Koalition zwischen SPD und BSW? (Umfrage + Leitkommentar: Wie die Situation entstand + mehr Infos) | Briefing 592 | PPP Politik Personen Parteien

Briefing 592 Landtagswahlen Brandenburg Sachsen Thüringen, BSW, SPD, Wagenknecht

Die Augen der Welt sind derzeit nicht gerade auf Deutschland gerichtet. Der Wahlkampf in den USA, die Kriege in der Ukraine und in Gaza dominieren die politischen Schlagzeilen. Aber war das je anders? War Deutschland nach dem letzten Krieg jemals interessant?

Oh ja, das war es. Zum Beispiel, als die Mauer fiel und die Wiedervereinigung stattfand. Es war damals die spannendste politische Story und eingebettet in die weltweite Hoffnung auf ein Ende des Kalten Krieges, die Wiedervereinigung als Symbol für mehr Einigkeit auf dem gesamten Globus.

Das ist längst Geschichte. Chancen wurden vertan, in Deutschland wie international. Die Lage ist mies und ohne die offenbar niemals heilenden Wunden der Wiedervereinigung wäre nicht zu verstehen, was anlässlich einer Civey-Ufmrage zu besprechen ist, die vor wenigen Tagen gestartet wurde, für deren Kommentierung wir aber heute erst Zeit finden. Es geht um die SPD, diese Partei mit der größten Tradition aller deutschen Parteien, die zahlreiche große politische Persönlichkeiten hervorgebracht und viele Erfolge erzielt, aber auch viele Fehler gemacht hat, im Laufe ihrer mehr als 150-jährigen Geschichte.

Und es geht um das BSW, das erst vor wenigen Monaten gegründet wurde und politisch im Grunde noch ein Nichts ist. Dieses BSW hat gute Chancen, die SPD bei den Wahlen in den Ost-Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September locker hinter sich zu lassen. Dass es das BSW gibt, ist die Folge einer politischen Zerrüttung der BRD seit der AfD-Gründung 2013, der die Traditionsparteien nicht viel entgegenzusetzen hatten. Bisher. Es kann sich jeden Tag alles ändern, aber vorerst ist die Lage vor allem im Osten schwierig geworden für alle Parteien, deren Wurzeln nach heutigem Verständnis der Nachkriegszeit vor allem im Westen liegen. Und deshalb kommt es zu Fragen wie dieser:

Koalition aus SPD und BSW? (civey.com)

Den Begleittext, den wir besprechen,  haben wir hier abgebildet:

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg finden im September Landtagswahlen statt. Weil sich zuletzt viele Parteien gegen Bündnisse mit der AfD aussprachen, diese aber hohe Umfragewerte erhalten, wird eine schwierige Regierungsbildung erwartet. Dem ZDF nach könnte das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aber auch zum Machtfaktor werden – angesichts der zweistelligen Ergebnisse, die es bei der Europawahl aus dem Stand erzielte. SPD-Co-Chefin Saskia Esken machte jüngst deutlich, dass sie eine Zusammenarbeit mit dem BSW auf Bundesebene ausschließt. 

Für die SPD seien Demokratie, Freiheit und Sicherheit unverhandelbar. Wofür das BSW stünde, sei ihr hier dagegen völlig unklar, argumentierte Esken jüngst in der RP. „Konkret greifbar sind bislang nur die krassen Verharmlosungen des russischen Präsidenten und des von ihm befohlenen Angriffskrieges auf die Ukraine. Und die sind auf Bundesebene ein klares No-Go für eine Zusammenarbeit”, so Esken. Auf Landesebene liege die Entscheidung aber bei den jeweiligen Landesverbänden. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst. Das BSW würde das Land isolieren, ökonomisch destabilisieren und die Sicherheit gefährden, warf er der Partei jüngst im Bundestag vor. 

Die Brandenburger SPD schließt ein Bündnis mit dem BSW nicht aus. Für den dortigen SPD-Generalsekretär David Kolesnyk gebe es keine Anzeichen, dass das Brandenburger BSW nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe. In Sachsen, in der die BSW zuletzt zweistellige Umfragewerte erhielt, will sich die dortige SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping alle Optionen offen halten. Sachsens Grüne, die derzeit mit SPD und CDU regieren, haben deutliche Zweifel, schließen aber nichts aus. „Aus unserer Sicht ist das BSW eine populistische, antiliberale und antieuropäische Partei“, sagt die sächsische Grünen-Landesvorsitzende Marie Müser. Ähnliche Ansichten vertreten auch SPD und Grüne in Thüringen.

