Filmfest 1131 Cinema
Italien, das ist die Selbstverwirklichung
Unter der Sonne der Toskana (Originaltitel: Under the Tuscan Sun) ist ein US-amerikanisch–italienischer Liebesfilm der Regisseurin Audrey Wells aus dem Jahr 2003. Der Film basiert auf der gleichnamigen Autobiografie von Frances Mayes. Deutschlandpremiere war am 15. April 2004.
Wir kennen die Romanvorlage nicht, den Reise-Selbstfindungsbeststeller von Frances Mayes. Auch die Regie führte mit Audrey Wells eine Frau. Sie war in der Jury des berühmten Sundance-Festivals für unabhängige Filme (2006), hat aber nur zwei Filme inszeniert, „Unter der Sonne der Toscana“ und „Guinevre“ (1999), Stand 2014.
Handlung
Frances Mayes lebt als Schriftstellerin in San Francisco. Auf einer Party erfährt sie, dass ihr Ehemann sie betrogen hat. Sie lässt sich scheiden, was sie depressiv macht und eine Schreibblockade auslöst. Ihre beste Freundin Patti, eine Lesbe, ist schwanger und glaubt zudem, Frances würde sich von den Tiefschlägen nicht mehr erholen. Patti lädt Frances zu einer Reise in die Toskana ein, die sie selbst wegen ihrer Schwangerschaft nicht antreten kann. Zuerst ist Frances skeptisch, doch in ihrem einsamen Appartement findet Frances die Idee gut, alles für eine Weile hinter sich zu lassen.
In der Toskana angekommen liest Frances eine Anzeige über eine leerstehende Villa, Casa Bramasole. Auf einer Busrundreise muss der Bus anhalten, um eine Schafherde passieren zu lassen. Frances bemerkt, dass sie genau vor der Villa aus der Anzeige halten. Für Frances ist das ein Zeichen. Sie steigt aus dem Bus und versucht, die Villa zu kaufen, was ihr auch glückt. Sie stellt einige polnische Emigranten ein, die das Haus renovieren sollen. Mit den italienischen Nachbarn und auch mit den polnischen Arbeitern schließt sie Freundschaften, ebenso mit dem Makler der Villa und mit Katherine, einer exzentrischen blonden Dame.
Später nimmt Frances ihre Freundin Patti auf, die von ihrer Lebensgefährtin verlassen wurde. Eine Romanze mit dem Italiener Marcello scheitert indes, sodass Frances nicht mehr an ein Liebesglück glaubt. Doch bei einer Hochzeit, die sie für ein Pärchen in ihrer Villa ausrichtet, lernt sie einen amerikanischen Schriftsteller kennen. Der Film endet mit der Aussicht auf eine neue glückliche Liebe für Frances.
Rezension
Angesichts einer Autorin und einer Regisseurin – und einer respektablen Hauptdarstellerin in Person von Diane Lane verwundert es nicht, dass dies ein Frauenfilm geworden ist. Gemäß IMDb werten Frauen ihn mit durchschnittlich 7,0 deutlich höher als Männer (6,5 Stand Juni 2014). Unsere Sozialempathie-Referenzgruppe, die Frauen über 45 Jahren, geben sogar 7,3/10.
