Wie entwickelt sich die deutsche Wirtschaft? (Statista + Kommentar: Es wird nicht verstanden) | Briefing 602 | #Wirtschaft #Economy #PPP #Politik #Personen #Parteien #Prognose2024

Briefing 602 Wirtschaft, Ökonomie, PPP, Wirtschaftsentwicklung in Deutschland, strategische Wirtschaftspolitik Fehlanzeige, die verlorenen Merkel-Jahre, der lange Abstieg, der aktuelle Fail

Wir hatten jüngst die Nachwirkungen der Ära Merkel in einer kleinen Beitragsreihe besprochen – im Grunde zählt auch die heutige Darstellung dazu. Die gravierenden Schwächen der deutschen Wirtschaft, die jetzt in vollem Umfang sichtbar werden, sind das Werk ihrer 16-jährigen Regierungszeit.

Begonnen hatte der Abstieg viel früher, schon in den 1970ern. Wenn man genauer hinschaut, war auch das „Wirtschaftswunder“ im Wesentlichen gegründet auf alten Technologien, verbunden mit anfangs niedrigen Löhnen und einer unbestreitbar hohen Produktqualität. Beide Faktoren drehten sich im Laufe der Jahre ins Gegenteil.

Doch Angela Merkel hatte 16 Jahre Zeit, Korrekturen vorzunehmen, hatte viele ruhige Jahre ohne besondere Herausforderungen und die wenigen Krisenmomente, die es gab, wären eine Chance gewesen, es besser zu machen als bisher. Vor allem auf die Bankenkrise 2008-2009 trifft das zu. Was wir danach gesehen haben, war eine Scheinblüte, die auf für Deutschland zu niedrigen Zinsen fußte, konservative Wirtschaftszweige gehoben und die Innovation gebremst hat. Allerdings hat die gegenwärtige Ampelkoalition bereits eigene Anteil am Desaster, deswegen bekommt der Beitrag auch eine neue Briefing-Nummer und wir gliedern in nicht in unsere Darstellung der verlorenen Jahre ein.

Hier die Grafik, wir setzen den Kommentar unterhalb des Statista-Begleittextes fort.

Infografik: Wie entwickelt sich die deutsche Wirtschaft? | Statista

Die Prognosen der Wirtschaftsinstitute und Institutionen zum Wachstum der deutschen Wirtschaft zeichnen ein Bild, bei dem diese 2024 allenfalls mit einem leichten Wachstum rechnen kann. Die Prognosen reichen derzeit von -0,2 Prozent bis +0,4 Prozent. Zuletzt hat der IWF seine Einschätzung erneuert, dass Deutschland als Exportnation stärker unter dem insgesamt schwachen Welthandel leide als andere Länder. Zudem habe die Industrie mit den hohen Energiepreisen zu kämpfen. Beide Faktoren sorgen der IWF-Prognose zufolge für ein schwaches Wachstum der Wirtschaftsleistung von 0,2 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Jahr. Hinweise auf positive Auswirkungen durch das geplante Paket der Ampelregierung zur Stärkung des Standorts Deutschland sind in dem neuen IWF-Weltwirtschaftsausblick nicht zu finden.

Das ifo Institut hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr in seiner Juni-Prognose auf 0,4 Prozent heraufgesetzt, von 0,2 Prozent bislang. „Es entsteht gerade neue Hoffnung“, sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. „Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich langsam aus der Krise. Das zweite Halbjahr 2024 dürfte deutlich besser ausfallen als das erste.“ Gleichzeitig wird die Inflation abflauen, von 5,9 Prozent im vergangenen Jahr auf 2,2 Prozent in diesem und auf nur noch 1,7 Prozent im kommenden Jahr.

Nach der aktuellen Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wird die konjunkturelle Entwicklung in diesem Jahr stetig an Dynamik gewinnen, wobei sich der private Konsum zur treibenden Kraft für den Aufschwung entwickelt. Die Bundesregierung hatte im April 2024 ihre vorangegangene Prognose vom März 2024 um 0,1 Prozentpunkte auf nun 0,3 Prozent erhöht. „Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die deutsche Wirtschaft im Frühjahr 2024 an einem konjunkturellen Wendepunkt steht“, hieß es in einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums. Nach den Preissteigerungen vor allem im Energiebereich und der hohen Inflation seien nun neue Auftriebskräfte bemerkbar. Wichtige Wachstumsimpulse seien dabei vom privaten Verbrauch zu erwarten, heißt es in der Mitteilung: Durch höhere Reallöhne und einen stabilen Arbeitsmarkt könnten die Kaufkraftverluste der privaten Haushalte überwunden werden.