Unser Kommentar:

Spätestens seit den für das BSW vom Start weg recht erfolgreichen Europawahlen (6,2 Prozent der Stimmen aus Deutschland) gibt es bei den Umfragen kein Halten mehr, in einzelnen Bundesländern des Ostens werden ihm bis zu 20 Prozent vorausgesagt. Für solche Zahlen hatte die AfD viele Jahre gebraucht, nicht bloß ein paar Monate.

Für uns ist das keine Überraschung. Zum einen ist da diese starke Ost-Verankerung der Partei als Nachfolgerin der Linken im Sinne eine Identitätspartei der neuen Bundesländer und für alle, die nicht AfD wählen wollen, zum anderen generiert der Erfolg den Erfolg. Es hat auf Bundesebene trotz mäßiger Ergebnisse im Westen auf Anhieb für das Überschreiten der Fünfprozenthürde gereicht. Die spielt zwar bei Europawahlen keine Rolle, aber man hat sie immer als magische Linie im Kopf, die bei kleineren Parteien Erfolg und Misserfolg trennt. Diese Hürde wird bei den Landtagswahlen im September wieder relevant werden. Und Grüne und FDP können sich nicht sicher sein, ob sie über diese Hürde kommen werden. Damit fallen zwei West-Traditionsparteien – auch bei den Grünen kann  man mittlerweile von einer solchen sprechen – vermutlich als Mehrheitsbeschaffer und Koalitionspartner für die üblichen Zusammenschlüsse aus. Und die SPD wird vermutlich vor allem in Sachsen und Thüringen mit einem einstelligen Ergebnis aus den Wahlen hervorgehen.

Das ist drastisch und im Grunde dürfte in Deutschland niemand Kanzler sein, dessen Partei in mehreren Bundesländern nicht einmal zehn Prozent der Stimmen bekommt. Die Zustimmungsbasis ist einfach zu schmal, um von hinreichender Repräsentanz sprechen zu können. Andererseits sind Landtagswahlen keinen Bundestagswahlen und alle Stimmen zählen gleich, auch dann, wenn sie überwiegend im Westen erzielt wurden.

Eine SPD-BSW-und-wer-auch-immer-Koalition könnte vor allem in Brandenburg relevant werden, wo die SPD mit Dietmar Woidke den einzigen Ministerpräsidenten der Partei im Osten stellt und wo sie von Stolpe über Platzek bis zu Woidke stets starke Persönlichkeiten aufzubieten hatte. In Sachsen und Thüringen wäre die SPD hingegen lediglich ein kleineres Mitglied innerhalb einer AfD-Verhinderungs-Volksfront, die wir demokratietechnisch und aufgrund ihrer großen inhaltlichen Spreizung für gefährlich halten.

In Brandenburg gibt es schon beinahe diese Volksfront-Konstellation, wenn man von der Linken absieht, die aber 2024 womöglich nicht mehr in den Landtag einziehen wird:

Basierend auf den aktuellsten verfügbaren Umfragen zur Landtagswahl in Brandenburg, die voraussichtlich am 22. September 2024 stattfinden wird, ergibt sich folgendes Bild:

Die AfD liegt derzeit in den Umfragen vorne mit 23% der Stimmen[3][4]. Dahinter folgen gleichauf die SPD und CDU mit jeweils 19% Zustimmung[3][4].

Eine Überraschung stellt das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dar, das in den Umfragen auf 16% kommt und damit als viertstärkste Kraft in den Landtag einziehen würde[3][4].

Die Grünen liegen bei 7% der Stimmen[3][4].

Die Linke (4%), BVB/Freie Wähler (3%) und FDP (3%) würden nach aktuellen Umfragen an der 5%-Hürde scheitern und nicht in den Landtag einziehen[3][4].

Diese Umfragewerte stammen aus einer Erhebung von Infratest dimap im Auftrag des rbb, durchgeführt vom 4. bis 9. Juli 2024 mit 1.153 Befragten[4].

Verglichen mit der letzten Landtagswahl 2019 zeigen sich deutliche Verschiebungen: Die SPD, die 2019 noch stärkste Kraft wurde, verliert erheblich an Zustimmung. Die AfD legt dagegen stark zu. Das neu gegründete BSW etabliert sich als relevante politische Kraft[3].

