Beschleunigte Strafverfahren für Klima-Aktivisten? (Umfrage + Infos + Kommentar) | Briefing 604 | Klima / Umwelt, Gesellschaft, PPP Politik Personen Parteien, DiG Demokratie in Gefahr

2.523 Wörter, 13 Minuten Lesezeit Briefing 604 PPP, Klimaaktivisten, Letzte Generation, Gesellschaft, Klimakrise, Klimawandel, CO2-Ausstoß, Flugverkehr, Flughafenbesetzung, Schnellverfahren, Demokratie in Gefahr, Rechtsstaatlichkeit

Beschleunigte Strafverfahren für Klima-Aktivisten, die in Flughäfen eindringen? Das ist die heutige Civey-Frage. Nachdem die „Letzte Generation“ wieder einmal für  Aufsehen gesorgt hatte, dieses Mal mit Aktionen an Flughäfen während der Urlaubszeit, bringt sie die Gemüter erneut in Wallung, die Forderungen reichen bis hin zu einem Sonderstrafrecht.

Lesen Sie bitte, bevor Sie abstimmen den gesamten Text, auch die Informationen, die wir für Sie aufbereitet haben und unseren Kommentar. Das ist in diesem Fall besonders wichtig.

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie die Forderung von Carsten Linnemann (CDU) nach beschleunigten Strafverfahren gegen Klimaaktivist:innen, die in Flughäfen eindringen? – Civey

Begleittext von Civey zur Umfage

Letzte Woche hat die Klima-Aktivisten-Gruppe „Letzte Generation” (LG) durch Flughafenblockaden für etliche Flugausfälle und Kritik gesorgt. Schon letztes Jahr war die LG durch etliche Straßenblockaden oder die Beschmutzung von Kunst in den Schlagzeilen. Bisher drohten den Aktivist:innen durch solche Störaktionen laut NDR in erster Linie Bußgelder. Nach den neuesten Blockaden kündigte die Bundesregierung an, das Luftsicherheitsgesetz schnellstmöglich zu ändern, um härtere Strafen zu ermöglichen. Für das Eindringen auf Flughafengelände könnten dann beim Mitführen verbotener Gegenstände bis zu fünf Jahre Haft drohen. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begründete die geplante Gesetzesverschärfung auf X damit, dass die gefährlichen und kriminellen Aktionen Menschenleben gefährden. Die Ampel-Pläne gehen der Union indes nicht weit genug. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann fordert beschleunigte Strafverfahren gegen die LG. „Der Staat muss auf solche kriminellen Aktionen schneller reagieren. Wichtig ist, dass die Zeit zwischen Straftat und Verurteilung kürzer wird“, sagte er der Funke-Mediengruppe. Ähnlich hatte sich zuvor auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Tagesspiegel nach geäußert. Auch seine Partei forderte schnelle gerichtliche Verfahren und Strafen für „solche kriminellen Machenschaften”. 

Grünen-Politikerin Renate Künast hält den Ruf nach härteren Strafen dagegen nicht für innovativ. Sie plädierte letzte Woche in der ARD stattdessen für effektive Klimaschutzmaßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen. Aber auch sie ruft die LG auf, Aktionen durchzuführen, die etwas Konstruktives fürs Klima beitragen. Flughafen-Blockaden mitten zur Ferienzeit seien dagegen nicht zielführend. Die LG fordert die Regierung mit den Protesten auf, sich für einen weltweiten Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2030 einzusetzen. „Öl, Gas und Kohle bedrohen unsere Existenz”, begründen sie auf X. Zudem prangert die LG laut Welt an, dass die Regierung „die Flugindustrie jährlich mit Milliarden Euro Steuergeschenken“ belohne.

Informationen, die Sie auf jeden Fall lesen sollten, bevor Sie abstimmen.

