US-Wahlen 2024 Update 3: Harris oder Trump? (Umfrage, Infos, Kommentar) +++ Alle(s) für Kamala Harris +++ Goodbye, Uncle Joe | Briefing 591 Update 3 | Geopolitik, USA, Joe Biden

Briefing 591-UP 3 Geopolitik, USA, Joe Biden, Donald Trump, Wahlkampf 2024, Präsidentschaftswahlen, Gazakrieg, Zerstörung, Kindheit und Alter, Macht und Ohnmacht, Rücktritt von der Kandidatur, Kamala Harris

Nun ist der US-Wahlkampf wirklich eröffnet, schieben wir gestern. Zuvor hatten wir das Gefühl, dass da noch etwas fehlt. Es war der Rückzug von Joe Biden von seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit. Es waren nicht unsere ersten Artikel zum Thema „Election 2024“, aber wir fassen die neuesten zu einer längeren Darstellung mit Updates zusammen. Hier zum letzten vor dem heutigen Artikel: Update 2: Alle und alles für Kamala Harris +++ Joe Biden tritt zurück +++ Goodbye, Uncle Joe | Zwei Bilder und das Leid der Welt. Die vorherigen Artikel sind auch unten angehängt.

Selbstverständlich hat Civey aus der aktuellen Lage, nach der wohl Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris gegen Donald Trump antreten wird, eine Umfrage erstellt:

Nächste:r US-Präsident:in: Trump oder Harris? (civey.com)

Hier der Begleittext dazu, lesen Sie aber auch bitte unseren Kommentar, bevor Sie abstimmen:

Präsident Joe Biden hat am Sonntag auf eine erneute Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl verzichtet. Der 81-jährige Demokrat stand zuletzt immer mehr unter Druck. Aufgrund fraglicher Wahlkampf-Auftritte stellten immer mehr Demokraten seine mentale und körperliche Eignung in Frage. Nach der Verzichtserklärung sprach Biden sich für Vizepräsidentin Kamala Harris als Ersatzkandidatin aus. Die 59-jährige verkündete bereits, für eine Präsidentschaftskandidatur zur Verfügung zu stehen und gab sich kämpferisch. Sie wolle im November antreten, um Trump zu schlagen, sagte sie laut ARD. 

„Der Rückzug von Joe Biden kommt gerade noch rechtzeitig“. Nun hätten die Demokraten noch eine Chance, die Wahl zu gewinnen, sagte die US-Expertin Laura von Daniels dem RND. Mehrere Gouverneure und Regierungsmitglieder sowie Ex-Präsident Bill Clinton und Hillary Clinton teilten bereits ihre Unterstützung für die Vizepräsidentin mit. Der Berliner Morgenpost nach hätte Harris durch ihre jamaikanisch-indischen Wurzeln bessere Chancen bei der afroamerikanischen Wählerschaft oder anderen ethnischen Minderheiten. Durch ihren Einsatz für Gleichberechtigung und ihre Abtreibungspolitik könnte sie dem rbb nach auch bei den Frauen mehr Vorteile haben. 

Der republikanische Kandidat Donald Trump reagierte gelassen. Sie sei einfacher zu schlagen als Biden, sagte der ehemalige US-Präsident siegessicher bei CNN. In aktuellen Umfragen verzeichnet Trump bessere Werte als die Vizepräsidentin. Ob sie bei einem derart späten Einstieg die Aufholjagd gewinnen könne, bezweifeln daher einige Medien. CDU-Politiker Thorsten Frei warnte im rbb ebenfalls vor zu viel Euphorie. Harris habe es in ihrer derzeitigen Amtszeit nicht geschafft, sich eine eigenständige Position zu erarbeiten. Er glaube nicht, dass Bidens Rückzug „ein Befreiungsschlag“ für die Demokraten sei.

Infos zu Stärken und Schwächen von Kamala Harris:

## Argumente für und gegen Kamala Harris

### **Argumente für Kamala Harris**

**1. Politische Erfahrung und Kompetenz**

– **Umfassende politische Karriere:** Kamala Harris hat eine lange politische Laufbahn hinter sich, die sie von der Bezirksstaatsanwältin in San Francisco über die Justizministerin von Kalifornien bis hin zur US-Senatorin führte. Seit 2021 ist sie Vizepräsidentin der USA[1][2].

– **Expertise in Rechtsfragen:** Ihre Erfahrung als Staatsanwältin und Justizministerin verleiht ihr Glaubwürdigkeit in Fragen der inneren Sicherheit und des Rechtsstaats[1].

**2. Unterstützung innerhalb der Demokratischen Partei**

– **Breite Unterstützung:** Nach dem Rückzug von Joe Biden haben zahlreiche prominente Demokraten, darunter Bill und Hillary Clinton sowie Nancy Pelosi, ihre Unterstützung für Harris bekundet[2].

– **Spendenbereitschaft:** Innerhalb von 24 Stunden nach Bidens Rückzug flossen 81 Millionen Dollar an Spenden für Harris‘ Kampagne ein, was ihre breite Unterstützung in der Basis zeigt[2].

**3. Repräsentation und Diversität**

– **Symbolfigur für Minderheiten:** Als Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters repräsentiert sie mehrere ethnische Gruppen und könnte Wähler mobilisieren, die sich bisher nicht stark engagiert haben[5].

– **Erste Frau und erste Person of Color im Präsidentenamt:** Ihre Kandidatur könnte historisch sein und ein starkes Signal für Geschlechter- und Rassengleichheit setzen[5].

**4. Politische Positionen und Erfolge**

– **Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit:** Harris hat sich stets für Frauenrechte und den Schutz von Kindern eingesetzt, was sie bei progressiven Wählern beliebt macht[1].

– **Umfragewerte:** Erste Umfragen zeigen, dass sie in einem direkten Vergleich mit Donald Trump gut abschneidet und sogar leicht vorne liegt[2].

### **Argumente gegen Kamala Harris**

**1. Kritiken und Fehler in der Vergangenheit**

– **Schwacher Wahlkampf 2020:** Ihr Präsidentschaftswahlkampf 2020 wurde als schwach und unorganisiert kritisiert, was Zweifel an ihrer Fähigkeit aufkommen lässt, einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen[1].

– **Fehler in der Migrationspolitik:** Harris wurde für ihre Handhabung der Migrationskrise an der Südgrenze stark kritisiert. Ihre lange Abwesenheit an der Grenze und unglückliche Aussagen haben ihr Image geschadet[1][2].

**2. Politische Angreifbarkeit**

– **Angriffe der Republikaner:** Donald Trump und andere Republikaner haben Harris wiederholt angegriffen und sie als inkompetent dargestellt. Diese Angriffe könnten ihre Kampagne belasten[3].

– **Unbeliebtheit bei bestimmten Wählergruppen:** Einige Analysten zweifeln an ihrer Fähigkeit, konservative und unabhängige Wähler zu überzeugen, da sie als zu links und glücklos wahrgenommen wird[5].

**3. Interne Herausforderungen in der Demokratischen Partei**

– **Unklare Unterstützung:** Trotz der breiten Unterstützung gibt es immer noch Unsicherheiten innerhalb der Partei. Ihre Nominierung ist noch nicht sicher, und es gibt Diskussionen über mögliche Vorwahlen zur Legitimation ihrer Kandidatur[4].

– **Wahl des Vizekandidaten:** Viel hängt davon ab, wen Harris als ihren Vizepräsidentschaftskandidaten auswählt. Diese Entscheidung könnte ihre Unterstützung festigen oder schwächen[4].

**4. Persönliche und öffentliche Wahrnehmung**

– **Disconnect mit Wählern:** Harris wird manchmal vorgeworfen, eine fehlende Verbindung zu den Sorgen und Nöten der Bürger zu haben, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen könnte, breite Wählerschichten zu mobilisieren[1].

– **Angriffe auf ihre Persönlichkeit:** Trump und andere Kritiker haben Harris‘ Persönlichkeit ins Visier genommen, sie als „lachend“ und „dumm“ bezeichnet, was ihr Image bei bestimmten Wählergruppen negativ beeinflussen könnte[3].

