Crimetime 1233 – Titelfoto © SWR
Aus dem stillen See steigen die Seelenqualen empor
Stiller Tod ist ein Fernsehfilm aus der Kriminalreihe Tatort. Der Film mit Eva Mattes als Kriminalhauptkommissarin Klara Blum wurde vom SWR produziert und am 26. Januar 2003 erstmals in Deutschland ausgestrahlt. Diese 523. Folge der Tatort-Reihe ist der dritte Fall von Klara Blum, die in einem Mordfall ermittelt, bei dem der Schuldige augenscheinlich festzustehen scheint. Bei näherer Recherche rückt der Staatsanwalt immer mehr ins Visier, der eine Beziehungstat seiner Jugendliebe zu vertuschen versucht.
Ein alter Kollege taucht auf und fragt Klara Blum, wie’s ihr denn geht. Das kann man nur verstehen, wenn man den ersten Bodensee-Tatort „Schlaraffenland“ gesehen hat, in dem ihr Mann und ebenfalls damaliger Kollege während eines Dienst-Einsatzes getötet wird. Seitdem ist sie die stille, tief in menschliches Leid und menschliche Verstrickungen blickende Ermittlerin, der man eine stark ausgeprägte Fähigkeit zur Einfühlung abnimmt, diese wird manchmal als Hellseherei missverstanden.
Die Figur und der Handlungsort passen sehr gut zusammen, obwohl auch in der Großstadt Frankfurt bis vor vier Jahren mit Charlotte Sänger eine Ermittlerin mit der ganz großen Antenne fürs Zwischenmenschliche unterwegs war. Die Figur Klara Blum ist aber mehr dem Realismus verpflichtet.
Mehrfach hatten wir in Bodensee-Tatort-Rezensionen erwähnt, wie gut der Ort sich eignet, um intensive Beziehungsdramen zu inszenieren und „Stiller Tod“ bestätigt dies aufs Beste. Man muss diese sehr auf persönliche Relationen abstellende, wenig actiongeladene und eher langsam gefilmte Spielweise mögen, aber wenn man das tut, dann kann man die großen Vorzüge von Tatorten wie der Nummer 523 genießen.
Handlung
Eine Leiche liegt auf einem Boot, ein Verdächtiger rennt mit der Tatwaffe in den Händen weg, und am Tatort gibt es Hinweise auf einen Raub: Klara Blums neuer Fall scheint von Anfang an aufgeklärt. Ohne zu zögern unterschreibt der Staatsanwalt den Haftbefehl. Mit einem Geständnis des Verdächtigen wäre der Fall komplett. Doch Daniel Seefried leugnet den Mord an dem reichen Industriellen Wolfgang Reichert. Er wirkt benommen und glaubt, betäubt worden zu sein. Er wisse selbst nicht, wie er auf das Schiff und das Messer in seine Hand gekommen sei. Schwer zu glauben und noch schwerer nachzuweisen. Klara steht Seefried misstrauisch gegenüber.
Aber sie ist auch irritiert. Denn in Seefrieds Telefonspeicher findet sich ausgerechnet die Nummer von Rita Fürmann, der Ehefrau des Staatsanwalts. Fürmann ordnet einen Lokaltermin auf dem Schiff an, bei dem Seefried die Flucht gelingt. Absicht oder Leichtsinn des Staatsanwalts? Seefried jedenfalls ist verschwunden.
Als Klara erfährt, dass Fürmann seine Frau beobachten ließ und von ihrer Affäre mit Seefried wusste, erwachsen ihr Zweifel an seiner Integrität. Ist der Staatsanwalt wirklich objektiv dem Verdächtigen gegenüber? Rita Fürmann ist überzeugt davon, dass ihr Mann nichts von der Affäre weiß und bittet Klara, ihm nichts davon zu sagen. Sie fürchtet um das seelische Gleichgewicht ihres Mannes. Fürmanns Entscheidungen und seine Passivität bei den Verhören erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Rezension
Bei der Handlung gibt es einige Kleinigkeiten zu bemängeln, die wir nicht gesondert erwähnen, weil sie unsere Meinung nicht beeinträchtigen. Abzüge allerdings für zwei Tatbestände: Zum einen kommt Blum nur mit Hilfe von außen weiter, weil sie feststeckt mit „Antworten, zu denen die richtigen Fragen nicht gestellt wurden“, so äußert sie sich gegenüber ihrem Co-Ermittler „Ischi“ mehrfach. Ein Expolizist, der als Privatdetektiv arbeitet und ihr erhellende Fotos zeigt, bringt erst wieder Schwung in die Ermittlungen. Ein Fauxpas: Die Täter stehen auf der Brücke und reden über die Tat, darunter sitzen Blum und Ischi im Boot. Letztere Szene regt in einem ansonsten sehr ernsten Tatort zum Schmunzeln an, und das war so sicher nicht gewollt. Beide Momente verraten uns, dass die Drehbuchautoren Probleme hatten, den Plot im Griff zu behalten und ihn in den vorgesehenen 90 Minuten zu Ende zu bringen.
