Filmfest 1127 Cinema
Hans, Heinz und ein hübsches Lied
Ungeküßt soll man nicht schlafen geh’n ist eine österreichische Filmkomödie von E. W. Emo aus dem Jahr 1936. In der Hauptrolle verkörpert Heinz Rühmann den Neffen des Dieners des erfolgreichen Schallplattenproduzenten Fritz Wiesinger.
Mittlerweile kennen wir das Dreigespann Österreich-Moser-Emo. Die typisch wienerische Art, Filmkomödien zu machen, der Grantler Hans Moser, der den Wiener Schmäh auf eine etwas derbe, aber urkomische Art verkörpert, der Regisseur E. W. Emo, Hans Moser-Spezialist. Und Spezialist für Verwechslungskomödien, möchte man hinzufügen, denn um solche handelt es sich in der Regel. Der letzte Film in diesem Sinne, den wir rezensiert haben, war „Der Himmel auf Erden“ aus dem Jahr zuvor.
Oft treten auch die deutschen Schauspieler Heinz Rühmann und Theo Lingen hinzu, sodass schon vor dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich im Jahr 1938 eine rege grenzübergreifende Zusammenarbeit herrschte, an der sich danach wenig änderte – bis auf die Tatsache, dass in der Folge auch aus Österreich einige Künstler emigrieren mussten. Der Grund der Zusammenarbeit erklärt sich schon daraus, dass Österreich nach dem Ende der K. u. K.-Monarchie ein kleines Land war, dessen beachtliche Filmindustrie den größeren deutschen Markt bedienen musste, um wirtschaftlich arbeiten zu können, da empfahl es sich, beliebte deutsche Darsteller in die Wien-Filme zu integrieren. Mehr dazu lesen Sie in der Rezension.
Handlung (1)
Edda Vivian, Sängerin und Filmstar (Liane Haid), hat heimlich ihren Liebhaber, Prinz Alba (Iván Petrovich), geheiratet. In Wien soll bei einer Gala ein Kuss von ihr versteigert werden, eine Charity-Publicity-Aktion, die auf ihrem Ruf als Unberührbare basiert. Ihr Manager, Toni Miller (Theo Lingen) hat keine Ahnung von der heimlichen Liebe der Künstlerin.
Gleichzeitig erreicht der Philologiestudent Franz Angerer (Heinz Rühmann) Wien, wo er zu einer Philologenkonferenz möchte. Er wird von seinem Onkel Ferdinand (Karl Helmer) beherbergt, der als Butler für den Direktor Wiesinger (Hans Moser) arbeitet, welcher Herrscher über die Schallplattenfirma Dolcephon ist und sehr hinter Frau Vivian her, damit sie einen Exklusivvertrag mit ihm abschließt.
Es werden Fräcke vertauscht und Menschen verwechselt: So wird Franz Angerer für den ominösen Prinzen Alba gehalten, den niemand von Angesicht kennt. Angerer jedoch hat nur Augen für Dore Wiesinger (Susi Lanner), die Tochter des Schellack-Fabrikanten. Am Ende wird die Verwechslung aufgeklärt, der wirkliche Prinz Alba zeigt sich mit Edda Vivian. Zuvor hat Franz Angerer durch seine gewitzte Art der Sängerin, obwohl sie anfangs behauptet, ihre Geschäfte nicht selbst zu steuern, die Unterschrift über den von Wiesinger ersehnten Exklusivvertrag abgeluchst. Dieser ist das Entrée des ansonsten mittellosen Studenten in die Familie, sodass es zu einem doppelten Happy-End kommt.
Rezension
Die unterschiedliche, jedoch allweil quirlige Komik der drei genannten Schauspieler funktioniert im Ensemble auch recht gut, wie präsent sie jeweils sind, variiert von Film zu Film. In „Ungeküsst soll man nicht schlafen geh’n“ sind die Spielanteile ausgeglichener als in anderen Filmen – vor allem zugunsten von Theo Lingen, der eine vergleichsweise umfangreiche Sprechrolle als Manager der Künstlerin Edda Vivian hat. Diese wird von Liane Haid verkörpert, der wir einige Extra-Zeilen widmen wollen.
Sie war 1936, beim Entstehen des Films, schon 41 Jahre alt und es war damals, angesichts eines riesigen Nachwuchspotenzials, ungewöhnlich, eine Hauptrolle wie die des Gesangsstars an eine Frau in mittleren Jahren zu vergeben. Aber Liane Haid sieht für die Verhältnisse von damals erheblich jünger aus und außerdem hatte sie eine klassische Gesangsausbildung, was ihr bei der Interpretation des Schlagers zum Film sehr zugutekam – und eine solche Ausbildung hatten, anders als in den USA, in Deutschland nur wenige Filmschauspielerinnen. Dennoch war diese Komödie einer ihrer letzten Filme und es folgte eine lange private Zeit bis zu ihrem Tod im Jahr 2000. Sie wurde 105 Jahre alt.
Unsere Favoritin ist aber Dorrit Wiesinger, verkörpert von Susi Lanner, die zierliche Dunkelhaarige, die neben Heinz Rühmann als Love Interest wenigstens glaubwürdig erscheint. Liane Haid hingegen, die erkennbar größer war als der deutsche Mime und durch ihre hervorgehobene Eleganz auch durchscheinen lässt, dass Menschen, die Fränzchen für einen Prinzen halten, der eine heimliche Affäre mit dieser Person hat, schon ziemlich unbeschlagen und in der großen Welt, in der sie doch verkehren, unerfahren sein müssen, zu sehr, um diese Verwechslung einem interessierten Publikum zu vermitteln.
