Filmfest 1138 – Concept IMDb Top 250 of All Time (196) – Die große Rezension
Das Anti-Epos zum Thema Öl, Kapital und Kirche
There Will Be Blood ([]; englisch für „Es wird Blut fließen“) ist ein US-amerikanisches Filmdrama aus dem Jahr 2007. Regie führte Paul Thomas Anderson, der auch das Drehbuch schrieb. Angesiedelt in Südkalifornien um 1910, handelt der Film vom Leben eines Mannes, der sich durch Fleiß, Entschlossenheit und skrupellose Methoden vom kleinen Schürfer zum erfolgreichen Ölunternehmer und Multimillionär hocharbeitet. Gleichzeitig beschreibt der Film seine Auseinandersetzung und Feindschaft mit einem evangelikalen Prediger, der mit ihm um Macht und Einfluss ringt.
Wir waren an diesem Abend irgendwie noch nicht müde und haben ihn uns eine Nacht-Session gegönnt. Normalerweise geht das so aus, dass wir dann irgendwann einschlafen, den Film nochmal schauen müssen, und das ist okay. Nicht aber bei „There Will be Blood“. Wir waren nicht einmal danach müde, gegen 3 Uhr morgens, sondern konnten die ganze Nacht nicht schlafen, mit Konsequenzen für den Zustand heute (1). Eine Kritik im Format „Die große Rezension“ (Einteilung im neuen Wahlberliner ab 2018) war eher ungewöhnlich, als wir den Entwurf verfassten, der nach 9 Jahren endlich veröffentlicht wird, aber es handelt sich ja auch um einen ungewöhnlichen Film, der zu besprechen ist. Mehr dazu also in der Rezension.
Handlung
Daniel Plainview findet eine Silbermine, will sie ausbeuten, bricht sich das Bein, hinkt fortan und wird zum Ölbaron, denn manchmal ist unter Tage das eine oder andere zu erbeuten, woran man zunächst gar nicht gedacht hat. Er kauft Land und Land, errichtet einen Bohrturm und immer weitere, legt Pipelines, das Öl fließt zum Meer aber kein Feuer erleuchtet sein Herz und keine erbetene Vergebung für auf dem Weg zum Reichtum vollbrachte Schandtaten berührt seine Seele und am Ende triumphiert er über alles und jeden, aber nicht über seinen Hass, der sich zum Wahnsinn entwickelt hat.
Rezension
„There Will be Blood“ ist im Ganzen nicht so brutal wie „No Country for Old Men“, den wir vor einiger Zeit rezensiert haben, beide gehören zu den besten Filmen des Jahres 2007 und Daniel Day-Lewis erhielt für seinen Daniel Plainview den Oscar als bester Hauptdarsteller, während „No Country“ den Sieg als bester Film davontrug. In dieser Kategorie war auch „There Will be Blood“ nominiert.
Der Eindruck war ein sehr eindrücklicher. Daniel Day-Lewis‘ Vortrag in der Rolle seines Vornamensvetters mit dem ironischen Nachnamen Plainview, was wörtlich bedeutet „klare Sicht“, im übertragenen Sinn aber offen, vor aller Augen liegend und möglicherweise auch simplen Gemüts, ist wirklich beeindruckend. Wir haben Day-Lewis zuletzt in „Lincoln“ gesehen und dass dies ein großer Schauspieler ist, merkt man schon daran, wie er diese sehr unterschiedlichen Rollen bis zur Perfektion interpretiert. Da gibt es keine halben Sachen, sondern nur großes Kino und überlebensgroße Figuren. Plainview, in Wirklichkeit ein Typ, der mit seinen Reden alle seine wahren Absichten kaschiert, der so ölig spricht, dass man ihn eigentlich nur im Ölbusiness vermuten kann, der unter einer zwar kantigen, aber verbindlichen Schale ein Mann des blanken Hasses ist, der alles nimmt, was er kriegen kann und, wie es in einem kritischen Film üblich ist, am Ende mit nichts als dem materiellen Reichtum dasteht, der ihm menschlich gar nichts nützt, ist eine jener Giganten-Figuren, die hin und wieder, alle paar Jahre, im Kino zum Leben erweckt werden.