Nach den jüngsten Protesten der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ auf Flughäfen fordert die CDU beschleunigte Strafverfahren gegen die Beteiligten. Hier sind die wichtigsten Punkte zu dieser Forderung:

  1. **Hintergrund der Forderung:**

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann argumentiert, dass der Staat schneller auf „kriminelle Aktionen“ von Klimaaktivisten reagieren müsse[1][5]. Er betont, dass das Eindringen in den Sicherheitsbereich eines Flughafens und das Festkleben auf dem Rollfeld eine Straftat darstelle und Menschenleben gefährde[5].

  1. **Ziel der beschleunigten Verfahren:**

Das Hauptziel ist es, die Zeit zwischen der Straftat und der Verurteilung zu verkürzen[1]. Linnemann argumentiert, dass es sich oft um „Intensivkleber“ handele, die durch das Land reisen und in Serie Straftaten begehen, während die Justiz Schwierigkeiten habe, Schritt zu halten[1][5].

  1. **Rechtliche Grundlage:**

Die geforderten beschleunigten Verfahren basieren auf den §§ 417 ff. der Strafprozessordnung (StPO)[3]. Dieses Verfahren ist eigentlich zur Aburteilung von Kleinkriminellen vorgesehen und soll nun auf Klimaaktivisten angewendet werden[3].

  1. **Kritik und Bedenken:**

– Experten wie Stefan Conen, ehemaliger Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen, sehen die Entwicklung kritisch. Er argumentiert, dass die Fälle der Klimaaktivisten zu komplex für beschleunigte Verfahren seien[6].

– Es gibt Bedenken hinsichtlich der Einrichtung von Sonderabteilungen beim Amtsgericht, was den Eindruck von „Ausnahmegerichten“ erwecken und möglicherweise das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) verletzen könnte[3].

  1. **Politische Kontroverse:**

– Während die CDU härtere Maßnahmen fordert, lehnen andere Parteien wie die Grünen eine Verschärfung des Strafrechts ab. Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar argumentiert, dass die bestehenden rechtlichen Mittel ausreichen[2].

  1. **Bisherige Erfahrungen:**

In Berlin wurden bereits 16 Anträge auf beschleunigte Verfahren gegen Klimaaktivisten gestellt, davon 14 gegen Mitglieder der „Letzten Generation“[6]. Die Ergebnisse und Erfahrungen mit diesen Verfahren sind noch nicht umfassend ausgewertet.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Forderung nach beschleunigten Verfahren Teil einer größeren Debatte über den Umgang mit Klimaprotesten ist. Während einige Politiker härtere Maßnahmen fordern, warnen andere vor einer Überreaktion und betonen die Wichtigkeit des Demonstrationsrechts.

Gab es tatsächlich bisher Gefährdungssituationen durch die LG?

Die Frage, ob durch die Aktionen der „Letzten Generation“ auf Flughäfen tatsächlich Menschenleben gefährdet wurden, ist umstritten und hängt von verschiedenen Perspektiven ab.

### Argumente für eine Gefährdung:

  1. **Unterbrechung des Flugbetriebs:**

   – Die Blockaden führten zu erheblichen Störungen im Flugbetrieb. Am Frankfurter Flughafen mussten 270 Flüge gestrichen werden, was zu großen Unannehmlichkeiten für die Passagiere führte[1][2].

   – Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesverkehrsminister Volker Wissing verurteilten die Aktionen als gefährlich und kriminell. Sie argumentieren, dass solche Störungen den Luftverkehr unsicher machen und potenziell Menschenleben gefährden könnten, insbesondere wenn Rettungsflüge betroffen sind[2][5].

  1. **Zugang zu sicherheitsrelevanten Bereichen:**

   – Die Aktivisten gelangten durch das Durchtrennen von Zäunen auf das Rollfeld und klebten sich dort fest. Dies zeigt Schwachstellen in der Flughafensicherheit auf, die theoretisch auch von gefährlicheren Akteuren ausgenutzt werden könnten[2][3][7].