Dafür ziehen wir also etwas von den zehn möglichen Punkten ab, berücksichtigen aber, dass diese zwei kriminalplotmäßig eher schwachen Handlungs-Vorantreiber mehr Raum für die Darstellung der Figuren ermöglicht haben. Wo das Ermittlungstechnische schweigt, kann das Persönliche in den Vordergrund treten. Blöd, wenn das trotzdem nicht passiert, aber hier hat man die Chance genutzt, einen dichten und vor allem gegen Ende berührenden Film zu drehen, den wir für einen der besten Blum-Krimis halten (gemessen an bisher gesehenen und rezensierten Tatorten aus Konstanz und mit Ausnahme von „Herz aus Eis“, der für uns einer der stärksten Tatorte überhaupt ist). Wenn man ein wenig kategorisieren will, kann man festhalten, dass die beiden Drehbuchautorinnen das Emotionale stellenweise über die Konstruktion des Krimis gestellt haben.
Immer wieder haben wir während des Anschauens genau überprüft, ob wir das Handeln der Figuren für denkbar halten, was bei einem Film, in dem die Art, wie sich Menschen verhalten, besonders wichtig ist, auf der Hand liegt. Obwohl die Motive letztlich weit in der Vergangenheit liegen und es ein wenig sonderbar wirkt, wie sehr sie ein immerhin mörderisches Handeln in der Gegenwart bestimmen, finden wir die Charaktere gelungen. Vielleicht auch deswegen, weil sich herausstellt, dass es eine Figur gibt, die andere emotional auszunutzen und für ihre Ziele zu missbrauchen pflegt.
Sehr ernsthafte Typen, die mit wirklichen Vorsätzen Jura studieren und nicht, weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist oder aus Familientradition, die gibt es und ein paar davon haben wir kennenlernen dürfen – auch wenn der Staatsanwalt Führmann schon ein besonderer Typ ist, der während des Studiums sicher nicht zur Partyfraktion gehörte, sondern der letzte war, der die Bibliothek verließ und schon im ersten Semester alle wichtigen, besonders die strafrechtlichen Kommentare für die private Sammlung von Rechtsliteratur erworben hat. Man muss sich ein wenig anstrengen, um sich vorzustellen, wie so jemand als junger Mann gehandelt hat, aber Schwermütigkeit, Intelligenz und die Fähigkeit, absolut zu lieben gehen gut zusammen. Wenn man so will, ist die Figur, die über die Qualität dieses Tatortes mindestens so sehr entscheidet wie die der Ermittlerin Blum, gut gestrickt.
Bezüglich der Gestaltung der Figur seiner Frau merkt man, Pardon, dass Frauen das Drehbuch verfasst haben. Ihr Fremdgehen mit dem anfänglich Tatverdächtigen wird gerechtfertigt daraus, dass ihr Mann so ein ernstes Wesen hat und sie mal Spaß und Bewunderung wollte. Dabei hat sie ihn ja ins Leben zurückgeliebt, wie an einer Stelle schön gesagt wird, und sie liebt ihn wirklich, das kommt überzeugend rüber. Also muss sie grundsätzlich auch opferbereit sein, für diese Liebe, und ob eine Frau, die so veranlagt ist, sich immer wieder durch Fremdgehen Luft verschafft – okay, die Verfasserinnen des Skripts haben das sicher genau der Realität abgeschaut. Dass sie mit dem Lover innerlich bricht, als er ihr Kind entführt, ist ebenso nachvollziehbar wie die andere Seite einer emotionalen Großzügigkeit sich und anderen gegenüber – nämlich, dass sie das Handeln ihres Mannes versteht und ihm wohl auch in den kommenden, schweren Zeiten erhalten bleiben wird, in denen er zum Beispiel wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden könnte.
Wie die emotionalen Zustände nur mit Blicken, Gesten und Handlungen inszeniert werden ist, wie überhaupt die Schlusssequenz, die ohne Dialoge auskommt, sehr stark.