Das Wort Giganten-Figur erinnert uns an etwas. Ja, genau. 50 Jahre Filmentwicklung lassen sich gut an zwei wichtigen Werken zum Thema Öl festmachen. An „Giganten“ von 1956 und an „There Will be Blood“. Beide Filme beruhen auf sozialkritischen Romanen (von Edna Ferber und von Upton Sinclair), behandeln dasselbe Thema; wie ein Nobody zu unermesslichem Reichtum aufsteigt und scheitert und doch sind sie grundverschieden. Der eine Film ist ein Epos mit großem Figurentableau und vielen Sympathieträgern nebst dem unbequemen Aufsteiger Jett Rink (James Dean), ein Film, der diesen Mann besiegt und am Ende die ehrbare Großrancher-Familie Benedict standesgemäß, im Einklang mit sich selbst und sogar mit dem Rassenthema, das ebenfalls eine wichtige Rolle spielt, triumphieren lässt über den Parvenü, der sich übernimmt und als Wrack endet. Ein edler Film mit fetziger Musik von Dimitri Tiomkin, einer reizenden Elizabeth Taylor, einem statuarischen Rock Hudson und dann diesem freakigen Dean, dem trotz seines offensichtlichen Mangels an Zivilisation und Charakter die Frauenherzen zufliegen. Man muss eben auf unverstandenes Wesen machen, das zieht immer. Alles in dem Film ist begründet, austariert, beinahe fehlerlos inszeniert. Dafür gab es einen Oscar für George Stevens für die beste Regie. Lächerlich, dass „Giganten“ gegen „In 80 Tagen um die Welt“ das Rennen um den besten Film des Jahres verloren hat. Ob er für damals zu kritisch war? Immerhin ist die Ölindustrie lange Zeit das Herz des industriellen Amerikas gewesen.
„There Will be Blood“ kündigt schon durch den Titel an, dass er andere Akzente setzt und hört zeitlich etwa dort auf, wo „Giganten“ beginnt, Ende der 1920er Jahre. Wir sehen hier nicht die Blütezeit des Ölbusiness im Zweiten Weltkrieg, sondern die bescheidenen Anfänge mit den Holzbohrtürmen und brüchigen Drillbohrern um 1900. Hier steht der Einzelgänger im Vordergrund, dessen Hintergrund man kaum kennenlernt, auch wenn wir durch das Auftreten eines vorgeblichen Halbbruders eine Ahnung von der Kindheit des Plainview bekommen. So gesehen, ist er sogar besser hergeleitet als Rink, von dem man keine Familienbilder und kein Notizbuch, keinen Brief der Eltern vorgelegt bekommt. Woher Plainview seinen Hass hat, erfahren wir dennoch nicht schlüssig, wohingegen Rink sich selbst erschließt, als ein Nobody, der’s den Großen, die ihn missachten und abspeisen wollen, einfach zeigen will und dabei übers Ziel hinausschießt.
Das tut auch Plainview, aber sein Antrieb ist nicht die Anerkennung, sondern ein dämonisches Ich, das ihn von allen Menschen entfernt und dessen schwarze Seite so an ihm klebt wie das Öl, das er fördert und den anderen regelrecht abjagt und klaut, wenn es sein muss. Ein Raffke, wie er im Buche steht, der auch deshalb realistisch wirkt, weil es nicht immer eine Erklärung dafür gibt, warum manche Menschen etwas in sich haben, was sie zum Verderbnis für andere und für sich selbst macht. Es ist nicht alles durch die Herkunft oder durch Kindheitstraumata deutbar, wiewohl diese und die Erziehung für die endgültige Ausformung eines Charakters eine wichtige Rolle spielen.
Anfangs hat man Sympathie für Plainview, wie für jeden, der so hart arbeitet, um sich ein Stück vom großen Kuchen zu ergattern. Auch das ist ein Teil von Erziehung, dass wir solche hartnäckigen Typen bewundern, die nur eins kennen: Den Blick nach vorne, wo ein Ziel ist, das oft nur sie selbst kennen, und, wenn man genauer hinschaut, nicht einmal sie selbst. Bei Plainview gibt es zwar das Ziel, reich zu werden, aber ihm folgt nicht etwa der Wunsch nach sozialem Aufstieg, sondern es steht ganz für sich, um genau das Gegenteil zu ermöglichen: Plainview sagt, er will so reich sein, dass er keine Menschen mehr sehen muss. Am Ende gelingt ihm das, er sitzt allein in einem Haus gewaltigen Ausmaßes, mit eigener Bowlingbahn als Symbol für die Dimensionen. Ein wenig wirkt er am Ende mehr wie Citizen C. F. Kane als wie Jett Rink aus „Giganten“. Allerdings wurde Kane nicht wahnsinnig, sondern starb mit einem Geheimnis namens „Rosebud“, während Plainviews Hass sich immer konkreter in Bluttaten äußerst (zunächst an dem Mann, der vorgibt, sein Halbbruder zu sein, dann an Elia Sunday, über den wir noch ein paar Worte verlieren werden). Als er Sunday getötet hat, sagt er „ich bin fertig“. In „Giganten“ definiert Bick Benedict (Rock Hudson) den Gegner als fertig, in „Kane“ hat der Mann am Ende in übergroßer Einsamkeit abgewirtschaftet, ohne dass es so explizit ausgedrückt wird.