### Argumente gegen eine Gefährdung:

  1. **Vorsichtsmaßnahmen der Aktivisten:**

   – Die „Letzte Generation“ betont, dass sie bewusst Maßnahmen ergreifen, um gefährliche Situationen zu vermeiden. Sie kleben sich nicht auf den Start- und Landebahnen fest, sondern auf den Rollwegen und informieren sofort die Betriebsfeuerwehr, sobald sie das Gelände betreten[2].

   – Ein Sprecher der Gruppe erklärte, dass es der Gruppe nicht darum gehe, gefährliche Situationen zu erzeugen, sondern auf die Dringlichkeit des Klimaschutzes aufmerksam zu machen[2].

  1. **Fehlende konkrete Vorfälle:**

   – Bislang gibt es keine Berichte über konkrete Fälle, in denen Menschenleben direkt durch die Aktionen der Aktivisten gefährdet wurden. Die Störungen führten hauptsächlich zu logistischen Problemen und Flugausfällen, aber nicht zu dokumentierten Notfällen oder Unfällen[1][2][6].

### Fazit

Während die Aktionen der „Letzten Generation“ erhebliche Störungen verursachen und theoretisch Sicherheitsrisiken bergen, gibt es bisher keine konkreten Beweise dafür, dass Menschenleben direkt gefährdet wurden. Die Debatte bleibt jedoch politisch und gesellschaftlich umstritten, mit starken Argumenten auf beiden Seiten.

Unser Kommentar

Es kam, wie es kommen musste. Nicht weniger als 73 Prozent derer, die bisher abgestimmt haben, sind voll für beschleunigte Strafverfahren und CDU-Agitator Linnemann hat mal wieder einen Populismus-Punkt in der Bevölkerung gemacht. Wir können Sie angesichts solcher Umstände nur inständig bitten, etwas genauer hinzuschauen, bevor Sie ins Schäumen kommen und Ihren Klick ganz oben machen.

Was geschrieben und gesagt wird, fällt leichter auf, als das, was nicht gesagt wird.

Wir haben uns zum Beispiel von der LG insofern distanziert, als wir ihre Aktionen nicht mehr in Artikeln rechtfertigen. Es waren Vorgänge wie besprühten Weihnachtsbäume und die mehrfache Beschmierung des Brandenburger Tors, die uns auf Abstand gingen ließen, weil wir den Sinn dieser Art von Protest nicht mehr nachvollziehen konnten – bzw. ihn nicht mehr als hinreichend in Relation zum Frust über solche und den Schäden solcher Aktionen gelten ließen. Wir können verstehen, dass die Bevölkerung mehrheitlich die Form der Proteste nicht unterstützt. Das hatte sie aber von Beginn an nicht getan, nicht erst, als sie immer abstrakter wurden.

Was die LG neben der Abgehobenheit dieser Art von Vorgehen nicht sieht, ist zum Beispiel, dass sie rechten Scharfmachern wie Linnemann Argumente liefert, die der gesamten Zivilgesellschaft, wenn sie in den berechtigten Protest und auf die Straße geht, enormen Schaden zufügen können, wenn die Rechten an die Macht kommen sollten.

Denn genau darum geht es: Wieder einmal zu testen, wie sehr die Bevölkerung bereit ist, den Rechtsstaat zu demontieren, wenn es gegen verhasste Gruppen geht. Erinnert Sie das an etwas? Finden Sie den Vergleich zu scharf? Wir nicht. Wehret den Anfängen, können wir dazu nur schreiben.

