Collateral (USA 2004) #Filmfest 1132

Filmfest 1132 Cinema

Ein anderes Taxi, ein anderer Fahrer 

Collateral ist ein US-amerikanischer Thriller des Regisseurs Michael Mann aus dem Jahr 2004. Die Hauptrollen verkörpern Tom Cruise und Jamie Foxx. Die Geschichte dreht sich um einen Taxifahrer, der einen Auftragskiller als Fahrgast bekommt.[1]

Nicht lange ist es her, dass wir mit „Heat“ den wohl bekanntesten Film von Regisseur Michael Mann besprochen und ihn als einen großen Wurf gepriesen haben (die Rezension ist noch nicht auf dem Filmfest vorgestellt worden). Damit sind wir freilich nicht alleine. „Collateral“, der neun Jahre später entstand und auf dessen digitale Elemente die Zusammenarbeit von Miramax mit dem damals noch jungen Animationsstudio Dreamworks hinweist, ist anders als „Heat“ und wir gehen darauf näher ein in der – Rezension.

Handlung (1)

Die Hauptfiguren des Films sind Max, ein Taxifahrer in Los Angeles, und Vincent, ein routinierter Auftragsmörder. Vincent arbeitet für ein Drogenkartell, dessen Bosse sich am folgenden Tag vor der Grand Jury eines Gerichts zu verantworten haben. Er soll die vier Haupt- und Kronzeugen und die Staatsanwältin in der Nacht vor dem Prozess beseitigen.

Max fährt bereits seit zwölf Jahren Taxi, redet sich aber ein, dies sei nur ein vorübergehender Zustand, bis er seinen eigenen Limousinen-Service gründen werde. Er ist unsicher und gehemmt. Zu Beginn des Films steigt Annie Farrel am Flughafen zu Max ins Taxi und lässt sich von ihm in die Innenstadt fahren. Während der Fahrt kommen die beiden ins Gespräch und entwickeln Sympathie füreinander. Max findet heraus, dass sie eine Staatsanwältin ist. Beim Abschied gibt Annie Max ihre Visitenkarte.

Kurz darauf steigt Vincent zu Max ins Taxi. Vincent bietet einen größeren Geldbetrag, um sein Taxi und ihn für die Nacht anzumieten. Max willigt zögernd ein, ohne zu ahnen, dass er damit in die Mordserie von Vincent verwickelt werden wird. Bereits am ersten Fahrtziel der Route fällt die Leiche des ersten zu beseitigenden Zeugen aus dem Fenster direkt auf das Dach des Taxis, so dass Vincent seine Machenschaften nicht mehr weiter vor Max geheim halten kann. Max will nichts mit den Morden zu tun haben und bietet Vincent sein Taxi an. Dieser aber zwingt Max, weiter für ihn zu fahren, und so wird die „Reise“ gemeinsam fortgesetzt. Während der Fahrten zwischen den Morden kommt es zwischen den beiden unterschiedlichen Männern zu Gesprächen über ihre Vergangenheit, ihre Träume, über Moral und den Sinn ihres Lebens. Beide kommen zu der Erkenntnis, dass sie sich mit einer Lebenslüge selbst betrügen.

Max sucht unablässig nach Möglichkeiten, aus der Situation zu fliehen und die Auftragsmorde zu verhindern, wird aber von Vincent stets daran gehindert. Als Max Passanten um Hilfe bittet, während Vincent ihn zwischenzeitlich gefesselt im Auto zurückgelassen hat, entpuppen sich diese ihrerseits als Räuber. Sie entwenden Vincents Koffer, werden aber von dem Killer gestellt und erschossen. Die Polizei und das FBI vermuten inzwischen Max als Drahtzieher hinter den von Vincent begangenen Morden, da das Taxi bei allen Taten die einzige Spur ist. Lediglich der Polizist Fanning glaubt an einen anderen Täter, wird aber nach einer Schießerei in einem Nachtclub von Vincent getötet, als er Max gerade in Sicherheit bringen will.