### **Fazit**

Kamala Harris hat sowohl starke Argumente für ihre Kandidatur als auch erhebliche Herausforderungen zu bewältigen. Ihre umfangreiche politische Erfahrung und ihre Rolle als Symbol für Diversität und Frauenrechte sprechen für sie. Gleichzeitig muss sie jedoch Kritik an ihrer Vergangenheit und politische Angriffe überwinden, um eine erfolgreiche Präsidentschaftskandidatin zu sein.

Quellen

[1] https://www.deutschlandfunk.de/kamala-harris-usa-wahlen-kandidatin-100.html
[2] https://www.dw.com/de/kamala-harris-wo-steht-die-us-vizepr%C3%A4sidentin-politisch/a-69741681
[3] https://www.rnd.de/politik/kamala-harris-wie-bidens-vize-im-wahlkampf-nun-punkten-koennte-VIGP2232JZHNRHKLNM4LYCHVXQ.html
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/harris–huerden-kandidatur-100.html
[5] https://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Fuenf-Gruende-warum-Kamala-Harris-Trump-besiegen-kann-article25107778.html
[6] https://www.spiegel.de/ausland/wahlkampf-gegen-donald-trump-was-fuer-einen-sieg-von-kamala-harris-spricht-und-was-dagegen-a-a393f723-c078-44d5-94fd-5686b5eb7dd1
[7] https://www.zeit.de/thema/kamala-harris
[8] https://www.fr.de/politik/usa-wahl-2024-umfragen-harris-trump-praesident-aktuell-demokraten-republikaner-93200176.html
[9] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/kamala-harris-aussenpolitik-russland-ukraine-israel-china-100.html
[10] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/harris-unterstuetzung-demokraten-einheit-usa-wahl-100.html

Wir hatten schon einen recht langen Kommentar zur Sache verfasst, aber die Infos halten wir in diesem Fall erst einmal für wichtiger. Denn für die meisten hierzulande war Kamala Harris bisher keine Person, mit der man sich intensiv auseinandergesetzt hätte. Das änderte sich nicht einmal, als immer klarer wurde, dass Joe Biden auf keinen Fall mehr seine komplette nächste Amtsperiode durchstehen wird. Das hätte aber auch ohne die dramatische Wende der letzten Tage bedeutet, dass wir es auch in Europa bald mit Harris zu tun haben werden. Dass sie Mitte August auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten offiziell zur Kandidatin ernannt wird, halten wir für relativ sicher, angesichts der schnellen Zustimmung wichtiger Demokrat:innen für sie und der Tatsache, dass die Spenden für den Wahlkampf jetzt wieder fließen – und zwar in Teilen spezifisch auf Harris bezogen, also Gelder, die Biden nicht mobilisiert hätte.

Ob sie mehr Wähler:innen aus dem Spektrum mit diversem Hintergrund mobilisieren kann, als sie „unabhängige Konservative“ verlieren könnte, wird interessant werden. Unser Gefühl ist, dass jetzt – sic! – das unangenehme Gefühl weg ist, das die Amerikaner schon lange hatten, nämlich, dass ein böser Greis gegen einen zunehmend kognitiv niedergehenden Greis antritt und damit auf eine Weise sehr in seiner Wahl eingeschränkt ist. Harris entstammt schon der nächsten Generation und wird zumindest keine Fehler machen, die auf ihre mangelnde Auffassungsfähigkeit zurückzuführen sind. Ob sie sonst Fehler macht, ist in dieser Weltlage unmöglich vorherzusagen, denn viele heute für richtig gehaltene Schritt können sich in ein paar Jahren als falsch herausgestellt haben, wie etwa die deutsche Energiepolitik bis 2022.

Ihre Vorzüge und Nachteile hat uns die KI aufgrund einer wohlüberlegten Fragestellung recht vollständig aufgeschrieben. Mit diesen Basisinformationen könnte man ein Dossier beginnen, aber das werden wir nicht tun, sondern das Handeln vom Kamala Harris, wie bei anderen Politiker:innen, anhand einzelner politischer Vorgänge kommentieren.

Wie haben die Menschen bisher abgestimmt? In Deutschland bekäme Harris bei Direktwahlen eine klare absolute Mehrheit von über 60 Prozent, selbst, wenn man nur die ganz fest entschlossenen Abstimmenden als Grundlage nimmt, nicht die latent, also eher, aber nicht entschieden für Harris stimmenden, heranzieht. Trumps klare Anhänger erreichen nicht einmal 20 Prozent. Interessant: Dass die Älteren tendenziell noch stärker zu Harris tendieren. Über den Rechtsdrall der Jungen werden wir an dieser Stelle aber nicht referieren.

Auch wir haben klar für Harris gestimmt. Allerdings nicht als Fans. Es gibt keine aktuellen Politiker:innen, deren Fans wir sind, sondern nach der üblichen Abwägung: Bei ihr weiß man trotz ihres mangelnden außenpolitischen Profils eher, was man kriegen wird, als bei dem erratischen Donald Trump, dessen Narzissmus so ausgeprägt ist, dass er heute einen Waffenkrieg verhindern und morgen einen Handelskrieg provozieren kann, alles aus der gleichen Einstellung der eigenen Grandiosität heraus. Das ist ungesund und viele seiner Wähler:innen zeigen ein ähnliches Profil.

Warum zum Beispiel ist es ihnen wurscht, dass Trump ein verurteilter Straftäter ist? Weil viele von ihnen das Recht nicht anerkennen und lieber in die eigene Hand nehmen würden, weil sie Trump auch dafür bewundern, dass er sich über sämtliche zivilisatorische Grenzen hinwegsetzt, rhetorisch, faktisch, rechtlich, und damit durchkommt. So wären sie selbst gerne. Diese Haltung hat für sie Vorbildcharakter. Das ist ein hartes Urteil über weite Teile der amerikanischen Gesellschaft, aber eine der besten, notabene psychologisch akzentuierten Einlassungen zum Kern des Trumpismus, die wir in letzter Zeit neu in unser Denken über dieses Phänomen aufgenommen haben.

Wir sehen aber, dass in Deutschland auch etwa 20 Prozent diese Einstellung haben, sonst würden sie nicht klar für Trump stimmen. Immer bitte im Hinterkopf behalten, dass die Umfragen nicht vollständig repräsentativ sind, vor allem nicht, wenn wir sie früh referieren, wie heute, also am Tag der Erstellung. Erfahrungsgemäß verschiebt sich aber im weiteren Verlauf gar nicht mehr so viel.

Kamala Harris ist hingegen eine Frau des Rechtsstaats, damit hat sie sich einen Namen gemacht, wenn auch nicht über die USA hinaus. Sie gilt Linken als zu sehr Law-and-Order, aber das war auch ihr Job, denn sie hat den kalifornischen Staat in Strafsachen vertreten, der selbst wiederum als relativ liberal gilt und sie hat sehr wohl progressive rechtspolitische Akzente gesetzt, wie oben zu lesen ist. Sicher mit ein Grund, dass Gavin Newsom, der populäre Gouverneur dieses wichtigen Bundesstaates, seinen Hut nicht in den Ring geworfen und Kamala Harris sofort unterstützt hat, als Bidens Rückzug bekannt wurde: dass die beiden sozusagen aus demselben Stall kommen und ähnliche politische Vorstellungen haben.

Heißt aber auch, in den „Swing States“ des „Rust Belt“ hat es Kamala Harris schwerer, als Biden es gehabt hätte, obwohl es nicht unbedingt Rassismus ist, der dabei die Hauptrolle spielt oder dass sie eine Frau ist, sondern Harris‘ elitäres Gepräge, denn die Menschen dort haben 2008 und 2012 auch Barack Obama gewählt und ihm in diesen Staaten zum Sieg verholfen. Vor und Nach der Bankenkrise, die für diese Staaten eine Herausforderung war. Allerdings war damals noch kein Donald Trump unterwegs, der sich zum Arbeiterführer hochstilisiert und damit die Republikaner plötzlich an eine Stelle gesetzt hat, an der die Demokraten vor langer Zeit einmal angesiedelt waren, also quasi eine Drehung des Spektrums hinbekommen hat, ohne deswegen rechte Positionen räumen zu müssen. Die Parallelen zu rechts- und linkspopulistischen Strömungen in Europa sind offensichtlich.