Es ist schon interessant, diese Filme als Dreieck zu denken, die beiden ersten, weil sie thematisch sehr ähnlich sind, Letzteren, weil er das prototypische amerikanische Epos mit Neigung zur dunklen Seite von Macht und Reichtum darstellt. In zwei wichtigen Aspekten unterschiedet sich „There Will be Blood“ allerdings von beiden Filmen. Zwar verliert auch Plainview mit seinem – auch nicht echten – Sohn den einzigen Menschen, der ihm hätte einen Sinn geben können, aber es gibt kein soziales Panorama für ihn. Der Sohn ist übrigens das Kind eines Mitarbeiters, der zu Beginn des Films bei einem Unfall in der Mine ums Leben kommt, wie auch Plainview einen schweren Unfall hat, den er aber um den Preis des beständigen Hinkens übersteht. „There Will be Blood“ wirkt viel einsamer im Ganzen, viel abgeschotteter, mehr noch als Kane konzentriert auf den Hauptcharakter und auf dessen dämonische Seite.
Zweitens hätte in den früheren Zeiten niemand sich gewagt, religiöse Eiferer so darzustellen wie den ebenfalls wüsten Elia Sunday, der eine seine Gemeinde der dritten Auferstehung ebenso beherrschen will wie Plainview seine Ölgeschäfte und die Konkurrenz, und der, um dies zu erreichen, in Ekstase Wunderheilungen vollbringt. Unhinterfragte, naive Religiosität nimmt der Film genauso aufs Korn wie den Manchester-Kapitalismus, der hier in Kalifornien stattfindet. Dem stehen keine anderen Werte wie Freundschaft (in „Citizen Kane“) oder Familie (in „Giganten“) gegenüber, in „There Will be Blodd“ ist nichts, woran wir uns halten können. Schon „Kane“ ist unangenehm, weil er die Identifkation mit der Zentralfigur nicht ermöglicht, aber „There Will be Blood“ ist darin viel rabiater und konsequenter. Kane hat in seinen Anfangszeiten auch etwas Mitreißendes und Ideale, ist zwar narzisstisch, aber auch eine schilldernde Persönlichkeit, der man anheimfallen kann. PLainview hingegen ist so düster, so ausschließlich negativ, es verursacht ein Erschauern.
Es gibt allerdings auch bei ihm kleine Zeichen der echten Gefühle und wäre dem nicht so, wäre dieser Film in der Tat zu sehr schwarz-weiß gezeichnet. Da sind die Momente, in denen er seinem Sohn etwas linkisch über den Kopf streicht. Das tut er nicht, weil Leute es sehen, sondern in Momenten, in denen die beiden alleine sind.
Dieses Kind, das durch einen Unfall sein Gehör verliert, ist sein einziger emotionaler Bezugspunkt und es gibt auch nicht überhaupt keine Gemeinschaft: Der Sohn heiratet trotz der Machenschaften des Vaters in die Gemeinde von Elia Sunday hinein und findet ein bescheidenes Mädchen, das ihn auch nach seinem Unfall liebt. Im Gegensatz zum Vater, der ihn ins Internat abschiebt. Es gibt diese Welt im Hintergrund, die Menschen zusammenhält, nur ist Plainview mehr als die Figuren in den beiden anderen erwähnten Filmen nie auch nur nahe daran, ein Teil von ihr zu sein. Dass er Gemeindemitglied bei den Leuten von der Kirche der dritten Auferstehung wird, ist nur eine geschäftliche Notwendigkeit, weil ein Farmer, ebenfalls mitglied der Religionsgemeinschaft, dies zur Bedingung dafür macht, dass Plainview seine Pipeline unter dem der Farm hindurchführen darf. Um keinen Umweg bauen zu müssen, nimmt Plainview sogar die Demütigung durch den mittlerweile Erzfeind Elia Sunday auf sich, der in der Erweckungs- und Taufzeremonie seinen – wir wissen, vorläufigen – Triumph über den Ölmann auskostet.