Für die Regierungsbildung bedeuten diese Umfragewerte, dass die bisherige Koalition aus SPD, CDU und Grünen keine Mehrheit mehr hätte. Neue Konstellationen müssten gesucht werden, wobei eine Zusammenarbeit mit der AfD von allen anderen Parteien ausgeschlossen wird[4].

Es ist wichtig zu betonen, dass Umfragen immer nur Momentaufnahmen der politischen Stimmung sind und nicht als Prognose für das tatsächliche Wahlergebnis verstanden werden sollten. Bis zur Wahl im September können sich die Präferenzen der Wähler noch deutlich verschieben.

Quellen:

[1] https://dawum.de/Brandenburg/
[2] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/brandenburg.htm
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/3241/umfrage/sonntagsfrage-zur-landtagswahl-in-brandenburg/
[4] https://www.politische-bildung-brandenburg.de/themen/wahlprognosen-zur-landtagswahl-brandenburg-2024
[5] https://dawum.de

Womöglich würde es für SPD, CDU und Grüne noch einmal knapp reichen, vor allem, wenn viele Parteien nicht im Landtag vertreten sein werden, die doch einige Stimmen gebunden haben, wie die Linke und die FDP. Aber es wäre nach gegenwärtigen Umfragen dann eine sehr knappe Regierungsmehrheit, die entstünde, und sie käme unter Verlierern und ohne die größte politische Kraft des Landes zustande. Es hätte also durchaus Vorteile, mit dem BSW auch eine Aufsteigerin einzubinden. Die Risiken sind allerdings groß. Und zwar für das BSW selbst, das plötzlich eine ganz unpopulistisch-pragmatische Politik machen müsste. Würde das funktionieren? Nur, wenn die Menschen mit der Politik in Brandenburg insgesamt zufrieden wären und nicht immer der Ärger über die Bundespolitik überwiegen würde. Eine der drei Parteien wird auf jeden Fall ab 2025 auch die Bundesregierung anführen, vermutlich die CDU, möglicherweise wird aber auch die SPD wieder beteiligt sein, die einfach nicht lernt, dass sie in Großen Koalitionen verliert – die Wahl 2021 war ein Sonderfall, weil Angela Merkel nicht mehr angetreten war und die Union sich beim Kandidaten vertan hatte. Man darf den Bundestrend bei Landtagswahlen nie unterschätzen.

Ein Problem, das BSW, CDU und SPD auf Bundesebene hätten, ist eine Ebene tiefer nicht relevant: Die erheblichen Unterschiede bei den außenpolitischen, geostrategischen Vorstellungen.

Diese sind so groß, dass wir Saskia Esken verstehen können, wenn sie eine Koalition mit dem BSW ausschließt, das Gleiche gilt für Friedrich Merz. Esken weiß sehr wohl, wofür das BSW steht, aber es gefällt ihr nicht und sie macht das an einem Punkt fest, wo die Differenz am größten ist, nicht an einem, bei dem man sagen kann, da hat das BSW das bessere Angebot, z. B. im sozialpolitischen Bereich.

Wäre es möglich, dass das BSW sich umgehend der zu den übrigen Parteien divergenten Positionen begibt, um auf Bundesebene ab 2025 mitregieren zu können. Dann wäre es weitgehend überflüssig, denn es ist vor allem die Abweichung zur Generallinie der regierenden Politik in Sachen Geopolitik, nicht die soziale Komponente, die das BSW für viele Wähler:innen im Osten so attraktiv macht: Die Prägung unter dem Einfluss Russlands, die offenbar jeden Wandel der dortigen Politik übersteht und leider auch von mangelnder Demokratiefestigkeit kündet, weil sie nicht berücksichtigt, wie die Regierung dieses großen Bruders tickt. Sicher kann man das vom Westen in Bezug auf die USA auch sagen, aber da fängt der Mangel an Objektivität schon an: Noch sind die USA ein demokratisches Land, das trifft auf Russland nicht zu, außerdem kritisieren wir die viel zu große USA-Abhängigkeit Deutschlands und der EU schon lange.