Überhaupt ist „Stiller Tod“ besser gefilmt als viele spätere Blum-Tatorte, zumindest, wenn man eine variable Bildsprache schätzt. Da sind die schnellen Schnitte, die technische Informationen für den Zuschauer auf ein Mindestmaß an benötigter Spielzeit verkürzen, da sind die sehr genauen Blicke von Blum auf die handelnden Personen, die präzisen Dialoge und am Ende eben diese musikalisch gut untermalte „Stummfilmsequenz“, die viel dazu beiträgt, dass dieser Film uns sehr berühren konnte. Alles in diesen Minuten wirkt absolut stimmig, perfekt getimt, großartig gespielt.
Die übrigen Figuren müssen hinter dem Staatsanwalt und seiner Frau und der Ermittlerin ein wenig zurückstehen und fraglich ist, ob man diesen Vorgang mit dem Kind, das „Ischis“ Frau erwartet, unbedingt reinbringen musste. Immerhin wird so aber ein Zwiegespräch zwischen dem suizidbereiten Staatsanwalt und Klara Blum auf dem Dach des Dienstgebäudes möglich, eine Szene, die wir für einen der schwächeren Teil des Films halten. Da hat Sylvester Groth, der den Führmann sehr gut darstellt, für einen Moment Mühe gehabt, glaubwürdig rüberzukommen und auch Eva Mattes musste ein wenig nach der richtigen Tonlage für ihre etwas schablonenhaft wirkenden Sätze suchen. Ganz ausgeschlossen ist ein solches Verhalten nicht, da doch zuvor erwähnt wird, dass der Mann schon einmal in jungen Jahren, wegen des Endes seiner damaligen Liebesbeziehung, in den Freitod gehen wollte. Diese Beziehung ist der Schlüssel für die Motive und damit die richtige Frage zu vorliegenden Antworten und durch sie wird ein Puzzle zu einem gelungenen Gesamtbild.
Der Mann der Justiz würde aber damit seine Familie alleine lassen, die er sehr liebt, das hat uns dann doch verwundert. Dass er hingegen, als die Ex-Freundin auftaucht und ihren Mann beseitigen will, darauf eingeht, mit ihr zusammenzuwirken und dabei gleich noch den aktuellen Liebhaber seiner Frau für längere Zeit hinter Gitter zu bringen, ist intelligent und gar nicht so abwegig, denn wer, wenn nicht ein bezüglich Straftatbeständen und verschiedensten Methoden, jemanden um die Ecke zu bringen, kundiger Mann kann dies so gestalten, dass es glaubwürdig ist?
Finale
Blum arbeitet hier noch nicht mit Perlmann zusammen, der wird erst zwei Bodensee-Tatorte später eingeführt (in „Bitteres Brot“, Rezension beim Wahlberliner). Uns fehlt leider noch der zwischen „Stiller Tod“ und „Bitteres Brot“ gedrehte „Der Schächter“, vielleicht erschließt sich der Übergang von Bülent Isi zu Kai Perlmann aus diesem Film.
Immerhin sorgt die Schwangerschaft von Isis Frau für ein wenig Auflockerung im melancholischen Stimmungsbild dieses intensiven Films, der uns mehr gefesselt hat als manch actionlastiger, aber von holzschnittartigen und absurden Charakteren bevölkerter Tatort aus 2013. Für uns ist „Stiller Tod“ ein besonders gelungener Beleg für die These, dass das stille Wasser mit einem Umland, in dem man einander kennt und in dem es daher möglich ist, in einer Großstadt eher unwahrscheinliche Beziehungsgeflechte zu entwickeln, denen niemand so recht ausweichen kann, sich hervorragend für den tiefen Blick ins Menschliche eignet. Die Kommissarin Blum ist als Charakter dazu geschaffen, diese Konstellationen in sich aufzunehmen, ihre Wirkungsmechanismen zu durchschauen und hinter die Fassaden zu blicken. Das alles hat in „Stiller Tod“ insgesamt gut funktioniert. Trotz einiger kleinerer Schwächen
8,5/10.
© 2024, 2016, 2015, 2013 Der Wahlberliner. Thomas Hocke
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Richard Huber |
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| Drehbuch | |
| Produktion | Ulrich Herrmann |
| Musik | Martin Todsharow |
| Kamera | Jürgen Carle |
| Schnitt | Roswitha Gnädig |
| Premiere | 26. Jan. 2003 auf Das Erste |
| Besetzung | |
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