Der Mann, der Sherlock Holmes war (DE 1937) #Filmfest 1128

Filmfest 1128 Cinema

Der Mann, der Sherlock Holmes war ist ein komödiantischer Kriminalfilm und zugleich ein Sherlock-Holmes-Pastiche des österreichischen Regisseurs Karl Hartl aus dem Jahr 1937. Uraufführung war am 15. Juli 1937 in Berlin im Ufa-Palast am Zoo.

Vorgesehen war, die Rezension im Jahr 2014 im Rahmen von „100 Jahre Babelsberg“ zu zeigen, daraus wurde im ersten Wahlberliner (2011 bis 2016) aufgrund der zu niedrigen Taktung von Beiträgen nichts, dafür passt die Rezension jetzt in die neue Jahreschronologie, die wir derzeit für die USA, für Deutschland (bzw. die Länder des DACH-Raums) und Frankreich eingerichtet haben.  Lesen Sie zum Film mehr in der Rezension.

Handlung

Die erfolglosen Detektive Flynn und McPherson verkleiden sich als Sherlock Holmes und Dr. Watson, um endlich mit geldbringenden Fällen beauftragt zu werden. Sie halten den Nachtzug nach Brüssel auf offener Strecke an und werden aufgrund ihrer Aufmachung tatsächlich für den berühmten Detektiv und seinen Partner gehalten. Der vermeintliche Holmes verhört zum Schein die im Zug reisenden Schwestern Mary und Jane Berry. Ihr Onkel hat ihnen ein Vermögen hinterlassen und sie unternehmen die Reise, um das Erbe anzutreten. Bei der Ankunft wird „Sherlock Holmes“, da sein Aufenthalt im Hotel Palace bekannt wird, sogleich die Aufklärung eines Falls übertragen: Die in der Stadt ausgestellten Mauritius-Briefmarken wurden gestohlen und durch Fälschungen ersetzt.

Die Detektive können in einem geheimen Laboratorium des von Mary und Jane geerbten Schlosses nachweisen, dass ihr Onkel der Briefmarkenfälscher war. Die beiden Mädchen sind enttäuscht über das ihnen entgangene Erbe. In einem Leihhaus entdecken die Ermittler die ganze Fälscherbande, geraten dabei aber selbst in Lebensgefahr. Sie verbarrikadieren sich in einem Keller und werden schließlich von der Polizei gerettet.

Der Schwindel fliegt auf und Flynn und McPherson werden vor Gericht gestellt: ihnen wird vorgeworfen, eine falsche Identität vorgetäuscht zu haben. Die beiden verteidigen sich damit, stets auf Anfrage bestritten zu haben, Holmes und Watson zu sein. Arthur Conan Doyle, der schon die ganze Zeit belustigt den Fall mitverfolgte, gibt sich im Gerichtssaal zu erkennen und sagt, dass Holmes und Watson nur Romanfiguren seien, so dass keine wirkliche Annahme einer falschen Identität vorliegen kann. Außerdem haben Flynn und McPherson den ihnen übertragenen Fall gelöst und damit ihren Auftrag erfüllt.

Die echten Briefmarken tauchen wieder auf und das Gerichtsverfahren wird eingestellt. Flynn und McPherson verloben sich mit Mary und Jane Berry. 

Rezension

  • „Der Film, eine köstliche Parodie auf den berühmten Detektiv, ist einer der Höhepunkte der ganzen deutschen Filmkomödie“ (David Stewart Hull: Film in the Third Reich) und der „künsterlisch vollendste, witzigste und kommerziell erfolgreichste von allen Karl-Hartl-Filmen (Focus on Film)“. Zitat aus Christa Bandmann, Joe Hembus: Klassiker des deutschen Tonfilms, 1930-1960.

Bandmann und Hembus, die nicht verdächtig sind, Nazifilme generell hochzuschreiben, finden Albers und Rühmann origineller und witziger als z. B. Jerry Lewis und Dean Martin. Das relativieren wir insofern, als man dieses Einzelstück von 1937 nicht mit den Filmserien gleichsetzen kann, welche die US-Komikerduos in der Regel produzierten. Witziger als die Marx-Brothers-Filme, die besten von Laurel & Hardy und auch von Lewis & Martin ist „Der Mann, der Sherlock Holmes war“, für uns nicht.  Nur eben anders.

Einerseits eine Parodie, andererseits eine temporeiche Komödie, die nicht auf Slapstick setzt, Situationskomik tritt zurück hinter dem Konzept, dass sich hier zwei sympathische Betrüger in einer Welt voller Gauner behaupten und am Ende sogar einen zugegebenermaßen recht kniffeligen Fall um gefälschte und verschwundene echte Briefmarken lösen. Die Logik des Schlussplädoyers von Hans Albers ist ein großes Augenzwinkern, das trifft auch auf die Logik im kriminalistischen Sinn für den gesamten Film zu. Würde es sich hier um eine Tatort-Rezension handeln, wäre manches Detail kritisch zu beleuchten.