Anmerkung anlässlich der Wiederveröffentlichung des Textes im neuen Wahlberliner: Etwas kurios, dass wir die Gesamtnote der IMDb nicht erwähnt haben. Sie liegt Ende Juli 2024 bei 6,7/10. Und hier, neu eingefügt, die Zusammenfassung der Wikipedia zu den Kritiken:
Der Film wurde von 62 % der bei Rotten Tomatoes erfassten Kritiker positiv beurteilt. In der Publikumsbewertung wurde eine Zustimmung von 78 % ermittelt.[4] Für den film-dienst war Unter der Sonne der Toskana ein „hölzern inszeniertes Liebesdrama, das mit Postkartenklischees und abgestandenen Lebensweisheiten hausiert. Die skizzenhaft entwickelten Charaktere lassen kein echtes Interesse an der Geschichte aufkommen.“[5] Die Fernsehzeitschrift Prisma nannte den Film „eine Schmalz-Story, in der die Courths-Mahler-Momente überwiegen“, und führte weiter aus: „Kitsch-as-Kitsch-can mit schönen Landschaftsbildern, schönen Menschen und verlogenen Problemen. Da nützt auch die akzeptable Leistung der Hauptdarstellerin wenig.“[6]
Vielleicht hat die Art der Selbstfindung, wie sie in diesem mittlerweile 11 Jahre alten Film zelebriert wird (21 Jahre im Jahr 2024), Frauen mehr zu sagen. Vielleicht mögen Männer die Männer in diesem Film nicht besonders, die so schrecklich klischeehaft oder unverständlich in ihrer Motivation rüberkommen. Die männliche Form von Logik sträubt sich möglicherweise etwas mehr gegen dieses Patchwork von Situationen und Figuren, als die alles umschließende Seele einer Frau tut, die daraus das Wahre an der Suche nach dem Selbst extrahiert und somit glücklich ist. Das ist zumindest eine mögliche Interpretation.
Wenn man den Film ganz aus der Sicht der Protagonistin und somit einer Frau betrachtet, dann stören wohl auch die vielen Italien-und-Italiener-Klischees nicht und man schwelgt in den sehr schönen Farben der hügeligen, freundlichen und (beinahe) immer sonnigen Toskana mit ihren lebensbejahenden Menschen. Da wird auch der Katholizismus gleichermaßen pittoresk und sinnlich (was er im Vergleich zu allen Formen des Protestantismus ganz gewiss ist).
Diane Lane war bereits im Alter von 18 bis 20 Jahren ein Star durch Filme wie „The Outsiders“, „Straßen in Flammen“ und „Cotton Club“. Hier ist sie beinahe zwei Jahrzehnte später glaubwürdig in ihrer Rolle als Frau, die einen Lebensweg hinter sich hat und noch viel vorhat – was sie zunächst selbst nicht realisiert, dann aber immer mehr verinnerlicht. Sie bündelte den Film emotional und die vielen Details, die nicht immer konsistent, manchmal sogar ziemlich beliebig wirken, haben durch die Ausrichtung auf die Protagonistin wenigstens ein Bezugszentrum.
Das gilt allerdings nicht für alle der übertriebenen Italien-Klischees. Die Brunnenszene, die sehr explizit an Fellinis „La dolce vita“ erinnern soll, dreht die kritische Haltung von Fellinis Meisterwerk in eine Art Leb-dein-Leben-Philosophie, die besonders erkennen lässt, wieviel Kitsch in diesem Film steckt. Im Grunde gilt das für die gesamte Figur „Katherine“, die offenbar einer älter gewordenen Anita Ekberg (allerdings in eine Italienerin gewandelt) nachempfunden sein soll. Einerseits ist diese Charakterkreation nett und soll italienische Lebensart und Sinnlichkeit auch jenseits der 50 symbolisieren, aber der Bezug zu Fellini ist sozuagen rückwärts gekehrt – was angesichts der Satire, die Fellinis Film bereits darstellt, sowieso eher möglich ist, als diesen selbst zu persiflieren. Vielmehr ist sie ein besonders während der Brunnenszene eher artifiziell wirkendes Zitat, das den einen oder anderen Fellini-Kenner peinlich berühren dürfte.
Dass am Ende ein robuster, muskelbepackter Amerikaner im italienischen Idyll auftaucht, der gewiss die große Liebe von Frances werden wird, nachdem die Italiener sich wieder als typische Machos und Fremdgeher erwiesen haben, ist unterschwellig nicht nur klischeehaft, sondern typisch amerikanisches Überlegenheitsdenken, wie es in der Bush-Ära, in welcher der Film entstand, stark hervortrat. Dass man in dieser platten Ansprache an die amerikanische Seele nach 9/11 mehr vermuten kann, als das Filmeam vielleicht beabsichtigt hat, ist eine andere Sache.