Wir sind der Meinung, dass die LG mit dergleichen Aktionen zwar Aufsehen erregt, aber nicht diejenigen trifft, die tatsächlich in Sachen Klimawandel Verantwortung tragen, nämlich die Politik. Dass Menschen ihr Konsumverhalten nicht einfach so ändern, ist inzwischen klar, es muss politisch gesteuert werden. Dafür sprechen wir uns immer wieder aus, denn Demokratie ist nicht Terror einer ignoranten Mehrheit, sondern auch Voraussicht, ist Handeln in die Zukunft hinein und Schutz von Minderheiten. Politiker:innen werden gewählt, weil sie die Fähigkeit haben sollten und die Expertise oder sie einholen können, um weitsichtiger zu handeln als einzelne Individuen das können und auch mehr Macht haben, um das Richtige zu tun. Macht, die ihnen von uns verliehen wurde und die nicht in allen Punkten genau so ausgeübt werden muss, wie jeder einzelne von uns es tun würde, hätte er die Macht . Das ist es, worauf man in einer repräsentativen Demokratie vertrauen können sollte, auf eine sinnvolle Abwägung und Verantwortung fürs Ganze.

Dass Politiker mittlerweile, Donald Trump als Vorbild, immer mehr freidrehen und dabei auch nicht bei der Wahrheit bleiben, ist leider ein Zeichen dafür, dass sie die Demokratie, die sie direkt oder indirekt in Ämter und Positionen gebracht hat, in denen sie sich öffentlichkeitswirksam äußern können, nicht ernstnehmen. Bei CDU-Generalsekretär Linnemann sind bei jedem Thema Unwahrheiten im Spiel. In diesem Fall zum Beispiel, falls er richtig zitiert bzw. seine Aussagen richtig zusammengefasst wurden, tut er so, als ob konkret Menschenleben gefährdet worden wären, als Aktivist:innen der  LG Flughäfen „geentert“ haben. Beim Bashing von Bürgergeld-Empfängern waren es u. a. absurd hohe Zahlen von angeblichen Arbeitsverweiger:innen, die er in den Raum gestellt hat.

Natürlich freuen sich Politiker, wenn sie mit ihrem Populismus Erfolg haben, denn Wahlen sind immer irgendwo, bei denen man Erfolg haben will. Bei den rechten Parteien ist es dann so, dass Fairness, Faktentreue und ein rhetorisches Gepräge, das die Gesellschaft nicht noch mehr spaltet, weg können, im Rennen um den einen oder anderenn Prozentpunkt mehr.

Wenn das Erfolg hat und solche Politiker gewählt werden, dann sind diejenigen, die sich später über die Beschädigung der Demokratie und ihre eigenen Rechte durch solche Politiker aufregen, aber leider auch selbst schuld.

Es nimmt nicht wunder, dass vor allem von juristischer Seite Einwände gegen ein Sonderstrafrecht für Klimaaktivisten kommen, denn der angesprochene Testcharakter liegt auf der Hand. Heute sind es die Klimaaktivist:innen, morgen sind es Menschen, die gegen rechts protestieren, übermorgen sind es vielleicht Menschen, die eine Pandemie leugnen und die  Maßnahmen dagegen und die selbst sehr rechts sind. Die Meinungsfreiheit kann man aus vielen Gründen einschränken, die Staatssicherheit wird dabei besonders gerne genommen. Reaktion, Repression, Sonderstrafrecht. Das passt zusammen.

Sonderstrafrecht, ist es erst einmal geschaffen, kann man wiederum gegen jede Gruppe einsetzen, es auf jede Gruppe erweitern, und damit rechtsstaatliche Standards schleifen. Deswegen gibt es nach den Erfahrungen aus der Nazi-Zeit auch für besonders schwere Verbrechen in der BRD kein Sonderstrafrecht mehr, es gibt generell kein Recht, das unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich starken Rechtsschutz gewährt. Es gibt hierzulande nicht einmal eine Militärstraftgerichtsbarkeit. Das ist relativ ungewöhnlich, aber ein Zeichen des Vertrauens in die allgemeine Rechtsstaatlichkeit und der Ablehnung von gruppenorientiertem Strafrecht.