Doch der Film will ja nicht ernst und strikt logisch sein. Er ist für damalige Verhältnisse tatsächlich temporeich und es macht Spaß, den beiden Hauptdarstellern zuzuschauen. Hans Albers macht zwar im karierten Tweed-Reisemantel eine gute Figur, wirkt aber alles andere als britisch. Wie ein Rezensent der International Movie Database (IMDb) zu Recht bemerkt, ist der Typ, den er darstellt, wenn nicht deutsch, eher klassisch amerikanisch. Verwegen, optimistisch, den Blick stets nach vorne gerichtet. In manchen Szenen wirkt er sehr sonnengebräunt, was die hellblauen Augen noch mehr wirken lässt, die man hier bewusst in Szene gesetzt hat.

Rühmann hingegen mit seiner etwas verzagteren Art, die gemäß Bandmann/Hembus „die nicht vorhandene Virilität tollkühn usurpierend“, weil er vom „seine eigene kühne Männlichkeit hinreißend persiflierenden“ Kollegen angesteckt wird, ist die Identifikationsfigur. Kann das alles gutgehen?, fragt er sich während des Films hin und wieder. Das werden sich damals auch viele Deutsche gefragt haben, die von einem ruchlosen Regime nach vorne gepeitscht wurden und sich in tollkühne Kriegsabenteuer zu stürzen hatten. Das ist ja auch der Unterschied zwischen tollkühn und mutig – dass Letzteres heißt, die natürliche Angst vor dem Risiko zu besiegen, Ersteres hingegen das Risiko ausblendet.

Insofern wirkt Albers eher tollkühn, Rühmann eher mutig. Am Ende hebt das Gericht den Daumen, weil die beiden zwei große Fälle auf einmal lösen und auch der Schöpfer der Holmes-Figur, Arthur Conan Doyle, ist amüsiert. Sein derbes Lachen ging uns während des Films ein wenig auf den Zeiger, aber wer ältere deutsche Komödien genießen will, kommt nicht darum herum, die manchmal etwas schrille und laute Art der Figuren zu mögen – oder diese zuweile unangenehm aufgesetzt wirkende Art zu agieren wenigstens nicht abstoßend zu finden. Auch in „Der Mann, der Sherlock Holmes war“, wird viel geschrieen, aber es gibt schlimmere Beispiele für die deutsche Art, Humor mit Lautstärke zu verwechseln.

Nachdem so viele Regisseure emigriert waren, die dem Film eine eigene, elegante und etwas weniger deutschhumorige Note hätten verleihen können, nachdem die Meister also in Hollywood ihr Glück versuchten, war der ehemalige Schüler von Alexander Korda, Karl Hartl, sicher erste Wahl für ein solches Projekt. Mit den beiden Hauptdarstellern hatte er schon „Bomben auf Monte Carlo“ realisiert, mit Hans Albers auch den Film „F. P. 1 antwortet nicht“, aus dem das berühmte Lied „Flieger, grüß mir die Sonne“ stammt.

In der IMDb

Wir werfen ja immer gerne einen Blick darauf, wie ein Film bei anderen ankommt – und keine Institution ist dafür besser geeignet, als die amerikanische IMDb (Internet Movie Database) mit ihren Millionen von engagierten Nutzern und Tausenden von Kritikern – auch professionelle Kritiken zu einem Film werden dort gelistet. Solche gibt es für „Der Mann, der Sherlock Holmes war“, nicht, aktuell lediglich zwei Nutzerrezensionen.

Verständlicherweise ist der Film nicht auf einer so breiten Datenbasis dokumentiert wie aktuelle amerikanische Produktionen und die nicht-amerikanischen Nutzer stellen das Gros der bewertenden Personen. Unter Vorbehalt deshalb folgende Aussagen: Der Film wird von US-Amerikanern sogar höher bewertet als von Nicht-Amerikanern, liegt mit 7,2 Punkten vergleichweise hoch in der Gunst des Publikums und – er ist ein Frauenfilm. Die Art, wie Albers und Rühmann hier spielen, kommt offenbar bei Frauen noch heute an, sie werten durchschnittlich höher als Männer. Zwischen den Altersklassen gibt es keine größeren  Unterschiede, auch wenn man erkennen kann, dass Männer der Klasse ab 45 Jahren der vorwärtsstürmenden Philosophie des Films nicht mehr so zugeneigt sind – ganz anders die wenigen Frauen der Altersgruppe. Es ist wie immer im Film: Wünsche stehen der Wirklichkeit gegenüber, Erfahrungen und Projektionen sind nicht immer vereinbar.

