Briefing 579 PPP, Staatsangehörigkeitsrechtsänderung, Gesellschaft, Migration & Integration, Vorteile und Nachteile, schwierige Abwägung
Die Zeiten schreiten voran und die Regeln ändern sich. Nicht, dass es den Menschen dadurch besser ginge, aber etwas Symbolpolitik darf ja auch immer mal wieder sein. Deswegen wird jetzt das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht geändert und natürlich hat Civey, wenn auch einige Tage nach dem Start der neuen Regelung, eine Umfrage daraus generiert.
Wir steigen gleich mit der kompletten Frage ein, nicht mit der Kurzversion. Trotzdem ein Tipp: Lesen Sie erst den Begleittext und dann unsere zusätzlichen Infos, in denen einiges, was im Civey-Begleittext nicht ausformuliert ist, konkretisiert wird, sowie den Meinungs- und Kommentarteil, bevor Sie abstimmen.
Der Begleittext aus dem Civey-Newsletter
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht ist letzten Donnerstag in Kraft getreten.
Demnach können Menschen aus dem Ausland, die schon lange legal in Deutschland leben, nach fünf Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Voraussetzungen sind laut Bundesinnenministerium etwa eine gelungene Integration und gute Deutschkenntnisse. Vorher betrug die Regel-Wartezeit zur Einbürgerung acht Jahre. Erschwert wird dagegen die Einbürgerung von Personen, die nicht für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen oder sich nicht zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen. Doppelte Staatsbürgerschaften sollen auch für Deutsche grundsätzlich ermöglicht werden.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verspricht sich durch die Einbürgerungsreform mehr Ordnung und Kontrolle in der Integrationspolitik. Zugleich stärke man durch die so geschaffenen Arbeitsanreize den Arbeitsmarkt, sagte er der Welt. Wer Sozialleistungen beziehe, dürfe dagegen im Regelfall nicht eingebürgert werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erhofft sich eine Stärkung des weltoffenen Charakter Deutschlands. Zugleich betonte er laut Zeit die Vorteile durch die höheren Anforderungen an die deutsche Staatsbürgerschaft. Für SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sei die Reform dem Spiegel nach eine längst überfällige Anerkennung gegenüber Millionen fleißiger Menschen.
Aus Sicht der Union seien die Hürden zum Erhalt des deutschen Passes nun zu niedrig. CDU-Chef Friedrich Merz warf der Ampel jüngst im Bundestag vor, das Tor weiter zu öffnen „für Menschen, die in unserem Land eigentlich keinen Platz haben dürfen“. Auf X kritisierte er zudem, dass die Mehrfachstaatsangehörigkeit somit zum Regelfall werde. Die Linke begrüßt die kürzere Wartezeit bei der Einbürgerung auf ihrer Webseite, kritisiert jedoch die Ausnahmen für Bürgergeldempfänger:innen. Zudem warnt sie vor einer Überlastung der zuständigen Ämter, die unter Personal- und Geldmangel leiden. Die Bundesländer würden insofern mit einer Verdopplung der Anträge rechnen.
Infoblock[1]
Das neue deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, das am 27. Juni 2024 in Kraft tritt, bringt bedeutende Änderungen mit sich, die den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit erleichtern und modernisieren sollen[1][2]. Hier sind die wichtigsten Aspekte:
**Verkürzte Einbürgerungsfrist**
– Die Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung wird von acht auf fünf Jahre reduziert[1][2].
– Bei besonderen Integrationsleistungen kann die Frist sogar auf drei Jahre verkürzt werden[2].
**Doppelte Staatsangehörigkeit**
– Mehrstaatigkeit wird generell akzeptiert, was bedeutet, dass Einbürgerungswillige ihre bisherige Staatsangehörigkeit nicht mehr aufgeben müssen[1][3].
**Erleichterungen für bestimmte Gruppen**
– Für die sogenannte „Gastarbeitergeneration“ entfällt die Pflicht zum schriftlichen Sprachtest und zum Einbürgerungstest[2].
– Kinder ausländischer Eltern erhalten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn mindestens ein Elternteil seit fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt (vorher acht Jahre)[2].
**Verschärfte Anforderungen**
– Das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird stärker betont[1].
– Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit schließen eine Einbürgerung aus[1].
– Ein neues Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands, insbesondere zum Schutz jüdischen Lebens, wird eingeführt[2].
