Briefing 589-UP 2, PPP, Angela Merkel, Bundeskanzlerin, Bankenkrise, Geflüchtetenkrise, Coronakrise, Wirtschaftskrise, Gesellschaftskrise, BIP pro Kopf, Vermögensentwicklung, Gini-Index, Arbeitsproduktivität, Ländervergleich
Wir müssen heute das Pferd ein wenig von hinten aufzäumen, nicht nur wegen des Publikationsdatums für dieses Update, das wir etwas zurückgesetzt haben, weil uns die Wendungen im US-Wahlkampf zurzeit in Atem halten. Trotzdem wollen wir „Angela Merkel wird 70“ noch etwas vertiefen. Den Tenor haben wir mit dem ersten Artikel schon vorgegeben: Vermissen Sie Angela Merkel als Kanzlerin? (Umfrage + Leitkommentar: wir haben 16 verlorene Jahre zu bewältigen.
Wenn man sich dann die Statista-Grafik ansieht, die wir nun vorstellen werden, denkt man: Andere Welt? Abwegige Wahrnehmung? Aber von wessen Seite? Wir erklären unterhalb der Grafik und des Begleittextes, warum diese Werte wenig darüber aussagen, ob unter Angela Merkel Deutschland für die Zukunft gut aufgestellt wurde.
Infografik: Die Ära Merkel – eine Wirtschafts-Bilanz | Statista

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.
Angela Merkel hat Deutschlands Wirtschaft 16 Jahre lang geprägt. Die Grafik von Statista zeigt, wie sich wichtige Kennzahlen in den Jahren von 2005 bis 2020 entwickelt haben. So ist der finanzielle Wohlstand in Deutschland immer weiter gewachsen: das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf stieg um rund 43 Prozent. Ohne Ausbruch der Corona-Pandemie hätte dieses Wachstum wohl knapp an die 50-Prozent-Marke herangereicht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Es misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden.
Die Zahl der Arbeitslosen ist trotz des pandemiebedingten Anstiegs im Jahr 2020 um rund 44 Prozent gesunken. 2005, als Angela Merkel ins Kanzleramt einzog, waren knapp fünf Millionen Menschen als arbeitslos registriert, 2019 schließlich waren es nur noch 2,3 Millionen Menschen. Durch die Corona-Krise stieg diese Zahl im Jahr 2020 auf 2,7 Millionen. Dieser Beschäftigungsboom dürfte einiges zur Popularität der Bundeskanzlerin beigetragen haben. Zu dieser günstigen Entwicklung haben auch die Reformen der Agenda 2010 beigetragen, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder von 2003 bis 2005 umgesetzt worden sind. Laut Experten des Ifo-Instituts waren Agenda-Reformen aber nicht der einzige Grund für den Aufschwung am Arbeitsmarkt. Hierzu hätten auch die Senkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung und eine stärkere Spreizung der Löhne für höher und niedriger qualifizierte Arbeit beigetragen.
Zugleich sind die Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung gestiegen – je Einwohner von rund 18.000 auf über 26.000 Euro. Die Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 wirkte sich negativ auf die Staatsverschuldung aus und sorgte für einen Schuldenhöchststand. Seit 2013 ist die Staatsverschuldung Deutschlands jedoch kontinuierlich gesunken und erst im Zuge der Corona-Krise wieder deutlich angestiegen. Durch die umfangreichen Konjunkturpakete der Bundesregierung stieg die Staatsverschuldung gegenüber dem Vorjahr 2019 dann wieder deutlich an. Unterm Strich darf man Angela Merkel aber ein solides Haushalten attestierten, dass durch zwei schwere Wirtschaftskrisen unterbrochen worden ist. In den Daten ausdrücklich nicht enthalten sind die impliziten Staatsschulden, zu denen die Pensionsverpflichtungen von Bund und Ländern gehören. Sie belaufen sich nach Berechnungen des IW Köln (PDF-Download) auf rund 2 Billionen Euro.
Zur positiven Bilanz gehört auch, dass die Steuereinnahmen kontinuierlich gestiegen und die Zahl der Unternehmensinsolvenzen gesunken sind. Während der Pandemie war die Insolvenzantragspflicht zeitweise ausgesetzt worden. Trotz intensiver Diskussionen in Wirtschaft und Politik gilt diese Pflicht seit dem 1. Mai 2021 wieder in vollem Umfang. Die Zahlen des Statistischen Bundesamt zu Unternehmensinsolvenzen reichen derzeit nur bis zum Mai 2021. Bislang ist es nicht zu einem Anstieg der Insolvenzen im laufenden Jahr gegenüber 2020 gekommen.
Die Militärausgaben Deutschlands sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Merkel hatte bereits vor einigen Jahren eingeräumt, dass die Bundeswehr in der Vergangenheit nicht genügend Geld zur Verfügung hatte. Immer wieder hatte die Bundeswehr über fehlende und kaputte Ausrüstung geklagt. Merkel versprach der Truppe mehr Geld und hat ihr Versprechen in den letzten Jahren eingelöst, wie die Statista-Grafik zeigt. Die Daten zu den Militärausgaben beinhalten laut Quelle (SIPRI) alle Ausgaben für die Streitkräfte – inklusive von Kontingenten zur Friedenssicherung im Ausland), für das Verteidigungsministerium und für Rüstungsprojekte.
Unter Merkel ist der Saldo der deutschen Außenhandelsbilanz unterm Strich gestiegen. Die Außenhandelsbilanz ergibt sich aus der Differenz zwischen den Ausfuhren und den Einfuhren von Waren. Damit hebt sich Merkel nicht von früheren Regierungen ab: Deutschland führt seit 60 Jahren weitaus mehr Waren pro Jahr aus als es einführt, d.h. es gibt eine positive Außenhandelsbilanz, einen sogenannten Exportüberschuss. Wegen dieses Exportüberschusses steht Deutschland international in der Kritik: Deutschland exportiere zu viel, importiere zu wenig und lebe somit auf Kosten der importierenden Staaten. Im ersten Corona-Jahr 2020 kam es zu einem deutlichen Rückgang des Saldos. Experten rechnen jedoch mit einem schnellen Wiederanstieg.
Die deutschen Treibhausgas-Emissionen sind zwischen 2005 und 2020 um rund ein Viertel gesunken. Vor allem durch Sondereffekte konnte das Ziel für das Jahr 2020 erreicht werden, aber ohne massive und rasche zusätzliche Anstrengungen werden die weiteren Ziele nicht erreicht. Bis 2045 soll die vollständige Treibhausgasneutralität erreicht werden. Eine aktuelle Analyse des Klimaschutzprogramms 2030 zeigt laut Umweltbundesamt, dass die Lücke zum 55 %-Ziel durch das Klimaschutzprogramm 2030 zwar verkleinert, jedoch nicht vollständig geschlossen werde. Laut der Projektion werde eine Treibhausgas-Minderung von 51 % bis zum Jahr 2030 erzielt. Es verbleibe eine Lücke von etwa 70 Mio. t Kohlendioxid-Äquivalenten. Merkel hat auf diesem Gebiet für die folgende Bundesregierung also noch Arbeit hinterlassen.
Hinweis: Bei den Zahlen zum BIP je Einwohner, den öffentlichen Gesamtschulden, den Militärausgaben, bei den Steuereinnahmen und beim Saldo der Außenhandelsbilanz handelt es sich um nominale Werte.
Hätte Statista es nicht getan, hätten wir als erstes darauf hingewiesen, dass dies nicht die realen, sondern eben die nominalen Werte sind. Von ihnen muss man die Teuerungsrate abziehen.
Wenn man Aussagen des Ifo-Instituts für den Tenor eines Artikels hernimmt, ist natürlich alles prächtig. Hartz IV war nicht eine soziale Katastrophe, der Niedriglohnsektor nicht Lohnsklaverei, sondern eine (selbstverständlich) erwünschte Spreizung der Einkommen. Der Text hätte von Schröder und Merkel gemeinsam verfasst sein können. In Wirklichkeit war es so: Mehrere Faktoren haben dazu wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland zwar kurzfristig ein höheres Wirtschaftswachstum hatte, aber langfristig erheblich an Wettbewerbsfähigkeit verlor:
- Hartz IV hat lediglich die Sozialstandards abgesenkt und zu unglaublichen Diskriminierungen geführt, aber nicht zu nachhaltiger Arbeit geführt, die verdeckte Arbeitslosigkeit ist enorm. Die Bundesagentur für Arbeit hat mehrfach ihre statistische Erfassungsmethode geändert, um das im Sinne der Regierungen und des vorgeblichen Erfolgs von Hartz IV zu verschleiern, denn die BA steht hinter diesem System.
- Der Niedriglohnsektor musste 2015 korrigiert werden, als endlich der Mindestlohn eingeführt wurde, weil hier Menschen zu geradezu sklavenhaften Bedingungen und ohne jede Aussicht auf hinreichende Rentenpunkte beschäftigt waren. Beseitigt sind die Probleme noch immer nicht, u. a. wegen des Ausweichens in Arbeitsverhältnisse auf Basis der Scheinselbstständigkeit und weil die Inflation schneller voranschreitet, als der Mindestlohn sich erhöht, zumindest galt das von 2021 bis 2024.