Ergänzung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes im neuen Wahlberliner im Jahr 2024

Gegenwärtig steht der Film bei 7/10 in der IMDb und ist für eine deutsche Produktion dieser Zeit mit fast 1.000 Stimmen relativ häufig bewertet worden. Auch die kritische Rezeption ist deutlich angestiegen, auf 9 Nutzerrensionen und 6 professionelle Artikel. Nicht mehr abrufbar ist die demografische Auswertung, die Länderauswertung hat sich etwas gewandelt: Deutschland 7,2/10, USA 7,1/10, weitere ausgewertete Länder von 6,3/10 (Frankreich) bis 6,7/10 (Großbritannien, das in dem Film ja etwas auf die Schippe genommen wird).

Mittlerweile sind wir auch filmhistorisch etwas weiter: Durch die Befassung mit dem Stummfilm der Weimarer Zeit und auch mit den Filmen deutscher Herkunft bis in die 1950er Jahre, auch Hans Albers haben wir mittlerweile häufiger rezensiert. Dazu wird immer wieder etwas kommen, im Rahmen der chronologischen Jahr-für-Jahr-und-dann-von-vorne-Systematik, auf die wir nun eingeschwenkt sind. Es gibt auch Komödien, die sehr viel geschmeidiger wirken, wie zuletzt „Bel Ami“ (1939) von Willy Forst und die Filme mit wienerischem Einschlag generell. Gerade hier veröffentlicht: „Ein Walzer für dich“  aus dem Jahr 1934, „Der Himmel auf Erden“ und „Ungeküsst soll man nicht schlafen gehn“ (1935, 1936). Letztere sind österreichische Produktionen aus der Zeit vor dem „Anschluss“ (1938), aber auch mit deutschen Schauspielern besetzt. „Der Himmel auf Erden“ haben wir um mehrere Punkte höher bewertet als „Der Mann, der Sherlock Holmes war“.

Hans Albers ist in gewisser Weise das Problem, weil sein Spiel, mehr als das von Heinz Rühmann, wenig anpassbar war oder nicht angepasst werden sollte, weil er eben dieses Hansdampf-in-allen-Gassen-Image hatte und auf die Leindwand bringen sollte. einen solchen Typ gab es in dieser extremen Form vermutlich in keinem anderen Land und er hatte damit auch eine wichtige Aufgabe als Helfer beim Bewältigen der jüngsten Traumata im geschüttelten Deutschland jener Jahre. Dass die Bewältigung in die falsche Richtung abdriftete, darf man ihm nicht persönlich anlasten, er galt nicht als Freund der Nazis.

Erst in den 1940er Jahren und unter großen Regisseuren wie Helmut Käutner anfing, mehr Tiefe zu entwickeln. Albers ist ein Unikum gewesen, manchmal mögen wir seine Darstellung sehr gerne, manchmal geht sie uns zu weit. Immer großartig: Die Hits, die er mit seinen Filmen regelmäßig produzierte, hier: „Jawoll, meine Herrn“. In Musik umgesetzt, wirkt die Mentalität sehr dynamisch, auch wenn „von heut‘ an gehört uns die Welt“, gesungen in einem Film aus dem Jahr 1937 wiederum Krämpfe auslösen kann, wenn man politisch mithört. In vielen Filmen hat Albers auch ganz andere, geradezu balladenhafte Lieder gesungen, hier tut er das nicht, dem Lied widmen wir aber einen eigenen Absatz und wechseln damit wieder in den Originaltext aus dem Jahr 2012.

Von heut an gehört uns die Welt

Nur zweimal haben die größten Stars des deutschen Films der 30er bis 50er Jahre zusammen gespielt. In „Bomben auf Monte Carlo“ (1931, Rezension liegt vor und wird in einem der kommenden chronologischen Durchläufe veröffentlicht werden) und „Der Mann, der Sherlock Holmes war“.

Sie waren eben kein Komikerpaar, das auf dauerhafte Zusammenarbeit angelegt war, auch wenn „Sherlock Holmes“ eine Komödie ist. Eine Gauner- und Verwechslungskomödie. Rühmann hat bis zum Ende des zweiten Weltkrieges nur Komödien gespielt, die Rollen, die ihn zu einer Ikone der deutschen Nachkriegsbefindlichkeit machten, kamen erst später. Für den blonden Hans aus Hamburg galt das nicht. Er war seit dem Beginn des Tonfilms universell einsetzbar, seine männliche Ausstrahlung im damaligen deutschen Kinon einzigartig. Optimistisch, vorwärtsstürmend – wer sonst hätte ein Lied wie dieses interpretieren können, das wunderbar in die Zeit und zur offiziellen Ausrichtung der Nation passte:

Wer hinterm Ofen sitzt
und die Zeit wenig nützt
schont zwar seine Kraft
aber wird auch nichts erreichen.