Wenn man Trump mit Harris vergleicht, merkt man, wie gespreizt sich die amerikanische Gesellschaft auch beim politischen Angebot zeigt. Das ist nach unserer Ansicht besser als die deutsche Variante der Demokratie, bei der man reale politische Unterschied beinahe mit der Lupe suchen muss. Momentan wird zwar viel polemisiert, vor allem seitens einer freidrehenden Union, aber warten Sie mal ab, was Sie kriegen werden, wenn 2025 ein Machtwechsel stattfindet. Da es hierzulande kaum echten Wettbewerb kriegt, wird es auch keine realpolitische Konkurrenz zugunsten der Mehrheit geben. Inn den USA ist das anders, die Politiker:innen haben deutlich mehr Respekt vor dem Wahlvolk.

Was man auch wählt, man bekommt bei uns annähernd das Gleiche, und es ist zunehmend  mangelhaft für die Mehrheit. Amerikaner:innen sind diesbezüglich besser dran, obwohl auch hier die Leitlinien sich nicht ändern. Kapitalismus first, America first, Außenpolitik ist geostrategisch, nicht humanitär. Das hat Harris übrigens schon offen gesagt, und das unterscheidet sie vom dezenten Joe Biden, der vor allem die Wunden heilen wollte, die Trumps Auftreten bei den Verbündeten gerissen hat.

Und die Unterschiede werden größer werden. Die Amerikaner haben gemerkt, dass Radikalität etwas bewirkt und die Politik nur dann nicht spuren würde, wenn es um den Kapitalismus geht, da wird niemand raus können, auch wenn das Volk mit Bürgerkrieg drohen würde. Dann würde es verlieren. Aber in Sachen Migrationspolitik kann es bewirken, dass die USA den extremsten Grenzzaun der Weltgeschichte bauen, in Sachen Wirtschaftspolitik, dass sie den Bruch mit ihren Handelspartnern riskieren, natürlich nur dann, wenn das eigene Kapital grünes Licht gibt, weil es sich ausgerechnet hat, dass es davon nicht sehr negativ betroffen sein wird, per Saldo jedenfalls.

Dass trotzdem so viele in den USA am liebsten zur Waffe greifen würden, weil sie die Demokratie für nicht wirksam genug zur Durchsetzung ihrer Interessen halten, obwohl sie viel mehr Einfluss haben als die Menschen hierzulande, belegt eine Radikalität, von der man sagen kann: Die Politik in Deutschland kann heilfroh sein, dass sie hier noch nicht so ausgeprägt ist. For the better or worse. Es ist natürlich besser, dass nicht alles mit Waffengewalt ausgetragen wird, dass das Diskussionsniveau noch nicht ganz so rudimentär ist, auch wenn die Rechten von AfD und Union gezielt daran arbeiten. dies zu ändern.

Andererseits ist die Zivilgesellschaft hierzulande zu zahm und lässt sich fast alles gefallen, weil sie es für ethisch anspruchsvoll hält, weil die privilegierten Teile snobistisch sind, oder aus Desinteresse. Wir glauben, das politische Interesse in den USA ist stärker ausprägt, die Meinungen sind viel prägnanter als im Durchschnitt bei uns, wenn auch nicht besser durchdacht. Die starke Positionierung drückt sich aber nicht in der Wahlbeteiligung vollständig aus. Hierzulande ist die Wahlbeteiligung hingegen höher als die Quote derer, die eine ausgeprägte politische Meinung haben.

Im November werden wir schlauer sein und bis dahin noch manchen Kommentar schreiben, denn jetzt ist die Präsidentschaftswahl richtig spannend geworden. Biden hätte es nach unserer Ansicht nicht mehr geschafft, Trump von der erneuten Machtübernahme wegzuhalten, nach den vielen Anzeichen, dass er nicht mehr fähig ist, die nächste Amtsperiode durchzustehen. Jetzt ist Trump der alte Mann. Der alte, böse Mann. Der älteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten. Seine Lügen zu markieren, reicht ja nicht aus, um seine Wähler zum Nachdenken zu bringen. Aber auch bei ihm gab es schon kognitive Ausfälle, und jetzt könnte seine Gegnerin es ihm heimzahlen, indem sie diese genauso thematisiert, wie er es bei Biden getan hat. Fernsehduelle zwischen Trump und Harris werden auf jeden Fall einen anderen Thrill haben als die traurige letzte Runde zwischen Trump und Biden.

TH

22.07.2024 

Kamala Harris, Vizepräsidentin unter US-Präsident Joe Biden, wird für die Demokraten ins Rennen um die Präsidentschaft 2024 gehen. Das ist knapp einen Tag nach Bidens Rücktritt von der Kandidatur bereits so gut wie sicher:

Nachdem Biden seiner Vize die volle Unterstützung zugesagt hatte, sprachen sich auch eine Reihe weiterer Parteigrößen zügig für sie aus – darunter vor allem die ebenfalls als mögliche Bewerber gehandelten Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Josh Shapiro (Pennsylvania) und Roy Cooper (North Carolina). Vom linken Flügel der Partei bekam Harris Unterstützung von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Auch Konkurrenz von der einflussreichen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, muss die Vizepräsidentin nach deren Verzicht nicht fürchten. (dpa/phs)

Im Grunde ist es eine logische Entscheidung, auch wenn wir Harris erst auf Platz drei unserer Lieblingskandidat:innen gesehen haben. Bereits vor der Demission von Joe Biden kam es zu einer Umfrage unter Demokrat:innen, die Statistik in einer Grafik zusammengefasst hat:

Demokraten bevorzugen Kamala Harris als Biden-Alternative

Diese Statista-Grafik wurde unter einer Lizenz CC BY-ND 4.0 Deed | Namensnennung-Keine Bearbeitung 4.0 International | Creative Commons erstellt und wir geben sie unter gleichen Bedingungen wieder. Folgend der Statista-Begleittext dazu, dann weiter mit unserem Kommentar.

US-Präsident Joe Biden tritt als demokratischer Präsidentschaftskandidat zurück. Nun liegt es an seiner Partei sich auf jemanden zu einigen, der gegen Donald Trump ins Rennen geht. Biden selbst sichert einer Kandidatur seiner Vizepräsidentin Kamala Harris volle Unterstützung zu.

Laut einer YouGov-Umfrage von Anfang Juli war Harris bereits vor Bidens Rückzug die favorisierte Alternative. Rund 73 Prozent der befragten Personen, die sich selbst als Demokraten identifizieren oder zu diesen neigen, heißen die Präsidentschaftskandidatur von Kamala Harris gut. Demgegenüber stehen nur etwa 17 Prozent, die dagegen sind. Die zweithöchsten Zustimmungswerte hat Pete Buttigieg – rund 57 Prozent der Umfrageteilnehmer:innen unterstützen eine Kandidatur des US-Verkehrsministers. Mit 52 Prozent knapp dahinter liegt Bernie Sanders. Bei diesem zeigt sich jedoch von allen abgefragten potenziellen Kandidat:innen die größte Ablehnung. Vor allem aufgrund seiner in den USA als sehr extrem angesehenen linken Positionen.

Wie eine weitere Statista-Grafik zeigt, konnte Kamala Harris in den Umfragen zuletzt zumindest mit Trump mithalten. Auch deshalb wird sie von vielen Demokrat:innen als die beste Alternative gesehen. Trotz einer beeindruckenden politischen Laufbahn und einer Amtszeit als Vizepräsidentin der USA, denken jedoch rund 45 Prozent der Amerikaner:innen weiterhin, dass sie nicht qualifiziert genug sei, um US-Präsidentin zu werden.

