Filmfest 1113 Cinema – Die große Rezension
Ein blonder Traum ist eine 1932 gedrehte musikalische Komödie mit dem Traumpaar des deutschen Films der 1930er Jahre, Lilian Harvey und Willy Fritsch, sowie dem Wiener Willi Forst in den drei Hauptrollen. Regie führte der gebürtige Ungar Paul Martin. (…) Ein blonder Traum war einer der größten Kassenerfolge in der Spätphase der Weimarer Republik.
Vorwort: 100 Jahre Babelsberg
Derzeit feiern die späteren Ufa-Studios in Potsdam-Babelsberg ihr 100jähriges Jubiläum, anlässlich dessen viele großartige Filme wiederaufgeführt werden, meist von der F. W. Murnau-Stiftung auf höchstmöglichem Niveau restauriert. Einige dieser Werke, die Filmgeschichte geworden sind, werden wir für den Wahlberliner besprechen. Die von uns archivierte Fassung von „Ein blonder Traum“ ist älter und technisch weniger brillant als einige der restaurierten Filme, die wir inzwischen gesehen haben. Aber der Film fällt in die große Zeit der Ufa, entstand in deren Babelsberger Studios und lässt sich demgemäß in die Retrospektive einordnen.
Irgendwo, irgendwann
gab es ein Deutschland vor der Nazi-Zeit und drei große Musicals, produziert von Erich Pommer für die Ufa, mit Lilian Harvey und Willy Fritsch als Traumpaar des frühen deutschen Tonfilms: „Die Drei von der Tankstelle“ (1930), „Der Kongress tanzt“ (1931) – und als letztes Werk einer zu Ende gehenden Epoche „Ein blonder Traum“ (1932).
Jeder dieser Filme hatte mehrere schöne Lieder und jeweils eines davon war ein großer Hit: „Ein Freund, ein guter Freund“ aus „Die drei von der Tankstelle“; „Das gibt’s nur einmal“ aus „Der Kongress tanzt“.
„Irgendwo auf der Welt“ hatte seine Premiere in „Ein blonder Traum“.
Der Film ist heute nicht mehr so bekannt wie die beiden anderen, aber das Lied lebt fort und wurde zuletzt von Nena gecovert. Manchen Filmhistorikern gilt „Ein blonder Traum“ mindestens als der zweitbeste der Musical-Trilogie des großartigen Teams Pommer / Fritsch / Harvey. Nicht zu vergessen, dass Billy Wilder (damals noch als Billie Wilder) am Drehbuch mitgeschrieben hat.
Eines ist „Ein blonder Traum“ auf jeden Fall: Derjenige aus der Trilogie, der am besten in die heutige Zeit passt. 1932 war das Jahr, in dem die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte, in Deutschland überschritt die Zahl der Arbeitslosen die Grenze von sechs Millionen. Die beiden Filmfiguren Willy I (Fritsch) und Willy II (Forst), die um Jou-Jou buhlen, haben zwar einfache Arbeit, aber sie hausen als Halb-Bohemiens auf der Wiese vor Berlin in ausrangierten Eisenbahnwaggons und zahlen gemäß dem Text eines der Filmsongs keine Miete mehr. Wer weiß, wo Erich Kästner sich diesen Prototyp eines alternativen Lebensstils für seinen Lehrer-Aussteiger namens „Nichtraucher“ aus „Das fliegende Klassenzimmer“ abgeschaut hat.
Die süße, blonde Jou-Jou, die den beiden während ihrer Arbeit an den Fenstern des amerikanischen Konsulats begegnet, träumt von einer Hollywood-Karriere. Diese macht aber am Ende in gewisser Weise der etwas distinguiertere der beiden Willys. Es war Willy Forst, der später in eleganten Komödien selbst Regie führte, die besser auf ihn zugeschnitten waren als die Rolle eines Glasreinigers – zeitgerechter Ausdruck im Film: Fensterputzer.
Der Film hat tausend Bezüge und viele herrliche Momente. Er ist einfach strukturiert, aber wirkungsvoll und mit großartiger Liebe zum Detail inszeniert und natürlich ist er auch ein Berlin-Film. Der Wannsee kommt vor, einmal sieht man im Hintergrund die Domkuppel und der Charme des Films ist typisch berlinerisch, nicht zuletzt durch die wilde, kleine Laubenkolonie, die von den beiden Willys und bald auch von Jou-Jou bevölkert wird und durch die Kioskbesitzerin namens „Illustrierte Ilse“, gespielt vom Berliner Original Trude Hesterberg.