Wer aber nicht viel fragt
und geht los, unverzagt
für den gibt’s kein Fragezeichen
und dergleichen, biss er’s schafft.

Jawoll, meine Herren, so haben wir’s gern
und von heut an gehört uns die Welt.
Jawoll, meine Herren, die Sorgen sind fern
wir tun, was uns gefällt.

Und wer uns stört, ist eh‘ er’s noch begreift
längst von uns schon eingeseift.

Jawohl, meine Herren, darauf könn’sie schwör’n
Jawoll, Jawoll, Jawoll.

Das Lied hätte auch aus einem amerikanischen Anti-Depressionsfilm stammen können und hier wie dort das Ende der mageren Zeiten besingen können. Aber man hört immer etwas heraus, was eben nicht von der Hand zu weisen ist: Die Propaganda. Wer viel fragt, ist nicht gefragt, angesichts der Tatsache, dass das Land von seinen Führern bereits auf einen Krieg vorbereitet wurde, in dem es sehr ums vorwärts stürmen ging und dessen Sinn keiner ernsthaften Nachfrage standhalten konnte. Man kann sogar eine Anleitung für die trickreichen Züge der Nazi-Administration darin lesen, die es schaffte, der Welt bis 1939 weiß zu machen, dass sie lediglich ein paar berechtigte Forderungen als Korrektur ungerechter Ergebnisse der Versailler Verträge zu stellen und durchzusetzen gedenke, dann bliebe der Frieden erhalten, den sich Europa damals so wünschte.

Gedacht war es aber anders. Die antienglischen und antifranzösischen Untertöne in dem Film sind nicht zu überhören. Die britischen Hauptfiguren Morris Flint (Hans Albers) und Macky McPherson (Heinz Rühmann), die sich als Sherlock Holmes und Dr. Watson verkleiden, um unter diesem Label die Weltausstellung in Paris zu besuchen und an wichtige Persönlichkeiten und Aufftraggeber zu gelangen, sind Täuscher und so sind alle Briten im Film angelegt; als Gauner, vor allem als Fälscher – abgesehen von den beiden Schwestern Mary Berry und Jane Berry (Marieluise Claudius, Hansi Knoteck), die sich die beiden Herren am Ende angeln. Die Franzosen hingegen, hier vor allem in Form von Schaffnern und Polizisten anwesend, wirken harmlos und dilletantisch. Interessant, wie dies damit korrespondiert, was wenige Jahre später geschehen sollte, als Frankreich überfallen und binnen weniger Monate vereinnahmt wurde, während die Briten es mit List, Geschick und Courage schafften, sich gegen die Nazi-Übermacht über die Runden zu bringen – bis die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten und die Kräfteverhältnisse sich verschoben.

Doch vor allem ist dieser Film auch ein Prestigeprojekt der Ufa, das heißt, kein plumpes Propagandavehikel, sondern hauptsächlich eines für Hans Albers und Heinz Rühmann. Der Film war ein großer Erfolg und das hatte er gewiss nicht seiner eher subtil angelegten propagandistischen Seite zu verdanken, auch wenn diese dem Filmoberaufseher und Propagandaminister Joseph Goebbels durchaus gefallen haben wird.

Finale

„Der Mann, der Sherlock Holmes war“ ist ein wenig verblasst, verglichen mit unserer eigenen Erinnerung an die Zeit, als wir Filme wie diesen erstmalig sahen, aber er gehört zu den wichtigen und beispielhaften der Jahre von 1933 bis 1945, wird herausgehoben durch sein Tempo und die gut umgesetzte Idee und natürlich dadurch, dass nichts schiefgehen konnte. Wer die Hauptrollen mit Hans Albers und Heinz Rühmann besetzte, hatte schon die halbe Miete in Form von Produktionskosten eingefahren. Man sollte den Film nicht naiv ohne seinen Zeitkontext betrachten, aber man darf sich darüber freuen, dass es ihn gibt und zwei überaus beliebte Schauspieler in originellen Rollen zeigt.

69/100

© 2024, 2012 Der Wahlberliner, Thomas Hocke

Kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Stab
Regie Karl Hartl
Drehbuch R. A. Stemmle,
Karl Hartl
Produktion Alfred Greven
Musik Hans Sommer
Kamera Fritz Arno Wagner
Schnitt Gertrud Hinz
Besetzung

 


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