Höhere Steuern auf Fleisch für Tierwohl (Umfrage + Kommentar) | Briefing 577 | Landwirtschaft, Gesellschaft, Steuern

Briefing 577 Klima / Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft, Landwirtschaft, Fleischkonsum, Tierwohl

Nach einer Lebensmittelinflation von mehr als 30 Prozent innerhalb von drei Jahren (2021 bis 2023) – hätten Sie nicht Lust auf ein bisschen mehr Steuern auf Fleischprodukte?

Klar, die Frage ist suggestiv formuliert, Civey macht das natürlich anders: Höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch für Tierwohl? Oder, exakt: Sollte Ihrer Meinung nach eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch erhoben werden, um das Tierwohl zu fördern?

Der Begleittext von Civey aus deren Newsletter

Die Bundesregierung verfolgt per Koalitionsvertrag eine Tiergesundheitsstrategie. Dazu gehört auch der Umbau zu einer artgerechten Tierhaltung, dessen jährliche Kosten bis 2040 bis zu 3,6 Milliarden Euro betragen könnten. Letztes Jahr kam es zu zahlreichen Protesten unzufriedener, teils sehr wütender Landwirt:innen. Dem Tagesspiegel nach befürchten sie u.a., die Mehrkosten für den erhöhten Tierschutz allein tragen zu müssen. Letzte Woche verabschiedete die Ampel ein Entlastungspaket für die Landwirtschaft, das Bauernpräsident Joachim Rukwied just kritisierte. Er forderte laut ntv, die geplanten Reformen gegen Überdüngung und zu hohen Pestizideinsatz sowie das Tierschutzgesetz zurückzunehmen. 

Angesichts der prekären Lage in der Landwirtschaft seien die Entlastungen aus Sicht des Bauernverbandes zudem unzureichend. Rukwied sprach sich erneut für eine Lösung für erneuerbaren Agrardiesel und eine Mehrwertsteuer-Senkung um zwei bis drei Prozentpunkte auf Fleisch aus. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) zeigte sich anschließend offen für eine leichte Mehrwertsteuer-Anhebung für Fleischprodukte. Mit dem Geld könne der Umbau der Tierhaltung zu höheren Standards finanziert werden, erklärte er laut Handelsblatt letzte Woche auf dem Bauerntag. 

Die Verbraucherorganisation Foodwatch begrüßt Özdemirs Haltung und fordert außerdem, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zu senken. Greenpeace spricht laut Stern dagegen von einem „faulen Kompromiss”, bei dem Klima- und umweltschädliche tierische Produkte weiter subventioniert würden. Die Umweltorganisation plädiert stattdessen für „eine Steuerbefreiung für pflanzliche Produkte”. Özdemir hatte bereits zu Beginn des Jahres für ein Tierwohlcent geworben. Dem Preisaufschlag für Fleischprodukte erteilte die FDP jedoch laut SZ eine Absage. Ihr zufolge würden die Steuereinnahmen ohne Verwendungsbindung in den Bundeshaushalt gehen.

Unser Kommentar

Wir dachten, wir hätten zu diesem Thema schon einmal abgestimmt, aber keinen darauf bezogenen Beitrag gefunden. Aber das Thema Fleisch war schon mehrfach in unserer Bearbeitung.

Vor allem aber hatten wir uns zum Jahresbeginn in einer nicht weniger als acht Artikel umfassenden Serie zu den Bauernprotesten geäußert – und zwar kritisch, auch wegen der Art, wie sie durchgeführt wurden und der politischen Tendenzen, die dabei sichtbar wurden. Und wir haben unzählige Fakten geliefert, mit denen sich belegen lässt, dass die Proteste überzogen waren. Ums Tierwohl ging es dabei aber gar nicht, sondern um die Motorisierung, Steuern auf Fahrzeuge der Landwirtschaft, den Sprit. Konservative Themen also. Und die Bauern haben noch nicht genug, wie man auch anhand des Civey-Begleittestes sehen kann.

 Einmal ist die Politik eingeknickt und man glaubt, das nun beliebig wiederholen zu können, egal, um welche Belange es geht. Die Felder vergiften, kein Problem, das Tierwohl missachten? Auch keines. Die Menschen damit erpressen wollen, dass man sie verhungern lässt, wenn die Politik versucht, die Standards ein wenig anzuheben? Na klar, der deutsche Bauer ist widerständig. Und oft sehr, sehr rechts. Jetzt haben wir’s doch geschrieben. Es zeigt sich auch darin, dass sie tatsächlich sogar eine Steuersenkung auf Fleischprodukte fordern. Das ist auch eine politische Aussage gegenüber allen, die wollen, dass der Fleischkonsum schrittweise zurückgeht.

Hat ihre Butterweichheit der Ampel, die sie gegenüber vielen anderen Menschen nie gezeigt hat, zum Erfolg geführt? Wurde sie deswegen gewählt? Die Europawahlen haben nicht den Eindruck hinterlassen, und so wird es weitergehen. Hingegen werden viele, die grundsätzlich als Wähler der Ampel infrage kommen, verprellt. Vielleicht für immer. Den Grünen fällt ihre mangelhafte Durchsetzungsfähigkeit bei Umweltbelangen auf den Kopf, der SPD ihre mangelhafte Sorge für das Soziale und die Infrastruktur.