Handlung (1)
Berlin in der Hoch-Zeit der Depression zu Beginn der 30er Jahre. Die beiden Fensterputzer der Firma Blitz-Blank, Willy I und Willy II, radeln mit Leiter und Waschutensilien kreuz und quer durch die Großstadt von Auftrag zu Auftrag, von Haus zu Haus. Sie verstehen sich glänzend und geraten allenfalls dann aneinander, wenn sich beide für ein und dasselbe Mädchen interessieren. Eines Tages tritt die blonde Jou-Jou in ihr Leben. Sie sehen sie durch das Fenster des amerikanischen Generalkonsulates. Als Jou-Jou gerade von dem ruppigen Portier aus dem Haus geworfen werden soll, treten die beiden ihr ritterlich zur Seite.
Jou-Jou, die sich ihren Lebensunterhalt als Wurfgeschoss in einem Wanderzirkus verdient, träumt von einer Filmkarriere in Amerika. Ein gewisser Mr. Merryman, angeblich ein wichtiger Hollywood-Mogul, hat ihr einst eine Filmkarriere in Hollywood versprochen – gegen die Zahlung einer Gebühr von 25 Dollar. Die beiden Willys nehmen sich vor, dem Mädchen zu helfen. Sie nehmen sie erst einmal zu sich nach Hause, damit sie und ihre zottelige Promenadenmischung, genannt Buffalo, ein Dach über den Kopf erhalten. Beide Fensterputzer leben arm aber glücklich weit vor den Toren der Stadt mitten auf der Wiese – und zwar in zwei armseligen, aber wildromantischen Eisenbahnwaggons, die von einem kauzigen Typen, genannt ‚Vogelscheuche‘, gehütet werden.
Jou-Jou bekommt als eigene Unterkunft einen ausrangierten D-Zug-Wagen zugeteilt. Doch bald ist unverkennbar, dass sowohl Willy I als auch Willy II ein Auge auf den blonden Traum geworfen haben. „Vogelscheuche“ warnt Jou-Jou, dass ihre Anwesenheit hier die Freundschaft der beiden Fensterputzer auf eine schwere Probe zu stellen droht. Als das Mädchen in der Zeitung liest, dass jener Mr. Merryman gerade in Berlin weilt, scheint ihr die Entscheidung leicht, und sie kehrt nach Berlin zurück. Doch die Ernüchterung folgt auf dem Fuße, ihr ‚Merryman‘ war ein Schwindler! Jetzt aber steht ihr plötzlich der echte Mr. Merryman gegenüber. Und der engagiert Jou-Jou – und das auch nur, endlich um seine Ruhe vor ihr zu haben.
Da dieser verfluchte Rummel um Jou-Jou und ihren Traum vom Filmgeschäft beinah beider Willys Freundschaft zerstört hätte, tritt Willy II mutig vor den echten Mr. Merryman und hält diesem eine Standpauke, die sich gewaschen hat. Merryman ist begeistert. So einen Typen, der anderen die Leviten liest und dadurch lästige Besucher fernhält, kann er dringend gebrauchen. Willy II soll ab sofort als sein Angestellter jeden Tag diese Rede halten – und zwar in drei Sprachen! Dafür gibt er sogar Jou-Jou frei, die schließlich in die Arme von Willy I sinkt.