Es gibt lediglich Disziplinargerichte, sowohl in der Truppe als auch bei Beamten, die aber nicht neben dem normalen Strafrecht für alle stehen, sondern nur disziplinarrechtliche Verstöße behandeln. Hier geht es um Menschen, die in bestimmten Dienstverhältnissen stehen, die besonderen, ethisch in der Regel hochstehenden Regeln unterworfen sind, weil sie den Staat tragen und dabei besonders verantwortungsvoll handeln sollen, nicht um polizeiliche Ausermittlung und folgende Anklage, wie sie gegen jedwede Person geführt werden kann und damit auch nicht um Straftaten im Amt, die wiederum von der regulären Strafgerichtsbarkeit behandelt werden.

Immer wieder, wenn sich etwas ereignet, was sich für populistische Hetze verwenden lässt, wird versucht, am Gerüst der Rechtsstaatlichkeit zu wackeln. Das geht bis hin zur Forderung nach der Todesstrafe, die aus wirklich guten Gründen abgeschafft wurde und in etwa 120 Staaten, die als die zivilisierteren gelten, nicht mehr existiert. Darunter alle europäischen Staaten, nicht nur diejenigen, die Mitglieder der EU sind.

Selbst Terroristen, die Menschenleben bewusst aus (vorgeblichen oder tatsächlichen) ideologischen Gründen rücksichtslos ausgelöscht haben, sind nach dem normalen Strafrecht verurteilt worden, unter Zuhilfenahme staatsgefährdender Tatbestände möglicherweise, die im StGB, dem Strafgesetzbuch, ohnehin enthalten sind. Manchmal gab es Ergänzungen und Verschärfungen. Deren Sinn kann man diskutieren, aber eines ist immer klar: Sie gelten für alle, die die sanktionierten Straftaten begehen. Diese Vorschriften hat man deswegen in allgemein gültige Gesetze integriert. Auch das Prozessrecht sollte für alle gleich gelten. Dem ist ohnehin schon nicht mehr so, und da setzen Linnemann & Co. auch an. Das Prozessrecht ist auch deshalb eine empfindliche Schwachstelle im System, weil z. B. in bestimmten Gerichtszweigen es sich etabliert hat, dass der Rechtsweg einfach abgeschnitten wird, wenn  die Streitsumme einen bestimmten Wert unterschreitet. Und, wenn man genauer hinschaut: Dieses verkürzte Recht ist bereits gruppenbezogen und diskriminierend, zum Beispiel das Sozialrecht und sein Verfahrensrecht.

 Und, wie Populisten eben gestrickt sind, sie vermischen absichtlich alles miteinander, sodass am Ende auch eine materielle Strafschärfung zur Diskussion stehen könnte. Bei der SPD hat das bereits Wirkung gezeigt, wie man an der Einlassung der  Bundesinnenministerin sehen kann.

Sonderstraftatbestände aus dem Grund, dass zum Beispiel eine Sachbeschädigung oder eine Betriebsstörung von einer bestimmten Gruppe verursacht wird, darf es nicht geben. Dass die Klimaaktivist:innen der LG tatsächlich „durch das Land reisen, um ihre Aktionen durchzuführen“, mag vorkommen. Sie können dann aber auch als Wiederholungstäter härter bestraft werden als Menschen, die sich bisher nie haben etwas zuschulden kommen lassen, und das reicht vollkommen aus. Dafür gibt es die Figur des Wiederholungstäters oder auch des Bandentäters, welcher der Organisierten Kriminalität angehört. Ob man die Vorschriften für die OK auf die LG anwenden kann, wie bestimmte populistische Formulierungen es suggerieren, ist sehr fraglich, zumal es bei den LG-Aktivist:innen an der „Gewerbsmäßigkeit“ fehlen dürfte, aber deshalb muss jeder Einzelfall vor Gericht hinreichend geprüft werden, um ein rechtsstaatlich fundiertes Urteil zu ermöglichen.