Und damit steigen wir endgültig in den US-Wahlkampf ein. Gestern und vor drei Tagen haben wir Joe Biden verabschiedet (die Artikel sind auch unten angehängt, weil wir den aktuellen als Update veröffentlichen), heute wenden wir uns der Zukunft der USA endgültig zu. Wir hatten schon seit Wochen den Eindruck, es sie besser, damit noch etwas zu warten. Nun haben wir relative Klarheit, denn es zweifelt kaum jemand daran, dass Kamala Harris auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten Mitte August als Präsidentschaftskandidatin bestätigt werden wird, darauf weist das Zitat klar hin, das wir an den Beginn dieses Artikels gestellt haben. Vielleicht unterschätzen wir sie ein wenig, weil sie selbst unter dem eher dezenten Präsidenten Joe Biden außenpolitisch nicht besonders hervorgetreten ist. Auch in den USA selbst sind die Zweifel an ihr nicht gering, denn offenbar hat sich auch innenpolitisch nicht so gepunktet, wie …  nun, wie wer eigentlich? Standen die Vizes nicht immer sehr im Schatten der Präsidenten? Mehr, als der Vizikanzler in Deutschland im Schatten des  Kanzlers steht? Die meisten Präsidentschaften, die aus Vizepräsidentschaften hervorgegangen sind, waren nicht diejenigen, die als Marksteine in der US-Politik angesehen werden können. Ein paar Beispiele:

  • Gerald Ford, der nach dem Rücktritt Richard Nixons 1974 Präsident wurde, wurde nach nur zwei Jahren im Amt bei den 1976er Wahlen von Jimmy Carter abgelöst. 
  • George Bush senior war unter Ronald Reagan Vizepräsident, gewann die 1988er Wahlen und wurde seinerseits von Bill Clinton 1992 besiegt. Trotz seiner progressiven Stellung in der Wendezeit stolperte er in erster Linie über schwache Wirtschaftsdaten der USA.
  • Clintons Vizepräsident Al Gore, einer der besonders profilierten Vizes, konnte nicht gegen George H. W. Bush (junior) die Wahlen von 2000 gewinnen, obwohl Bush nicht als das größte politische Talent galt, das die USA damals hatten.
  • Joe Biden, Vizepräsident unter Barack Obama, musste erst Hillary Clinton den Kandidatur-Vortritt lassen, sie wurde für viele überraschend (nicht nach der Zahl der abgegebenen Stimmen, aber nach der Zahl der Wahlmänner) von Donald Trump besiegt, 2020 waren auch viele Amerikaner:innen so entsetzt von Trump, dass Biden 2020 als ein damals schon ziemlich alter Kompromisskandidat im zweiten Anlauf gegen Trump doch gewinnen konnte, ohne dass er viele ausgesprochene Fans gehabt hätte. Im Jahr 2024 musste Biden das Rennen um die erneute Kanidatur aus Altersgründen aufgeben, sodass die Frage theoretisch bleibt, ob ein Vizepräsident auch einmal ein Mandate für eine zweite Amtsperiode hätte erringen können.
  • Der letzte Vizepräsident, der so etwas wie eine Ära oder weitergeführt hatte, war Lyndon B. Johnson, der Vizepräsident von John F. Kennedy, der 1964 gewählt wurde, aber 1968 nicht mehr antrat, obwohl er das hätte tun können (die Zahl der Amtsperioden für US-Präsidenten ist zwar  auf zwei beschränkt, aber Johnson wurde nach dem Kennedy-Mord 1963 erst Präsident, die Zeit bis zu seinem Wahlsieg 1964 wird bei dieser Berechnung nicht mitgezählt).

Man muss sehr weit in der Geschichte der USA zurückgehen, bis ins 19. Jahrhundert, um Vizepräsidenten zu finden, die tatsächlich und dauerhaft aus dem Schatten der Präsidenten hervortreten konnten, denen sie als Nummer zwei dienten. Das liegt vielleicht in der Natur der Sache: Die stärkste Persönlichkeit, die eine Partei aufzubieten hat, sollte der Präsidentschaftskandidat sein. Das heißt aber nicht, dass seine Vertretung fast genauso stark sein muss oder sollte. Auch 2024 hat die Nachricht die Runde gemacht, dass einige der Kandidat:innen, die starke Stellungen als Gouverneur:innen in ihren Heimat-Bundesstaaten erobert hatten, nicht unter Kamala Harris als Vizepräsidenten antreten wollten. Sondern, so muss man es interpretieren, falls sie sich das Amt zutrauen, lieber warten wollen, bis sie sich direkt als Nummer eins durchsetzen können. 

Vizepräsidenten haben nicht so viele Gestaltungsmöglichkeiten und müssen vor allem zu einhundert Prozent loyal den Präsidenten gegenüber sein, damit die USA mit einer Stimme sprechen. Das ist in Präsidialsystemen wichtiger als in solchen wie dem der BRD, wo der Regierungschef nicht direkt gewählt wird, ebenso wie das Staatsoberhaupt, und klar ist, dass er eher Erster unter Gleichen ist als ein US-Präsdident, der direkt von der Bevölkerung inthronisiert wurde, nach einem Mammut-Wahlkampf inklusive parteiinterner Vorwahlen, der auf der Welt seinesgleichen sucht. Außerdem sind bei  uns die Vizekanzler immer auch Leiter eines Ressorts, während Vizepräsident:innen in den USA eine reine Stellvertreter:innenfunktion haben und nicht etwa zudem Außenminster oder Wirtschaftsminister sind, um zwei Ressorts zu nennen, in denen deutsche Vizekanzler traditionell tätig waren und dabei eigene Akzente setzen konnten, wenn sie die Persönlichkeit dazu hatten, bzw. aktuell tätig sind. In den USA wäre es undenkbar, dass ein Vizekanzler, der auch Außenminister war, beliebter ist als der Regierungschef selbst, wie das beim Duo Kohl-Genscher zweitweise der Fall war.

Es gibt eine zweite Linie, die mit der oben gezeichneten sehr deutlich übereinstimmt: Die Präsidenten, die die USA über 120 Jahre hinweg geprägt hatten, waren Macher, die zuvor Bundesstaaten regiert haben, also Gouverneure waren:

  1. Theodore Roosevelt
    • Gouverneur von New York (1899-1900)
    • Präsident von 1901 bis 1909
  2. Woodrow Wilson
    • Gouverneur von New Jersey (1911-1913)
    • Präsident von 1913 bis 1921
  3. Calvin Coolidge
    • Gouverneur von Massachusetts (1919-1921)
    • Präsident von 1923 bis 1929
  4. Franklin D. Roosevelt
    • Gouverneur von New York (1929-1932)
    • Präsident von 1933 bis 1945
  5. Jimmy Carter
    • Gouverneur von Georgia (1971-1975)
    • Präsident von 1977 bis 1981
  6. Ronald Reagan
    • Gouverneur von Kalifornien (1967-1975)
    • Präsident von 1981 bis 1989
  7. Bill Clinton
    • Gouverneur von Arkansas (1979-1981, 1983-1992)
    • Präsident von 1993 bis 2001
  8. George W. Bush
    • Gouverneur von Texas (1995-2000)
    • Präsident von 2001 bis 2009

Die prägenden Präsidenten des 20. und 21. Jahrhunderts hatten sich zuvor als Regierungschefs eines Bundesstaates bewiesen, mit drei wichtigen Ausnahmen: Dwight D. Eisenhower war als Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa einer der prominentesten Sieger im Zweiten Weltkrieg, John. F. Kennedy war vor seiner Präsidentschaftskandidatur Senator, ebenso Barack Obama. Bis auf Jimmy Carter konnten alle Präsidenten, die auch Gouverneure waren, ihre Wiederwahl sichern, ebenso die Senatoren (bei Kennedy gehen wir davon aus, dass er 1964 auf jeden Fall wiedergewählt worden wäre).

Keiner von diesen Wiedergewählten war zuvor Vizepräsident. Ob sich die Demokraten diese Statistik noch einmal anschauen werden, bevor sie Kamala Harris ihr Ja-Wort geben? Ein Rückblick kann noch so eindeutig sein, eine sichere Prognose für die Zukunft erlaubt er freilich nicht. Die Geschichte wird immer neu geschrieben. Die Zweifel, zumindest von außen, bleiben, obwohl Harris den Politikern und auch den Journalisten in Europa selbstverständlich bekannter ist als die innenpolitischen Stars der Demokraten. Außerdem zeigt die Möglichkeit einer Wiederwahl von Donald Trump, dass man sich heutzutage nicht mehr beweisen oder hochdienen muss. Kein Wunder, angesichts der oben gelisteten Persönlichkeiten, dass viele seine Kandidatur im Jahr 2016 zunächst für einen schlechten Scherz hielten. Die Amerikaner erlauben sich aber zunehmend Scherze mit sich selbst und mit Tugenden wie Gesetzestreue, wenn schon nicht Ehrlichkeit, mit Verantwortungsgefühl und Außenwirkung, deswegen hat er 2024 erneut Chancen auf das Amt.