Rezension
„So, wie der Billy Wilder-Biograf Maurice Zolotow die Entstehungsgeschichte von „Ein blonder Traum“ (…) recherchiert hat, sollte der Film ursprünglich anders, etwas verwegener ausgehen: „Lilian kann sich zwischen den beiden Aspiranten auf ihr Herz nicht entscheiden; angewidert verlassen die beien sie und gehen zusamen ihrer Wege, unbeweibt, während die Regentropfen beharrlich auf ihre Fahrräder fallen – ganz wie Newman und Redford. (…) Miss Harvey war außer sich: Wie konnten sie es nur wagen, diese beiden ignoranten Schreiberlinge! Diese Stümper! (Wilder und Walter Reisch, Anm. d. Verf.) Unvorstellbar: Ein Lilian-Harvey-Film, in der sie von zwei Männern verlassen wird! Dass ein Mann sie verlässt, war ja schon undenkbar. Und Erich Pommer, der genau wusste, auf welcher Seite seine Stulle gebuttert war, gab ihr recht. „Bringt das in Ordnung“, befahl er. Reisch erinnert sich, wie Wilder mit sich rang, einen Film zu schreiben, der dem Star gerecht würde und trotzdem originell blieb. Schließlich sagte er: „Ich hab’s, ich hab’s. Wir bringen einen kleinen Hund hinein. Ich kann mir keinen Hund vorstellen, dem es nicht ein Leichtes wäre, Lilian Harvey an die Wand zu spielen. (…)“
(Zitiert nach Christa Bandmann, Joe Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms 1930-1960).
Blonde Träume
Sehr pointiert, diese Sichtweise, um nicht zu sagen, ein wenig gehässig. Sicher war Lilian Harvey nicht die größte Filmschauspielerin aller Zeiten und auch nicht des deutschen Vorkriegs-Tonfilms, auch die Marke „Das süßeste Mädel der Welt“, unter der sie damals bei der Ufa firmierte, war eine Werbebotschaft. Aber das funktioniert in diesem wundervollen frühen Musical aufs Beste. Dass der Titel subversiv sein könnte, lässt am besten die englische Übersetzung erahnen: „A Blonde’s Dream“. Nicht etwa Lilian Harvey ist ein blonder Traum, obgleich sie naturblond ist. Vielmehr träumt sie einen blonden Traum – naiv fällt sie auf einen angeblichen Hollywood-Produzenten herein und ihre Tanzfähigkeiten reichen allenfalls aus, um ihr bei einem echten Produzenten einen Platz in der Chorus Line zu verschaffen. Allerdings hätte ein echter Produzent für eine Statistin wohl kaum eine Überfahrt in die Vereinigten Staaten bezahlt. Aber wir sind ja nicht im Realismus, nicht einmal im poetischen Realismus.
Alltagspoesie in schwerer Zeit
Wirklich nicht? Vieles in dem Film erinnert an andere Werke, die zur gleichen Zeit oder später gefilmt wurden und die dem poetischen Realismus zugerechnet werden – etwa an „L’Atalante“ von 1934 oder „Unter den Brücken“ von Helmut Käutner. Vor allem ist es die Konstellation der Hauptfiguren als ein Terzett, in dem eine Frau zwischen zwei Männern wählen muss. Die allerdings könnte auch von Lubitsch stammen und hat Ähnlichkeit mit „Design for Living“, das ein Jahr später in den USA mit Gary Cooper und Frederich March als künstlerischer angehauchte Willy I und Willy II entstand und mit der ebenfalls blonden Miriam Hopkins als weiblichem Teil der ménage à trois. Natürlich gibt es beim amerikanischen Film noch eine typisch amerikanische Erfolgsstory – dafür aber keine Entscheidung. Hier, im Vor-Hays-Hollywood, bleibt es wirklich bei der Serenade zu dritt. Der Lubitsch-Film beruht allerdings auf einem Stück von Noel Coward, das wiederum einen Tick älter ist als „Ein blonder Traum“. Aber man kann ja auch mal vergleichen, ohne die Frage zu stellen, ob Huhn oder Ei.
Der Film handelt zwar auch von Träumen, die sich nicht alle erfüllen, aber auch vom Stück Glück auf der Welt, das sich irgendwie, irgendwo, irgendwann einstellen wird:
Ich hab‘ so Sehnsucht,
Ich träum‘ so oft;
Einst wird das Glück mir nah sein.
Ich hab‘ so Sehnsucht,
Ich hab‘ gehofft,
Einst wird die Stunde da sein.
Tage und Nächte
Wart‘ ich darauf:
Ich geb‘ die Hoffnung niemals auf.
Irgendwo auf der Welt
Gibt’s ein kleines bißchen Glück,
Und ich träum‘ davon in jedem Augenblick.
Irgendwo auf der Welt
Gibt’s ein bißchen Seligkeit,
Und ich träum‘ davon schon lange lange Zeit.
Wenn ich wüßt‘, wo das ist, ging‘ ich in die Welt hinein,
Denn ich möcht‘ einmal recht,
So von Herzen glücklich sein.