Rezension

Während „Heat“ ein sehr fülliger Film ist, der aus mehreren Perspektiven erzählt wird, dessen auktorialer Stil durch eine besondere Visualität verstärkt wird, die dem Zuschauer immer Informationen gibt, über welche die im aktuellen Kader befindlichen Figuren nicht verfügen, ist „Collateral“ geradezu ein Kammerspiel: Der Killer und der Taxifahrer. Mit einem sehr logischen, nicht unbedingt hochgradig originellen, aber gut funktionierenden Twist am Ende, der aus dem unsicheren Afroamerikaner im roten Taxi, der sich nicht traut, sich selbstständig zu machen, beinahe einen Helden herausquetscht oder tatsächlich einen Helden macht, einen von jenen, die über sich hinauswachsen, anstatt von Beginn ans, ei im heutigen Blockbuster-Kino üblich, mit Superkräften ausgestattet zu sein.

Dieser klassische Thriller ist vor allem von beiden Hauptdarstellern erstklassig gespielt. Tom Cruise als Killer wirkt authentischer, als man angesichts seiner üblicherweise positiven Figuren meinen sollte, und Jamie Foxx‘ Wandlung von Zero to Hero ist der Kernpunkt eines Films, der eine klassische amerikanische Geschichte auf eine moderne und sehr spannende Art erzählt. Was ich besonders interessant und beinahe seltsam fand: Es ist eine Art Wohlfühlfilm, besonders zu Beginn, und selbst dann noch, als er brutaler wird, im Stil der Zeit sozusagen. Er geht dabei nicht den zynischen Weg, den das US-Kino vor allem nach 9/11 einschlug und auch seine klare, plastisch und detalliert wirkende Optik ist eher Michael Manns Individualstil und 2004 nicht mehr progressiv, sondern geradezu auf einem gewissen Realismus beharrend, der sich irgendwo im Nirgendwo der abhanden gekommenen Werte zu verlieren begann und nie zurückkehrte. Wenn man so will, ist der Taxifahrer auch ein Hitchcock-Held, der per Zufall in eine schlimme Situation gerät und darin nur die Chance hat, unterzugehen oder über sich hinauszuwachsen, sich zu bewähren und am Ende, nun ja, die Frau seines Herzens zu retten. Auch wenn die Typen ganz verschieden sind, die man sieht, hat mich das ein wenig an „Der unsichtbare Dritte“ erinnert, an dessen Fancyness freilich kein Film der letzten 50 Jahre herankommt.

Aufgrund des Titels hatte ich etwas wie einen Kriegsfilm erwartet, denn das Wort „Kollateralschaden“ für Zivilisten, die bei angeblich messerscharf auf militärische Ziele konzentrierten, modernen Angriff unbeabsichtigt mitgetötet werden, wurden in der Sprache des Golfkriegs als „Collateral Damage“ bezeichnet, für mich verbindet sich das wiederum mit dem „Embedded Journalism“ jener Tage, in dem die Kriegspartei auch die Meinung vom sauberen Krieg gleich mitfabrizierte, die Journalisten in die Welt sendeten. Aber schon im Irakkrieg von 2003 erwies sich nicht nur die saubere Begründung als auch die saubere Kriegsführung als Chimäre, daher wäre 2004 ein guter Zeitpunkt gewesen, das filmisch zu thematisieren. In Michael Manns Roadmovie-Thriller ist der Begriff durchaus im beschriebenen Sinne zu verstehen

Der englische Titel Collateral ist eine Kurzform des militärfachlichen Begriffs collateral damage (Kollateralschaden) im Sinne der verschiedenen Menschen, die im Laufe des Abends zusätzlich zu Vincents geplanten Opfern sterben. In der ursprünglichen Version des Drehbuchs sagt Vincent zu Max, nachdem er die beiden Taschenräuber erschossen hat: “Another collateral.“[2]

Die deutschen Kritiken geben das, was man sieht, recht gut wieder. Auch ein straightes Kammerspiel mit nur zwei wesentlichen Personen, das nicht einmal der Figur des Polizisten bedurft hätte, der den Jäger gibt, kann wendungsreich sein.