Diese Rolle von Heinz Rühmann ist auch eine der Schwächen des Films. Rühmann war in jenen Jahren noch ein Stück davon entfernt, als Charakterdarsteller zu gelten, und er wirkt einfach zu wenig aristokratisch, um einen Filmprinzen, der ja auch ein wenig klischeehaft sein muss, auf die Leinwand zu bringen. Er will ja auch nicht blaublütig erscheinen, er stapelt nicht hoch, sondern versucht zu erklären, er sei nicht der Prinz, aber die anderen bleiben erstaunlich hartnäckig. Dieser Fehlbesetzung entspricht, dass die Handlung stellenweise hakt und nur mit viel Mühe können die Dialoge so gestaltet werden, dass die Logik nicht komplett abtaucht. Eine Komödie ist nun einmal keine anarchische Satire, und im Genre muss das Spiel der Verwechslungen funktionieren, damit man ein positives Gefühl zu einem Film hat, der anderen Produktionen dieser Art so ähnlich ist, dass nur die Figuren und vielleicht die Musik eine Erkennbarkeit herstellen.
Vielleicht ein wenig ungerecht, das zu monieren, denn im Grunde müssten wir jetzt mehrere andere Filme noch einmal bewerten, über die wir geschrieben haben, bevor uns das Muster dieser Komödien so klar als eine Art Subgenre erkennbar war. Es ist aber auch nicht so schlimm, dass es ein solches Muster gibt. Vieles funktioniert im Hinblick auf Unterhaltung immer ähnlich. Es gibt Menschen, die dasselbe Buch zehnmal lesen, denselben Film fünfmal anschauen, ohne dass ihnen langweilig wird. Es kommt darauf an, ob es gut gemacht ist.
Die Wien-Filme zeichnen sich nämlich durch die Bank durch eine Leichtigkeit und eine etwas dezentere Spielweise aus als vergleichbare deutsche Produktionen, was man auch gut an Heinz Rühmanns Spiel beobachten kann. Es erscheint weniger laut und weniger aufgeregt oder aufgekratzt als in den Filmen jener Zwischenkriegsepoche, in denen er der uneingeschränkte Mittelpunkt ist. Hans Moser ist nun einmal dort, wo er steht und geht und sitzt, der Mittelpunkt, auch wenn er noch weniger an Körpergröße aufweist als Rühmann. Sein Granteln, Nuscheln und seine Schlagfertigkeit halten nicht nur seine Familie in Atem, man kann sich leicht vorstellen, dass ihm das auch mit einem ganzen Ensemble gelingt.
Leider gibt es auch da wieder einen Wermutstropfen, und der heißt Verständlichkeit. Wenn sich Zuschauer beklagen, dass die heutigen österreichischen Tatorte wegen des Dialekts so schwierig sein sollen, dann könnten sie sich Filme wie „Ungeküsst soll man nicht schlafen geh’n“ gar nicht anschauen. Der Dialekt ist bei Moser wegen der Rücksicht auf die deutschen Zuschauer nicht so stark ausgeformt, aber dieses Zischen und Nuscheln erfordert hohe Aufmerksamkeit, die noch dadurch gesteigert werden muss, dass der Ton der Filme aus jener Zeit oftmals nicht der beste ist, sofern keine restaurierte Version vorliegt. In der gesehenen Kopie war er jedoch in Ordnung, klar und beinahe rauschfrei.
Finale
Flott gefilmt sind diese Komödien beinahe immer; das trifft auch auf „Ungeküsst soll man nicht schlafen geh’n“ zu, der keine Längen hat und seinen Plot gut verfolgt. Die Spielfreude der Darsteller ist eine verlässliche Konstante in jenen Filmen. Man merkt ihnen an, wie faszinierend der Tonfilm damals war und welch ein Privileg es darstellte, in ihm eine führende Rolle einzunehmen. Manch heutigem Schauspieler würde man eine so positive Einstellung wünschen. Ja, die hat auch Hans Moser, aller Grantelei zum Trotz. Und vor allem: Er hat ja recht.
Während Heinz Rühmanns Sätze erkennbar auf die Filmwirklichkeit zugeschnitten sind, improvisiert Moser teilweise, weil es ihm sein Hausregisseur E. W. Emo erlaubte. Dadurch spricht er vieles aus, was wir auch immer schon dachten, aber selten zu sagen wagten, weil wir um die Konsequenzen solcher Worte bezüglich menschlichen Miteinanders fürchteten. Er ist einer jener Schauspieler, der im Grunde komplett nervig ist, aber den Leuten ebenso vollständig aus der Seele spricht und den Alltag zu einem pausenlosen Event mit großer emotionaler Gestaltungskraft macht. Sein französisches Pendant, wenn auch in mehr großbürgerlichen Rollen, nicht nuschelnd, aber ebenfalls sehr schnell im Parlieren, ist übrigens Louis de Funès, aus Deutschland fällt uns auf Anhieb kein vergleichbarer Typ ein.
65/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | E. W. Emo |
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| Drehbuch | Fritz Koselka |
| Produktion | Oskar Glück |
| Musik | Robert Stolz |
| Kamera | Harry Stradling Sr. |
| Schnitt | Elisabeth Neumann (als Lisbeth Neumann) |
| Besetzung | |
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