Das pessimistischste Gutachten stammt vom Handelsblatt Research Institute (HRI), es ist allerdings in der Reihe der gezeigten Prognosen allerdings auch die älteste (Stand: März 2024). Die HRI-Ökonomen erwarten, dass die Wirtschaftsleistung nach dem Rückgang in 2023 nun auch dieses Jahr sinken wird, um 0,2 Prozent. „Der deutschen Wirtschaft wurden fast gleichzeitig ihre wichtigsten Standbeine weggezogen, preiswerte Energie aus Russland, florierende Absatzmärkte in China, multilateraler Freihandel und eine unbedingte Sicherheitsgarantie durch die USA“, sagte Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup. Zudem bleibe die „Ampel“-Regierung eine konsistente Strategie schuldig, wie die Herausforderungen der De-Globalisierung, der Dekarbonisierung und des demografischen Wandels gleichzeitig bewältigt werden sollen.

Kommentar

Deutschland ist am Ende. Zumindest am Ende der Rangliste, wenn es um die Wirtschaftsentwicklung geht. Im zweiten Jahr in Folge wird die deutsche Wirtschaft 2024 nicht oder nur minimal wachsen, 2023 schrumpfte sie sogar, trotz aufgrund Immigration wachsender Bevölkerung. Die Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage ist einer der Gründe, warum die Ampelregierung 2025 vermutlich abgewählt werden wird. Wenn die Rezepte der Rechten zur Krisenbehebung danach so aussehen, wie sie jetzt populistisch verkauft werden, wird die Mehrheitsbevölkerung weiter an Wohlstand verlieren.

Das klingt nach Ausweglosigkeit. Politisch gesehen möchten wir dem nicht widersprechen, denn Deutschland geht nicht mit der Zeit, sondern arbeitete gegen den Zeittrend. In den meisten Ländern hat die Politik erkannt, dass der Staat eine stärkere Rolle spielen muss, wenn es darum geht, die Zukunft zu sichern. In Deutschland ist man unglaublicherweise immer noch auf dem Pfad in die andere Richtung unterwegs. Das ist selbstzerstörerisch, wie unter anderem die Tatsache zeigt, dass eine Kleinpartei namens FDP versucht, so viele Zukunftsinvestitionen wie irgend möglich zu verhindern und sogar die Justiz in Form des BVerfG sich an diesem Zerstörungsakt beteiligt. Die gelbe Partei wird vermutlich aber auch der nächsten Regierungskoalition angehören. Das Gift des Neoliberalismus-Marktradikalismus wird also weiterwirken, vor allem, wenn Kapitalvertreter mit stark verengter makroökonomischer Sichtweise wie Friedrich Merz zusammen mit dieser Partei das Ruder der deutschen Politik übernehmen werden.

Ob sich alle im Begleittext genannten Komponenten so negativ auswirken werden, wie sie von den Wirtschaftsforschern dargestellt werden, wird man sehen. Die Mehrinvestitionen in die Sicherheit werden ja die Rüstungsindustrie ankurbeln, beispielsweise. Aber auch hier: Es sind Staatsinvestitionen, sie werden nicht durch den sogenannten freien Markt ausgelöst. Das Mehr an BIP, das dadurch entstehen wird, basiert auf einer politischen Entscheidung, selbst wenn diese in den USA und nicht hierzulande getroffen wurde.

Dass die aktuelle Bundesregierung, wie ihre Vorgängerinnen, keine Wirtschaftsstrategie hat, die den Namen verdient, ist wirklich bitter. Wir haben schon während der Merkel-Regierung geschrieben, dass die Abwesenheit von strategischer Wirtschaftspolitik uns noch Sorgen machen wird, und so ist es gekommen. Etwas heftiger und schneller als erwartet aufgrund von Umständen, die wir nicht voraussehen konnten, wie der Corona-Krise und der Energiekrise, die wiederum durch geopolitische Ereignisse ausgelöst wurde, aber die mangelhafte Resilienz der deutschen Wirtschaft ist Ausfluss dieser langanhaltenden Verweigerung aktiver, das Wohl der gesamten Bevölkerung, nicht nur weniger kapitalistischer Akteure bedenkenden Wirtschaftspolitik.