Da kommt es nicht gut, wenn jetzt wieder eine Steuererhöhung gefordert wird. Für was auch immer. Gerade heute, zum ersten Mal im neuen Quartal eingekauft, haben wir gesehen, dass die Preise für verschiedene Lebensmittel schon wieder gestiegen sind. Es gibt anscheinend kein Halten mehr. Fleisch gehört übrigens nicht dazu, nach unserer bisherigen Einschätzung. Bei all dem, was wir bisher geschrieben haben, mussten wir uns ganz schön am Riemen reißen, um nicht einfach unseren Klick bei „auf keinen Fall“ zu machen, obwohl bei uns kaum Fleischprodukte verzehrt werden. Aber wir sind ja nicht wie die anderen, wir denken auch an andere.

Also haben wir mit „unentschieden“ gestimmt. Das drückt in diesem Fall keine Unentschlossenheit aus, sondern die Knüpfung eines „ja“ an Bedingungen, die noch nicht eingetreten sind:

  • Senkung der Mehrwertsteuer auf gesunde Produkte wie Gemüse und Obst,
  • mehr Förderung des Biolandbaus, damit Bioprodukte ebenfalls günstiger werden – Agrarsubventionen gibt es sowieso, sie werden aber in die falsche Richtung geleitet und fördern konventionelle Großbetriebe, auch das haben wir in der „Bauernproteste“-Beitragsreihe erläutert,
  • ein Preisdeckel für bestimmte Grundnahrungsmittel, bei denen erwiesen ist, dass die Industrie die Krisen der letzten Jahre genutzt hat, um einen riesigen Reibach für sich zu organisieren,
  • die Zweckbindung der Mehreinnahmen durch höhere Fleischprodukte-Steuer. Sie muss tatsächlich der Hebung der Standards beim Tierwohl und einer besseren Landwirtschaft im Allgemeinen zugutekommen.

Natürlich ist die Landwirtschaft ein Spiegel der allgemeinen Verhältnisse. Ohne Billigprodukte könnten sich in diesen Zeiten viele Menschen gar nicht mehr sattessen – und gerade bei den günstigen Lebensmitteln liegt der Preisauftrieb noch höher als oben angegeben, wir schätzen ihn auf 50 Prozent seit dem Beginn der Corona-Krise im März 2020. Das mindert die Kaufkraft und geht zulasten der Konjunktur und natürlich der Ernährungssituation vieler Menschen, die doch unbedingt für das Kapital fit sein und arbeiten sollen.

Kein Wunder insofern, dass es wieder einmal eine Mehrheit gegen Progression gibt: Aktuell sind ca. 55 Prozent derer, die bisher abgestimmt haben, klar dagegen, die Steuern auf Fleisch anzuheben, klar dafür immerhin ca. 29 Prozent. Das ist ein Thema mit klaren Meinungen, in der Mitte, so wie wir, haben sich nicht einmal fünf Prozent positioniert. Grundsätzlich haben wir nichts gegen eine Steuererhöhung in diesem Bereich, zumal sie weitaus weniger Preisauftrieb bewirken würde als dieser Reibach der letzten Jahre, wenn sie 1:1 auf die Produkte übertragen würde. Erinnern Sie sich noch an die Mehrwertsteuer-Senkung um drei Prozent als Corona-Bonus? Hatten Sie den Eindruck, plötzlich ist alles superbillig? Umgekehrt wird es genauso sein. Eine Steueranhebung von drei Prozent auf Fleischprodukte lässt Wiener Würstchen dann eben 1,74 Euro anstatt 1,69 pro 100 Gramm kosten.

Wenn der Handel daraus umgehend 1,79 macht, ist das nicht die Schuld der Politik, sondern folgt jener privatwirtschaftlichen Tendenz, Krisen und sonstige Begebnisse, wie eine Steuererhöhung, die man anderen in die Schuhe schieben kann, vor allem der ungeliebten demokratischen Politik, für die Steigerung der eigenen Gewinne auszunutzen.

Wenn man nun wieder aufs Tierwohl schaut: Im Grunde kann Nutztierhaltung nicht tierwohlgemäß sein, wenn Tiere nur zum Schlachten aufgezogen werden, die ansonsten ein viel längeres Leben hätten – oder gar nicht das Licht der Welt erblicken würfen, was in dem Fall aber kein Verlust für die Welt wäre. Das muss allen, die auf die bessere Haltung schauen, klar sein. Ist es in den meisten Fällen auch, es geht trotzdem darum, den Tieren das kurze Leben, das sie haben, etwas zu erleichtern. Für einige ist dies auch nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zur tierproduktefreien Ernährung. Irgendwo dazwischen stehen auch die Nutztiere, die selbst etwas produzieren, wie Kühe und Geflügel.

Wir haben oben vier nach unserer Ansicht recht logische Bedingungen aufgeschrieben. Wenn diese eintreten, dann werden wir auch für eine Steuererhöhung für Fleischprodukte stimmen.

TH


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