Todesbrücke – Tatort 591 #Crimetime 1229 #Tatort #Berlin #Ritter #Stark #RBB #Tod #Brücke

Crimetime 1229 – Titelfoto © RBB

Todesbrücke ist ein Fernsehfilm aus der Fernseh-Kriminalreihe Tatort der ARD und des ORF. Es ist der zwölfte gemeinsame Fall des Berliner Ermittlerduos Ritter und Stark. Der RBB produzierte den Film unter der Regie von Christine Hartmann, die Erstausstrahlung erfolgte am 13. März 2005 in der ARD.

Im Detail hat „Todesbrücke“ einige Macken. Da ist zum Beispiel Felix Starks panische Reaktion, als ein Wasserbeutel auf die Frontscheibe seines Dienstwagens geworfen wird. Wir dachten immer, Polizisten erhalten nicht nur ein Schieß-, sondern auch Fahrtraining. Dass bei seiner Mörderbremsaktion mitten auf der A100 keine Massenkarambolage entstanden ist, liegt wohl vor allem daran, dass der betreffende Abschnitt, der vermutlich in der Nähe der Ausfahrt Schmargendorf liegt, für die Dreharbeiten kurzfristig gesperrt worden sein dürfte. Und dort darf man nur 80 fahren. Selbst wenn man etwas überzieht, sieht man die Kinder auf der Brücke und hat eine gewisse Grundaufmerksamkeit – oder war das 2004 noch nicht so? Nun gut, es gibt mehr zu schreiben, und es steht in der Rezension.

Handlung (1)

Till Ritter und Felix Stark sind morgens auf der Autobahn gemeinsam unterwegs. Plötzlich zerplatzt eine Wasserbombe, die Schulkinder von einer Fussgängerbrücke geworfen haben, auf ihrer Windschutzscheibe. Stark gelingt es nur mit Mühe einen Unfall zu verhindern. Er sieht die drei Jungen auch noch weglaufen, kann sie aber nicht verfolgen.

Kurze Zeit später ist der Insolvenz-Verwalter Thomas Franke auf dem Weg zur Arbeit und an derselben Stelle wird sein Wagen von einem Pflasterstein getroffen und er verunglückt tödlich. So ist es für die Kommissare naheliegend ist, dass auch hier die Kinder den Stein geworfen haben könnten. Es gelingt ihnen sie am nächsten Tag auf der Brücke zu erwischen, als sie gerade wieder dabei sind Wurfgeschosse basteln. Doch noch während sie die Kinder im Präsidium befragen, ereignet sich ein weiterer tödlicher Unfall an der gleichen Stelle wie am Vortag. Diesmal ist das Opfer Sybille Bohrmann, die nicht nur in der gleichen Siedlung wie Franke wohnt, sondern auch noch seine Chefin ist und für die Unternehmensberatung Moggenhauer arbeitet. So schlussfolgern die Kommissare, dass es jemand auf die Firma abgesehen haben könnte. Vom Firmeninhaber erfahren Ritter und Stark, dass beide Opfer zuletzt an demselben Fall gearbeitet hatten. Dabei ging es um die insolvente Spedition Meier-Hofer, bei der sie die Versteigerung abwickeln sollten. Ritter sieht sich dort um, kann jedoch keinen Hinweis darauf finden, dass der Inhaber Stahlmann als Täter in Frage kommt.

Eva Franke, die Ehefrau des ersten Opfers weiß, dass ihr Mann durch seine Arbeit nicht nur Freunde hatte. Auch mit ihrem Nachbarn Klaus Reling gäbe es immer wieder Ärger. Als Ritter und Stark ihn befragen wollen, benimmt er sich extrem abweisend und aggressiv, woraufhin er ins Präsidium vorgeladen wird. Dabei stellt sich heraus, dass auch er noch vor einiger Zeit in der Unternehmensberatung Moggenhauer gearbeitet hatte. Als Jurist kennt er allerdings seine Rechte und reizt diese auch aus. Die Verdachtsmomente reichen nicht aus, ihn zu inhaftieren. Daher wird er fortan observiert. (…)

Rezension

Ein zweites Problem betrifft die Darstellung der Insolvenzverwalter. Selbst, wenn sie sich in ein falliertes Bauträgerprojekt privat einkaufen und alle die gleichen Dienstwagen fahren, sind die Mitglieder dieser Kanzlei noch lange keine Sekte, das möchten wir an der Stelle festhalten.

Und es ist eine Kanzlei bzw. muss eine sein. Betriebswirte können nicht federführend ein Insolvenzverfahren steuern, das dürfen nur Rechtsanwälte, weil die Insolvenz ein rechtlicher Vorgang mit Gerichtsverfahren ist, und vor Gericht sind nur Anwälte in der Lage, Interessen zu vertreten. Gleichwohl können die Juristen natürlich Betriebswirte hinzuziehen, in einer großen Kanzlei kann es solche wohl geben. Logischer und häufiger ist aber, dass ein Betriebswirt mit speziellem Branchenwissen als externer Gutachter hinzugezogen wird.