Der Gipfel ist jetzt erreicht. Glaubt man jedenfalls. Ein ideologisch verblendeter Finanzminister, ein Wirtschaftsminister, der nicht einmal eine ökonomische Grundbildung hat und auch wegen seiner bescheidenen Analysefähigkeit komplett von anderen abhängig ist, wenn es um die Steuerung der Volkswirtschaft geht. Das heißt, es kann auch mal gut laufen, wenn Experten in die richtige Richtung drängen, aber eine übergeordnete Strategie entsteht daraus nicht. Obenauf ein Kanzler, der alles Mögliche darstellt, aber kein Mensch ist mit einer Idee, einer Vision für die Zukunft des Landes.

Das alles gefährdet nicht nur den Wohlstand, sondern auch die Demokratie. Und es wird nicht besser werden, das haben wir bereits angedeutet. Falls die nächste Regierung so tickt, wie deren vermutliche Exponenten es derzeit anklingen lassen, wird Deutschland endgültig den Anschluss an Länder verlieren, deren Regierungen aktiver, klüger, weniger spaltend und mehr innovierend unterwegs sind. So wie wir, beispielsweise. Wir setzen vermehrt auf KI-Recherche, um Sachverhalte zu strukturieren und uns inspirieren zu lassen. Wir werden es nicht bei diesem Artikel tun. Denn jeder Vorschlag zur Verbesserung lässt die Frage drängender werden, warum wir keine Politiker haben, die das auch können.

Das führt aber zurück auf uns alle. Warum wählen wir keine Politiker:innen, die mutiger und fortschrittlicher sind? Wir prämieren mit unserem Wahlverhalten vielmehr die Aussitzer, wie Angela Merkel, und das 16 Jahre lang. Wäre sie nicht freiwillig gegangen, hätte sie vermutlich ein Vierteljahrhundertlang dafür sorgen können, dass Deutschland nicht mehr vorankommt. Danach wäre es doch irgendwann auf die Stimmung durchgeschlagen. Wir sind selbst erschreckend langsam und ängstlich, sonst wäre die Politik dieses Landes eine andere. Sie ist der Spiegel der Gesellschaft, so, wie sie ist.

Wir wissen, dass dieser Artikel nicht der erste ist, in den wir eine solchermaßen unangenehme Wendung hineinschreiben. Und es kommt noch schlimmer. Populisten zu wählen, die den Menschen das Blaue vom Himmel versprechen, ist eben nicht die Alternative, sondern sich auf den Hosenboden setzen, mutiger, solidarischer und aktiver werden. Wir haben Angela Merkel nie gewählt und 2021 auch keine Partei, die Teil der aktuellen Bundesregierung ist. Auf dieser Ebene brauchen wir uns keinen Vorwurf zu machen. Wir haben uns sogar politisch – in Maßen – betätigt und interessiert, u. a. durch dieses Blog. Trotzdem sind wir wie die meisten: Wir schöpfen das nicht aus, was möglich oder möglich gewesen wäre. Deswegen sehen wir die deprimierende Grafik vor uns, die wir oben abgebildet haben. Wir alle sind Teil dieser Grafik, weil wir die Politik nicht in die richtige Richtung treiben, sondern zulassen, dass sie von wenigen Lobbyisten dominiert wird, die kein Interesse am Wohlstand der Mehrheit haben. Dass der Niedergang letztlich alle treffen wird, ist leider nicht wahr. Er wird nur die treffen, die ihre Aktivitäten nicht einfach in ein anderes Land verlegen können.

Deswegen müssen wir aufhören, uns von wenigen Propagandisten falscher Ideologien an der Nase herumführen zu lassen und wieder unsere tatsächlichen Interessen vertreten lernen. Es gibt keine Partei, die uns dabei helfen wird, das ist offensichtlich. Und ist das nicht die Chance für einen zivilgesellschaftlichen Neustart? Eine andere, aktivere Mentalität? Die nächsten Wahlen werden wieder eine aktuelle Einschätzung erlauben, ob dies verstanden worden ist. Wenn die Ergebnisse so ausfallen werden, wie die Umfragen es derzeit befürchten lassen, bedeutet dies: Wir müssen weiterhin darauf warten, dass es verstanden wird.

TH


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