- Eine kohärente, langfristige Wirtschaftsstrategie, die den Schutz der hiesigen Arbeitsplätze mit Nachhaltigkeit verbindet, gab es während der gesamten Merkel-Ära und auch zuvor nicht.
- Die drei obigen Punkte in Verbindung mit der verantwortungslosen Niedrigzinspolitik haben dazu geführt, dass sich die deutsche Wirtschaft auf der Kostenseite einen kurzfristigen Vorteil verschaffen konnte und dringend notwendige Investitionen ausblieben. Um dies zu belegen, haben wir die deutschen Daten mit denen einiger anderer Länder verglichen, wo sie vergleichbar sind, also nicht bei der Arbeitslosenquote, bei denen die Statistiken der Länder voneinander abweichen und nicht alle so unehrlich sind wie die deutsche Variante.
- Der Exportüberschuss ist, entgegen der Prognose von 2021, noch nicht auf frühere Werte angewachsen, das hat mit den zunehmenden Spannungen im Welthandel aufgrund von geostrategischen Konfliktlagen zu tun und auch damit, dass jetzt sichtbar wird, dass die deutsche Wirtschaft Strukturschwächen aufweist, die teilweise schon zu Beginn der Merkel-Ära vorhanden waren, von ihrer Regierung nicht behoben wurden und sich im aktuellen Stresstest deutlicher zeigen als bisher.
- Trotz Wolfgang Schäubles manischer Schwarzer Null sind die Staatsschulden bis 2020 stärker angestiegen als das BIP pro Kopf im selben Zeitraum, die Militärausgaben sind doppelt so stark gestiegen wie das BIP pro Kopf, und wie wir wissen, war das immer noch alles viel zu wenig.
- Ein relativer Erfolg waren die starken Anstiege der Steuereinnahmen, sie wuchsen stärker als das BIP pro Kopf und auch stärker als die Verschuldung pro Kopf.
- Anders sieht es wiederum mit den Unternehmensinsolvenzen aus, deshalb ist es auch so wichtig, Zahlen nicht einfach zu vergleichen, sondern die Hintergründe mitzuliefern: Die Insolvenzen gingen zwar stark zurück, das war aber nach Ansicht vieler Fachleute der Tatsache zu verdanken, dass die Nullzinspolitik viele nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen am Laufen gehalten hat, was sich natürlich auch auf die Arbeitslosenstatistik dämpfend auswirkte. Die Folgen sehen wir jetzt: Vor allem im Handel geht eine Firma nach der anderen pleite, die sich nicht mehr so günstig wie vor ein paar Jahren refinanzieren kann und auch die Immobilienwirtschaft mit ihrer Überdehnung dank Niedrigzinsen ist betroffen. Wir werden auch im Produktionsbereich verstärkt Abwanderung und Insolvenzen sehen, also im Kern dessen, was Deutschlands Wirtschaft einmal ausgemacht hat. Die Ursachen dafür liegen, bis auf die Energiepreispolitik, nicht in der Ampel-Zeit begründet, sondern sind älter.
Machen wir also den Text bei verschiedenen Wirtschaftsdaten. Nach drei Fragerunden hatte die KI alles in Euro und abzüglich der Inflation geliefert:
Sie haben absolut Recht, und ich danke Ihnen für diesen wichtigen Hinweis. Die zuvor angegebenen Werte sind in der Tat nominal und nicht real. Das ist ein entscheidender Unterschied, den ich hätte erwähnen und berücksichtigen sollen. Lassen Sie mich das korrigieren und die Daten unter Berücksichtigung der Inflation darstellen.
Für eine reale Vergleichbarkeit müssen wir die Werte inflationsbereinigt betrachten. Dazu verwenden wir typischerweise ein Basisjahr (oft das Anfangsjahr der Betrachtung) und passen alle folgenden Jahre entsprechend an.
Hier eine grobe Schätzung der realen BIP pro Kopf Entwicklung (in Euro, Basisjahr 2005):
## Reales BIP pro Kopf Entwicklung 2005-2020 (in Euro, Basisjahr 2005)
### Deutschland:
– 2005: 31.117 Euro
– 2020: ca. 35.500 Euro
– Reales Wachstum: ca. 14,1%
### USA:
– 2005: ca. 35.400 Euro
– 2020: ca. 43.000 Euro
– Reales Wachstum: ca. 21,5%
### Japan:
– 2005: ca. 28.200 Euro
– 2020: ca. 30.500 Euro
– Reales Wachstum: ca. 8,2%
### Frankreich:
– 2005: ca. 30.000 Euro
– 2020: ca. 31.500 Euro
– Reales Wachstum: ca. 5,0%
### Großbritannien:
– 2005: ca. 45.500 Euro
– 2020: ca. 41.000 Euro
– Reale Veränderung: ca. -9,9%
## Beobachtungen zum Vergleich (real):
- Das reale Wachstum fällt für alle Länder deutlich geringer aus als bei der nominalen Betrachtung.
- Deutschland zeigt mit 14,1% immer noch ein solides reales Wachstum über den Zeitraum.
- Die USA verzeichnen mit 21,5% das stärkste reale Wachstum unter den verglichenen Ländern.
- Japan und Frankreich zeigen ein moderates reales Wachstum von 8,2% bzw. 5,0%.
- Großbritannien verzeichnet auch real einen Rückgang, der aber weniger drastisch ausfällt als bei der nominalen Betrachtung.
Diese reale Betrachtung gibt ein genaueres Bild der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung, da sie die Auswirkungen der Inflation berücksichtigt. Sie zeigt, dass das Wirtschaftswachstum in allen betrachteten Ländern weniger stark war, als die nominalen Zahlen suggerieren, aber die relativen Positionen der Länder zueinander bleiben weitgehend bestehen. Vielen Dank nochmals für Ihren aufmerksamen Hinweis. Es ist wichtig, bei solchen Vergleichen immer zwischen nominalen und realen Werten zu unterscheiden.
Quellen
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/14433/umfrage/bruttoinlandsprodukt-bip-in-deutschland-pro-kopf-seit-1970/
https://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Finanzierung/Datensammlung/PDF-Dateien/abbII41.pdf
https://www.statistik-bw.de/GesamtwBranchen/VGR/VW_wirtschaftskraft.jsp
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1251/umfrage/entwicklung-des-bruttoinlandsprodukts-seit-dem-jahr-1991/
https://www.ceicdata.com/de/indicator/germany/gdp-per-capita
Der Vergleich ist weiterhin schwierig, da bis auf die USA alle verglichenen Länder im Zeitraum von 2005 bis 2020 sehr schlecht abgeschnitten haben und weit unter dem Durchschnitt des Weltwirtschaftswachstums lagen. Im Grunde müsste man mit kleineren europäischen Staaten vergleichen, die gut liefen, hingegen, wie oben geschrieben, nicht mit Ökonomien, die noch viel Aufholbedarf haben, gleichwohl nominal mittlerweile Deutschland längt (China) überholt haben oder dicht dran sind oder schon vorbeigezogen (Indien). Kleinere Staaten sind flexibler und arbeiten manchmal mit ethisch äußerst fragwürdigen Methoden, um den großen Volkswirtschaften den Rang abzulaufen. Der Vergleich mit den USA ist aber zulässig, an ihnen sollte man sich orientieren dürfen, und da sieht es in Deutschland bescheiden aus. Vergleichen wir also nur mit den USA und nehmen wir jetzt das Jahr 2021 hinzu, das ebenfalls noch ein „Merkel-Jahr“ war. Im Grunde wirkt ihre Politik ja weiter, siehe wiederum oben, aber wir grenzen die Betrachtung auf die Zeit ihrer Kanzlerschaft ein.
Nehmen wir zunächst die Arbeitsmarktdaten, auch wenn wir oben geschrieben haben, dass die Statistiken hier nicht vergleichbar sind:
## Vergleich der Jobentwicklung in Deutschland und den USA (2005-2021)
### Deutschland
#### Erwerbstätigkeit
– **2005**: Rund 39,2 Millionen Erwerbstätige
– **2021**: Rund 44,9 Millionen Erwerbstätige
– **Wachstum**: ca. 14,6%
#### Arbeitslosenquote
– **2005**: 11,7%
– **2021**: 5,9% (trotz eines Anstiegs durch die COVID-19-Pandemie)
#### Bevölkerungsentwicklung
– **2005**: ca. 82,5 Millionen
– **2021**: ca. 83,2 Millionen
– **Wachstum**: ca. 0,8%
#### Relatives Wachstum der Erwerbstätigkeit
– **2005**: 47,5% der Bevölkerung erwerbstätig
– **2021**: 54% der Bevölkerung erwerbstätig
### USA
#### Erwerbstätigkeit
– **2005**: ca. 142,2 Millionen Erwerbstätige
– **2021**: ca. 152,6 Millionen Erwerbstätige
– **Wachstum**: ca. 7,3%
#### Arbeitslosenquote
– **2005**: 5,1%
– **2021**: 5,4% (nach einem Höchststand von 14,8% im April 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie)
#### Bevölkerungsentwicklung
– **2005**: ca. 296,5 Millionen
– **2021**: ca. 331,4 Millionen
– **Wachstum**: ca. 11,8%
#### Relatives Wachstum der Erwerbstätigkeit
– **2005**: 48% der Bevölkerung erwerbstätig
– **2021**: 46% der Bevölkerung erwerbstätig
## Beobachtungen
- **Erwerbstätigkeit**:
– Deutschland verzeichnete ein stärkeres Wachstum der Erwerbstätigkeit (14,6%) im Vergleich zu den USA (7,3%).