Irgendwo auf der Welt
Fängt mein Weg zum Himmel an;
Irgendwo, irgendwie, Irgendwann.
Irgendwo auf der Welt
Fängt mein Weg zum Himmel an;
Irgendwo, irgendwie, Irgendwann.
Das kleine Glück findet Jou-Jou an der Seite von Willy I. Während des Films denkt man tatsächlich: Werden sie’s wagen, mit einem offenen Ende? Und dann stellt sich dieses Gefühl von Beruhigung ein, nämlich, dass es ein klares Happy-End gibt. Fürs Publikum der Zeit, das im Nebel der verlorenen Sicherheiten nach Orientierung suchte, war das die bessere Lösung. Wohl auch deshalb wurde der deutsche Film, der gemäß damaligen Usancen auch in einer französisch- und in einer englischsprachigen Fassung gedreht wurde, ein großer Erfolg, was man von Lubitschs konsequenterem und frivolem Entwurf „Design for Living“nicht behaupten konnte. In allen drei Fassungen von „Ein blonder Traum“ spielte im Übrigen Lilian Harvey die Hauptrolle – die englische konnte sie selbst sprechen, als gebürtige Londonerin. Diese beinahe universelle Einsetzbarkeit lässt darauf schließen, dass man bei der Ufa durchaus wusste, was man an ihr hatte.
Hollywood
Die USA spielten im deutschen Film schon damals eine große Rolle – selbst während der Nazizeit wurde Amerika selten negativ, sondern vielmehr als Verheißung oder wenigstens als eine Art Fixpunkt für maximalen Erfolg dargestellt. Erstaunlich, wie auf diese Weise die Filmemacher immer wieder subversive Untertöne einbrachten und der Propagandaminister und Oberaufseher über die Filmschaffenden, Joseph Goebbels, das durchgehen ließ. Schließlich war dieser Aspekt brisant.
In Scharen wanderten deutsche Filmschaffende nach Hollywood ab, selbst, wenn sie nicht als jüdisch galten, jüdische Lebenspartner hatten und somit ihnen keine andere Wahl als die Emigration blieb. Von diesem künstlerischen Aderlass hat sich der deutsche Film bis heute nicht erholt. Es waren weniger die ausgewanderten Schauspieler – auf Dauer konnte sich nur Marlene Dietrich in den USA den Status eines Stars aus der ersten Liga sichern – sondern die Drehbuchautoren, Regisseure, Komponisten und Produzenten deutschsprachiger Herkunft, die mit an der Legende von Hollywood bauten und spätestens ab den 40er Jahren den Stil des amerikanischen Films mitbestimmten.
Das gilt auch für Billy Wilder, den Österreicher, und Erich Pommer, den Sohn eines Hildesheimer Wäschehändlers. In Berlin kamen sie alle zusammen, in den 20er Jahren, als der deutsche Film weltführend war. Erich Pommers Name wird auf immer mit seiner Stellung als Produzent von „Metropolis“ und „Der blaue Engel“ sowie seiner Musical-Trilogie verbunden sein. Sein Ufa-Vertrag wurde unter dem Einfluss des NS-Regimes 1933 aufgelöst, er emigrierte nach Paris, später in die USA und kehrte nach dem Krieg zurück nach Deutschland.
Billy Wilder verdiente sich die Sporen und erlernte das Drechbuchhandwerk in Berlin, schuf sich die Grundlagen für die Fähigkeiten, die ihn später zu einem der größten Komödienregisseure machen sollten. 1961 erwies er mit „Eins, zwei drei“ Berlin noch einmal seine Reverenz, blieb aber dort, wo er Höhepunkte der Filmkomödie wie „Manche mögen’s heiß“ geschaffen hatte.
Es hätte so schön sein können
Wie die Entwicklung des deutschen Films ausgesehen hätte, wenn die Linien konsequent weiterverfolgt worden wären, die in den 20ern und frühen 30ern bestanden, darüber lässt sich nur spekulieren. Technisch war Hollywood damals schon vorne: Der Ton von „Ein blonder Traum“ ist dank des überlegenen Tobis-Klangfilmsystems schon recht gut und deutlicher als bei Hollywood-Musicals der Zeit, die mit dem Western Electric-Lichtton gefilmt wurden. Aber die Bildqualität ist wohl nicht nur in der von uns gesehenen, unrestauriert wirkenden (2001 archivierten) Fassung schlechter. Selbst für einen so alten Film fanden wir die unruhige Belichtung, das sprichwörtliche Flimmern, als störend. Mittlerweile gibt es vermutlich eine Restauration durch die F. W. Murnau-Stiftung, die sich um viele deutsche Filme, deren Erhaltung und Aufbereitung, verdient gemacht hat.