Der Zwist begann, als Elia die Macht symbolisch haben wollte, indem er Plainviews ersten Bohrturm in der Gegend segnen wollte, Plainview ihm das zusagt und seine Zusage dann nicht einhält. Sunday ist auf seine Weise genauso radikal und verlogen wie Plainview und der unangenehmste Charakter in einem mit angenehmen Menschen nicht gerade verschwenderisch umgehenden Kinowerk. Wir haben Plainview entsetzt dabei zugesehen, wie er sich am Ende verliert, aber wir haben diesen falschen Fuffiziger von einem falschen Propheten mit der schon irgendwie falsch klingenden Tonlage und dem verschlagenen Gesicht von Beginn an gehasst. Großartig gespielt vom eher unbekannten Paul Dano, der aber für seine Doppelrolle (er spielt auch noch den Bruder Paul Sunshine, der Plainview vom Öl auf der Familienfarm erzählt) die Nominierung für einen BAFTA-Award als bester „supporting Actor“ bekam und zuletzt in „12 Years a Slave“ und „Prisoners“ zu sehen war.
Wenn man sich das Filmplakat anschaut, erkennt man schon, worum es geht. Der Schwenkarm des einsamen Bohrturms gegen roten Hintergrund hat die Form eines christlichen Kreuzes und das Blut Christi spielt im Film ebenso eine missbrauchte Rolle wie der Dualismus zwischen Kirche und Kapital sowie die unheilige Allianz, die beide dann oft mühelos miteinander eingehen, wenn es dem gemeinsamen Interesse dient, obwohl der Raubtierkapitalismus und christliche Grundwerte sich fundamental widersprechen – aber soweit die Theorie, nicht die Praxis jener, die sich Christen nennen oder Kapitalisten sind. In den USA hat diese Kollaboration natürlich ein besonderes Gewicht, denn Bibelfestigkeit und übelste geschäftliche Machenschaften in Einklang zu bringen, erfordert bereits eine heuchlerische, doppelgesichtige Grundhaltung. Wobei das Phänomen, dass Menschen Sonntags in der Kirche Gott näher sein wollen und Montags wieder anfangen, ihre Lohnabhängigen und Mitbewerber zu piesacken und mit unfairen oder unerlaubten Methoden zu traktieren, nicht auf die USA beschränkt sind, denn letztlich ist alles, was in den USA zum Höhepunkt gelangte, in Europa erfunden und von hier nach überall exportiert worden. Sowohl das Christentum wie auch alle Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme, die heute von Relevanz sind.
Wenn wir unseren Vergleich mit den beiden anderen Epen wieder aufnehmen, müssen wir konstatieren, dass bei der Kritik, die sie alle drei enthalten, „There Will be Blood“ am radikalsten ist, weil man deutlich spürt, dass der einzelne Maniac Planview alle Werte, an die in den USA nach wie vor geglaubt wird, in sich aufsaugt wie ein Schwamm, sie in den Dreck zieht, der in diesem Film insgesamt eine große Rolle spielt – und symbolisch saugt er ja unter einer Farm das Öl weg, sodass Elia in der Schlussszene, als er, von der Wirtschaftskrise in die Pleite getrieben, mit Plainview wieder ins Geschäft kommen will, keinen Trumpf in der Hand hält, was Plainview ungeheuer auskostet – und dann den schon Vernichteten umbringt. Also ist wirklich Blut an seinen Händen und das Ende aller Vorstellungen von einem gemäßigten, versöhnlichen Ende des Films ist unmissverständlich klar.