– Absolut gesehen wuchs die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um ca. 5,7 Millionen, während sie in den USA um ca. 10,4 Millionen zunahm.
- **Arbeitslosenquote**:
– Deutschland konnte die Arbeitslosenquote von 11,7% auf 5,9% senken.
– In den USA blieb die Arbeitslosenquote relativ stabil, mit einem leichten Anstieg von 5,1% auf 5,4%, was jedoch durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beeinflusst wurde.
- **Bevölkerungsentwicklung**:
– Die Bevölkerung in Deutschland wuchs nur geringfügig um 0,8%.
– Die USA verzeichneten ein stärkeres Bevölkerungswachstum von 11,8%.
- **Relatives Wachstum der Erwerbstätigkeit**:
– Der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung stieg in Deutschland von 47,5% auf 54%.
– In den USA sank der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung von 48% auf 46%.
## Fazit
Deutschland zeigte von 2005 bis 2021 eine stärkere relative Zunahme der Erwerbstätigkeit im Vergleich zu den USA. Trotz eines geringeren Bevölkerungswachstums konnte Deutschland die Arbeitslosenquote signifikant senken und den Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung erhöhen. In den USA blieb die Arbeitslosenquote weitgehend stabil, und der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung ging leicht zurück, was auf unterschiedliche wirtschaftliche und demografische Entwicklungen hinweist.
Quellen:
– [Statistik der Bundesagentur für Arbeit](https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202112/ama/heft-arbeitsmarkt/arbeitsmarkt-d-0-202112-pdf.pdf?__blob=publicationFile)
– [iwd.de](https://www.iwd.de/artikel/der-arbeitsmarkt-in-deutschland-413406/)
– [Destatis](https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/01/PD22_001_13321.html)
– [Statista](https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2903/umfrage/jahresdurchschnittswerte-des-bestands-an-offenen-arbeitsstellen/)
– [Statistik-BW](https://www.statistik-bw.de/GesamtwBranchen/VGR/VW_wirtschaftskraft.jsp)
[1] https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/202112/ama/heft-arbeitsmarkt/arbeitsmarkt-d-0-202112-pdf.pdf?__blob=publicationFile
[2] https://www.iwd.de/artikel/der-arbeitsmarkt-in-deutschland-413406/
[3] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/01/PD22_001_13321.html
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2903/umfrage/jahresdurchschnittswerte-des-bestands-an-offenen-arbeitsstellen/
[5] https://www.statistik-bw.de/GesamtwBranchen/VGR/VW_wirtschaftskraft.jsp
Sind diese Zahlen nicht erstaunlich und sehr positiv für Merkel-Deutschland? Nur auf den ersten Blick wiederum. Denn eines fällt sofort auf: Wie kommt es, dass, obwohl die Erwerbsquote in den USA leicht fiel und in Deutschland angeblich erheblich anstieg, das BIP-pro-Kopf-Wachstum in den USA um einiges stärker ausfiel? Die Lösung ist recht einfach: Billiglöhne schaffen kaum Werte, erhöhen das BIP kaum und außerdem sank in Deutschland die Arbeitszeit pro Kopf erheblich. Das heißt gemäß den bisherigen Darstellungen, die höhere Erwerbsquote in Deutschland war weniger als in den USA
- mit nachhaltigen, innovativen Arbeitsplätzen, sondern mit prekären Billigjobs verbunden und durch Erhöhung der Teilzeitarbeitsquote geliftet worden, während in den USA die Erwerbsstruktur 2020 noch recht ähnlich der von 2005 war.
- Die Statistik in Deutschland wurde mehrfach so geändert, dass sie eine hohe verdeckte Unterbeschäftigung verdecken konnte. Wir haben diese Kaschierung der tatsächlichen Unterbeschäftigung bereits 2011 in einer der ersten ausführlichen Darstellungen für den „alten“ Wahlberliner thematisiert.
- In beiden Ländern ist der Zuwachs des Pro-Kopf-BIP mit erheblicher Umverteilung nach oben einhergegangen, vor allem am oberen Ende der Einkommensskala wuchs das BIP pro Kopf, was natürlich erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Statistik hat, da diese sehr hohen Einkommen eine hohe Hebelwirkung haben, wenn sie weiter stark wachsen. Anders ausgedrückt, wenn ein Hochverdiener zehn Prozent mehr BIP erzielt, wirkt sich das auf die Statistik stärker aus, als wenn 10 prekäre Arbeiter:innen in ihrem Beitrag zum BIP stagnieren, zumal, wenn sie zusätzlich mehr in die Teilzeit gehen.
Deswegen vergleichen wir jetzt einmal die Vermögenslage in einigen Ländern:
## Entwicklung des Gini-Koeffizienten in wichtigen Industrieländern (2005-2021)
### Deutschland
– **2005**: ca. 0,76
– **2021**: 0,772
– **Veränderung**: Anstieg um 0,012 Punkte
### USA
– **2005**: ca. 0,80
– **2021**: ca. 0,85
– **Veränderung**: Anstieg um 0,05 Punkte
### Japan
– **2005**: ca. 0,55
– **2021**: ca. 0,63
– **Veränderung**: Anstieg um 0,08 Punkte
### Großbritannien
– **2005**: ca. 0,65
– **2021**: ca. 0,70
– **Veränderung**: Anstieg um 0,05 Punkte
## Beobachtungen
- **Deutschland**:
– Der Gini-Koeffizient für die Vermögensverteilung stieg leicht von ca. 0,76 im Jahr 2005 auf 0,772 im Jahr 2021. Dies zeigt eine leichte Zunahme der Vermögensungleichheit.
- **USA**:
– Die USA verzeichneten einen deutlichen Anstieg des Gini-Koeffizienten von ca. 0,80 im Jahr 2005 auf ca. 0,85 im Jahr 2021. Dies weist auf eine signifikante Zunahme der Vermögensungleichheit hin.
- **Japan**:
– Japan zeigte ebenfalls einen Anstieg des Gini-Koeffizienten von ca. 0,55 im Jahr 2005 auf ca. 0,63 im Jahr 2021, was auf eine zunehmende Ungleichheit hinweist.
- **Großbritannien**:
– In Großbritannien stieg der Gini-Koeffizient von ca. 0,65 im Jahr 2005 auf ca. 0,70 im Jahr 2021, was ebenfalls auf eine Zunahme der Vermögensungleichheit hinweist.
## Fazit
Die Daten zeigen, dass alle betrachteten Länder einen Anstieg des Gini-Koeffizienten für die Vermögensverteilung zwischen 2005 und 2021 verzeichneten. Besonders bemerkenswert ist der Anstieg in den USA und Japan, was auf eine signifikante Zunahme der Vermögensungleichheit in diesen Ländern hinweist. Deutschland und Großbritannien verzeichneten ebenfalls eine Zunahme, jedoch in etwas geringerem Ausmaß.
Quellen:
– [1] IW Köln, Gerechtes Deutschland – Die Rolle der Vermögen
– [2] Statistisches Bundesamt, Japan – Statistisches Bundesamt
– [4] Wikipedia, Liste der Länder nach Vermögensverteilung
– [5] Wikipedia, Vermögensverteilung in Deutschland
Quellen:
[1] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/Gutachten_Gerechtes-Deutschland.pdf
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Laenderprofile/japan.pdf?__blob=publicationFile
[3] https://www.bundesbank.de/de/aufgaben/themen/deutsche-wirtschaft-waechst-2021-um-2-7-prozent-883750
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_L%C3%A4nder_nach_Verm%C3%B6gensverteilung
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Verm%C3%B6gensverteilung_in_Deutschland
Dass die USA das Ungleichland an sich sind, ist nicht neu, dass sich die Ungleichheit in Deutschland weniger stark geliftet hat, bedeutet nicht, dass es gerecht zugeht, denn auch hier ist ein Anstieg zu verzeichnen und in Deutschland ist vor allem zu beobachten, dass das reichste Prozent nicht weniger als 30 Prozent des Volksvermögens besitzt, im sehr ständischen Großbritannien zum Beispiel sind es nur 24 Prozent (Werte 2020). Die horrende Ungleichheit in den USA dürfte einer der Gründe sein, warum dort solch ein politischer Furor herrscht, obwohl auch die Ära Trump daran nichts geändert hat (2017 bis 2020). Von dem hohen Anstieg des BIP pro Kopf geht also ein großer Teil auf die ohnehin Reichen, das trifft in leicht abgeschwächter Form auf Deutschland ebenfalls zu. Sehr problematisch ist, dass diese Entwicklung in allen wichtigen Ökonomien des Westens zu verzeichnen ist, was darauf hinweist, dass der Kapitalismus ein immer massiveres Gerechtigkeitsproblem aufweist und die Politik es nicht in den Griff bekommt, weil sie sich nicht traut, z. B. endlich eine Vermögensteuer einzuführen oder wiederzuerrichten, auf Deutschland bezogen. Jüngere Daten besagen übrigens, dass Corona die Ungleichheit in Deutschland noch einmal massiv negativ beeinflusst hat.