**Finanzielle Unabhängigkeit**
– Einbürgerungswillige müssen in der Regel für sich und ihre Angehörigen selbst sorgen können, wobei es Ausnahmen für bestimmte Gruppen gibt[2].
**Auswirkungen und Erwartungen**
– Die Bundesregierung erwartet einen Anstieg der Einbürgerungen. Im Jahr 2023 wurden bereits 200.095 Personen eingebürgert, ein Anstieg um 19% gegenüber dem Vorjahr[4].
– Viele Bundesländer rechnen mit einer deutlichen Zunahme der Einbürgerungsanträge[4].
Das neue Gesetz zielt darauf ab, die Integration zu fördern und Deutschland im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte attraktiver zu machen[6]. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen, insbesondere von der CDU, die eine zu schnelle und unvorsichtige Vergabe der Staatsbürgerschaft befürchtet[5].
Die Meinung der KI
Insgesamt stellt das neue Staatsbürgerschaftsrecht einen bedeutenden Schritt in Richtung einer moderneren und inklusiveren Einwanderungspolitik dar, wobei gleichzeitig die Anforderungen an das Bekenntnis zu den demokratischen Werten Deutschlands verschärft werden.
Die Pflichten, besonders das Bekenntnis zur FDGO[2]
Das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist ein zentraler Bestandteil des Einbürgerungsverfahrens in Deutschland und wird auf mehreren Ebenen überprüft:
**Loyalitätserklärung**
– Einbürgerungswillige müssen eine schriftliche Loyalitätserklärung abgeben, in der sie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen[5].
– Diese Erklärung muss persönlich bei der Einbürgerungsbehörde vorgelesen werden[5].
**Inhaltliche Überprüfung**
– Das Bekenntnis umfasst die Anerkennung grundlegender demokratischer Prinzipien wie Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte[5][6].
– Antisemitische, rassistische oder sonstige menschenverachtende Handlungen sind mit dem Bekenntnis unvereinbar und schließen eine Einbürgerung aus[4].
**Erweiterter Einbürgerungstest**
– Der Einbürgerungstest wurde um Fragen zu Themen wie Antisemitismus, dem Existenzrecht Israels und jüdischem Leben in Deutschland erweitert[4].
– Dies dient der Überprüfung des Verständnisses und der Akzeptanz dieser wichtigen Aspekte der deutschen Gesellschaft und Geschichte.
**Bekenntnis zur historischen Verantwortung**
– Einbürgerungsbewerber müssen sich zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen bekennen[4].
– Dies schließt insbesondere ein Bekenntnis zum Schutz jüdischen Lebens ein[4].
**Strenge Konsequenzen**
– Ein unrichtiges Bekenntnis schließt jede Einbürgerung strikt aus[4].
– Die Behörden prüfen die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses anhand verschiedener Faktoren, wie z.B. das Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit.
**Vorbereitung und Überzeugung**
– Von den Einbürgerungswilligen wird erwartet, dass sie sich gründlich mit den Inhalten des Bekenntnisses auseinandersetzen[6].
– Das Bekenntnis soll von einer inneren Überzeugung getragen sein, nicht nur eine formale Erklärung darstellen[6].
Die Überprüfung des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist somit ein mehrstufiger Prozess, der sowohl formale Erklärungen als auch inhaltliche Prüfungen umfasst. Ziel ist es, sicherzustellen, dass Einbürgerungswillige die Grundwerte der deutschen Gesellschaft nicht nur kennen, sondern auch aktiv unterstützen und leben.
Die Rechte der Staatsbürger:innen in Deutschland, die über die Menschenrechte hinausgehen[3]
In Deutschland gibt es einige spezifische Staatsbürgerrechte, die über die allgemeinen Grundrechte hinausgehen und nur deutschen Staatsangehörigen vorbehalten sind. Hier sind die wichtigsten:
**Wahlrecht auf Bundesebene**
– Das aktive und passive Wahlrecht bei Bundestags- und Landtagswahlen ist deutschen Staatsbürgern vorbehalten[3]. Nur sie dürfen an diesen Wahlen teilnehmen und für entsprechende Ämter kandidieren.
**Versammlungsfreiheit**
– Obwohl die Meinungsfreiheit für alle in Deutschland gilt, kann das Recht zu demonstrieren (Versammlungsfreiheit) für Ausländer in bestimmten Fällen eingeschränkt werden[3].
**Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet**
– Deutsche Staatsbürger genießen uneingeschränkte Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet[4]. Sie können ihren Wohnort und Arbeitsplatz frei wählen, ohne Einschränkungen durch Aufenthaltsbestimmungen.
**Berufsfreiheit**
– Die freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte ist ein Grundrecht, das in seiner vollen Ausprägung deutschen Staatsbürgern vorbehalten ist[4].
**Schutz vor Auslieferung und Ausbürgerung**
– Deutsche Staatsbürger genießen besonderen Schutz vor Auslieferung an andere Staaten und können nicht ausgebürgert werden[5].
**Zugang zu bestimmten öffentlichen Ämtern**
– Einige öffentliche Ämter, insbesondere im Beamtenwesen, sind deutschen Staatsbürgern vorbehalten.
**Diplomatischer Schutz im Ausland**
– Deutsche Staatsbürger haben Anspruch auf diplomatischen und konsularischen Schutz durch deutsche Vertretungen im Ausland.
Es ist wichtig zu betonen, dass viele grundlegende Rechte, wie die Menschenwürde, persönliche Freiheitsrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Meinungsfreiheit, als universelle Menschenrechte gelten und somit allen Menschen in Deutschland zustehen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit[1][2]. Die oben genannten Staatsbürgerrechte ergänzen diese allgemeinen Grundrechte und sind spezifisch an die deutsche Staatsangehörigkeit geknüpft.
Unser Kommentar
Wären Sie bereit, für die fetten Vorteile des Staatsbürgertums zu lügen? Zum Beispiel dafür, dass Sie nicht mehr abgeschoben werden oder an die besten und einflussreichsten unter den Beamtenstellen herandürfen? Wir wären uns da bei uns selbst nicht so sicher, dass wir das nicht tun würden, wenn wir denn eine FDGO-feindliche Einstellung im Herzen trügen, aber es trotzdem einfach schick fänden, hier zu leben.
Wie will man bitte überprüfen, ob jemand bezüglich der FDGO-Treue die Wahrheit sagt? Mit einem Lügendetektor?
Gerade undemokratische Menschen sind zunächst auch oft unaufrichtig, bis sie den Zeitpunkt für gekommen halten, sich offen zu zeigen. Offen Demokratie-Abständige werden auf den Behörden kaum anzutreffen sein, wenn es um die Einbürgerung geht. Es wäre ja auch widersinnig, sich so zu zeigen, da jeder weiß, wie er an die deutsche Staatsbürgerschaft herankommt oder eben nicht.
Und dass jemand einem regulären Job nachgeht, ist noch lange keine Gewähr für seine Verfassungsfreundlichkeit. Ausforschen kann man höchstens das Polizeiliche Führungszeugnis, ansonsten müsste man weit in die Privatsphäre von jemandem eindringen, um checken zu können, ob er alle Anforderungen wirklich mit ganzem Herzen erfüllen will.
Dass die Anforderungen inhaltlich weitgehend berechtigt sind, stellen wir nicht infrage, aber es geht darum, eine Gesinnungsprüfung durchzuführen, die im Prinzip ja doch auf Treu und Glauben fußt, solange jemand nicht sehr auffällig geworden ist. Gleichwohl ist es richtig, einen solchen Test durchzuführen, jedenfalls besser, als gar nicht erst nachzufragen, wie es denn mit der Verfassungstreue aussieht. Bedenken unsererseits bleiben, ob man damit insbesondere jene aussieben kann, die besonders dezidiert gegen die Verfassung arbeiten wollen und sich gerade deshalb gut genug mit ihren Anforderungen auskennen, um sie scheinbar erfüllen zu können.
In einem anderen Punkt unterstützen wir die neue Regelung generell nicht. Wir würden eher die Doppelstaatsbürgerschaften ganz abschaffen, als die zum Regelfall zu machen. So etwas gibt es aus guten Gründen in keinem anderen Land in so offensiver Weise: dass man sich nicht entscheiden muss. Dieses Vorgehen beißt sich nämlich mit der Abfrage der FDGO-Treue. Viele Menschen kommen hierher aus Ländern, in denen ganz andere Rechtssysteme gelten als bei uns, mit denen diese Menschen aufgewachsen sind und aktuell besteht die Tendenz, dass diese Systeme nicht besser, sondern schlechter werden, menschenrechtlich gesehen.