Oft gibt die Musik einem Film viel, das ist bei den schmissigen Themen in „Giant“ der Fall, weniger bei „Kane“, aber unbedingt bei „There Will be Blood“, dessen Musik mit den Traditionen ebenso bricht wie mit der aktuellen Mode der wiedererstarkten Sinfonik, bereichert um aufheulende Chorstimmen ohne Text, besonders gerne in Fantasyfilmen verwendet und immer irgendwie gleich klingend; Danny Elfman ist ein Spezialist für diese Art von Musik, die Effekt über Originalität stellt. In „There Will be Blood“ hat aber Jonny Greenwood den Score gemacht, der Gitarrist von Radiohead, der in den letzten Jahren viele Filmmusiken hervorgebracht hat. Was er für „There Will be Blood“ geschrieben hat, diese monotonen, oft nervenzehrenden, karg instrumentierten Rhythmen – eben mit Gitarre, aber stark verfremdet – unterstreichen das unangenehme Befinden während des Zuschauens und helfen gleichzeitig dabei, zu verhindern, dass der Film auf eine Weise monumental und seine Figur Plainview zu überdimensional wirkt und damit in eine Richtung intoniert wird, die der scharfe Kritiker Anderson nicht gewollt hätte – nämlich so, dass die Distanz zwischen Zuschauer und Figuren geschwunden wäre. Trotz des wenig erfreulichen Handlungsverlaufs und der entsprechenden Verhaltensmuster der Hauptakteure ist so etwas nämlich nicht unmöglich, sofern nur der Traum mächtig genug ist, den der Mächtige verkörpert.
Gleichwohl sind die Bilder beeindruckend und in den Weiten des amerikanischen Westens ließ sich immer schon besonders gut ein effektvoller Wechsel von Totalen mit großen Panoramen und Nahaufnahmen mit großen Charakteren inszenieren, wie wir es auch in „There Will be Blood“ erleben. An niemanden geht die Kamera aber so massiv und aus subjektiven Einstellungen heran wie an Plainview, und das entspricht seiner Rolle als der eines bis zuletzt nicht von jedem Rätsel freien, durchaus verzerrten Menschen. Von den drei genannten Filmen ist „There Will be Blood“ derjenige, der gegen sein Genre inszeniert ist – allerdings wird auch klassische Musik verwendet, zum Beispiel während des Vor- und Abspanns. Dies wirkt aber durch die bewusste Verwendung bekannter Stücke u. a. der deutschen Romantik anders, vor allem distanzierter, als wenn man einen smashigen Score klassischer Art verwendet hätte.
In einer deutschen Kritik wurde darauf abgehoben, dass Plainview auch psychisch krank ist – es ärgert uns beinahe, dass wir auf den Aspekt nicht selbst gekommen sind, daher der Credit an Artechoc / Michael Haberlander. Aufgrund unserer Kenntnisse in diesem Bereich bei diesem Geschäftsmann nicht auch das Pathologische zu thematisieren, ist beinahe sträflich, zumal wir eben wissen, dass am oberen Ende der Einkommensskala auffällig viele Menschen mit Persönlichkeitsstörungen zu finden sind. Die ungeheure Rücksichtslosigkeit, die es vor allem in den Branchen, in denen ohnehin das Meiste verdient wird (Immobilien, Banken, Handel, manchmal sogar auf dem Tech-Sektor) erfordert, ganz nach oben zu kommen, liegt jenseits der Hemmeschwellen und auch des Ehrgeizes sowie der übertriebenen Selbstliebe einigermaßen ausgeglichen strukturierter Menschen. Nicht nur hier, aber auch hier, unterscheidet sich die Persönlichkeit von Plainview wieder von der Kanes: Orson Welles‘ Figur, die dem Zeitungszaren Randolph Hearst nachgebildet ist mit ihrer narzisstischen Ausprägung steht ist beinahe ein charakterliches Gegenbild zum Misanthropen, dem Alles-und-dadurch-auch-sich-selbst-Hasser Plainview, von dem man sie niemals vorstellen kann, dass er in einen Wahlkampf zieht, um ein politisches Amt zu bekleiden, in dem er von allen bewundert, ja geliebt werden will. Er sucht auch keine erkennbare gesellschaftliche Anerkennung; lediglich das überdimensionale Haus verbindet ihn mit Kane und natürlich das Streben nach Reichtum, das bei Kane allerdings wiederum nur ein Mittel zum Zweck der Erringung von Prestige und Einfluss ist, bei Plainview nur in sich selbst begründet. Bei Kane ist auch die Pathologie der Persönlichkeit u. E. nicht so eindeutig ausgeprägt wie bei Plainview und beruht auf dem berühmten Rosebud-Kindheitstrauma, nicht auf einer düsteren genetischen Vorbestimmung, die Plainview gegenüber seinem vorgeblichen Halbbruder Henry selbst anspricht.