Kommt dabei wenigstens eine höhere Produktivität heraus, die die Wirtschaft insgesamt auf Kurs hält?
Produktivität je Erwerbstätigen bis 2023 | Statista
Was wir hier sehen, deutet auf ein Kernproblem in Deutschland hin, das geradezu symbolisch die Merkel-Jahre kennzeichnet: Die Arbeitsproduktivität ist während der gesamten Zeit per Saldo nicht mehr gewachsen. Billigjobs, Teilzeit, weniger Arbeit mit hoher Wertschöpfung und damit eine verschlechterte Wettbewerbssituation, während Branchen künstlich gepusht wurden, bei denen die Arbeitsproduktivität nur eine geringe Rolle spielt, wie der Immobiliensektor, und die so konservativ sind, dass sie keine Produktivitätstreiber darstellen können, hier gibt es kaum Prozesse, die automatisiert und optimiert werden können. Vor allem die vielen Lowjobs, die zu einer günstigen Arbeitsmarktstatistik beitragen und die am Ende der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder und während der Merkel-Zeit sprunghaft angewachsen sind, im Grunde aber einen Rückfall ins vorindustrielle Zeitalter bedeuten, auch wenn sich damit befasst Unternehmen großspurig „Startups“ nennen, suggerieren eine Aktivität, die es nicht gibt: Technologie, die tatsächlich nach vorne weist.
Mittlerweile wird diese Technologielücke offensichtlich und Deutschland fällt bei der Wettbewerbsfähigkeit erheblich zurück. Dabei spielen weitere Standortfaktoren eine Rolle, die teilweise sehr tendenziös bewertet werden, aber der Mangel an echter Innovation ist offensichtlich. Das spüren auch Verbraucher, denn kein deutsches Unternehmen ist in den letzten Jahren entstanden, das international in den Massenmärkten mithalten konnten. Hidden Champions im B2B-Betrieb können solche Innovationstreiber nicht komplett ersetzen, zumal auch hier andere Länder mehr Neues zu bieten haben.
Die Arbeitsproduktivität in Deutschland lag schon 2005 z. B. unter der von Frankreich, daran hat sich bis heute bei etwa gleicher Entwicklung in beiden Ländern nichts geändert.
Wenn man die reinen Zahlen betrachtet und sie nur mit Ländern vergleicht, die in den letzten 15 oder 20 Jahren eine mäßige Entwicklung aufzuweisen hatten, nicht mit dynamischen Volkswirtschaften, sehen sie nicht so schlecht aus, aber die mangelnde Nachhaltigkeit in dieser Wirtschaftsentwicklung nebst Begünstigung durch sehr geschmeidige statistische Erfassungsmethoden sind der entscheidende Punkt. Schon der Vergleich mit den USA zeigt, dass Deutschland nicht wirklich mithalten kann, und würde man sich die erfolgreichen kleineren europäischen Volkswirtschaften ansehen, die sich nicht durch parasitäres Verhalten in utopische Höhen bewegt haben, würde man feststellen, dass die Merkelzeit nur durch ein paar Sonderfaktoren wie die Niedrigzinsen statistisch gesehen einigermaßen erfolgreich war, dass dabei aber weder Innovation noch Branchenmix überzeugen konnten.
Schon 2016 kam es zum Beispiel zu einer entscheidenden Wende: Damals produzierten deutsche Automobilhersteller erstmals mehr im Ausland als hierzulande, trotz günstiger Exportbedingungen und Lohndumping durch Leiharbeit und andere Maßnahmen der Regierung Schröder, die von Merkel fortgesetzt wurden. High-Tech-Arbeitsplätze hingegen oder solche in hochqualifizierten Dienstleistungen, die zukunftssicher sind, weil bei ihnen die Lohnkosten nicht die Hauptrolle spielen und viele Standortfaktoren erst zusammen ein Bild ergeben, wurden nicht in hinreichendem Maße geschaffen und neue, erfolgversprechende Branchen wie die Solarindustrie von der Regierung nicht nur nicht geschützt, als sie zunehmend subventioniertem Dumping aus China ausgesetzt waren, sondern durch politische Wendungen geradezu in den Ruin getrieben.
Die Ampel hat im Grunde nichts als Baustellen geerbt, deswegen weisen wir immer auf deren eigenes Verschulden hin, stellen es aber auch in einen Kontext mit den vielen Jahren zuvor, in denen die Politik keine Wirtschaftsstrategie vorzuweisen hatte. Merkel war eine Auf-Sicht-Politikerin, keine Strategin und schon gar keine Visionärin.
TH
Gestern hatten wir einen Leitkommentar zu „Angela Merkel wird 70“ geschrieben und ihn an eine Umfrage von Civey geklammert: „Vermissen Sie Angela Merkel?“ Heute liefert Statista eine Grafik, die uns ein Update wert ist.

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar. Die Grafik wurde gestern veröffentlicht, daher heißt es im Begleittext, sie wird heute 70 Jahre alt.
Angela Merkel wird heute 70 Jahre alt. 16 Jahre lenkte sie die Geschicke der Nation und ist damit neben Helmut Kohl die Bundeskanzlerin mit der längsten Amtszeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Während sich viele Bürger:innen zum Ende ihrer Kanzler-Karriere einen politischen Wandel wünschten, schauen die meisten Deutschen heute wehmütig auf die Zeit unter Angela Merkel zurück.
Wie die Statista-Grafik auf Basis einer YouGov-Umfrage zeigt, sind rund 61 Prozent der Befragten Bundesbürger:innen der Meinung, dass sich die Verhältnisse in Deutschland seit dem Ende von Merkels Amtszeit verschlechtert haben. Demgegenüber stehen nur etwa sieben Prozent, die denken die Lage habe sich zum Besseren entwickelt. Für etwa ein Viertel der Befragten fühlt sich die Situation im Grunde genauso an wie während Merkels Amtszeit. Dabei sind Befragte unter 40 Jahren weniger pessimistisch als die älteren Generationen. In der Kohorte von 18-29 Jahren sagen “nur” etwa 48 Prozent es sei schlechter geworden, zwischen 30 und 39 Jahren sind es 47 Prozent.
Es ist interessant, dass die Generation, die quasi mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin ins Leben gestartet ist, am differenziertesten zu denken scheint. Kaum jemand behauptet, es sei besser geworden, seit sie nicht mehr Kanzlerin ist, aber in dieser Altersgruppe der Generation X sagen die meisten von allen Kohorten, dass es nicht schlechter geworden, sondern gleich geblieben ist. Die Jüngeren sind skeptischer, vor allem aber die Älteren, die auch schon Kanzler:innen vor Angela Merkel bewusst erlebt haben, finden, es hat sich alles zum Miserablen hin entwickelt.
In der Umfrage, die im Ausgangsartikel besprochen wird, war trotzdem keine Mehrheit zu finden, die Angela Merkel vermisst. Die Befragungen stammen aus unterschiedlichen Quellen und unterscheiden sich bezüglich ihrer Methodik, aber wir extrahieren trotzdem eine Tendenz: Dass viele glauben, es sei seit Angela Merkels Abgang schlechter geworden, heißt nicht, dass sie sich die frühere Kanzlerin zurückwünschen. Was auch bedeutet: besser oder schlechter werden nicht vornehmlich an ihrer Person festgemacht.
Das ist eine gute Einstellung insofern, als Merkel die heutigen Verhältnisse durch ihre Politik erst möglich gemacht hat und der Ampel nun auch Dinge auf den Kopf fallen, für die sie ganz maßgeblich verantwortlich ist. Versäumnisse allerorten, könnte man ihre lange Kanzlerschaft am besten umschreiben. Wir haben Angela Merkel nie gewählt, auch nicht indirekt, indem wir einer Partei unserer Stimme gegeben hatten, die dann mit der Union eine Koalition gebildet hatte. Wir weisen seit vielen Jahren auf diese Versäumnisse hin, die uns jetzt so viel Kopfzerbrechen bereiten, wir haben vor den Folgen dieser Politik in unzähligen Artikeln gewarnt. Wir müssen uns also jetzt nicht, wie viele andere, vorwerfen lassen, wendehalsig zu sein, sie einst gehypt und sie jetzt, in der Nachbetrachtung, viel kritischer zu sehen.