Inhaltlich ist „Ein blonder Traum“ einfach, hat aber viele wunderbare Elemente, die über den Revuefilm hinausgehen, der damals in den USA den Begriff Musical definierte. Es gab durchaus Ansätze zu Filmen, wie sie jenseits des Atlantik erst einige Jahre später entstanden. Die visuelle Dynamik, die Choreographie der Bewegungszenen, das ist der Einsatz von Menschen und Gegenständen, in diesem Fall von Leitern und Fahrrädern, wie sie kennzeichnend für die Arthur-Freed-Produktionen der MGM mit Fred Astaire und Gene Kelly wurde. Diese Lieder, die bei jeder Gelegenheit, auch im Freien gesungen wurden, das gesamte Setting, lassen den Film sehr frei atmen, geben ihm einen natürlichen Charme, den man nicht mit reinen Innenraum-Produktionen der Zeit aus Hollywood vergleichen kann.
Ergänzung 2024
Die obigen Ausführungen zur Erfindung des handlungstragende Lieder beinhaltenden Musicals in Deutschland in den Jahren 1929, 1930 lassten sich nach unseren neuesten Erkenntnissen nicht so eindeutig aufrechterhalten. Zwar waren viele US-Filme der er ersten Tonfilmjahre Revuefilme, in denen aufwendige Nummern und Handlung getrennt waren, die ersten sogar reine Nummernfilme, in denen eine Reihe von hochrangigen Künstlern nacheinander vortragen,allenfalls flankiert von einer Rahmenhandlung. Aber wir haben kürzlich Ernst Lubitschs „Liebesparade“ (1929) gesehen, der das Genre der Ton-Operettenfilme mitbegründete, dem auch „Ein blonder Traum“ angehört. Dieser Film beeinflusste die Filmoperrette maßgeblich. Er stammt zwar von einem deutschen Regisseur, der Ähnliches vielleicht auch in Deutschland zustandegebracht hätte, aber wurde in Hollywood bei Paramount gedreht. Lubitsch ging bereits 1923 in die USA, noch ohne Einwirkungen der NS-Politik.
Wirkt ein wenig undeutsch
Da laufen einige Linien zusammen. Ein wenig René Clair, was das Ambiente angeht, die Figur der „Vogelscheuche“ (Paul Hörbiger) mit ihrer Version des Liedes vom einfachen Leben und den wichtigen Dingen ist im Grunde eine poetische, zeittypisch ausgeformte Variante des Existenzialisten, kennzeichnend eher für den französischen als den deutschen Film jener Zeit. Dazu ein wenig Arbeiterkino à la „Menschen am Sonntag“ oder „Kuhle Wampe“, ins Unpolitisch-Dekorative gewendet. Man war auf der Höhe der Zeit und wusste um das, was im eigenen Land und bei anderen wichtigen Filmnationen gedreht wurde – und natürlich auch, was Hollywood an Standards setzte. Die Lieder im Film sind zwar nicht, wie in den USA ab den 40er Jahren, in die Handlung integriert und treiben diese vorwärts, aber sie beziehen sich auf den Plot und waren keine Revuenummern.
Verstehen heißt verzeihen
Insofern haben die Kritiker Recht, die „Ein blonder Traum“ als eine Weiterentwicklung der beiden ersten Pommer-Fritsch-Harvey-Musicals ansehen, hier steckt mehr Subtext, mehr Einflechtung vieler Einflüsse und Errungenschaften des frühen Tonfilms der Welt drin. „Ein blonder Traum“ ist gleichermaßen berlinerisch wie kosmopolitisch. Dazu kommen Ideen, die einfach nur nett sind.