Die Treue dem Grundgesetz gegenüber bedeutet für uns auch, dass jemand sich von diesen Systemen, vor denen er ja geflohen ist oder die er aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hat, lossagen muss, um sich zu den hiesigen Werten und Anforderungen zu bekennen. Man kann zwei ethnische Identitäten oder mehrere haben und entwickeln, aber nur einem Staat die Treue halten. Das ist besonders wichtig, wenn die in Rede stehenden Staaten ganz unterschiedlichen Systemen angehören und sehr voneinander verschiedene Staatsformen haben.
Da hat die Ampel wieder einmal opportunistisch einen psychologischen Bock geschossen.
Der weitaus beste, am meisten valide Test für die FDGO-Treue wäre nämlich, dass Menschen sagen, ja, wir wollen hier dabei sein und dafür sind wir auch bereit etwas aufzugeben, weil wir es hier besser finden und richtig finden, welche Werte hier gelebt werden und womit wir uns identifizieren. Unsere Zukunft ist hier.
Die Gesinnungsprüfung ist im Zweifel Papier, das geduldig ist, die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit aber eine echte Probe.
Mit einer wichtigen Ausnahme, die einen großen Menschenkreis umfassen würde: Allen EU-Büger:innen, die die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, würden wir die bisherige belassen wollen. Es müsste irgendwann sowieso exklusiv oder zusätzlich auf eine EU-Staatsbürgerschaft hinauslaufen, wenn die Vertiefung der Gemeinschaft an den richtigen und nicht an den falschen Stellen weiter vorangebracht werden soll. Das würde zum Beispiel auch bedeuten, dass die bisherigen EU-Ausländer sowohl in ihren Heimatländern als auch bei uns zu Wahlen gehen dürften. Das würde die demokratische Teilhabe stärken.
Dass hingegen Menschen bei uns wen auch immer und in der Türkei einen Demokratiefeind wie Recep Erdogan wählen dürfen, wovon ja in hohem Maße Gebrauch gemacht wird, würden wir gerne generell ausschließen wollen. Seine Politik wäre in Deutschland nicht verfassungsgemäß, deshalb sehen wir auch den Einfluss einer Religionsgesandten hierzulande sehr kritisch und als integrationsfeindlich an. Dass Menschen hierzulande eine nicht verfassungsgemäße Politik unterstützen – ja, das wäre weiterhin möglich, aber eben nicht mit einem deutschen Pass in der Tasche.
Die gegenwärtige Konstellation, die überhaupt nichts zur besseren Integration beigetragen hat, bedingt außerdem, dass sich ausländische Politiker, die keine demokratischen Absichten und Ansichten haben, gerne in Deutschland einmischen, auch dafür ist der genannte türkische Präsident das beste Beispiel.
Nun haben wir uns noch nicht zu der Verkürzung der Anwartschaftszeit geäußert. Wir haben selbst einmal im Ausland gelebt. Dort war die Regel, nach fünf Jahren darf man dabei sein, aber nur, wenn man mit einer Inländerin oder einem Inländer verheiratet ist. Das fanden wir zu restriktiv, weil wir seinerzeit eine nichteheliche Beziehung geführt, uns gesellschaftlich aber genauso eingebracht hatten wie Einheimische, unseren Lebensunterhalt selbst erwirtschaftet hatten und der Sprache mächtig waren. Mittlerweile wurde die Anwartschaftszeit dort auf 6 Jahre (ohne Ehe) für EWR-Bürger verkürzt, die weitere bestimmte Voraussetzungen mitbringen, die wir erfüllt hätten.
Grundsätzlich halten wir die Verkürzung für in Ordnung, aber sie steht im Zweifel bezüglich einer wirklich höheren Integrationsbereitschaft. Da sich versteckte Integrationsunwilligkeit aber auch nach acht Jahren nicht wesentlich besser ausfindig machen lässt als nach fünf, setzen wir nicht deshalb einen (weiteren) Haltepunkt neben der generellen Doppelstaatsbürgerschaft.
Letzter Punkt: Die ökonomischen Anforderungen. Wir haben eine Idee dazu, was damit bezweckt wird. Zum Beispiel, dass die sehr vielen ukrainischen Geflüchteten, die bisher nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, endlich zu höheren Erwerbsquoten kommen. Blöd nur, wenn die Wirtschaft weiterhin so dahindümpelt oder noch schlechter läuft und es nicht genügend Einsteigerjobs für diese Menschen gibt. Ein deutsche Politikversagen, das auch die CDU mitzuverantworten hat, ebenso wie die FDP, sie das gut findet, verhindert also zusätzlich die Integration. Das muss man bedenken, bevor man sich hier zu schnell einseitig äußert.