Außerdem wird die Firma hier so dargestellt, als sei sie eine Art Beratungs- und Abwicklungskonzern, im Normalfall müsste sie eine Sozietät sein, die tatsächlich auf Insolvenzrecht spezialisiert ist (auch in größeren deutschen Kanzleien ist das eher selten, weil diese sich als Generalisten verstehen, die Anwälte aller wichtigen Fachrichtungen an Bord haben, ab einer gewissen Größe sicher auch einen oder mehrere Anwälte, die sich mit Insolvenzsachen auserkennen. Häufig sind Insolvenzverwalter aber auch sehr versierte Einzelgänger).

Beim richtig erstellten Szenario der Insolvenz-Sozietät heißt das aber mindestens, dass eine Topkraft wie Frau Bohrmann Partnerin ist und nur so gebunden werden kann, und nicht einem Chef sozusagen zu gehorchen hat. Sie arbeitet an ihren Fällen demnach absolut selbstständig. Und vor allem hat sie ein Einkommen, mit dem sie sicher nicht aus ihrem Haus in Zehlendorf oder Lichterfelde West ausziehen muss, um sich in Teltow eine Doppelhaushälfte oder ein Reihenhaus  zu ergattern. Für die anderen Insolvenzmanager gilt tendenziell das Gleiche.

Wir kennen uns aus beruflichen Gründen sowohl mit den Milieus ein wenig aus als auch mit solchen Siedlungen, unter anderem in Teltow (die im Film gezeigte konnten wir allerdings nicht zuordnen) und die Stimmigkeit wird durchaus der Idee geopfert, dass alle da draußen vor den Toren von Berlin zusammenglucken und Aversionen gegeneinander entwickeln können, und dass einer vom anderen alles mitbekommt. Das Modell erinnert eher an die Siedlungspolitik alter deutscher Kohle- und Stahl-Tradition als an eine moderne Dienstleistungsgesellschaft mit ihren Typen, die eines nicht wollen, nämlich partout so wenig individuell das Gleiche tun und gleich und so dicht an dicht wohnen.

Auch die Tatsache, dass die Spedition nur mit den Moggenhaupt-Leuten zu tun zu haben scheint, weist darauf hin, dass es keine weiteren Ansprechpartner gibt b zw. Menschen wie Frau Bohrmann für die Abwicklung der wackelnden Transportfirma zuständig sind. Normalerweise wäre aber der Ansprechpartner der Insolvenzverwalter, der das Sagen hat, wie wirklich vorgegangen wird, ein Berater kann höchstens Vorschläge dazu machen.

Das dritte Ding hatten wir mit der Figur des Täters. Man konnte ihn nur einigermaßen aus dem Fokus bringen, indem man ihn so sanft und defensiv, resignativ dargestellt hat – sodass er sich selbst so darstellen konnte. Es gibt Hinweise auf die Täterschaft von Manfred Bohrmann, er ist sofort zu Beginn zu sehen, die Szene zwischen ihm und Kommissar Stark in seinem Haus ist noch einmal anders gefilmt als der Rest des Films, der schon eine sehr dezidierte Optik hat. Diese ist so schön milchig, es scheint nie die Sonne, es ist nie bewölkt, es ist ein weißblassbraungrau, in dem alles, was geschieht, emotional seltsam gedämpft und unwirklich daherkommt – wodurch die Emotionen umso stärker hervortreten. Sehr schön gemacht, aber in der erwähnten Sequenz im Haus von Bohrmann kommt noch eine seltsam dicke Luft hinzu, es wirkt, als seien die Räume voller Rauch oder als sei es darin nebelig. Die dicke Suppe, das hatten wir verstanden, weist darauf hin, dass sich hier etwas verbirgt.

Aber Bohrmann als Typ, der von der Autobahnbrücke herunter Steine schmeißt und gar nicht sehen kann, wer in den silbernen Dreier-BMW sitzt? Im unglücklichsten Fall hätte er unzählige BMW-Fahrer auf sein Gewissen geladen, bevor er endlich seine Frau erwischt hätte. Das passt einfach nicht zu dem Mann, den wir hier sehen, und wenn er noch so verzweifelt ist. Und wenn er das ist, dann hält er seine Fassade so grandios aufrecht und opfert das Leben Unschuldiger? Das kaufen wir nicht. Schade, denn dadurch, nicht wegen der etwas seltsamen Firmen- und Milieuschilderung der Insolvenzprofis, verliert „Todesbrücke“ die Möglichkeit, eine Wertung zu bekommen wie „Gegen den Kopf“, unser Ritter-Stark-Referenztatort.