„Spannender, dicht inszenierter und intensiv gespielter Thriller, der die Konfrontation zweier ungleicher Männer, die miteinander in Zwangsabhängigkeit verbunden sind, mit Fragen nach dem Sinn des Daseins und der Möglichkeit eines intensiveren Lebens jenseits normaler Angestelltenexistenz verknüpft. Virtuos spielt der Film mit dem Licht und kreiert präzise, zugleich lyrische Bilder, die vieles nur andeuten und doch oft mehr zeigen, als man sieht.“ – Lexikon des internationalen Films[13]

„Auch wenn sich die ein oder andere Länge eingeschlichen hat, bleibt das Ganze vor allem dank des diabolischen Auftretens von Tom Cruise als Profikiller bis zum Schluss ungemein spannend.“ – Prisma Online

„Kaum glaubt man zu ahnen, wie es weitergeht, verblüfft Regisseur Michael Mann mit einer cleveren Plotwendung. Im Fünf-Minuten-Takt treibt er auf diese Weise die Spannung nach oben. Für Leute mit hohen Blutdruckwerten könnte das Gesundheitsrisiken bergen, für alle anderen ist es Kinogenuss in seiner reinsten Form. Fazit: Faszinierendes Katz-und-Maus-Spiel, das seine Spannung mit immer neuen Wendungen steigert.“ – Cinema[14]

„Collateral ist optisch grandios, atmosphärisch unheimlich dicht und dazu hervorragend gespielt. Intelligentes Mainstreamkino mit Tiefgang.“ – Filmstarts[15]

An die vielen Wendungen von „Heat“, die dennoch stimmig wirken und sogar den einen oder anderen berührenden Moment hervorbringen (ikonisch für mich die präzise und emotionale Szene, als eine Gangsterbraut ihren Mann mit einem kleinen Handzeichen vor der Polizei warnt, die auf ihn lauert), kann „Collateral“ nicht heranreichen, dafür ist er auch zu kurz. Mann folgte, wohl auch bedingt durch den einen oder anderen Flop, nicht dem Stern der permanenten Steigerung, sondern schob auch mal einen Film wie eben „Collateral“ ein, von dem er ziemlich sicher sein konnte, dass er zum Erfolg würde. Sehr riskant ist „Collateral“ also nicht, außer natürlich für Taxifahrer Max und seinen Freundfeind Vincent und dessen Opfer.

Tom Cruise absolvierte zur Vorbereitung des Films ein umfangreiches Waffen- und Nahkampftraining mit dem Ex-SAS-Soldaten Mick Gould, um das Spezialeinheit-Training, das sein Filmcharakter besitzt, widerzuspiegeln. Cruise trainierte mit scharfer Munition auf der Schießanlage des LA Sheriff’s Department. Sein Kollege Mark Ruffalo und der Regisseur Michael Mann wurden ebenfalls von Gould zwecks Authentizitätsgefühl in Bezug auf Waffen unterwiesen.