Über die Statur führender BSW-Personen als Demokraten kann man viel referieren, aber die Umfragen lassen es angeraten erscheinen, das BSW als politische Größe im Osten nicht zu ignorieren. Niemals gab es dies zuvor: Eine Partei, die erst ein paar Monate ist und gerade erst ihre Landesverbände gründet, könnte umgehend zur Mitarbeit mit denen aufgerufen sein, die bisher so hingebungsvoll bekämpft werden. Wobei es helfen würde, wenn die Grünen nicht dabei wären, das Hauptziel der BSW-Negativkampagnen. So weit zu Brandenburg. Und wie sieht es in Sachsen und Thüringen derzeit aus?

Für die Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2024 zeigen die neuesten Umfragen von Infratest dimap im Auftrag des MDR vom 20. Juni 2024 folgendes Bild:

– AfD: 30%

– CDU: 29%

– BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht): 15%

– SPD: 7%

– Grüne: 7%

– Linke: 3%

– Sonstige: 9%[2][3].

Diese Umfrage verdeutlicht ein knappes Rennen zwischen der AfD und der CDU um die Spitzenposition, während das Bündnis Sahra Wagenknecht als drittstärkste Kraft in den Landtag einziehen könnte. Die SPD und die Grünen liegen gleichauf, während die Linke Gefahr läuft, die 5%-Hürde nicht zu überwinden.

Quellen:

[1] https://dawum.de/Sachsen/
[2] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/umfrage-ergebnisse-landtagswahl-sachsen-2024-wer-liegt-aktuell-vorn-16-7-24-101985420
[3] https://www.fr.de/politik/landtagswahl-sachsen-umfragen-prognosen-hochrechnungen-aktuell-93045409.html
[4] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/sachsen.htm
[5] https://www.merkur.de/politik/landtagswahl-sachsen-umfragen-prognosen-hochrechnungen-aktuell-93196237.html

Die FDP wird dort mittlerweile unter „Sonstige“ geführt, für uns durchaus eine Genugtuung, um es offen zu schreiben. Aber man sieht in Sachsen auch, dass es, sollten die Ergebnisse so eintreten, nicht ohne das BSW gehen wird, wenn man die AfD raushalten will. Was uns überrascht, sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen, ist, dass die Grünen noch auf jeweils 7 Prozent kommen. Sie haben also auch im Osten schon eine Stammwählerschaft, die auch bei negativem Bundestrend grün wählt, darauf können sie aufbauen. Vielleicht reicht es für CDU, SPD und Grüne knapp, aber damit rechnen sollten die Parteistrateg:innen nicht.

Der Ministerpräsident wäre dann weiterhin Michael Ketschmer von der CDU, und der Mann ist für das BSW deshalb interessant, weil er oft abweichende Positionen von der Bundespartei vertritt, sprich, er ist sehr putinfreundlich eingestellt. Das dürfte auch der Grund sein, warum die CDU mit der AfD in Sachsen noch einigermaßen mithalten kann. Kretschmer ist nicht nur ein geborener Sachse, er wirkt auch von allen Ministerpräsidenten nicht nur des Ostens, sondern aller Bundesländer, am meisten wie ein Abweichler, und das kommt bei den Menschen dort gut an. Die Bundespartei lässt ihn gewähren und die im Grundsatz bei SPD und CDU ähnliche Außenpolitik kritisieren, weil die CDU ohne ihn in Sachsen noch schlechter dastehen würde. Das hat sie übrigens schon getan, als die CDU noch Regierungspartei im Bund war, insofern würde also auch ein Unions-Wahlsieg 2025 keine Eingrenzung für Kretschmer bedeuten.

Thüringen ist noch einmal ein anderer Fall.

Basierend auf der aktuellsten Umfrage zur Landtagswahl in Thüringen, die am 1. September 2024 stattfinden wird, ergibt sich folgendes Bild:

Eine Insa-Umfrage vom 24. Juni 2024 zeigt folgende Ergebnisse:

– AfD: 29%

– CDU: 22%

– BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht): 20%

– Linke: 14%

– SPD: 7%

– Grüne: 4%

– FDP: 2%

– Sonstige: 2%

Einige wichtige Beobachtungen zu diesen Umfragewerten:

  1. Die AfD liegt deutlich vorn und führt mit 29% der Stimmen.
  2. Das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) etabliert sich als starke dritte Kraft mit 20% der Stimmen.
  3. Die Linke, deren Ministerpräsident Bodo Ramelow derzeit eine Minderheitsregierung führt, liegt auf dem vierten Platz mit 14%.
  4. Die aktuellen Regierungsparteien Linke, SPD und Grüne kommen zusammen nur auf 25% der Stimmen.
  5. Sowohl die Grünen als auch die FDP würden nach dieser Umfrage den Einzug in den Landtag verpassen, da sie unter der 5%-Hürde liegen.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Umfrage lediglich eine Momentaufnahme darstellt. Für die Umfrage wurden vom 17. bis zum 24. Juni 1000 Wahlberechtigte in Thüringen befragt[4]. Die tatsächlichen Wahlergebnisse können am Wahltag durchaus anders ausfallen, da viele Wähler ihre endgültige Entscheidung erst kurz vor oder am Wahltag treffen.

Quellen:

[1] https://dawum.de/Thueringen/
[2] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/umfrage-ergebnisse-landtagswahl-thueringen-2024-wer-liegt-aktuell-vorn-2-7-24-id69523626.html
[3] https://www.suedkurier.de/ueberregional/rundblick/umfrage-ergebnisse-landtagswahl-thueringen-2024-wer-liegt-aktuell-vorn-2-7-24%3Bart1373253,11910348
[4] https://www.fr.de/politik/landtagswahl-thueringen-umfragen-ergebnisse-prognosen-hochrechnungen-aktuell-93059166.html
[5] https://www.augsburger-allgemeine.de/politik/umfrage-ergebnisse-landtagswahl-sachsen-2024-wer-liegt-aktuell-vorn-16-7-24-101985420

In der Tat ist die referierte Umfrage schon fast einen Monat alt, wenn auch nach der wichtigen Europawahl erstellt.

Es war Thüringen, das unser Bild geprägt hat, dass die Grünen Schwierigkeiten mit dem Wiedereinzug in die Ost-Landesparlamente haben werden. Wieder etwas dazugelernt, denn für die beiden anderen Bundesländer gilt dies nicht. Nachdenken hätte helfen können, denn Brandenburg mit den Hotspots Potsdam und vielen Zugezogenen aus Berlin, die ihre grüne Gesinnung mitgebracht haben, muss im Grunde eine feste Basis für diese Partei in den städtischeren Gebieten des Bundeslandes aufweisen. Brandenburg ist eben auch sehr gespreizt zwischen diesen Boomregionen und dem Osten, der sich immer mehr leert.

Sachsen hingegen stellt den Osten von diesen Bundesländern am meisten in „Reinkultur“ dar, während Thüringen wieder ein Sonderfall ist. Die Zustimmungswerte für die Linke als Regierungspartei ähneln denen der Regierungspartei SPD im Bund. Mit dem Unterschied, dass Bodo Ramelow, dem Ministerpräsidenten, allgemein eine gute Arbeit bescheinigt wird, anders als dem Kanzler. Hier kommt ein Umstand zum Tragen, der in den anderen Ost-Bundesländern nicht mehr so ausgeprägt ist:

Das BSW kommt aus der hier noch immer sehr präsenten Linken und insbesondere in Thüringen haben sich viele Politiker dieser Partei zum BSW hin orientiert. Gemäß Umfragewerten könnte es passieren, dass das BSW die CDU noch überholt und dann wäre die profilierte Kommunalpolitikerin Katja Wolf, die von der Linken zum BSW gewechselt ist und eine der beiden Co-Landesvorsitzenden des BSW ist, möglicherweise die erste Wahl für die erste Ministerpräsidentin der neuen Partei. In Thüringen zieht das BSW ganz stark Potenzial nicht nur von der SPD und der CDU, wie in anderen Bundesländern, in Maßen auch von der AfD ab, sondern eben auch von einer bisher noch gut verankerten Linken. Dieser Mix aus einer bisher starken Basis der Linken und profiliertem Personal schiebt das BSW in Thüringen in Umfragehöhen, die man ernstnehmen sollte, nachdem sich bei der Europawahl die Prognosen in etwa bestätigt haben.