Dummerweise hat die Ampelregierung mittlerweile schon so viele neue Fehler gemacht, dass sich alles ziemlich verwischt und manche Ursachen gar nicht mehr so klar hervortreten. Auch die vielen Krisen verstellen etwas den Blick, zum Beispiel darauf, warum Deutschland von allen Industrieländern am wenigsten krisenfest ist. Dies basiert weit überwiegend auf Angela Merkels Politik des Aussitzens und des Reform-Unwillens. Wir diskutieren das hier nicht im Detail, dafür gibt es den Leitkommentar, den wir auch unten angehängt haben, wie wir es bei den meisten Updates tun.
Es ist schwierig, sich in einem Moment wie diesem nicht hochnäsig zu verhalten, denn wir haben immer auch dies geschrieben: Die Bevölkerung bekommt letztlich die Politik, die sie verdient. Die Mehrheit hat Angela Merkel gewollt, also hat sie diese Kanzlerin bekommen und verdient. Niemand hatte Lust auf progressive, moderne, zukunftsorientierte, aber manchmal eben auch etwas fordernde Politik, bei der man hätte selbst mehr mitmachen müssen, um zum Gelingen beizutragen. Die Kanzlerin ohne wirkliches Gesicht war der Spiegl einer Gesellschaft ohne Mut und ohne Idee dazu, was sie eigentlich darstellen will. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass mit Olaf Scholz ein Nachfolger gewählt wurde, der so viele Ähnlichkeiten mit Angela Merkel bezüglich seines Gepräges und seines Politikstils zeigt. Dummerweise sind die Zeiten aber andere als 2005, 2009, 2013 und 2017, und ihm wird das Gescholze wohl auf den Kopf fallen, während das Gemerkel immer weiter und weiter lief und das Land immer weiter sachte abwärts schaukelte, während jetzt der Wind des freien Falls einer plötzlich so aufgeregten Gesellschaft um die Ohren pfeift.
Typisch, dass diese Gesellschaft jetzt auch noch nach rechts tendiert, wo Solidarität und Gemeinsinn gefragt wären, um die Karre aus dem Dreck zu bekommen. Ganz eindeutig: Es wird nicht besser. Weil die politische Bildung in dieser Gesellschaft nicht besser wird. Im Gegenteil. Im Zuge der allgemeinen Verschlechterung des Bildungswesens sinkt auch sie weiter ab und wer sich noch immer keine Sorgen um die Demokratie macht, der ist ein Teil dieser Bildungsmisere. Die Merkel-Jahre haben die Spaltung vertieft, die Ungleichheit erhöht, die Wirtschaftskraft gelähmt, die Gesellschaft nur bezüglich der formalen Gleichheitsrechte ein wenig voran gebracht, was jetzt sogar im Zuge des Rechtsdralls wieder zu kippen droht, weil Merkel nie dafür gesorgt hat, dass aus neuen Möglichkeiten echte Chancen entstehen. Diese Gesellschaft ist dringend generalüerholungsbedürftig, und alle Kanzlerpersonen seit Helmut Schmidt haben daran Anteile. In unterschiedlichem Maße, beispielsweise hat Gerhard Schröder in seiner relativ kurzen Kanzlerschaft einen enormen Schaden angerichtet.
Letztlich aber geht es immer um die Gesellschaft: Von einer Gesellschaft, die zukunftsunwillig ist, wird ein Politikertyp wie Angela Merkel geradezu erschaffen. Was dann herauskommt, wenn sich ihre Partei von ihr lösen will, sieht man gerade. So bösartig, so niedrig, so klein ist diese CDU mittlerweile, so schnell ging das, dass man merkt, wie sehr Merkel auch eine Fassadenpolitikerin war. Die Ampel ist nicht so fassadenhaft, da merkt man gleich, dass es hinten und vorne nicht passt. Aber besser wird es natürlich nicht, weil die Weichen ins Abwärts längst gestellt waren, als sie den politischen Fahrbetrieb aufnahme und der Zug schon lange auf diesem Gleis fährt. Ihn zu stoppen und umzudirigieren, wird selbst unter günstigen externen Voraussetzungen noch Jahre dauern. Wir befürchten eher, angesichts dieser desparaten Gesellschaft, dass es den Turnaround nicht mehr geben wird.
Heute wurde eine CDU-Politikerin und alte Weggefährtin von Angela Merkel im wichtigsten Amt bestätigt, das die Staatengemeinschaft zu vergeben hat. Darüber werden wir noch schreiben. Die Tendenz dürfen Sie ruhig schon erfahren: Es wird und wird nicht besser. Die EU ist sozusagen im Deutschland-Modus, und das wird sie erheblich belasten.
Nun ja, warum sollte das Update positiver sein als der Ausgangskommentar und das, was wir schon geschrieben haben, als Merkel noch einige Jahre Regierungszeit vor sich hatte?
TH
17.07.2024
Liebe Leser:innen, heute wird Angela Merkel 70 Jahre alt. Sie wissen das sicher, denn schon in den letzten Tagen wurde zu diesem Geburtstag viel geschrieben. Wir haben, als sie noch Kanzlerin war, auch viel über Angela Merkel geschrieben. Wir werden hier nicht alle Artikel verlinken, suchen Sie bitte einfach mit ihrem Namen, wenn Sie interessiert sind.
Aber die heutige Civey-Umfrage finden wir wirklich gut, um noch einmal Angela Merkel im Schnelldurchgang Revue passieren zu lassen. Natürlich kommentieren wir unterhalb der Frage und des Begleittextes aus dem Civey-Newsletter:
Civey-Umfrage: Vermissen Sie Angela Merkel als Bundeskanzlerin? – Civey
Begleittext
Angela Merkel wird heute 70 Jahre alt. Einst unterschätzt, schrieb sie als erste weibliche Bundeskanzlerin und eine der mächtigsten Politikerinnen der Welt Geschichte. In ihrer Kanzleramtszeit von 2005 bis 2021 prägte sie die europäische Politiklandschaft maßgeblich. Den dabei erlebten Krisen begegnete sie mit einem pragmatischen und analytischen Führungsstil. Sie genoss sowohl partei- als auch eine länderübergreifend eine recht breite Anerkennung, polarisierte jedoch bei einigen Themen stark.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigt diese Woche Merkels Karriere und ihre Verdienste um die deutsche Einheit. Er würde sich regelmäßig mit der Altkanzlerin austauschen, sagte er t-online. Für Emmanuel Macron habe ihre besonnene und geduldige Art und ihre Fähigkeit, in schwierigen Zeiten stabile Entscheidungen zu treffen, Deutschland gut durch viele Herausforderungen geführt und Europas Zusammenhalt gestärkt, sagte der französische Präsident laut DW zum Ende ihrer Amtszeit. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fand jüngst lobende Worte im Rolling Stone. Es sei eine ihrer großen Leistungen, die Union über 16 Jahre in der Mitte gehalten und immun gegen rechten Populismus gemacht zu haben.
Innerhalb der Union wurde ihre Migrationspolitik oft kritisiert. Der ehemalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) warf ihr 2016 in der SZ vor, schuld an den schlechten Umfragewerte der CDU zu sein. Durch ihre Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, sei das Land zerrissen. Zuletzt stand die ehemalige CDU-Politikerin wegen ihrer Russlandpolitik in der Kritik. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf ihr vor zwei Jahren vor, durch ihre ablehnende Haltung zum Nato-Beitritt der Ukraine mitverantwortlich am derzeitigen Krieg zu sein. Andere bezeichneten ihren oft gelobten Pragmatismus als lähmend. „Merkel hat die Krisen nur verwaltet, sie hat nicht hindurchgeführt“, sagte die Publizistin Marina Weisband in der ARD. Notwendige Investitionen in die Zukunft habe sie so verschleppt.
Leitkommentar: Wir haben die verlorene Zeit gefunden
Schön, dass Civey gleich im ersten Absatz festlegt, wie Angela Merkels Führungsstil war, im positiven Sinne natürlich. Wir halten das für ein Klischee: Sie ist Naturwissenschaftlerin, also kann sie analysieren. In Wirklichkeit war sie eine Machtpolitikerin wie jede andere Person, die in eine so hohe politische Position gelangen will, wie sie sie innehatte. Sie war opportunistisch, wenn es darauf ankam, und falls sie tatsächlich analytisch war, dann folgte aus dieser Analytik jedenfalls keine Idee, wie man aus den Erkenntnissen die Zukunft gestalten könnte. Das heißt, wir hätten eigentlich eine zweite Kanzler:innenperson gebraucht, die dafür zuständig gewesen wäre, den Menschen Veränderungsbedarf zu erklären, auch wenn es gerade ruhig und so einigermaßen okay lief. Uns stehen heute noch die Haare angesichts ihres Neologismus „alternativlos“ zu Berge, denn dieser hat umgehen die AfD, die „Alternative“ hervorgebracht.