Gleiches gilt für den Auftritt eines deutschen Paares, das vor Frances die Villa Bramasole kaufen will – in der deutschen Synchronisation sind die Hinweise auf die Herkunft dieser durch amerikanischen Geldüberschuss ausgebooteten Europäer allerdings getilgt, was wiederum die Anspielungen auf die Nazizeit seitens der Noch-Eigentümerin des Hauses, einer alten Gräfin, seltsam wirken lässt. Man hat in der deutschen Version eher den Eindruck, es ginge hier um inneritalienische Verhältnisse und alte Rechnungen aus der Mussolini-Epoche. Beim angezielten Publikum nimmt man diese einzige scharfe Stelle des Films also lieber raus, vielleicht ist der Hintergrund aber ohnehin zu subtil für diesen Film.
Die DVD-Beschreibung weist den Film als romantische Komödie aus – die er aber nicht in erster Linie ist, denn es gibt keine Romanze im Zentrum der Handlung, vielmehr steht der Selbstfindungstrip von Frances im Vordergrund. Die schiefgegangene Beziehung mit einem Italiener hätte eine Romanze werden können, wenn man ihr mehr Gewicht und Tiefe gegeben hätte. Der Film weicht von der Buchvorlage in vielen Details ab, denn dort kauft ein verliebtes Paar die Villa, nicht eine Frau, die gerade von ihrem Mann verlassen wurde.
In den 1950er Jahren war es sehr in, Amerikanerinnen nach Italien zu schicken und sie dort aufblühen zu lassen (Prototyp: „Three Coins in a Fountain“ von 1954, der als einer der schlechtesten für den Oscar „Bester Film“ nominierten Streifen aller Zeiten gilt und heute im Wesentlichen nur noch wegen des schön schmalzigen Titelliedes bekannt ist oder „The Roman Spring of Miss Stone“). Den umgekehrten Fall gab es auch („10.000 Zimmer“) Aber wenigstens durften die Ladies oder Herren noch italienischen Charme für die Erfüllung finden, während man 2003 nur noch auf spießig wirkendes einheimisches Personal vertraute, das demgemäß als Fremdkörper in die Szenerie importiert werden musste. Das ist ein Rückfall gegenüber den 1950ern und ein Aspekt der oben angedeuteten, unterschwelligen Ängste, die insbesondere nach 9/11 die USA beherrschten.
Subtiler als die Italien-Klischees und die damit verbundene Ansicht, dass letztlich nur Amerikaner geeignet sind, dieses Land anständig zu besiedeln, sind an diesem Film gewisse Haltungen. Das trifft zum Beispiel auf das lesbische Paar zu, das mit Frances befreundet ist. Der schwangere Teil dieser Partnerschaft trifft in Italien ein, nachdem er von der anderen Seite verlassen wurde, die offenbar ein Eifersuchtsproblem bezüglich des Babys hat. Was nicht abwegig ist, denn das Kind muss in vitro erzeugt worden sein und ist damit ein Fremdkörper für den Teil der Partnerschaft, der biologisch mit ihm nichts zu tun hat. Das weist auf eines der vielen Argumente hin, die Gegner von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften aufbringen, also Menschen, die meist auch gegen die Anerkennung solcher Partnerschaften im Allgemeinen eingestellt sind. Ein weiteres sehr konservatives Element in diesem Film.
Nicht nur durch solche die Dynamik negativ beeinflussenden Nebenhandlungen wirkt der Film langsam und dramaturgisch sehr flach. In der Hauptsache liegt dies daran, dass es zwar als eine Art sichtbare Zeitschiene die Renovierung des Hauses gibt, diese wird aber nur in oft symbolischen Einzelszenen dargestellt und nicht zur Dramatisierung verwendet. Klar, wenn die Wände einfallen, bedeutet dies, das alte Leben von Frances wird unter den Trümmern begraben, wenn der alte Wasserhahn wie von Geisterhand animiert wieder Wasser spendet, sind die Quellen des neuen Lebens in Freiheit und Selbstbestimmung erreicht. Das ist aber zu wenig, um das Haus selbst als mögliche weitere Hauptfigur zu etablieren.