Hierbleiben, weiter schwarzarbeiten, aber nicht wählen dürfen oder sich ehrlich machen und die Staatsbürgerschaft annehmen?
Oder vielleicht beides? Geht ja auch. Wir sind uns aus unseren Berliner Beobachtungen heraus ganz sicher, dass hier Unsummen am Staat vorbei erwirtschaftet werden. Wir werden nicht dazu Stellung nehmen ob wir konkrete Fälle kennen, wir wollen ja nicht, dass Überprüfungskohorten bei uns erscheinen, damit wir jemanden denunzieren. Das sollen schön die Stellen machen, die dafür zuständig sind, aber dies bitte mit mehr Nachdruck als bisher. Vor allem aber – viele derer, die wirklich dicke im Geschäft sind, sind längst auch deutsche Staatsbürger (nicht :innen, denn die Hauptakteure in der Regel Männer) oder arbeiten mit deutschen Staatsbürgern zusammen, um das System besser infiltrieren zu können. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, bei dem man sich nicht auf Staatsbürgerschaftsanwärter fokussieren kann.
Deswegen wäre es einmal interessant, zu erfahren, welches Verhalten genau außerhalb der formalen FDGO-Akzeptanz erwartet wird, was man nicht getan haben darf, wobei man nicht erwischt worden sein darf, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das ist ein sehr weites Feld und im Grunde ist es endlos, wegen der vielen Delinquenten, die entweder hier geboren wurden, „Biodeutsche“ sind oder längst eingebürgert und nie wieder die Staatsangehörigkeit aberkannt bekommen dürfen.
Und da setzt ein weiterer Kritikpunkt an. Es verstößt natürlich gegen die UNMRK, jemandem wegen Straffälligkeit die Staatsangehörigkeit zu entziehen, deswegen lassen sich jene, die sie haben, auch nicht „remigrieren“, sie haben ein Anrecht darauf, hier zu leben. Das muss man auch den AfD-Anhänger:innen endlich klar sagen, damit sie sich keine Illusionen machen. Dass die Partei in eine Position kommt, in der sie aus Deutschland wieder einen Staat machen kann, der sich aus allen völkerrechtlichen Verbindlichkeiten verabschiedet, das wird nicht stattfinden. Selbst dann bliebe immer noch die Frage: wohin eigentlich? Wer nimmt diese Menschen und was würde es kosten? Die Taliban haben für Nicht-Staatsangehörige, die in Deutschland leben und afghanischer Herkunft sind, schon einen Preis genannt. Den wird die AfD nicht bezahlen wollen oder können.
Was dann als Endlösung bliebe, müssen wir hier nicht näher erläutern. Es würde ohnehin die deutsche Staatsangehörigkeit wertlos machen, weil sie keinerlei Schutz vor Menschenrechtsverletzungen mehr bieten würde.
Fazit
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht enthält richtige Punkte, hat aber auch einige Macken, besonders die allzu wohlfeile Doppelstaatsbürgerschaft hat uns von einer Zustimmung abgehalten, während wie dem FDGO-Test aus Gründen seiner zweifelhaften Validität kritisch gegenüberstehen. Die ökonomischen Voraussetzungen sehen wir neutral, es gibt Punkte, die für deren Einhaltung sprechen und welche dagegen, letztlich gab die erweiterte Doppelstaatsbürgerschaft aber den Ausschlag dafür, dass wir nur mit „unentschieden“ gestimmt haben.
Damit sind wir noch auf der progressiven Seite, gegenwärtig gibt es eine absolute Mehrheit von fast 60 Prozent, die das neue Staatsangehörigkeitsrecht gar nicht gut findet.
Bei den Männern liegt die Quote der klar Ablehnenden mit etwa 56 Prozent nicht unerheblich niedriger als insgesamt. Da wir davon ausgehen, dass nach wie vor der Männeranteil bei solchen Abstimmungen überwiegt, bedeutet das auch, dass sich wesentlich mehr Frauen gegen das neue Recht ausgesprochen haben müssen. Sind Frauen rassistischer, mehr xenophob und nicht willig, andere zu integrieren? Wir glauben das nicht.