Eines steht ebenfalls fest: Robert Habeck ist kein Analytiker. Seine Aussage ist oben sicher verkürzt wiedergegeben, aber die CDU in der Mitte gehalten zu haben, wäre nur dann ein großes Verdienst gewesen, wenn eben nicht am rechten Rand die AfD entstanden wäre, sondern Merkel alle außer eingefleischten Rassisten hätte so mitnehmen können, dass die AfD überflüssig gewesen wäre. Bei allem, was diese Partei ist und nicht ist: Im Osten denken gerade etwa 30 Prozent der Menschen, sie ist nicht überflüssig, und auch das Entstehen des BSW hat Merkel im Grunde mitverschuldet, denn die Ampelkoalition musste auf ihrem politischen Vermächtnis aufbauen, es gab kein anderes. Sie hatte das Land 16 Jahre lang maßgeblich geprägt. Sie ist hauptsächlich dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass sie trotz ihrer Ostprägung nicht gemerkt hat oder es nicht wahrhaben wollte, dass sie fast 50 Prozent der Menschen aus dem traditionellen Parteiensystem hinauszutreiben hilft.
Der Rückblick auf Angela Merkel ist heute kritischer, als dieselben Medien, die sich nun äußern, es während ihrer Kanzlerschaft getan haben. Das ist keine Kunst, denn die Probleme, die sie mitverursacht hat, die liegen nun sehr offen zutage.
Warum sollen wir uns nicht einmal selbst loben? Seit es den Wahlberliner gibt, und damit meinen wir den ersten, nicht die zweite, aktuelle Version, also seit 2011 und im Verlauf immer deutlicher noch während ihrer Kanzlerschaft, haben wir klar ausgedrückt, dass Angela Merkel keine Probleme löst, sondern sie verschleppt. Das erste Großthema war die Bankenkrise und wie sie zulasten aller in Europa so gemanagt wurde, dass die EU-Politik für manche Länder sehr anstrengend war, auch wegen der deutschen Haltung, aber man dann komplett nachgegeben hat, weil man merkte: Die folgende Politik macht in Deutschland zwar viele Menschen ärmer und die Reichen sehr viel reicher, aber sie erzeugt auch eine Scheinblüte der Volkswirtschaft, die strukturelle Probleme kaschiert bei gleichzeitiger Verweigerung von wichtigen Zukunftsinvestitionen. So hat Angela Merkel das Land durchgewurschtelt, und heute ist es krisenanfällig ohne Ende. Ihr ergebener und noch weniger inspirierter Wirtschaftsminister Peter Altmaier wurde in der Zeit regelrecht zu einem roten Tuch für uns, für ein Symbol der Unbeweglichkeit der hiesigen Politik und des gesamten Landes, dessen Bevölkerungsmehrheit diese Politik guthieß, denn sie hat Angela Merkel und ihre jeweiligen Koalitionspartner gewählt. Das wollen wir nie vergessen. Wir haben sie nämlich nie gewählt und auch dafür, sorry, klopfen wir uns immer noch gerne auf die Schulter. Obwohl sie so mittig war. Angeblich.
Aktuell wünschen sich etwa 51 Prozent der Abstimmenden Angela Merkel ganz und gar nicht zurück bzw. vermissen sie nicht. Darunter sind sicher auch einige Menschen, die sie seinerzeit gewählt haben. Anonym, mit einem Klick, kann man am besten zugeben, dass man sich seinerzeit geirrt hat. Wir haben uns auch zu diesen 51 Prozent gestellt, und zwar, weil wir uns nicht geirrt haben.
Seit der Bankenkrise haben wir ein Ding mit Angela Merkel gehabt, und zwar, obwohl wir die „Schwarze-Null-Politik“ ihres profilierten Finanzministers Wolfgang Schäuble heute ein wenig anders bewerten wie damals, als sie aufgesetzt wurde. Wir haben darauf hingewiesen, dass ohne diese Haushaltspolitik die Eurozone verloren gewesen wäre, da Deutschland als einziges größeres Land wirklich solide war. Zumindest dem Anschein nach, siehe Verschleppung von Investitionen. Eine Politik, die von den Regierungen einiger Länder, die überhaupt keine Lust hatten, selbst mal etwas für die Zukunft zu tun, hart angegangen wurde, hat die EU in Wirklichkeit über Wasser gehalten. Wie die Bundesregierung und Deutschland insgesamt damals gebasht wurden, das hat uns geärgert und uns auch den Blick ein wenig dafür verstellt, was dieses Kaputtsparen auf lange Sicht anrichten wird, zumal die Infrastruktur auch seinerzeit schon deutliche Mängel zeigte. Erst, als wir 2018 den zweiten Whalberliner gegründet hatten und uns mit veschiedenen volkswirtschaftlichen Modellen mehr auseinandergesetzt hatten, wurde uns klar, dass vieles nicht pragmatisch, sondern ideologisch an der Politik von Schäuble war. Und das ausgerechnet unter der Mega-Pragmatikerin Angela Merkel als Chefin, die im Prinzip gar keine Prinzipien hat. Also hat sich der Prinzipienreiter durchgesetzt. Was diese Ideologie anrichtet, sieht man heute. Christian Lindner, der Möchtegern-Nachfolger in den zu großen Fußstapfen von Schäuble, entkleidet die Ideologie auch noch von jedweder denkbaren Logik insofern, als diese Schuldenbremsenvergötterung in Krisenzeiten noch einmal wesentlich stärkere negative Folgen zeigt, als wenn es ruhig läuft. Schäuble konnte noch darauf verweisen, dass Deutschland ganz gut im Soll liegt, mit seiner Politik, das kann Lindner nun wirklich nicht. Das heißt, es war damals nicht für alle so offensichtlich, dass eine Fehlsteuerung vorliegt, wie es heute ist, während niemand dagegen auf die Straße gegangen ist, dass die Ungleichheit immer mehr wuchs.
In einer anderen Sache lagen wir dafür wiederum richtig: Merkels Minister:innen und sie selbst hatten nicht einen Funken von einer Idee zu strategischer Wirtschaftspolitik. Schäubles Ansatz hätte vielleicht sogar funktionieren können, wenn man ausgleichend gezielt Zukunftspolitik betrieben und die Weichen für ein Renew Germany in ökonomischer Sicht gestellt hätte. Stattdessen schrottet die Regierung Merkel erst die Solardindustrie und hätte das beinahe auch mit der Windkraft noch geschafft, wenn sie länger im Amt geblieben wäre. Und das alles, weil man sich auf Putins Gaszufuhr verlassen hatte. Wir waren nicht gegen Nord Stream 2, das betonen wir hier noch einmal. Aber natürlich als Brückentechnologie, nicht als endgültige Lösung und nach dem Bau die Hände in den Schoß legen, wie es der damalige Wirtschaftsminister getan hätte, wäre er länger im Amt geblieben. Für uns war das Gasangebot aus Russland eine Möglichkeit, ohne größere Belastungen für die Verbraucher die Dekarbonisierung schneller voranzutreiben, bis die Erneuerbaren so weit fortgeschritten sind, dass auch diese Gaslieferungen zurückgefahren werden können. Außerdem glaubten wir tatsächlich, und da hatten wir mit Merkel durchaus eine Gemeinsamkeit, dass der Handel mit Russland – zwar nicht das Land wandeln würde bzw. Putins Regime, das wir immer schon kritisch sahen – aber dafür sorgen könnte, dass Putin diese engen Beziehungen in den Blick nimmt, bevor er Kriege anzettelt und deswegen vielleicht davon absieht.
Hat nicht funktioniert, wie wir wissen. Das hatten wir, wie die meisten Menschen, nicht in der heute zu betrachtenden Form vorausgesehen. Das Regime selbst, seinen Anführer, hatten wir hingegen immer kritisch betrachtet, mehr jedenfalls, als Angela Merkel und viele SPD-Politiker:innen das wohl taten. Vor allem sein Geheimdiensthintergrund in Verbindung mit dieser offenbar gewaltigen Kränkung über den Verlust an geopolitischem Einfluss, den das Ende der Sowjetunion verursacht hatte – wir hatten diese Persönlichkeit zwar – sic! – weitgehend richtig analysiert, aber nicht mit so erheblichen Konsequenzen dieser Struktur gerechnet. Vielleicht hat Merkel Putin auch richtig analysiert, aber ebenfalls nicht geglaubt, dass er so blankziehen würde wie seit Februar 2022 in der Ukraine. Dabei hatte er schon vorher, zum Beispiel in Syrien, gezeigt, dass er ein ruchloser Machtpolitiker ist – und es gibt mehr Fälle und Angela Merkel war genug von Profis umgeben, dass sie hätte gewarnt sein können, die andere Tools zur Verfügung hatten, um ihr Putin umfassend zu bewerten, als wir sie hatten. Was wir uns wiederum zugutehalten dürfen: Trotz unserer politischen Verortung in einer tendenziell putinfreundlichen Partei haben wir die Distanz zu ihm nie aufgegeben, sondern immer gesagt: Es geht um die Menschen. Der Frieden muss ihnen etwas bringen, überall auf der Welt, und das tat das russische Oligarchensystem nie. Es war nie für die Bevölkerungsmehrheit gemacht. Leider mussten wir immer insofern relativieren, als oligarchische Tendenzen und immer mehr Machtballung bei immer weniger Menschen auch im Westen unübersehbar sind.