So etwa die Traumsequenz mit der Modelleisenbahn, die über künstliche Berge, durch ein Aquarium und einen Sandkasten holpert, Tricktechnik, welche die Grenzen ihrer Möglichkeiten gar nicht verbergen will, weil sie weiß, sie kann es nicht. Oder das zerrissene Varieté-Plakat, das erst durch die Beifügung des dritten Teils dokumentiert, dass Jou-Jou tatsächlich ein Spielball, ein lebendiges Wurfgeschoss für zwei Akrobaten in der gemeinsamen Nummer war. Der barsche Hotelportier, der in der Traumsequenz der blonden Möchtegern-Schauspielerin zu einem sadistischen Regisseur mutiert, ist eine Reminisenz an und Umkehrung von „Der letzte Mann“, dieser tragisch-epochalen Dienstbotenfigur, die Emil Jannings 1925 zu Leben erweckt hatte.
Die Figur der Kioskbesitzerin „Illustrierte Ilse“ hingegen ist als Name ein typisches Berlinikum und wird von einem solchen verkörpert: Trude Hesterberg. Ihr Lied im Film als von den Willys verschmähte Frau ist „Verstehen heißt verzeihen“. Großmut mitten im heraufziehenden Sturm der Kleingeistigkeit, der Menschen nach oben tragen wird, die nichts vom Menschlichen verstehen und demgemäß auch nichts verzeihen können. Es macht traurig, wie mit diesen Filmfiguren, die „Ein blonder Traum“ zeigt, eine Ära von nonchalanter Großherzigkeit, von stoischer Alltagspoesie in wirtschaftlich ernster Zeit abrupt zu Ende ging.
Finale
Heute ist es kaum zu glauben und nachzuvollziehen, dass eine Stadt, deren rauer, optimistischer Charme in diesem Film gut zur Geltung kommt, sich in ebenjener Zeit, in welcher der Film entstand, einem verschrobenen und unglaublich düsteren Charakter aus dem hintersten Winkel Österreichs ergeben konnte. War die Not wirklich so groß? Fühlten sich die Preußen ohne Führungsfigur doch irgendwie allein gelassen mit ihren kleinen und großen Sorgen und verzweifelten am Leben – anders als in diesem Film? Berlin hat den Führer, seine eigene Vergangenheit. Es verbirgt seine Wunden nicht und in den vielen bunten Wohnungen und den Laubenkolonien haust eine beträchtliche Anzahl von Typen wie die beiden Willys, die in robuster und unpräteniöser Manier das Leben leben und die Gentrifizierung überstehen werden. Deshalb gibt es mittlerweile auch wieder hübsche, herzlich-raue Komödien, die hier spielen und die nur hier spielen können. Die blonden Träume sind jedoch ausgeträumt – und das ist gut so.
Anmerkung anlässlich der Republikation des Textes im Jahr 2024
Das beinahe hymnische Schlusswort aus dem Jahr 2012, die damalige Wirklichkeit im Jahr von „100 Jahre Babelsberg“ betreffend, die Filmstadt vor den Toren Berlins wurde damals 100 Jahre alt, ist heute selbst schon wieder Geschichte und es lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie es unter der Oberfläche gärte. Arbeitslose, steht in der Wikipedia, durften sich den Film ermäßigte 30 Pfennige ansehen, und es waren ihrer sechs Millionen in Deutschland. Der Film, gerade dieser, klammert nach unserer heutigen Sicht die Wirklichkeit überhaupt nicht aus, aber er transzendierte sie hin zu einer Unkaputtbarkeit von Humor und Übelebenswillen, Kreativität und Lebenslust, die nicht der Wirklichkeit entsprach. Neuere Werke wie „Babylon Berlin“ haben viel dazu beigetragen, das Bild der Zeit realistischer zu gestalten, wenngleich auch hier selbstverständlich filmisch verdichtet und verzerrt wird. Die Einbeziehung der Politik, der Straßenkämpfe, von Armut und Stilisierung von Ausgelassenheit ins Ikonografische hinein lassen ein anderes Bild entstehen, das die Ufa-Unterhaltungsfilme natürlich nicht zeichnen wollten.
Bewertung: 78/100
© 2024, 2012 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
| Regie | Paul Martin |
|---|---|
| Drehbuch | Walter Reisch Billie Wilder |
| Produktion | Erich Pommer |
| Musik | Werner Richard Heymann |
| Kamera | Günther Rittau Otto Baecker Konstantin Irmen-Tschet |
| Schnitt | Willy Zeyn junior |
| Besetzung | |
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