Wir glauben, dass Frauen mehr Angst vor bestimmten potenziellen Neu-Staatsangehörigen haben, von denen sie annehmen, dass sie vielleicht in der Öffentlichkeit „wertetreu“ sind, aber nicht unbedingt im häuslichen Umfeld oder jenseits dessen, was alle sehen können. Es geht schlicht um die Furcht vor Gewalt.
Gesamtgesellschaftlich sind sie auf jeden Fall begründet, es geht im Zusammenhang mit der Umfrage also nur darum, ob sich in der hohen Ablehnungsquote der Frauen gegen ein insgesamt inklusiveres Staatsangehörigkeitsrecht eine nicht begründete Fokussierung auf bestimmte Gruppen zeigt. Ob dem so ist, wollen wir hier nicht spekulativ erörtern.
Man sollte nicht schon wieder den Fehler begehen, Ängste nicht ernst zu nehmen, aber jetzt ist es eh zu spät. Die Ampel wird insgesamt mit der Neuregelung keine Wähler:innen hinzugewinnen können, wenn man sieht, dass klar oder latent ziemlich genau zwei Drittel gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht sind.
Demokratie ist nicht Terror der Mehrheit, aber die Ampel schlägt genau dort Pflöcke ein, wo sie nichts gewinnen kann, das ist der einzige Bogen, den sie gut raushat. Damit sind wir im Grunde bei dem Thema, ob die Staatsangehörigkeitsrechtsreform nun wirklich das wichtigste Ding war, das unbedingt geregelt werden musste. Die verschärfte Gesinnungsprüfung hätte man auch unter vorläufiger Beibehaltung der übrigen Regeln einführen können. Offenbar wollte man der CDU vor dem Machtwechsel 2025 noch schnell etwas reindrücken, was sie nicht so leicht wieder wird rückgängig machen können. Aus der Ampelperspektive gesehen, war es vielleicht doch dringend, aber aus unabhängiger Sicht lässt sich festhalten:
Das heißt, man hätte taktisch klug auch einmal warten müssen, bis die Gesellschaft wieder mehr Progression akzeptiert, und nicht in einem Moment, in dem die Migration ein so heißes Thema ist, den Rechten und den ganz Rechten weitere Stimmen sichern sollen.
Also kehren wir zu unserer Eingangsfrage zurück: Was bringt es den Menschen und der Gesellschaft wirklich? Nicht viel. Inhaltliche Probleme, fragwürdiger Zeitpunkt, da kommt einiges zusammen, was noch für viel Ärger sorgen könnte.
Mit unserem „Unentschieden“, das wir schon vor der Recherche und vor dem Verfassen unseres Kommentars angeklickt haben, sind wir immer noch ganz zufrieden.
TH
Mit unserem „Unentschieden“, das wir schon vor der Recherche und vor dem Verfassen unseres Kommentars angeklickt haben, sind wir immer noch ganz zufrieden.
TH
[1] Zitate zum Infoblock:
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/06/mod-staatsangehoerigkeitsrecht.html
[5] https://www.deutschlandfunk.de/union-kritisiert-neues-staatsangehoerigkeitsgesetz-100.html
[6] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw48-de-staatsangehoerigkeitsrecht-979630
[2] Bekenntnis zur FDGO, Zitate:
[1] https://www.fdp.de/anforderungen-fuer-einbuergerung-steigen
[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/06/mod-staatsangehoerigkeitsrecht.html
[4] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/06/stag-inkraft.html
[5] https://migrando.de/blog/einbuergerung/loyalitaetserklaerung/
[7] https://migrando.de/blog/einbuergerung/neue-einbuergerungsgesetz-in-kraft/
[8] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/modernisierung-staatsangehoerigkeitsrecht-2215610
[3] Zitate zu „Staatsbürgerrechte“:
[1] https://www.bundestag.de/gg/grundrechte
[2] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320444/grundrechte-menschenrechte/
[3] https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/lexikon-in-einfacher-sprache/249820/buergerrechte/
[4] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/75-jahre-grundgesetz/19-grundrechte
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerrecht
[7] https://www.bpb.de/themen/politisches-system/24-deutschland/40426/grundrechte/
[8] http://www.efms.uni-bamberg.de/pdf/integration/Links/Menschenrechte_Grundrechte_B%FCrgerrechte.pdf
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