Schade auch deswegen, weil die Familiendramen super gespielt sind und der Film eine klasse düstere Atmosphäre hat, die mehr als 10 Jahre nach seiner Entstehung noch sehr fesselt (Entwurfstext aus dem Jahr 2015 bis zu diesem Punkt nicht geändert).

Erinnerte uns beim Anschauen ein wenig an die Arbeiten von von Claudia Garde, die zwar Stilvarianzen zeigen, aber stets Inhalt und Stimmung sehr gut miteinander verknüpfen. Da ist bei Christine Hartmann, die zuletzt einen Film über die berühmte Fliegerin Elly Beinhorn gedreht hat, ein ähnliches Gefühl für die richtigen Töne und Takte vorhanden. Deswegen stört auch die gewisse Langsamkeit des Films nicht, es ist nun einmal mehr Elegie als Rasanz angesagt, wenn es darum geht, die Zerstörung von Beziehungen und Menschen als deren Ergebnis auszuloten.

Wie das alles immer kommt, ist nicht so sehr Thema, sondern, was es mit den Figuren in diesem Film tut, was daher das Gezeigte mit uns tut, wenn wir Ähnlichkeiten mit unserer eigenen Biografie sehen. Auch die Involvierung von Felix Stark und seinem Sohn passt ausgezeichnet, ist genau im Thema. Und daran ist nichts Gekünsteltes. Wer in Berlin lebt, weiß, was wir meinen. Wir kennen mehr Leute, die nicht mehr mit ihren ersten (Ehe-) Partnern zusammen sind, als solche, die sich dieses kleine Glück erhalten konnten, wenn es denn eines ist. Die Wunden, die Trennungen verursachen, die unsinnigen Streits zwischen Nachbarn (der Nachbar war viel zu gruselig, um der Täter sein zu können), Kämpfe um die Kinder, jenseits des grundsätzlich geltenden gemeinsamen Sorgerechtes, von dem auch im Jahr 2004 bei allen hier beteiligten Paaren auszugehen ist, da diese offensichtlich verheiratet waren und geschieden wurden (die Stellung nichtehelicher Väter wurde erst in letzter Zeit verbessert und wird sich jener ehelicher Väter vermutlich weitgehend annähern, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in Deutschland mittlerweile fast jedes dritte Kind in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft geboren wird).

Finale

Die überwiegend nüchterne Betrachtung, die wir „Todesbrücke“ haben angedeihen lassen, besagt nichts über seinen emotionalen Gehalt, der ist sehr hoch. Als Krimikundlern hat uns die Sache mit dem Nicht-sehen-Können des Fahrers sehr gefallen, weil sie die Kommissare zu einem logischen, aber falschen Schluss verleitet – und am Ende ergibt sich sozusagen das Negativ zu diesem Schluss. Es geht nicht um die Firma, sodass es egal ist, welchen von deren BMWs es trifft (bei genauer Betrachtung hätte sich der Täter dann allerdings auch alle Kennzeichen dieser Firmenwagen notieren müssen, sonst wären, siehe oben, denn der 3er BMW in Silber und als Kombi war nicht gerade eine Seltenheit), sondern im Gegenteil, es wird so lange mit Steinen geschmissen, bis die angezielte Person dabei draufgeht, die Zugehörigkeit zur selben Firma spielt dabei keine Rolle.

Ein positiver Aspekt, den es hervorzuheben gilt und der unser Urteil nicht unmaßgeblich beeinflusst, ist die Schauspielerei. Die ist formidabel, die Regie holt aus dem Personal wirklich das Maximum heraus, zumindest, soweit wir es vergleichen können. Das können wir naturgemäß am besten bei Ritter und Stark, und vor allem Stark ist schon sehr stark. Grenzwertig, aber auf der guten Seite. Und Ritter ist natürlich, wie in jener Schaffensperiode der Berliner Tatortkommissare üblich, dicht an der Weiblichkeit. Es wird aber nicht peinlich und es wirkt nicht, als ob er die Situation der traumatisierten Frau Franke ausnutzen würde. Man hat sogar das Gefühl, da ist echte Hilfsbereitschaft und Fürsorge in ihm, was man selten sieht. Im Verhältnis zwischen Ritter und Stark flirrt es, obwohl die beiden sich schon so gut kennen, aber auf diese Weise soll das Ding der beiden ja spannend gehalten werden. Es ist allgemein so, dass die beiden Partner der Duos, das gilt auch für Köln und mit Abstrichen für München, einander immer wieder überraschen und sich zoffen dürfen, das Abstecken der Claims gelingt auch nach vielen Jahren nicht so richtig – zur Gaudi des Publikums.

8,5/10

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2015)

Regie Christine Hartmann
Drehbuch Frauke Hunfeld
Produktion Jürgen Haase
Musik Fabian Römer
Kamera Alexander Fischerkoesen
Schnitt Cosima Schnell
Premiere 13. März 2005 auf Das Erste
Besetzung

 


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