Das Projekt selbst müsste man als lächerlich bezeichnen, wenn man sich nicht darauf verständigen würde, das Ganze doch mehr oder weniger als Märchen anzusehen. Diese Renovierung läuft hier dank einer männlichen guten Fee, dem Makler, der das Haus an Frances vermittelt hat, so glatt, dass sie nur Wünsche äußern muss und schon stehen die Brigaden aus dem ehemaligen Ostblock bereit und legen Hand an das alte Gemäuer an. Dass dabei manches unprofessionell abläuft, versteht sich von selbst, polnische Arbeiter sind – sic! – keine Amerikaner.
Dass die Menschen in den USA nicht wissen, was wir über die europäischen Verhältnisse wissen, versteht sich auch von selbst. Es ist wirklich so, dass viele Polen sich nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der bipolaren Welt nach Westen aufgemacht haben, um am Bau tätig zu werden, vielfach in Deutschland und in unserer Stadt. Aber die meisten von ihnen sind gute und ausgebildete Handwerker, nicht ehemalige Literaturprofessoren und sonstige Freaks, die es aus nachvollziehbaren, aber nicht hinterlegten Gründen in die Toskana verschlägt.
Finale
Auch über Diane Lanes Darstellungskunst in diesem Film gibt es unterschiedliche Meinungen, aber wir fanden sie gut. Warmherzig, natürlich, sensibel. Das Unglaubwürdige lassen wir im Sinn eines Märchens für sich und sind nicht sauer darüber, dass das Buch, das als Vorlage diente, offenbar auf sehr zeitgeistige Weise und sehr frei adaptiert wurde. Einige amerikanische Kritiker erkennen in dem Film viel von Oprah Winfrey und „Desperate Housewifes“ wieder, und das ist nicht positiv gemeint.
Die Landschaft kommt nicht so zur Geltung, dass sie die Klischees ausgleichen könnte und die Handlung ist episodenhaft und wenig spannend. Die Italiener wirken eher putzig und exaltiert denn als ernst zu nehmende Charaktere, wenn auch durchweg freundlich, weil sie ja in sonnigen Gefilden leben. Im Subtext ist viel spießiger Nationalismus und Konservativismus enthalten – wie er eben auch für Fernseh-Soaps nicht untypisch ist, Klischees hingegen sind für Verfilmungen von Trivialliteratur kennzeichnend.
Noch eine Anmerkung anlässlich der Republikation: Normalerweise hatten wir 2014 keinen Fokus auf zweitrangige Filme, die etwa zehn Jahre alt sind, bis heute gibt es große Lücken bei uns gerade bezüglich wichtiger neuerer Produktionen nicht nur aus den USA. Uns reicht teilweise das, was wir sehen, um sagen zu können: Gemächlich geht auch, wir widmen uns der Filmgeschichte, denn da ist mehr Spannung drin als in aktuellen Produktionen eines offensichtlich nicht im Innovationsschub-Modus befindlichen etwablierten Mediums. In diesem Fall kam der Anstoß für das Anschauen und die Rezension durch eine von einer Bekannten geliehenen DVD zustande, die den Film himmlich fand. Diese Beziehung hat sich nicht erhalten. Man muss für solche Filme geschaffen sein, das trifft auf uns nicht zu. Nicht, weil wir Romantik ablehnen, sondern, weil wir ein anderes Verständnis davon haben.
Wegen Diane Lane noch
58/100.
© 2024, 2014 Der Wahlberliner, Thomas Hocke
(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Audrey Wells |
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| Drehbuch | Audrey Wells |
| Produktion | Audrey Wells, Tom Sternberg |
| Musik | Christophe Beck |
| Kamera | Geoffrey Simpson |
| Schnitt | Arthur Coburn, Andrew Marcus, Todd E. Miller |
| Besetzung | |
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