Sollen wir nun Kamala Harris die Daumen drücken? Wir sind da vorsichtig. Die US-Wahlen nehmen so viel Einfluss auf unser Leben wie die in keinem anderen Land der Welt außer dem eigenen. Kommentatoren hierzulande lassen sich schon dahingehend ein, dass Harris den protektionistischen Kurs Bidens und Trumps fortsetzen würde und dass auch sie darauf dringen würde, dass die Europäer sich mehr selbst um ihre Sicherheit kümmern müssen. Freilich, ohne die NATO aufzugeben, dieser gefährliche Unsicherheitsfaktor wäre bei ihr nicht Teil des außenpolitischen Auftritts. Alles andere als ein offenes, nicht, wie früher, etwas mehr verdecktes „America first“ könnten sie in diesem biestigen Land auch innenpolitisch nicht verkaufen. In der Richtung hat sie sich auch schon auf der Münchener Sicherheitskonferenz geäußert, das haben aufmerksame Beobachter bemerkt.

Die alten Zeiten werden nicht zurückkehren, und, wenn wir ehrlich sind: Wie lange haben diese eigentlich angedauert? Im Kalten Krieg hatte Deutschland prozentual von seinem BIP viel mehr in die Verteidigung investiert als selbst jetzt, nach Erreichen des 2-Prozent-Ziels, das Gleiche galt für die DDR. Das muss man erwähnen, damit klar ist, dass  der Osten Deutschlands nicht ein Inselchen des Pazifismus war. Nur die 1990er mit ihrer so plötzlich entstandenen Möglichkeit des globalen Friedens waren anders. Plötzlich schien es möglich, sich von einer bis an die Zähne bewaffneten Politikgestaltung weitgehend zu verabschieden. Schon in den 2000ern trübte sich das Szenario wieder ein und führte in einer ziemlich geraden Linie zu den heutigen Zuständen, die insofern keine Zeitenwende darstellen, sondern eine Weiterentwicklung sind, etwas, das man hätte kommen sehen dürfen, wenn man Politik über den Tag hinaus gedacht und gemacht hätte.  Aber speziell Angela Merkel war niemand, der den Menschen das erklärt hätte, und jetzt kommen die USA daher mit im Grunde ganz natürlichen Forderungen (militärisch, nicht wirtschaftlich, da sehen wir weit mehr ein gefährliches Szenario im Entstehen begriffen, an dem die USA erhebliche Schuld tragen). Die Mehrheit der Menschen hierzulande versteht das auch und ist gewillt, mehr Lasten zu tragen. 

Wir sind da nicht so schnell. Wir sagen: Diejenigen, die bisher die Friedensdividende kassiert haben, die Reichen, die dürfen auch mal mitmachen beim Lastentragen und nicht, wie die CDU es gerade verkündet hat, noch mehr privilegiert werden, wenn es zu einem Regierungsechsel kommt. Wenn wir sehen, dass die Politik sich es zutraut, diese Personen etwas mehr in die Pflicht zu nehmen, dann sind wir auch dabei.

Freilich kann man Sicherheit nicht gegen Gerechtigkeit eintauschen oder sagen, das eine nur, wenn das andere. Nicht eins zu eins. Aber doch in einem bestimmten Maße: Es geht ja auch um die Verteidigung der Demokratie, und diese Demokratie verteidigt man lieber und erachtet sie als wertvoller, wenn sie ein bisschen mehr Gerechtigkeit beinhaltet, als das momentan der Fall ist.

Dieses Problem besteht leider auch in den USA: Trumps Erfolg ist auch ein Ausdruck großer Kränkungen und narzisstischer Störungen durch ewige Präferierung des Egomanentums über Gemeinsinn und Solidarität, verbunden mit dem Gefühl, es geht irgendwie nicht vorwärts und das Wirtschaftswachstum ist nur für die Reichen. War das unter Trump anders? Natürlich nicht. Und wird es auch beim nächsten Mal nicht sein.  Damit kann Kamala Harris arbeiten, zumal sie als Person ein Angebot für alle Minderheiten darstellt. Wird es reichen? Wie immer es kommt, wir müssen in Europa eigenständiger, erwachsener werden. Vor allem Deutschlands Politik hat da enorm viele Hausaufgaben vor sich. Das schreiben wir bereits seit Jahren, unabhängig davon, wer gerade die USA führt. Okay, vor allem seit 2016. Als es wirklich offensichtlich wurde, dass etwas geschehen muss. Joe Bidens Präsidentschaft hat daran nichts geändert, allenfalls den Eindruck erweckt, es wird alles weniger ruppig ablaufen.  Also weitermachen, wer immer ab dem nächsten Jahr aus der Air Force One aussteigen wird. Wir hätten ja gerne mal gesehen, wie die Politik hierzulande reagiert, wenn Bernie Sanders in der Tür erscheinen wäre. Aber die Chance und die Wahl 2016 haben die Demokraten ja vergeigt. 

TH

21.07.2024

Vorgestern hatten wir einen längeren Beitrag mit dem Titel „Goodbye, Uncle Joe“ veröffentlicht, in dem wir nicht vorweggenommen haben, dass es heute passiert, aber vorausgesehen, dass es passieren wird. Sehr schwer war das nicht, die Spatzen pfiffen es geradezu von den Dächern. 

Wir sind einerseits erleichtert, müssen aber nun mit der Ungewissheit leben, die aus dieser neuen Situation entsteht. Wir hatten die Ansicht vertreten, dass Kamals Harris, Vizepräsidentin der USA, aktuell nicht die beste Kandidatin für die Nachfolge ist, aber Biden scheint sie empfohlen zu haben. Nominieren kann er sich nicht und der offizielle Nominierungsparteitag der Demokraten steht noch aus. Ein Beitrag von Biden auf X hatte die heutige Nachricht ausgelöst:

https://x.com/JoeBiden/status/1815087772216303933

Und hier das Original-Statement von Biden aus einem weiteren X-Posting, gefolgt von einer Zusammenfassung der aktuellen Informationen:

Hier das Wichtigste der Breaking News:

 ### **Hintergrund und Rücktrittserklärung**

US-Präsident Joe Biden hat angekündigt, dass er sich nicht um eine zweite Amtszeit bewerben wird und aus dem Präsidentschaftsrennen 2024 aussteigt. In seiner Rücktrittserklärung betonte Biden, dass es im besten Interesse des Landes und seiner Partei sei, sich zurückzuziehen und sich auf die Erfüllung seiner Pflichten als Präsident für den Rest seiner Amtszeit zu konzentrieren[6].

### **Reaktionen innerhalb der Demokratischen Partei**

– **Kamala Harris als Nachfolgerin**: Biden hat seine Unterstützung für Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten bei der Wahl im November 2024 ausgesprochen. Harris genießt jedoch nicht uneingeschränkten Rückhalt innerhalb der Partei. Einige Demokraten sind skeptisch gegenüber ihrer Kandidatur und es gibt Diskussionen über mögliche andere Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten[1][5].

– **Parteiinternes Klima**: Laut Berichten von CNN und anderen Medien basiert die wachsende Unterstützung für Harris eher auf der Erschöpfung der Partei und dem Wunsch nach Stabilität als auf einer neuen Begeisterung für sie[3]. Biden rief die Demokraten zur Geschlossenheit auf, um gegen den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump anzutreten[5].

### **Reaktionen der Republikanischen Partei**

– **Forderungen nach sofortigem Rücktritt**: Republikanische Politiker, einschließlich Trumps Wunsch-Vize J.D. Vance, fordern Biden auf, nicht nur aus dem Präsidentschaftsrennen auszusteigen, sondern auch sofort als Präsident zurückzutreten. Sie argumentieren, dass jemand, der nicht in der Lage ist, für eine Wiederwahl zu kandidieren, auch nicht in der Lage sei, das Amt des Präsidenten auszuüben[2][4].

### **Aktuelle Situation und Ausblick**

– **Bidens Gesundheitszustand**: Biden kuriert derzeit eine Covid-Erkrankung aus und hat angekündigt, seine Wahlkampftermine in der kommenden Woche wieder aufzunehmen. Trotz wachsender Zweifel an seiner Eignung als Kandidat, bleibt er bis zum Ende seiner Amtszeit im Amt[3].