Finale
Über den Film ist sehr viel geschrieben worden, aber wir haben versucht, uns so wenig wie möglich einzulesen, um unseren Originaleindruck zu behalten, nur ein, zwei deutsche und eine einzige amerikanische Kritik gelesen. Bei Roger Ebert schauen wir ja fast immer rein. Wir glauben aber nicht, dass man den Film diametral anders deuten kann, als wir es hier getan haben.
Wir nehmen auch an, dass er eine Allegorie auf den immer noch fortdauernden Kampf um die Rohstoffe ist, der sich möglicherweise sogar weiter verschärfen wird, und natürlich auf die speziell amerikanische Variante, wegen Öl Krieg in Arabien zu führen und sich dabei zu korrumpieren und die Moral zu besudeln, die nach dem so eindeutigen Krieg gegen Hitlerdeutschland ihren Höhepunkt erreicht hatte. Das ganze Land watet mittlerweile im Schlamm und im Ölsumpf und wenn man auch die pathologischen Züge des Plainview übertragen will, ist es seelisch krank durch die vielen, vielen Negativereignisse seit dem Kennedy-Mord, der ja auch eine Art Sündenfall war, die Initalzündung ener Entwicklung zum immer Schlechteren hin – nicht linear, versteht sich, sondern mit Zwischenstopps wie der Carter- und der Clinton-Ära. „There Will be Blood“ reflektiert, so betrachtet, wie sich das, was in Einzelmenschen wie Plainview angelegt war, mittlerweile epidemieartig ausgebreitet hat und über alle menschenfreundlichen Werte dominiert. Und das Schlusswort kann nur sein, dass die NSA-Spionage der Ausfluss eines kranken Charakters ist, der nur noch durch die Allüberwachung anderer das Gefühl hat, sich den eigenen Verstrickungen entwinden zu können – allerdings sind die Gegner des totalitären Staates, noch nicht tot.
Und deswegen sind strenge und unbarmherzige Filme wie „There Will be Blood“ wichtig. Unsere Wertung liegt in etwa gleichauf mit „No Country for old Men“, dem Hauptkonkurrenten im Jahr 2007/2008).
Anmerkung anlässlich der Veröffentlichung des Entwurfs im Jahr 2024: Wir könnten bei jeder Rehzension, die erst nach längerer Zeit publiziert wird, einen längeren Zusatz über die Entwicklung der USA seitdem schreiben, denn immerhin wurde der vorliegende Text noch in der Obama-Ära verfasst. Vermutlich hätten wir auch ein paar Worte über Donald Trump verloren, Plainviews politischen Wiedergänger, dessen Narzissmus zwar anders ausgerichtet ist, weil er dafür gewählt und überhöht werden will, aber er basiert auf Hass und Aggression, die er als Treibmittel für Erfolge in diesem Land erkannt hat. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nicht klar, wer die anstehenden Präsidentschaftswahlen gewinnen wird, aber mit Methoden und Handlungen, die unzählige Parallelenziehungen zu Plainview erlauben, hatte er es von 2016 bis 2020 ins höchste Amt geschafft, dass die für Kapitalisten unendlich freie Welt zu vergeben hat.
86/100
© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)
Kursiv, tabellarisch: Wikipedia
| Regie | Paul Thomas Anderson |
|---|---|
| Drehbuch | Paul Thomas Anderson |
| Produktion |
|
| Musik | Jonny Greenwood |
| Kamera | Robert Elswit |
| Schnitt | Dylan Tichenor |
| Figur | Darsteller | Deutscher Sprecher |
|---|---|---|
| Fletcher | Ciarán Hinds | Bernd Rumpf |
| H.W. (Erwachsener) | Russell Harvard | |
| H.W. (Kind) | Dillon Freasier | David Wittmann |
| Henry | Kevin J. O’Connor | Olaf Reichmann |
| Daniel Plainview | Daniel Day-Lewis | Frank Glaubrecht |
| Eli und Paul Sunday | Paul Dano | Timmo Niesner |
- Die Aufzeichnung lief nachts im Anschluss an eine Sendung zur Europawahl, ohne dass wir zu nächst wussten, was wir zum Aufzeichnen eingegeben hatten, wir ließen uns überraschen und blieben bei dem Film.
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