Wir sind auch heute noch der Meinung, man hat die Chancen der 1990er im Westen nicht genutzt und warnten schon vor der Allianz Russland-China, bevor der Ukrainekrieg auch nur entfernt absehbar war. Allerdings hatten wir da mehr die chinesische Perspektive im Blick, die sehr einfach zu verstehen ist: Die KPCh will alles. Friedliche Koexistenz, eine multipolare Welt, das sind Worthülsen, wie sie Diktatoren besonders leicht von den Lippen gehen, weil sie darunter etwas ganz anderes verstehen als Menschen, die in Freiheit aufgewachsen sind.
Und damit zum nächsten Großfehler von Angela Merkel. Sie hätte sich mehr mit der deutschen Wirtschaft und deren Chinalastigkeit auseinandersetzen müssen. Es gab in diesen Beziehung niemals Reziprozität, sondern der Deal war: Wir dürfen in China verkaufen, dafür kriegt China unsere gesamte Technologie und darf sich außerdem auch ungehemmt in Deutschland selbst bedienen. Langfristig ein Scheißdeal für Deutschland und Europa, aber die Wirtschaft denkt zu kurzfristig, um der Verführung nicht zu erliegen. Also hätte deren Handeln zumindest eine politische Flankierung gebraucht, wie sie in anderen Ländern üblich ist. Erst die Ampel hat allererste Versuche unternommen, in Einzelfällen chinesische Aufkäufe deutscher Unternehmen zu bremsen, umzugestalten oder zu stoppen. Dafür wird sie von den Putinfreunden blind gehasst, die meist auch Verehrer von Xi Jinping und keine Demokraten sind.
Als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, hatte Europa gegenüber China noch überwiegend einen technologischen Vorsprung. Seit 2011 warnen wir vor der chinesischen Strategie, eben nicht auf friedliche Kooperation, sondern auf Imperialismus durch Wirtschaftsmacht zu setzen. Irgendwann war Angela Merkel in einer Zwickmühle, aus der sie nicht mehr herauskam: China stieg während ihrer Kanzlerschaft zum wichtigsten Handelspartner Deutschlands auf. Überholte die einst führenden Niederlande und Frankreich und auch die damalige Nummer eins für Deutschland, die USA. Es wurde von Jahr zu Jahr schwieriger, mit Chinas Führung Tacheles zu reden, weil auch die deutschen Unternehmen immer abhängiger von China wurden. Und da Merkel und Figuren wie ihr Wirtschaftsminister sowieso keine Tacheles-Politiker:innen waren, entstand ungebremst die Schieflage, die wir heute sehen und die nicht mehr ohne zwischenzeitliche Wohlstandsverluste zu beseitigen sein wird.
Nur, wer sagt den Menschen endlich, dass die Wohlstandsverluste langfristig viel erheblicher sein werden, wenn die EU eine chinesische Kolonie wird und was zusätzlich an Freiheitsverlusten hinzukommen wird? Nehmen wir Ungarn, dessen Regierung nicht nur sehr putinfreundlich, sondern auch sehr offen gegenüber chinesischer Einflussnahme ist. Ungarn ist in der EU das Land, dessen Zersetzung im Sinne von Freiheit und Demokratie am weitesten fortgeschritten sind. Auch eine Abwehrstrategie gegen ein mittlerweile so mächtiges China könnte negative Folgen haben, zumindest für ein Jahrzehnt. Ein Befreiungskampf geht nie ohne Verlust vonstatten. Denn der Gigant des Wirtschaftsimperialismus hat mittlerweile selbst Probleme und muss den Druck auf den Westen erhöhen, um die Story vom Aufstieg für alle im eigenen Land aufrechtzuerhalten.
Angela Merkel hätte das alles sehen und in der EU sich mehr an die Länder annähern können, die etwas wie eine Wirtschaftsstrategie haben. Man hätte gar nichts eigenes entwickeln müssen, man hätte nicht kreativ sein müssen, ein Begriff mit dem Merkl nie etwas anfangen konnte. Man hätte nur Emmanuel Macron und seinen Vorgängern entgegenkommen und eine gemeinsame europäische Strategie aufsetzen müssen, die dem chinesischen Expansionsdrang Grenzen setzt. Aber die starken deutschen Absätze in China waren natürlich dabei ein Problem. Wo stehen wir heute? Deutschland lahmt mehr als alle anderen europäischen Volkwirtschaften, die sich eine eigenständigere Linie der Politik haben gefallen lassen müssen. Die Ampel hat auch etwas dazu beigetragen, schon klar, aber hätte sie auf einer gesunden Struktur aufbauen können, wären jetzt die Reibungsverluste nicht so groß und wäre die Zahl der Insolvenzen nicht so hoch.
Selbst Angela Merkel hatte einen Laden übernommen, der nicht mehr besonders innovativ war, aber sie hatte weiß Gott genug Zeit, darauf zu reagieren. Diese Zeit hat sie verstreichen lassen und uns damit allen damit die Zukunft erschwert. Jetzt wird es härter, weil sie es so soft und einschläfernd verpackt hat, dass im Grunde nicht mehr viel nach vorne ging.
Und sie hat immer weitere soziale Verschiebungen von unten nach oben zugelassen, weil sie gemerkt hat, dass die Menschen das selber offenbar gar nicht als störend empfinden, sie haben sie ja gewählt. Die AfD-Werdung hat sie dabei einfach ignoriert. Und dann kam der Herbst der Geflüchteten. Wir haben vielfach darüber geschrieben: Man kann alles machen oder fast alles, solange ein Land dafür gerüstet ist. Das war Deutschland aber nicht. Und nur sieben Jahre später wiederholt die Ampelregierung den Fehler, die Infrastruktur zu überlasten und treibt damit Rechts weiter nach oben.
„Wir schaffen das.“ Eigentlich ging der Satz von Angela Merkel so. „Wir haben schon so vieles geschafft – wir schaffen das!“ (Wir schaffen auch das.) Sie hat damit eine Gleichsetzung mit Ereignissen der Vergangenheit mit einer ganz neuen Lage getroffen, die nicht zulässig ist, wenn man das Land inzwischen so heruntefährt, dass es vor allem die Zivilgesellschaft schaffen muss, weil die staatlichen Systeme dafür nicht herhalten. Die Zivilgesellschaft hat sich angestrengt, wirklich sehr, wir kennen auch Menschen, die sich persönlich engagiert haben. Ohne sie wäre es richtig schiefgelaufen, so kann man sagen, es ging gerade nochmal so lala, aber natürlich mit weiteren Spaltungstendenzen und Integrationsverlusten in einer Gesellschaft, die ebenfalls die Züge der Merkel-Politik trägt: Wir gestalten nicht, wir finden kein neues Nachwende-Narrativ für Deutschland, sondern lassen es einfach mal laufen und schauen, was passiert.
Was passiert, ist, dass die Demokratie immer weniger akzeptiert wird.
Und dann setzt auf eine ohnehin schwierige infrastrukturelle Situation die Ampel noch eins drauf, indem sie innerhalb nur eines Jahres einer Million Menschen die Aufnahme ohne jedes individuelle Asylverfahren ermöglicht. Auch hier: Wir kennen Fälle, die wir hier lieber nicht einzeln referieren, weil sie zu sehr das Klischee von Ausnutzung einer ziemlich blauäugigen Politik spiegeln. Merkel hat es aber vorgemacht. Wir sind überzeugt davon, dass ohne ihre damalige Politik die heutige Handhabe so nicht stattgefunden hätte. Hingegen hat Merkel, wie die jetzige Regierung, nie darauf bestanden, dass innerhalb der EU eine gerechtere Lastenverteilung stattfinden muss.
Es ist nicht ein einzelnes Problem, das zur heutigen Gemengelage geführt hat, nicht ein einziger Fehler. Es ist die eine insgesamt hochgradig inkohärente Politik, die uns nun auf die Füße fällt. Man kann nicht das Land kaputtsparen, aber so viele Menschen neu aufnehmen, ohne dass es anfängt, im System zu knirschen. Der heutige Wohnungsmarkt ist ein Desaster, das betrifft uns leider auch persönlich und allein deswegen haben wir Angela Merkel gerne für immer verabschiedet. Ihre Leute waren es nämlich, dieser Lobbyistentross von CDU-Politikern, der verhindert hat, dass die Politik eingreift, um den starken Zustrom in den Wohnungsmarkt von überall her einigermaßen gerecht zu gestalten. Die Ampel hat ebenfalls keinerlei Rezept, obwohl es so einfach wäre, wenn man sich endlich an die gerechte Beteiligung des Kapitals an Gemeinschaftsaufgaben herantrauen würde.