– **Nominierungsprozess der Demokraten**: Die Demokraten müssen nun schnell einen neuen Kandidaten nominieren. Der offizielle Parteitag zur Nominierung findet Mitte August in Chicago statt. Es bleibt abzuwarten, ob die Partei Bidens Vorschlag folgt und sich hinter Harris vereint[5].

### **Zusammenfassung**

Joe Biden hat sich entschieden, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, was zu erheblichen politischen Reaktionen geführt hat. Während Biden Kamala Harris als seine bevorzugte Nachfolgerin unterstützt, gibt es innerhalb der Demokratischen Partei gemischte Gefühle zu ihrer Kandidatur. Gleichzeitig fordern Republikaner seinen sofortigen Rücktritt. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, um zu sehen, wie sich die Demokraten aufstellen und ob sie in der Lage sind, eine geeinte Front gegen die Republikaner zu bilden.

Quellen

[1] https://www.fr.de/politik/nachfolger-news-rueckzug-joe-biden-kamala-harris-reucktritt-wahl-2024-nachfolge-usa-prasesident-zr-93197776.html
[2] https://www.axios.com/2024/07/21/republicans-biden-drops-out-race-resign
[3] https://www.spiegel.de/ausland/usa-kamala-harris-gewinnt-an-zustimmung-j-d-vance-fordert-joe-biden-zum-ruecktritt-auf-a-af2e39db-8530-4fea-bc22-6ef859096c3e
[4] https://www.politico.com/live-updates/2024/07/21/joe-biden-drops-out-election/gop-calls-on-biden-to-resign-presidency-00169992
[5] https://www.n-tv.de/politik/US-wahl-2024/Biden-unterstuetzt-Praesidentschaftskandidatur-von-Kamala-Harris-article25104591.html
[6] https://www.telegraph.co.uk/us/politics/2024/07/21/joe-biden-statement-in-full-president-democrats/

Was hier so nüchtern erzählt wird, ist ein Drama und hat demgemäß eine Dramaturgie. Es ist jetzt müßig, darüber zu spekulieren, ob Biden hätte früher das Feld räumen müssen, damit man eine(n) Nachfolger(in) in Ruhe aufbauen hätte können, es ist klar, dass die Republikaner gerne etwas Chaos verursachen würden, indem sie seinen sofortigen Rücktritt als Präsident fordern. Ganz unlogisch ist die vorgetragene Position nicht, aber auch  nicht vollkommen überzeugend. Biden wäre ja nicht für ein paar Monate angetreten, sondern für vier Jahre, und die hätte er nach sich immer mehr durchsetzender Überzeugung nicht geschafft.

Wenn es stimmt, dass Kamala Harris eher als Verlegenheitskandidatin betrachtet wird und die Demokraten von dem Chaos der letzten Monate erschöpt sind, ihr nicht maximale Unterstützung zukommen lassen, dann wird Trump die Wahl im November gewinnen. Noch ist die Idee nicht gereift, dass man einen Neuanfang suchen könnte, trotz der Demission von Joe Biden. Vielleicht erleben wir aber eine Überraschung. Keine Überraschung war es nach den Ereignissen der letzten Woche, dass Joe Biden aufgeben wird. Trotzdem ist dieser Tag nicht nur in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika einer, der noch lange nachwirken wird. Viele Kommentatoren gingen davon aus, dass Biden erst zurücktreten wird, wenn er Benjamin Netanjahu zu seinem umstrittenen Besuch empfangen haben wird, dabei wurde aber Rückzug von der Kandidatur mit sofortigem Rückzug vom Amt gleichgesetzt. 

Dass die Republikaner schon eine Kampagne gegen Kamala Harris aufgesetzt haben, ist ebenfalls anzunehmen. Unser Favorit wäre Gavin Newsom gewesen, auch wenn er ein weißer Mann ist. Er repräsentiert den Staat, der Amerika für viele Menschen mittlerweile weltweit definiert: Kalifornien. Nesom kann niemand vorwerfen, er würde wirtschaftlich nicht reüssieren und er hat die Ausstrahlung, die es braucht, um gegen die Trump-Populisten anzutreten. Allenfalls die Liberalität der Politik in diesem Westküstenstaat könnte angegriffen werden, die vielen „Heartland“-Amerikanern ein Dorn im Auge ist. Unsere Nummer zwei wäre seine Kollegin im Amt des wichtigten Swing State Michigan, Gretchen Whitmer, gewesen, den sie für die Demokraten hält. Oder auch: Das Team, das wir für die Kandidatur Präsident und Running Mate bevorzugt hätten. Die zweitbeste Variante wäre für uns die umgekehrte Konstellation gewesen. Natürlich können wir nicht wissen, was die Republikaner auch gegen diese Konkurrenten aufgefahren hätten, so tief stecken wir in dieser Wahlschlacht nicht drin. Das Menetekel einer zu spät umgesteuerten Wahlkampagne hätte auch über ihnen geschwebt. Aber das hätte ihre Chancen für die Zukunft nicht zerstört. 

Die Wahl 2024 ist noch nicht gelaufen, aber sie läuft unverkennbar gegen die Demokraten und unverkennbar für eine Truppe, die die Welt zu einem noch unfriedlicheren Ort machen wird. Dazu ist kein neuer Krieg nötig, die großen Schlachten werden mittleweile vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet gefochten.

Alles, was uns zur Situation eingefallen ist, haben wir im Grunde schon vor zweit Tagen aufgeschrieben, lesen Sie also bitte weiter:

TH

19.07.2024

Erst einmal hat mich in diesem Jahr – oder war es im  Spätherbst 2023? – ein Pressefoto so berührt wie das von Joe Biden, das mit diesem Artikel veröffentlicht wurde: Es wird einsam um Biden – selbst Obama und Pelosi zweifeln offenbar | WEB.DE.

Das andere Bild zeigte ein kleines Mädchen, das verloren mitten in einem Schuttberg von Gaza-Stadt stand. Die abgebildeten Menschen sind so verschieden, sie repräsentieren Macht und Ohnmacht, frühe Jugend und fortgeschrittenes Alter, Berühmtheit und Anonymität, Schutzbedürftigkeit und Verantwortung – und doch gibt es eine authentisch wirkende Übereinstimmung: Die Verlorenheit. Die Hilflosigkeit in einer Situation, die man nicht kontrollieren und nicht bewältigen kann. Weil man gar nicht weiß, was geschieht, oder weil man nicht aus seinen Mustern ausbrechen kann. Das Ergebnis ist ähnlich.

Ändert es etwas, dass Joe Biden etwas an seiner Lage ändern könnte, das kleine, unbekannte Mädchen nicht? Für mich ist dieser Unterschied nicht wesentlich. Ich habe Mitgefühl beiden Menschen. Selbst, wenn ich mir sage, der Mann auf dem einen Foto ist mitverantwortlich für das, was dem Mädchen auf dem anderen Foto widerfahren ist, ändert das wenig. Von ihr weiß ich nicht einmal, ob Verwandte von ihr die Bombenangriffe überlebt haben, die die Schuttberge verursacht haben, Joe Biden hingegen hat unzählige Berater, eine Familie, ist bestens geschützt gegen alles, wogegen man jemanden mit persönlichem und technischem Einsatz schützen kann, während das Mädchen schutzlos in dieser grausamen Welt steht. Der Mann hat seinen Weg selbstbestimmt un behütet gewählt und ist ihn bis zum Ende gegangen. Er steht ganz oben, das Foto ist aus der Froschperspektive geschossen, das junge Mädchen steht auf der Erde, die das Nichts bedeutet. Sie   fängt erst an zu leben und ist bereits in einem Alptraum gefangen.

Vielleicht wandert sie aus und wird eine künftige Präsidentin der USA. Dann könnte sie menschliche, menschenwürdige Politik machen. Manche Menschen können aus dem Leid zu besonderen Leistungen und einer besonderen Aura gelangen. Andere sinnen nur auf Rache, man muss nicht weit schauen, wenn man in Gaza steht, um das zu sehen.

Biden war nicht jemand, der aus einem Schicksal heraus emporwuchs, sondern einst ein versierter Parteifunktionär und der natürliche Nachfolger von Barack Obama, dem er als Vizepräsident treu und ergeben diente. Ein loyaler und im Ganzen ehrenhafter Mann.

