormen visuellen Kraft, zeigt imponierende Bilder, außergewöhnliche Masken, imposante Kamerafahrten und hervorragende Darsteller, allen voran Tom Waits als Renfield im Irrenhaus. Ein kurzweiliges visuelles Ereignis!“ urteilt das Magazin Prisma.[6]
Roger Ebert von der Chicago Sun-Times meinte, dass es dem Film einzig an „narrativer Energie und Kohärenz“ mangle. Coppola habe offenbar mehr Wert auf das Spektakel und die Ausstattung als auf die Handlung gelegt. Die Szenenbildner hätten sich dabei allerdings „selbst übertroffen“.[7]
Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden verlieh der Produktion das Prädikat „wertvoll“.[8]
Postmodern ist in der Tat auch die „mangelnde narrative Kohärenz“, die dem Spektakel geopfert wurde, insofern bin ich einer Meinung mit Roger Ebert. Erst, als die vom Filmlexikon erwähnte erotische Komponente sich richtig Bahn bricht und Mina in den Bann des Chefvampirs gezogen wird, stellte sich bei mir mehr ein als das Gefühl, eine ganz gut gemachte Show gesehen zu haben: Die schaurige Schönheit des Szenarios gewann die Oberhand über Bedenken wegen der Last der Show, die es nicht ermöglicht, der Sinnbildhaftigkeit des Einbruchs dämonischer Elemente in die Zivilisation auf Grund zu gehen oder sie gut nachempfinden zu können. Die Ebene, wie sich Mina von diesem Dämon angezogen fühlt, wirkt vielleicht banaler, aber sie funktioniert, weil Gary Oldman als Dracula und Winona Ryder als Mina hervorragend miteinander matchen.
Hingegen ist Keanu Reeves als deren Ehemann leider zur Farblosigkeit verdammt, was sich schließlich sogar darin äußert, dass das Haar seiner Figur die Färbung zu verlieren beginnt. In „Nosferatu“ heißt der junge Mann, der dem Vampir ein Haus verkaufen will, „Hutter“ und ist als anfangs sorgenfreier, naiver Jüngling, dessen Privatleben im Verlauf zerstört wird, wesentliche präsenter. Die Figur des Dieners eines Vampirs, der sich nur von Kleintieren ernährt, gibt es in der Vorlage wohl auch, aber sie dürfte nicht so aus einer Mischung von Degustation und Extase präsentiert worden sein, wie Francis Ford Coppola sie inszeniert und Tom Waits sie spielt. Ich bin mir nicht sicher, ob sie dem Film überhaupt etwas Wesentliches gibt, über einen gewissen Ekel-Effekt hinaus.
Wenn man sehr auf Pracht setzt, wie Coppola es hier getan hat, hat man grundsätzlich ein Problem: Wenn das Kino sich in den folgenden Jahren massiv in diese Richtung entwickelt und darin weiterentwickelt, wie das unzweifelhaft seit den frühen 1990ern geschehen ist, dann kann man zwar für sich beanspruchen, diesen Trend gut erkannt und ihm sogar ein wenig voraus gewesen zu sein, aber vom Stuhl haut das, was man sieht, die CGI-gestählten Medienrezipienten 30 Jahre später nicht mehr. Also kommt es auf den Inhalt an. Und da würde ich den Film in vier Teile teilen. Der Prolog entzaubert den Vampirmythos eher, weil er ihm eine realistisch-mittelalterliche Begründung gibt. Der erste Teil der eigentlichen Handlung ähnelt dem von „Nosferatu“ und man kann gut den Stil der beiden Filme vergleichen. Stellenweise wirkt dieser sogar ähnlich, wenn man die moderne Technnik ausklammert und konzentriert sich auf das Wesentliche. Harker und Dracula im Schloss und die Vampire in London wirkt in der Tat zu unzentriert und das wirkt sich auch negativ auf die Szenen aus, in denen Mina und Dracula einander kennenlernen.
Der beste Teil ist ohne Frage der Schluss, als Mina selbst Dracula tötet. Und zwar auf aktive, also moderne Weise, nicht, indem sie sich ihm hingibt und er darüber den Sonnenaufgang vergisst und verstirbt. So bleibt auch Mina ein tragisches Ende erspart, was dadurch entfällt ist das Opfer einer jungen Frau (in manchen Fällen einer Jungfrau), um die Welt wieder in die göttliche Ordnung zu rücken und das Böse zu besiegen. Oder das, was hier gar nicht so böse wirkt.
Finale
Das Beste an der Dracula-Version von 1992 ist sicher die Ausleuchtung der Figuren Mina und Dracula, auch Van Helsing kommt nicht zu kurz, schon deshalb nicht, weil er von Anthony Hopkins gespielt wurde, der ein Jahr zuvor durch „Das Schweigen der Lämmer“ als Hannibal Lector zum Star wurde. Van Helsing spielt er anders, er ist ja hier auch die positive, die aufgeklärte Figur, aber ebenfalls überzeugend. Die 1992er Version von „Dracula“ braucht einen ziemlich langen Anlauf, um an Fahrt zu gewinnen und auch, nachdem das passiert ist, bleibt der Dualismus zwischen jener Aufklärung und den mittelalterlichen Relikten, die man eher als Aberglaube kennt, etwas hinter den persönlichen Verhältnissen zurück, die sich entwickeln. Wenn es um die Präzision und die Essenz geht, war F. W. Murnau 1922 schon weiter als F. F. Coppola 70 Jahre später. Heute wird das dadurch reflektiert, dass „Nosferatu“ über Jahre die IMDb-Liste der 250 besten Filme aller Zeiten bereichert hat, während der jüngere Film dort offenbar niemals enthalten war. Es ist kein schlechter Film, er gewinnt dem Stoff sogar neue Aspekte ab, aber „endgültig“ ist diese Darstellung sicher nicht.
73/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2022)
| Regie | Francis Ford Coppola |
|---|---|
| Drehbuch | James V. Hart |
| Produktion | Michael Apted, Fred Fuchs, Charles Mulvehill |
| Musik | Wojciech Kilar |
| Kamera | Michael Ballhaus |
| Schnitt | Anne Goursaud |
| Besetzung | |
|
|
Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