Bei einer Bundestagswahl käme das BSW nach aktuellen Umfragen auf 8 bis 9 Prozent, obwohl es im Westen nach wie vor kaum eine relevante Basis hat und wo zuvor schon die Linkspartei schwach war. Ausnahme: das Saarland, wo Sahra Wagenknecht wohnt und ihr Mann Oskar Lafontaine lange Ministerpräsident war, bevor er aus der SPD ausgetreten ist, das „WASG“ gegründet hat, das sich dann mit der PDS zur heutigen Linken vereinte. Wenn man so will, kehrt das Spalten, die Abspaltung des BSW von der Linken, zu seinem Ursprung zurück. Dies dürfte die Haltung der SPD heute nicht mehr entscheidend prägen, zumal Lafontaine nach seinem abermaligen Move, dem Ausstieg aus der Linken, verkündete, es war vielleicht nicht gut, aus der SPD auszutreten. Aber jetzt gibt es ja das BSW seiner Frau als letzten Hafen.

Wie sich eine BSW-Regierungsbeteiligung oder mehrere auf das BSW selbst auswirken wird? Wir haben eine gewisse Skepsis schon angedeutet. Je populistischer eine Partei ist, desto schwieriger wird der demokratische Kompromiss. Wie man gerade in Frankreich wieder sehen kann, wo Wagenknechts Vorbild Jean-Luc Mélenchon die kurzfristig vereinte Linke vor die Wand gefahren und so dem zentristisch-neoliberalen Präsidenten Emmanuel Macron letztlich doch einen Sieg in seiner Neuwahlen-Wette ermöglicht hat. Solche Verhaltensweisen  etwas muss man auch dem BSW zutrauen, dessen Vorsitzende sich schon in der Linken schon als eine Person präsentiert hat, die sich nie damit abfinden konnte, ihre Linie nicht demokratisch durchsetzen zu können und sich häufig nicht an Parteibeschlüsse hielt. Es könnte aber auch so kommen, dass die Politiker:innen vor Ort, deren Karrieren auf dem Spiel stehen, mäßigend bzw. nivellierend wirken, denn ohne sie kann das BSW sich nicht in die Länder ausbreiten. Insofern halten wir es auch für eine nur mäßig erfolgversprechende Strategie, die Mitglieder alle handverlesen auszusuchen und zu prüfen, ob auch ja keine Menschen darunter sind, bei denen von Dutzenden politischer Positionen auch nur eine von der Sahra Wagenknechts abweicht. Irgendwann wird es so kommen, dass Interessen und Meinungen divergieren. Diese Andeutung zur demokratischen Struktur der Vorsitzenden konnten wir jetzt doch noch einbauen, ohne dass es künstlich wirkt.

Für uns ist es aber vollkommen offen, ob das BSW erfolgreich Landespolitik machen kann. Von einem Aspekt sollte man sich nicht in die Irre führen lassen: Dass die Partei noch so jung ist. Es sind schon jetzt einige erfahrene Politiker:innen zum BSW gewechselt, von einen einige, wie der neue  Berliner Landesvorsitzende Alexander King, die auch Parteimanager-Qualitäten mitbringen, welche bisher in einer von der Wagenknecht-Linie überwiegend recht weit entfernten Berliner Linken nur auf Bezirksebene einsetzen konnte. Viele Kräfte, die sich jetzt beim BSW beweisen können, stand nicht aufgrund mangelnder Fähigkeiten bei der Linken in der zweiten oder dritten Reihe, sondern, weil sie einem Minderheitsflügel angehörten, der in harter Konfrontation zum „Mainstream“ der Funkionärskader stand.

Wir trauen dem BSW zu, dass es bei der nächsten Berlinwahl, die in Teilen ja auch eine Ostwahl ist, mit der Linken zumindest gleichzieht und der SPD erheblich zusetzen wird, die in dieser Stadt mit einem an Unbeliebtheit kaum zu überbietenden Personal – nun ja, eben nicht glänzt.

Wie haben wir eigentlich abgestimmt? Absolut einmalig bisher: Wir haben es vergessen. Weil es uns nicht so wichtig war, vermutlich. Weil wir keine entschiedene Meinung dazu haben. Deswegen haben wir nun auch noch schnell mit „unentschieden“ votiert – und uns über das Ergebnis gewundert. Nicht weniger als 55 Prozent der Abstimmenden lehnt ein solches Bündnis glattweg ab. Möglich, dass darunter viele potenzielle BSW-Anhänger:innen sind, die eine Verwässerung der eigenen Positionen befürchten, ganz sicher viele SPD-Anhänger:innen. Wir müssen noch einmal auf eine Aussage von uns zurückgreifen, die schon einige Monate alt ist: Würden wir in einem dieser drei Ost-Bundesländer wohnen und dürften dort wählen, dann könnten wir uns vorstellen, dem BSW unsere Stimmen zu geben, obwohl wir sehr wohl die großen Stolpersteine erkennen, die dieses Konstrukt für Demokraten und Anti-Autokraten beinhaltet. Einfach, um eine Mehrheit gegen die AfD zu erwirken.