Aber auch ein Mann, der nicht ein neues Kapitel der Weltpolitik aufschlagen konnte, dafür war er schon zu alt, als er Präsident wurde. Man erhoffte sich von ihm, dass er die Welt vor weiterem Schlingern bewahren helfen kann. Erholung und Erlösung von Trump. Mit Biden kam etwas von der alten Ordnung zurück, der Klarheit und Festigkeit der westlichen Bünde. Er konnte den Ukrainekrieg und den Gazakrieg nicht verhindern und bis heute konnte er nicht dafür sorgen, dass das Morden aufhört. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung.

Man kann von Bidens Präsidentschaft auch sagen, sie ist gescheitert, geostrategisch gesehen, weil sich nichts für den Westen zum Besseren gewendet hat und weil speziell wir Europäer in diesem Abwärtstrend drinhängen. Biden hat sogar dafür gesorgt, dass man in Europa noch immer nicht für mehr Unabhängigkeit von den USA sorgt. Der gute, alte Joe Biden. Das hat er getan, weil er so ein guter Onkel zu sein schien. Das ist er auch. Ich glaube nicht, dass er persönlich über das hinaus ein schlechter Mensch ist, was Politikern immer anhaftet: Für Menschen schlechte Entscheidungen zu treffen und für Leid zu sorgen, wenn sie die Macht dazu haben, nicht moralisch, sondern an Interessen orientiert zu handeln. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist das die heutige Statur auch bei Spitzenpolitikern.

 Er hat sich bemüht, würde in seinem Zeugnis stehen, wenn ich es zu schreiben hätte, und das wäre nicht abwertend gemeint, sondern ehrlich. Er hat sich bemüht, den unfassbar komplexen, widersprüchlichen Interessen seines Landes und den noch chaotischeren Anforderungen auf der ganzen Welt einigermaßen gerecht zu werden.

Joe Biden war schon 2020 ein Kompromisskandidat, Anschlussfähigkeit an viele Wählerschichten war sein Plus, nicht etwa eine kraftvolle Vision. Zurück zum alten weißen Mann, Trump hatte es ja vorgemacht. Ein Sicherheitskandidat war Trump.

Es hat ausgereicht, dass Trump damals zu Recht nicht mehr erwünscht war, um Biden ins Amt zu bringen. Und nun, vier Jahre später, ist das Feld nicht bestellt. Biden hinterlässt eine Leerstelle, wenn er jetzt den Rat vieler wohlmeinender Freunde annehmen und aus dem Rennen um die Präsidentschaft aussteigen würde. Er hat nicht dafür gesorgt, dass seine Vizepräsidentin Kamala Harris wirkt wie eine natürliche Nachfolgerin, er hat sich voll darauf verlassen, es noch einmal vier Jahre selbst schaffen zu können, dieses herausfordernde Amt auszufüllen, das er innehat.

Sie scheint auch in der Partei nicht sehr beliebt zu sein. Die regionalen Stars der Republikaner, Gouverneur:innen, die der nächsten Generation angehören, wollen unter ihr nicht als Vizepräsdintschaftskandidat:in ins Rennen gehen, falls die Demokraten auf ihrem Nominierungsparteitag, mitten im Rennen, noch das Pferd wechseln wollen.

Ob es uns angesichts des Fotos von Joe Biden zusteht, ihm einen Rat zu geben? Das ist natürlich Unsinn, es hängt nicht von dem Foto ab. Ich würde den Demokraten dringend raten, in diesen Zeiten mit ihrem enormen Rechtsdrall und ihrer Brutalisierung einer ohnehin nicht gerade friedlichen US-Gesellschaft, 1.) Biden so schnell wie möglich abzulösen und 2.) jemanden zu finden, der nicht zu viele abweichende Merkmale in seiner Person aufweist. Eine Frau ja, ein Nichtweißer vielleicht, aber nicht alles zusammen. So leid es mir tut und so beschämend es ist. Nicht nur wegen ihrer mäßigen Performance, sondern wegen ihrer Eigenschaft als Frau und mit ethnisch diversem Hintergrund würde ich 2024 keinesfalls auf Kamala Harris setzen. Vielleicht ist 2028 die Zeit für sie reif, so, wie nach der erzkonservativen und moralisch korrumpierten G. W. Bush-Ära die Zeit für Barack Obama gekommen war. Aber nicht jetzt, nicht bei dem Zustand der Regression, in dem sich die USA befinden.

Ich referiere nicht über Wünsche und Symbole für eine bessere Welt, sondern darüber, nach Onkel Joe Donald Trump zu verhindern, und wie das jetzt noch möglich wäre.

Joe Biden wirkt auf dem Foto auch befremdlich, und nichts hassen die weißen Amerikaner derzeit mehr, als wenn jemand nicht ganz ist wie sie. Er wirkt darauf, auch wegen der unnatürlich gelben Farbe seines Gesichts, die hoffentlich nicht per Bildbearbeitung entstanden ist, wie eine Wachsfigur, wie ein historisches Abbild seiner selbst in den letzten Tagen seiner Macht, oder vielleicht noch eher wie jemand, der für einen epischen Film über das Leben eines Präsidenten durch die Maske älter gemacht wird, die Augen aber verraten, dass das Alter noch nicht erreicht ist, das dadurch suggeriert werden soll. Es wirkt aber nur so, auf anderen Bildern passen auch Bidens müde Augen zum Gesamtbild. Gerade dachte ich: So würde Biden wohl als Karikatur in einer Simpsons-Episode aussehen, in der sein Alter thematisiert wird. Eine furchtbare Vorstellung, so sehr ich diese gelben, sehr menschlich wirkenden Menschenfiguren mag. Gerade die gewisse Abstraktion macht sie so kenntlich als Typen, die wir alle schon einmal getroffen haben. Auf ihre Weise sind sie divers und wieder nicht.

Wurde Donald Trump schon einmal in dieser Serie aufs Korn genommen? Kaum denkbar, dass das noch nie der Fall war. Trump, das ist dieser Typ: Trump bleibt Trump – Republikaner feiern sich in Milwaukee | WEB.DE

Attentat auf ihn hin, Bidens Corona-Erkrankung her, er wütet weiter vor sich hin und bringt damit das hässlichste Amerika zum Vorschein, das man sich denken kann. Auf einer anderen Ebene sind auch wir in einem Alptraum gefangen, wenn Trump es noch einmal schaffen sollte, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Rechtsradikale und autokratiegeneigte Persönlichkeiten überall auf der Welt freuen sich auf ihn, die übrigen nicht. Mit Pech werden wir das endgültige Ende einer halbwegs regelbasierten Ordnung erleben. Und er wird, wie schon 2016 bis 2020, dem Westen geostrategisch weiterhin Schaden zufügen. Nicht, weil er neue Kriege anzettelt, sondern weil er wie ein Immobilienhändler an die hochempfindliche Weltpolitik herangeht. Vielleicht wird es nicht ganz so schlimm, er soll ja viel mehr Profis um sich haben als vor vier Jahren. Aber er ist gefährlich. Und was er sagt, ist kein Gerede, das hat seine erste Präsidentschaft gezeigt. Die zweite wird radikaler werden, befürchten viele Kommentator:innen. Eben, weil er besser vorbereitet ist und eine Partei auf Linie getrimmt hat, die ihm vor acht Jahren noch teilweise widerwillig gefolgt war, weil niemand in Sicht zu sein schien, der es besser macht. Der besser bei den Wähler:innen ankommt. Jetzt ist er umgeben von Fans. Von Fans, die seine Lügen, seine Verbrechen, seine gesamte Persona für großartig halten und damit auch viel über sich selbst verraten. Von Fans im negativen Sinne des Wortes also, von Fanatikern.

Wie kann jemand auf einem Parteitag auf die Idee kommen, sich ein Stück Mullbinde aufs Ohr zu kleben, weil Trump nach dem Attentat auch eines träg? Man mag sich nicht vorstellen, wie das Publikum sich zeigen würde, hätte man ihm das Ohr abgeschossen. Dieses Land ist krank, in weiten Teilen jedenfalls. Und daran haben viele Politiker einen Anteil, aber sie sind natürlich auch ein Spiegel dieser Gesellschaft und deswegen sollten wir vorsichtig damit sein, einem von ihnen zu hypen oder ihm zu vertrauen, nur, weil er nicht Trump heißt.