Schnellgerichte, Sonderstrafrecht, das sind alles Instrumente, die man aus autoritären Staaten kennt. Uns ist sehr wohl bewusst, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, die nichts gegen die Wiedererrichtung eines autoritären Staates einzuwenden hätten, sofern sie glauben, nicht einmal selbst dessen Opfer werden zu können. Aber was haben sich Menschen schon gewundert, wie ihnen geschah, die genau das nie für möglich hielten, als sie die Demokratie zertrümmerten.

Wir glauben hingegen nicht, dass bei einer Zustimmungsrate von gegenwärtig 73 Prozent alle, die so abgestimmt haben, antidemokratisch eingestellt sind.

Sondern lediglich, dass viele nicht wirklich nachgedacht haben, um was es hier geht, deswegen haben wir Infos beigefügt und schreiben diesen Kommentar. Bevor dieser Artikel veröffentlicht wird, heben wir eine der unten genannten Quellen noch einmal heraus: Kurzer Prozess für Klimaaktivist:innen in Berlin – Verfassungsblog. Der Beitrag wurde anlässlich der Straßenblockaden des Jahres 2023 geschrieben, aber für Flugbetriebsstörungen kann prinzipiell nichts anderes gelten, auch wenn die Schadenshöhe sich von der aufgrund eines Montagmorgenstaus in Berlin unterscheiden mag. Die Höhe des angerichteten Schadens beim Strafmaß zu würdigen, ist ohnehin Standardelement jeder Rechtsfindung.

Es fällt sehr auf, dass Populist:innen sich sehr gerne öffentlichkeitswirksam mit juristischen Tatbeständen befassen, von denen sie genau wissen, dass die meisten Menschen darin nicht fachlich bewandert sind. Das ist keine verantwortliche Politik, sondern das genaue Gegenteil. Es wird auf Unkenntnis gesetzt, um die Demokratie abbauen zu können. Wer die Mechanismen des Grundrechteschutzes nicht kennt und wie sich deren Zerstörung auswirken kann, der ist auch nicht bereit, sie zu verteidigen, so das Kalkül.

Womit wir wieder bei der mangelhaften politischen Bildung in Deutschland angelangt wären, aber das Thema rollen wir hier nicht zum wiederholten Male auf. Es ist, wie es ist, und man kann nur hoffen, dass uns eine gütige Fügung davor bewahren möge, von Menschen regiert zu werden, die angetreten sind, um die Freiheit und das Recht auf eine Weise zu demontieren, wie wir es leider in anderen Ländern längst sehen. Auch in Ländern, die einmal Vorbilder für die deutsche Demokratie waren.

Wir sind nicht mit allem einverstanden, was die LG mittlerweile gemacht hat. Was kann z. B. das Brandenburger Tor dafür, dass Deutschland nach Ansicht der Aktivist:innen nicht schnell genug bei der CO2-Reduktion ist? Es stößt nicht einmal selbst CO2 aus (anders als der Flugverkehr). Aber deswegen sind wir noch lange nicht dafür, Klimaaktivist:innen vor Schnellgerichte zu stellen, die Grundrechte von Angeklagten einschränken, wie das bei §§ 417 ff. StPO nach Ansicht von Experten der Fall ist. Diese Paragrafen waren ursprünglich für „durchreisende Kleinkriminelle“ gedacht, die, wie es im Artikel des Verfassungsblog sheißt, z. B. versucht haben, im  Kaufhaus eine Handtasche zu klauen. Die Idee war, die Gerichte nicht mit solchen mehr oder weniger Bagatelldelikten zu überlasten (was offenbar nicht funktioniert hat), und soll jetzt quasi ins Gegenteil gedreht werden, nämlich für mögliche Straftaten gelten, die von rechten Populisten als besonders schwerwiegend markiert werden.