Dass das BSW sich so schnell an die CDU angedient hat, hat uns allerdings negativ überrascht und würde vermutlich eher dazu führen, dass wir für die SPD stimmen würden. Wir müssen uns auch erst darin einfinden, dass das BSW nicht deshalb eine linke Partei ist, weil es sich personell aus der Linken speist. Auf Landesebene hätten wir nicht das Problem mit der Außenpolitik gehabt, aber man kann auch sagen: Wie kann man auf Landesebene eine Partei wählen, die in diesen großen Fragen so danebenliegt?

Alle diese Ansichten sind respektabel und diskutabel. Wir sind sozusagen auch Interndemokraten, die sich immer wieder hinterfragen, auch wenn sie im Kern ein festes politisches Weltbild haben. Dieses Bild orientiert sich aber vor allem an Solidarität und Menschenrechten. Diese Aspekte haben Vorrang vor allen anderen Erwägungen und führen vor allem wirtschaftspolitisch zu einer klaren, nämlich antikapitalistischen Haltung. Leider macht uns diesbezüglich keine Partei derzeit auch nur annähernd ein gutes Angebot, also müssen wir, demokratisch, mit uns selbst, immer Kompromisse eingehen, egal, wen wir wählen. Erhebliche, harte Kompromisse, die großes Frustrationspotenzial aufweisen. Und selbstverständlich spielt es eine Rolle, dass wir ein paar Menschen persönlich kennen, die jetzt beim BSW sind und sie schätzen.

Da müssen wir uns auch immer wieder zur Ordnung rufen, wenn es um den Unterschied zwischen Positionen und Personen geht und zum Beispiel festhalten. Bei einigen sind wir schon erstaunt, wie sie von (vorgeblich?) links aus zum BSW nicht gegangen, sondern richtiggehend gerannt sind, als seien sie auf der Flucht. Einige wissen aber genau, was sie tun, und grundsätzlich gönnen wir ihnen die Chancen, die sich nach vieljährigem Unbehagen in der Linken für sie jetzt ergeben.

Da wir in keinem der Bundesländer wählen dürfen, die im September an der Reihe sind, haben wir wenigstens nicht den zusätzlichen Stress, uns schon wieder kurzfristig entscheiden zu müssen und immer ein Unbehagen zurückzubehalten werden, gleich, wo wir unsere Kreuze setzen. Ach ja: In Thüringen wäre es wohl die Linke, in den anderen Bundesländern ist sie schon zu schwach, die Stimmen wären vermutlich verschenkt. Wir haben diese Haltung zwar auch bei der Europawahl eingenommen, aber da war der Aspekt, den Durchmarsch der AfD zu verhindern, nicht so bestimmend, wie er es wäre, wenn wir in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen unsere Stimmen für die Demokratie einzusetzen hätten, außerdem, siehe oben, gab es dort keinen Fünfprozenthürd. Wie wir es von ihm wartet haben, hat sich der Vorsitzend der Partei, die wir gewählt haben, schon negativ zur Wiederwahl Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentin geäußert. Immerhin.

Dass er da mit dem BSW auf einer Linie ist, stört uns nicht. Wie sagte Sahra Wagenknecht: Wenn die AfD sagt, der Himmel ist blau und er ist wirklich blau, werden wir nicht sagen, er ist grün. Sinngemäß wiedergegeben. Leider hinkt der Vergleich erheblich, weil er auf Abstimmungsverhalten des BSW zu Anträgen bezogen war, die in den Landesparlamenten von der AfD kommen könnten. So ist das mit der Politik und dem Populismus. Man entlarvt im Grunde nicht nur sich selbst, sondern auch die Wähler:innen, die man zu gewinnen gedenkt. Andererseits, wo blieben die Aussagen, über die man sich aufregen oder die man hier diskutieren könnte, wäre die Politik so differenziert wie … wie wir zum Beispiel.

Damit hätten wir den Hauptartikel des Wochenendes mit einem Augenzwinkern zu einem versöhnlich-persönlichen Ende gebracht und werden sicher noch manche Einlassung zu den drei anstehenden Landtagswahlen verfertigen.

TH


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