Joe Biden war nicht der Mann, der das berechtigte Misstrauen heilen konnte. Wenn ich mir das Bild von ihm anschaue, überkommt mich dennoch etwas von der Zärtlichkeit, die man für einen Gescheiterten und für ein Relikt aus einer anderen Zeit empfindet.

Der Abschied von dieser Zeit, das zeigt dieses Bild, ist unausweichlich und wird auch unter einem künftigen demokratischen Präsidenten nicht ausbleiben, sollte jemals wieder ein mittiger Politiker dieses Amt innehaben, nach der weiteren Verwüstung der amerikanischen Mentalität, die Trump anzurichten bzw. zu fördern gedenkt.

Niemand weiß, wie es bei den Demokraten wirklich weitergehen wird. Ich weiß es natürlich auch nicht, wenn die Kommentator:innen in den USA schon so planlos wirken. Aber wie es mit dem Trumpismus weitergehen wird, das ist inzwischen klar. Trump hat einen selbstähnlichen Typ, der aber um die Hälfte jünger ist als er, als Vizepräsidentschaftskandidat ins Kanonenboot des Trumpismus aufgenommen, einen gewissen J. D. Vance, den man für die Leser:innen hierzulande erst einmal einführen musste, und der vom Paulus zum Saulus wurde, Trump betreffend.

Wendungen sind opportun, auch wenn sie opportunistisch sind. Die Charakterfestigkeit ist in den USA sowieso eine Chimäre, die auf einem verfälschten Selbstbild aufbaut. Aber die Vance-Entscheidung ist ein Riesenvorteil für die Rechten. Die Trump-Wähler:innen wissen, wie es weitergehen wird und sie sich darauf einstellen können, dass es in ihrem Sinne weitergehen wird. Joe Biden hingegen hat sein Feld nicht bestellt. Er ist auf diese Weise als derjenige kenntlich geworden, der er auch geopolitisch war: Joe fix it, falls das überhaupt zutrifft, aber nicht Joe, der Mann mit der Zukunftsagenda.

Bis auf eine Ausnahme, aber die wird ihm kaum noch zugutekommen und sie ist außenpolitisch vor allem für uns in Deutschland auch noch kontraproduktiv: Er hat mit dem größten Subventionspaket der Weltgeschichte die Reindustrialisierung der USA versucht einzuleiten. Wenn das funktioniert und der freie Welthandel sich als ein Auslaufmodell erweisen wird, dann ist guter Rat angesichts der erbärmlichen Strategielosigkeit der deutschen Politik, so teuer, dass wir es alle zu spüren bekommen werden.

Nein, Onkel Joe war nicht nur der Greis, den wir jetzt sehen, sondern er hat in der ersten Hälfte seiner Präsidentschaft einiges in die Wege geleitet, was zusätzliche Probleme schafft für viele andere Länder. Er hat die Lage also nicht entschärft, auch wenn die Muster, die er zu erkennen lassen schien, auf viele Menschen vertrauter wirkten als das Gepräge von Donald Trump. Die Trump-Politik zu wenden, das war gar nicht möglich. Die USA sind dabei wirtschaftlich bisher gut gefahren, aber trotzdem sind die Amerikaner unzufrieden.

Auch dies ändert nichts an dem seltsamen Mitleidsgefühl beim Betrachten des Fotos von Joe Biden oben auf der Gangway vor der Air Force One. Es wird nicht ikonisch werden wie Trump, blutverschmiert, die Faust reckend, direkt nach dem Attentat. Es drückt aber viel mehr etwas Menschliches aus, wirkt nicht wie eine Selbstinszenierung, eine Maske ist keine Fratze. Womit ich nicht andeuten möchte, dass ich das Attentat auf Trump für inszeniert halte, das habe ich andernorts schon geschrieben. Es wäre so, wie es ausgeführt wurde, viel zu gefährlich für ihn gewesen. Über das Drumherum wird sicher noch nachgedacht werden.

In den letzten Wochen ist es für Joe Biden ganz dicke gekommen. Erst das missglückte Duell mit Trump im Fernsehen, dann weitere Aussetzer, dann das Attentat auf Trump, das ihn endgültig zum Gottauserwählten macht, für seine Anhänger jedenfalls, dann Bidens Corona-Erkrankung. Drastischer im Sinne eines Films mit einem unglaubwürdig schlechten Drehbuch könnte es derzeit nicht laufen für Onkel Joe. Und deswegen müssen wir ihn verabschieden. Deswegen muss er jetzt den Mut haben, sich selbst zu verabschieden. Seine vier Jahre der Präsidentschaft haben einige negative Entwicklungen scheinbar oder tatsächlich noch einmal gebremst, einige vielleicht sogar befördert, das wird in der Nachbetrachtung genauer zu analysieren sein. Aber jetzt muss Onkel Joe sich selbst und uns alle erlösen. Ja, es ist eine Erlösung, wenn wir wissen, dass wir es mit Trump zu tun kriegen, denn wir kennen ihn. Und wir erwarten von unserer Politik, die ihn ebenfalls kennt, dass sie endlich mit voller Kraft darangeht, Deutschland zu restaurieren und Europa damit stärker zu machen. Trumps Sieg ist ohnehin auch ein Sieg für die Rechten in Europa, umso mehr müssen die übrigen jetzt dagegenhalten und den Menschen mehr entgegenkommen.

Die Ampel zeigt dabei gerade ein ganz besonders schlechtes Bild, sie wird 2025 abgewählt werden. Wir haben uns also auch in Deutschland auf einen Rechtsruck einzustellen. Endgültig. Mit Hetzern, die Trump kaum nachstehen und sich ihn möglicherweise zum Vorbild genommen haben, mindestens rhetorisch. Undenkbar noch zu Angela Merkels Zeiten, auch in der Union. So schnell kann sich alles ändern. In Europa hingegen wurde gerade eine Frau wieder zur Kommissionspräsidentin gewählt, die weitere Fragen aufwirft. Erinnern Sie sich noch, warum sie es ins Amt geschafft hat? Weil sie von den wirklich Mächtigen in Europa für ungefährlich und gut manipulierbar gehalten wurde. Mit ihr wird Europa nicht das solidarische, sozial und gesellschaftlich progressive Gegenprojekt zu den USA oder zu Autokratien in aller Welt werden, so viel kann ich für die nächsten fünf Jahre voraussagen. Mit etwas Pech wird sich die EU sogar weiter erst weiter ausdehnen, dadurch innerlich immer schwächer werden und dem Zerfall entgegensteuern. Und fünf Jahre sind eine lange Zeit, eine vermutlich weitgehend verlorene Zeit. Wieder einmal. Und eine Zeit, in der vieles passieren kann, was wir nicht wollen oder nicht wollen sollten.

Wenn wir uns in fünf Jahren das Bild von Joe Biden anschauen, werden wir ihn nicht idealisieren, ganz sicher nicht. Das Mitleid wird sich gelegt haben, während das Bild von dem unbekannten Mädchen in Gaza immer in unserem Herzen sein wird. Denn es ist überzeitlich und universell. Es drückt nicht einen Moment in der Geschichte aus, in dem gerade etwas falsch läuft, sondern das, was in allen Zeiten und aufgrund der großen menschlichen Fehler schon falsch gelaufen ist. Die Symbolik in beiden Bildern wirkt aber zusammen wie eine Aussage darüber, dass eine Menschheit nicht gedeihen kann, die schon im Kindsein ihre Hoffnung verliert und die vergreist, ohne ihren eigenen Fehlern auf die Spur gekommen zu sein. Leider habe ich das Bild von dem Mädchen bei einer gerade durchgeführten Recherche nicht gefunden, aber das muss auch nicht sein.

Es gibt viele ähnliche Bilder von Kinderleid an verschiedenen Orten, die jeden berühren müssen, der ein  Herz hat, und es gibt nur eine Person namens Joe Biden, die uns hoffentlich nicht nur als alter Mann in Erinnerung bleiben wird, der nicht gemerkt hat, dass es Zeit ist, Goodbye zu sagen. Mitleid schützt in diesem Fall vor wachsender Ungeduld nicht.

TH


Entdecke mehr von DER WAHLBERLINER

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Hinterlasse einen Kommentar