Natürlich hat das nichts mit Ideologie in Bezug auf den Klimawandel im Sinne von Abwiegelung zu tun, und schon gar nichts damit, gegen Gruppen zu hetzen, die in diesen Rechtsdrall-Zeiten ohnehin in der Defensive sind. Verstehen Sie bitte, dass hier die LG auch ein Symbol darstellt: Sie wird herangenommen für alle, die sich in Sachen Klima engagieren, und dabei kommt den Rechtspopulisten zupass, dass die LG besonders angreifbar erscheint. Bei der Gelegenheit kann man auch die Klimabewegung gut spalten, die ohnehin das Problem hat, in diesen Zeiten nicht mehr so durchzudringen, obwohl gerade wieder weltweite Rekordttemperaturen erzielt wurden. Bitte lassen Sie sich nicht von Leuten manipulieren, die nicht unser Wohl im Sinn haben, sondern nur die möglichst treffsichere Wirkung von Propaganda, die dieser Gesellschaft und ihrer Zukufntsfähigkeit schadet und einen sachlichen Diskurs erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Diese Propagandaspezialisten setzen auf Ängste und Aggressionen in der Bevölkerung und spielen damit. Sie belegen damit, dass ihnen eine Zukunft für alle komplett egal und eine intakte Gesellschaft, die diese Zukunft meistern kann, komplett egal sind.

Während der Abfassung dieses Textes hat sich der Anteil der eindeutig den Schnellverfahren Zustimmenden von 73 auf 71,5 Prozent ermäßigt. Wir kämpfen für jedes Zehntelprozent weniger und freuen uns, dass unser Beitrag schon Wirkung gezeigt hat, obwohl er noch gar nicht publiziert ist.

TH

Quellen zu pro und contra „beschleunigte Strafverfahren“

[1] https://www.morgenpost.de/politik/article406876838/letzte-generation-cdu-fordert-schnellere-strafverfahren.html
[2] https://www.deutschlandfunk.de/verkehrspolitiker-gelbhaar-gruene-gegen-verschaerfung-des-strafrechts-100.html
[3] https://verfassungsblog.de/kurzer-prozess-fur-klimaaktivistinnen-in-berlin/
[4] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw17-de-strassenblockierer-943942
[5] https://www.deutschlandfunk.de/cdu-generalsekretaer-linnemann-verlangt-beschleunigte-strafverfahren-100.html
[6] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/06/berlin-letzte-generation-klima-protest-aktivisten-justiz-verfahren-urteil-conen-interview.html
[7] https://jura-online.de/blog/2023/03/31/beschleunigtes-verfahren-wirkt-haftstrafen-ohne-bewaehrung-fuer-klimaaktivisten/
[8] https://taz.de/Berliner-Schnellverfahren-gegen-Letzte-Generation/!5947259/
[9] https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2023/07/berlin-beschleunigtes-verfahren-klima-aktivisten-letzte-generation-amtsgericht.html

Quellen zu konkreten Gefärdungslagen bzw. deren bisherige Nichtexistenz

[1] https://www.hessenschau.de/panorama/270-flugausfaelle-wegen-klebeblockade-am-frankfurter-flughafen-v23,letzte-generation-flughafen-100.html
[2] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/flughafen-frankfurt-blockade-letzte-generation-flugausfall-100.html
[3] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/kriminalitaet/flughafen-sicherheit-letzte-generation-100.html
[4] https://www.fuldainfo.de/cdu-fuer-beschleunigte-strafverfahren-gegen-letzte-generation/
[5] https://www.cdu.de/artikel/harte-strafen-fuer-flughafen-kleber
[6] https://www.tagesschau.de/inland/klimaprotest-letzte-generation-flughafen-frankfurt-100.html
[7] https://www1.wdr.de/nachrichten/flughafen-klima-aktivisten-terror-gefahr-100.html
[8] https://taz.de/Blockade-der-Letzten-Generation/!6011233/


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