Tom Cruise wurde mit Filmen groß, in denen Waffen eine Rolle spielten, aber der Authentizitätswirkung von „Collateral“ kam das Training sicherlich zugute. Auch wenn die Schießereien, in denen ein Mann alle anderen erledigt, die man ebenfalls als Profis bezeichnen kann, ohne selbst etwas abzukriegen, der Höhepunkt dieser Art ist hier die Clubszene kurz vor dem Finale, die den Taxifahrer letztlich auch zum Helden wendet, zu den unrealistischsten Momenten aller amerikanischen „Gewaltfilme“ zählen, also fast aller amerikanischen Filme, wirkt das hier sehr gut gemacht und man hat nicht das Gefühl, wie in einigen Actionfilmen der 1990er, als Zuschauer ziemlich hopp genommen zu werden, weil der Mangel an Realismus den Spaß am Krachbumm irgendwann übersteigt. Hier wird die Grenze zu einer klassischen Story von Jäger und Gejagten, von Menschen, die sind wie wir und solchen, wie die wir nicht sein möchten und vielleicht doch sein möchten, ziemlich gut eingehalten. Max ist ein Everybody, wie die meisten von uns, der Mann mit dem bezeichnenden Namen Vincent ein außerordentlicher Einzelgänger, der letztlich aber auf der Strecke bleibt, weil er kein Herz (mehr) hat. Die beiden Hauptfiguren bekommen dafür so etwas wie eine soziale Hinterlegung, die auf ähnliche Biografien hinweist. Während den einen das Aufwachsen in prekären Verhältnissen zum Killer macht, wird der anderen zu einem Mann, der sich nicht traut.

Finale

Wenn am Ende das gute Herz, das mutig wird, nicht über den Bösewicht gewinnen würde, wäre es kein amerikanischer Klassiker, und das ist „Collateral“ als Thriller sicherlich, ein moderner Klassiker, in dem so gut wie nichts falsch gemacht wird, was dem Genre seine Faszination verleiht. Inklusive dem Twist am Ende, den wir aus der Wikipedia-Handlungsangabe nicht übernommen haben, damit Sie selbst vielleicht schon etwas vor Max und auch vor mir, als ich den Film angeschaut habe, darauf kommen dürfen, warum es am Anfang, vor Vincent, einen anderen Fahrgast gibt. Manchmal ist das ja auch nur inszeniert, um eine Figur einzuführen, hier aber nicht. Hier schließt sich ein Kreis und so schwer ist es gar nicht, auf den Twist zu kommen. Ich glaube, bei mir fiel der Groschen etwa bei Mord Nummer vier, aber ich war auch sehr beschäftigt mit dem rasanten Geschehen und dem Nervenkitzel, den der Film auf eine Weise verursacht, die, siehe oben, etwas Reueloses und wie „es gibt nichts Falsches im Richtigen“, also bei einem Typen wie Max, verursacht.

Nur, weil Max ist, wie er ist, aber man sich doch mit ihm identifizieren kann, klappt es auch mit dem Plot: Es ist nachvollziehbar, dass er sich anfangs von Vincent überrumpeln und ausnutzen lässt, auch, als er schon weiß, dass das niemals gut enden kann, auch für ihn selbst nicht, und erst mutiger wird, als es absolut nicht mehr anders geht und in dem Moment etwas von der Mentalität von Vincent übernimmt, den er ja auch an einer Stelle mimen muss. Plötzlich bemerkt er, wieviel Bluff in all dem Gehabe steckt und enttarnt auch den coolen Killer als letztlich sehr begrenzten und einsamen Menschen, für den es nach sechs Jahren im Job (aufgepasst: genau die Hälfte der Zeit, die Max schon als Taxifahrer verbracht und nach Vincents Meinung vertrödelt hat) Zeit ist, zu gehen. Vincent stirbt so, wie er es vorher von einem Niemand erzählt hat: Er sitzt unbeachtet in der U-Bahn. Sehr philosophisch und schön, weil sozusagen der letzte Twist: Zwar erliegt er den Verletzungen eines Schusswechsels, aber er „vergeht“ auch, wie es auf amerikanisch heißt, „he passes away“ und hinterlässt das Gefühl, dass wir an das Leben noch einige Fragen zu stellen haben.

TH

83/100

© 2024  Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2022)

[1] Collateral – Wikipedia

[2]  Drehbuch von Collateral auf IMSDb

Regie Michael Mann
Drehbuch Stuart Beattie
Produktion Michael Mann,
Julie Richardson
Musik James Newton Howard
Kamera Dion Beebe,
Paul Cameron
Schnitt Jim Miller,
Paul Rubell
Besetzung

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