Hatte Angela Merkel 2015 wirklich humanistische Gedanken? Es gibt viele Unterstellung, die in eine ganz andere Richtung gehen, aber eines ist sicher: Vieles an der Merkel-Politik hat dafür gesorgt, dass dieser Teil ihrer Politik nicht mehrheitlich akzeptiert wurde. Wenn man eine Politik dieser Art macht, dann darf man es nicht dabei bewenden lassen, dass die ohnehin Ärmeren noch enger zusammenrücken müssen, sondern muss mutig sein und erklären, wir werden auch die Privilegierten um mehr Beiträge bitten, damit das Werk gelingt. Das hat man aber nicht getan, und diese Kombination von mangelnder Durchsetzungskraft einerseits und humanitärem Anspruch sorgt dafür, dass die Humanität auf dem Rückzug ist. Wir glauben zwar nicht an Verschwörungen, aber eines erscheint uns sicher: Merkel hat 2015 nicht christlich, sondern opportunistisch gehandelt. Sie wollte keine hässlichen Szenen an den Grenzen und fürchtete vor allem deren außenpolitische Wirkung. Alle anderen Länderregierungen sahen das anders.
Merkel hat nicht diejenigen, die es hätten leisten können, mit in die Verantwortung genommen, sondern alles den „Gutmenschen“ überlassen. Es zu schaffen nämlich, und natürlich den Bundesländern und Kommunen. Die Kommunen sind heute wieder diejenigen, die alles tragen müssen, was die Bundesregierung politisch vorgibt. Die persönlich Engagierten sind wieder jene, die staatliches Engagement, vorsichtig ausgedrückt, ergänzen müssen. Mit anderer Akzentuierung als vor sieben, acht Jahren. Aber mit noch dramatischeren Folgen für den Wohnungsmarkt, beispielsweise.
Die privat Engagierten können vieles leisten, wir verneigen uns vor ihnen. Wir finden sie toll. Aber sie können keine staatliche Strategie ersetzen. Die beinhaltet zum Beispiel, die politische Bildung und die Arbeitsmarktintegration so zu steuern, dass das Land nicht immer mehr Lasten tragen muss, denn es sind die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, die dafür wiederum in Anspruch genommen werden, nicht die Reichen und Superreichen.
Angela Merkel hat sich für all diese vielen schwierigen Details einer gelungenen Gesellschaftsentwicklung nie interessiert. Wenn jemand nicht zukunftsorientiert und nicht strategisch denkt, dann tut er das nicht. Das gilt dann für alle Bereiche, für sein gesamtes Mindset. Und da Merkel sich ihre Mitstreiter:innen in der Regierung nach Selbstähnlichkeit und Loyalität ausgesucht hat und keine kritischen Geister um sich haben wollte, hat ihr Mangel an Ideen die gesamte Regierungspolitik ohne jede Ausnahme geprägt.
Diesen Fehler, sich mit Jasagern zu umgeben, machen viele Mächtige. Nur herausragende Persönlichkeiten, die sich ihrer selbst ganz sicher sind oder lieber riskieren, sich von der Macht trennen zu müssen, als nichts voranzubringen, können dieser Verführung einer immer nickenden Entourage widerstehen. So war Angela Merkel nicht. Das hat mit ihrer Biografie zu tun, es hat auch damit zu tun, dass sie froh war, sich in der Männerpartei CDU überhaupt durchgesetzt zu haben und alle Machos kleinhalten wollte. Insofern ist die mangelnde Gleichstellung auch ein Schaden für die deutschen Politik geworden. Nur eine Frau, die die gleichen Machtspielchen spielt wie die Männer und weibliche Stärken kaum einbringen konnte, konnte diesen Laden so lange beherrschen, mit abnehmender Tendenz, nachdem sie bei der Bundestagswahl 2017 das bis dahin niedrigste Ergebnis für die Union nach 1949 eingefahren und sich das AfD-Problem massiv gezeigt hatte.
Was wir aktuell besonders dramatisch finden: Mit Olaf Scholz ist ein Politiker als Kanzler nachgefolgt, der gerne viel mit Merkel telefoniert, und das merkt man seiner Politik auch an. Gut, hier haben wir absichtlich etwas auf dem Kopf gestellt. Er versteht sich mit ihr, weil die beiden eben ähnlich ticken, er tickt nicht so, weil er es von Merkel eingeflüstert bekommt. Damit kann er im Moment aber die meisten Menschen nicht beeindrucken, dass er merkelähnlich ist, das zeigt die Umfrage, auf der wir diesen Artikel basieren.
Wir glauben, dass er sogar mehr konzeptionell arbeitet als sie, aber er bringt es nicht rüber. Er bringt es noch weniger rüber als seine Vorgängerin. Das muss man erst einmal können, noch weniger verbindlich und mitnehmend zu sein. Das ist schon fast wieder eine Gabe. Das Scholzen als die Vollendung des Merkelns, anstatt endlich, endlich einen Gegenakzent zu setzen, nachdem jedem aufrechten Demokraten klar ist, dass Scholz mit seiner Art die Demokratie ebenfalls beschädigt. Weniger aus inhaltlichen als aus Gründen, die in seiner Persönlichkeit liegen, wobei sich über viele Inhalte wahrlich genug streiten ließe. Wir können, wenn die Ampel sich endgültig zerlegt hat, wieder sagen: Wir haben sie nicht gewählt. Auch bei der Europawahl nicht. Aber nützt uns dies etwas? Natürlich nicht, es sei denn, wir würden auswandern und das Land denen überlassen, die noch merken werden, wie es ist, wenn alle, die diesen Laden am Laufen halten, sich abwenden – innerlich oder sogar physisch emigrieren.
Scholz würde uns nicht davon abhalten, wenn der Entschluss erst einmal feststünde. Er hätte nicht die Ansprache, die das bewirken könnte. Schon Merkel hatte sie nicht, wenngleich unser Wechsel ins Ausland just in dem Moment, in dem sie Kanzlerin wurde, nichts mit ihr und nichts mit der Politik zu tun hatte. Womit wir im Grunde nun zu Merkels Vorgänger Schröder kommen müssten, der richtig tiefe Schneisen der Verwüstung und der Spaltung in dieses Land hineingezogen hat und heute immer noch für einen Jobwundermacher gehalten wird. Journalisten und ökonomisches Grundwissen, aber mach was dagegen. Da machst du nichts, genau, wie du weiter nach jemandem dürsten musst, der Politik wieder spannend machen und Optimismus erzeugen kann. Um es gleich zu sagen, die neuen populistischen Kräfte sind es für uns auch nicht. Das ist alles viel zu fadenscheinig und durchsichtig, was von der Seite angeboten wird. Mit der wir uns außerdem ein wenig auskennen und daher wissen, zu welchen Enttäuschungen es bei Wähler:innen noch kommen wird, die hier sozusagen ihre letzte Chance auf politische Erlösung sehen.
Merkel hat das Land in einer Ratlosigkeit zurückgelassen, die brandgefährlich für die Zukunft ist, und wir fragen uns noch heute: Was hat sie dazu motiviert? Sie kann doch angeblich so gut analysieren. Wenn sie das wirklich kann, dann hätte sie doch merken müssen, dass sie anders handeln oder jemand anderen ranlassen muss? Demnächst soll ja ein dicker Autobiografie-Wälzer von ihr erscheinen. Sind wir danach schlauer? Wenn sie darin so schreibt oder einen Ghostwriter, den wir nicht beneiden, so schreiben lässt, wie sie Politik gemacht hat, dann wissen wir auch nach 700 Seiten nicht wirklich, wer die Frau ist, die 16 Jahre lang die Geschicke des Landes in der gerauteten Hand hatte. Die Raute ist nach unserer Ansicht ebenfalls ein Symbol, das man nicht unterschätzen darf. Die Faust hätte es in mancher Situation sein müssen, die auf den Tisch haut. Aber ihr Führungsstil ist ja zum letzten Haltepunkt der Zivilisation in einem Umfeld von männlichen Mega-Egos verklärt worden. Glauben Sie wirklich, Merkel hätte ein kleineres Ego als diese Männer? Ihre Karriere und wie sie politische Gegner abgesägt hat, das spricht sehr dagegen.
Dass sie auch sozial nichts vorangebracht hat, versteht sich demgemäß geradezu von selbst, denn dafür hätte man ja eine Idee, ein solidarisches Narrativ gebraucht, und den Willen gebraucht, etwas zu verändern, und die Empathie, die es neben der Durchsetzungsfähigkeit erfordert, die Gesellschaft zusammenzuführen, anstatt ihre Spaltungstendenz zu verwalten.
Wir würden die 16 Merkel-Jahre politisch lieber vergessen, als dass wir deren dominierende Figur vermissen würden. Aber Merkel begleitet uns Tag für Tag. Die negativen Folgen ihrer Politik sind nicht mehr zu übersehen. Und weil sie vom Stil her weitergeführt wird. Zumindest vom Kanzler. Und das schafft neue Entfremdungsprobleme zwischen Politik und Bevölkerung und vertieft die von Merkel gezogenen Gräben.
TH
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