Frances Ha (USA 2012) #Filmfest 1146

Filmfest 1146 Cinema

Das Herzgrummeln im Bauch der Welt

Frances Ha ist ein US-amerikanischer Independentfilm von Regisseur Noah Baumbach aus dem Jahr 2012.  

Mumblecore. Das ist das Genre des Films. Wer davon noch nicht gehört hat, muss sich aber keine Sorgen machen, denn das Kino wird nicht mehr neu erfunden, das ist unsere feste Überzeugung. Alles, was anders klingt, ist natürlich in Details anders als das, was es vorher gab, aber eben nur in Details. Also kommt es darauf an, ob es schön gemacht ist. Darüber steht mehr in der Rezension.

Handlung (1)

Die 27jährige Tänzerin Frances Halladay (Greta Gerwig) lebt in New York mit ihrer Freundin Sophie zusammen. Frances‘ Freund will sie zum Zusammenziehen überreden, doch Frances bleibt lieber bei Sophie, die aber ihrerseits mit ihrem Freund in ein anderes Viertel zieht. Frances kann sich die Wohnung allein nicht mehr leisten und zieht zu einer Partybekanntschaft und dessen Kumpel. Sie bekommt einen Miet-Sonderpreis, solange sie keine feste Anstellung bei ihrer Dance Company hat, wo sie ausgebildet wird und ihrerseits Kurse für Kinder gibt. Doch sie bekommt den Job nicht und muss aus der Dreier-WG ausziehen, kommt zwischenzeitlich bei einer Kollegin unter, die in besser situierten Verhältnissen lebt, zu denen auch ein Appartement in Paris gehört, das Frances benutzen darf, wenn sie mal dorthin kommt. Dies ist einen Tag später der Fall, denn Frances fliegt kurzentschlossen mit einer neuen Kreditkarte auf Pump dorthin. Sophie will sie auf ihre Verlobungsparty einladen, doch Frances ist in Europa. Die Bekannten in Paris, die Frances antelefoniert, bekommen die Nachricht aber zu spät mit und Frances ist wieder in New York, als sie von ihnen eine Rückmeldung bekommt. Sie geht zurück an ihr altes College, bekommt dort eine Studentenbude und einen Job als Aushilfskellnerin. Schließlich nimmt sie in der Dance Company eine Büroarbeit an und darf eigenen Choreografien entwickeln. Der Film endet mit der Vorführung eines von ihr gestalteten Tanzstücks, im Zuschauerraum sitzen alle, die im Verlauf des Films aufgetreten sind. Die Choreografie wird als Erfolg gewertet.

Rezension

Hätten wir nicht im Nachgang vom Mumblecore gelesen, dann hätten wir den Film irgendwo zwischen Woody Allen und John Cassavetes frühen Werken wie „Schatten“ (1959, Rezension beim Wahberliner) eingeordnet – und in der Tat, auf letzteren bezieht sich der Mumblecore auch, der aber gemäß Definition erst 2002 gestartet ist.

Kennzeichnend ist das kleine Budget, die Verwendung von Innenräumen, manchmal Laiendarsteller, jedenfalls keine großen Stars, die allein ein Vielfaches dessen kosten würden, was der gesamte Film kosten darf. Mumblecore ist auch ein wenig französisches Sprechkino, vielleicht unter anderem deshalb eine unterschwellige Hommage durch den Ausflug nach Paris. Junge Menschen, die als Persönlichkeiten noch wandelbar sind, reden über das Leben, die Liebe, die Jobs, das Wohnen. WG-Talk im Kino. In Deutschland gibt es auch eine Variante vom Mumblecore, der versucht, sich durch Crowd Funding zu finanzieren, anstatt den hierzulande üblichen Weg über die Filmförderung zu wählen, ohne den auch kommerzielles deutsches Kino heute nicht mehr denkbar wäre.

Dadurch soll alles ein wenig amateurhaft wirken, tut es in „Frances Ha“ aber nicht wirklich. Die Kameraarbeit zum Beispiel ist durchaus professionell und das Low Key-Filming ist auch nicht neu – siehe John Cassavetes. Die Gespräche selbst sind nicht so sehr Ulk-Highbrow bzw. scheinintellektuell wie bei Woody Allen, aber an „Manhatten“ hat uns die eine oder andere Szene schon erinnert. Ohne Brooklyn-Bridge allerdings. Auch die Musik wirkt alles andere als karg und begrenzt, sondern ist teilweise sinfonisch und sehr stimmungsvoll. Auf dem Höhepunkt, als Frances eine ersehnte Wohnung findet, sogar David Bowie. Vielleicht ein High-End-Mumblecore.

Kern ist der Einsatz von Akteuren, die aus dem Leben gegriffen wirken, die in Situationen stecken, die aus dem Leben gegriffen wirken, und damit steht zumindest „Frances Ha“ in direkter Tradition einer Filmkultur, die in New York vor über 50 Jahren begründet wurde. Der Ostküsten-Kleinfilm als Gegenstück  zum Hollywood-Glanzfilm. Den Gegensatz gab es schon Ende der 1950er, an ihm hat sich nicht viel geändert, außer dass beide Varianten heute noch einmal oder etwas mehr glänzen.

Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden, aber „Frances Ha“ ist kein Klein-Film mehr. In der IMDb stehen derzeit 311 Kritiken zu lesen, er hat einen Metascore von 82/100 bei 35 Rezensionen – allein die Zahl der wertenden Nutzer ist mit derzeit ca. 28.000 ein Hinweis darauf, dass er eben doch kein Mainstream ist. Dass er in Deutschland auf einem kommerziellen Sender gezeigt wurde und wir auf diese Weise auf ihn aufmerksam wurden, belegt ebenfalls, dass dies insgesamt eine ganz schön erwachsene Geschichte über eine Frau ist, die im Verlauf des Films auch ein wenig erwachsener wird – mithin auch eine Art Spät-Initialisierungsgeschichte und „Sue“ (1996) ins Positive gedreht, trotz der Schwarzweißbilder. Greta Gerwigs Filmografie als Schauspielerin weist bereits 31 Positionen aus, Serien nur als eine Position gerechnet – und sie hat auch im Woody Allen-Film „To Rome with Love“ eine kleinere Rolle gespielt, der im selben Jahr entstand wie „Frances Ha“. Man kennt sich also, könnte man sagen, und zu Recht beeinflussen die großen Vorbilder auch die Filme der jungen Künstler.

Wer aber ist die Protagonistin Frances Halladay, deren Namensschild zu groß für den Ausschnitt im Briefkasten ist, sodass nur „Frances Ha“ sichtbar bleibt – ein Sinnbild für das improvisierte, nie perfekte und nie vollständige Leben der Protagonistin, das zum Filmtitel wurde.

Figuren sind immer dann so atemberaubend authentisch, wenn die Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren aus ihrem eigenen Leben erzählen. Die Regie ist von Noah Baumbach, der schon mit „The Squid and the Whale“ (2005) einen New Yorker Innenleben-Film gemacht hat. Das Buch stammt auch von ihm, aber auch von Greta Gerwig, die ebenso aus Sacramento stammt wie ihre Filmfigur und die als Künstlerin im teuren New York durchaus einen eigenen Bezug zu dem hat, was ihre Protagonistin durchlebt. Als sie in die alte Heimat reist, erleben wir ihre wirklichen Eltern Christine und Gordon Gerwig sogar als Filmeltern. Wenn man dann noch ein lebendiger und mimisch und körperlich aussdrucksstarker Mensch ist wie Greta Gerwig, ist es gar nicht mehr so geheimnisvoll, wie ein Film entsteht, der diese Dichte und Nähe zum Leben atmet, der dem Mainstream-Kino auch in Europa mehr und mehr abhandenkommt. Das ist nicht wertend gemeint, denn es zählt, was herauskommt, und welcher Künstler und welcher in irgendeine Form etwas kreative und etwas chaotische Mensch würde sich nicht im einen oder anderen Moment in Frances wiederfinden und die eine oder andere Eigenschaft entdecken, die auch sie mit sich herumschleppt oder für sich einsetzen kann.

Der Film ist für Leute gemacht, wie auch die erwähnten Vorbilder, die etwas damit anfangen können, deswegen gibt es beinahe mehr Kritiker, die darüber geschrieben haben, als Zuschauer, die ihn gesehen haben. Überspitzt, versteht sich, wir kennen das Phänomen vom heute schon legendären deutschen Autorenfilm der späten 1960er Jahre, der, allerdings schon teilweise unter Einbindung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ebenfalls als Insider-Veranstaltung begonnen hat.

Eines aber ist die Figur nicht, und das unterscheidet sie unter anderem von „Annie Hall“ (1977, Rezension), Woody Allens Ikone der 1970er und ihrer Wiedergängerin in „Manhattan“: Sie ist nicht hyptertroph. Sie ist wuselig, verpeilt, sie liest viel, aber sie redet nicht über Kunst. Sie redet weder über das Tanzen noch über Bücher oder Bilder, ansatzweise tut das eher Sophie, ihre jüdische Freundin, die immerhin eine Meinung zur WG-Wohnung hat und sie als „gewollt“ bezeichnet, mit ihren Kunstapplikationen. Frances ist unprätentiös, aber nicht unkompliziert. Mit Beziehungen hat sie Probleme, obwohl es absolut keinen familiären Hintergrund gibt, der das erklären könnte. Ihr Eltern sind ein menschliches Harmonium mit kleinem, weißem Pudel, den sie sogar mit zum Flughafen nehmen, wenn sie Frances in Empfang nehmen oder sie verabschieden. Frances ist auch keine echte New Yorkerin, die demgemäß von Geburt an die Luft der Flüchtigkeit in Beziehungs- und Jobdingen geatmet hätte. Sie arbeitet sich in die Stadt ein und sie wirkt auch anders als die anderen, die wir im Film sehen. Sie ist ein wenig derber im Auftritt, ein wenig ländlicher wirkt ihr Outfit, sie ist ein Newbie, der aber wenig Außensicht offenbart,   viel weniger als zum Beispiel Woody Allens geborene New Yorker, die so selbstreflexiv wirken, dass es schon wieder witzig ist mitanzusehen, wie die genau diese Eigenschaft jede Distanz zu sich selbst und der Stadt unterbindet. Fances würde nie abfällige Bemerkungen über Westküstenstädte machen, wie Woody Allen in „Annie Hall“.

Sie ist das, was wir hier in Berlin „pur“ nennen, auch mit der Außensicht, die wir immer noch haben oder zu haben glauben, sie ist offen bis peinlich, ihr Gesten etwas stärker ausgeprägt, ihre kleinen Marotten, ihre flirrende Art, Worte mit Ausdruck zu unterstreichen oder zu kontern, sie ist ein Mensch, dem man folgen kann und dessen Handlungen man perfekt verstehen kann. Das wiederum liegt daran, dass sie eben ihre Schwierigkeiten mit Beziehungen hat, manchmal grandios zur falschen Zeit am falschen Ort ist (die Paris-Sequenz), nie richtig ins Planen kommt, sondern immer von Zufällen weitergetrieben wird, aber bei all dem nie den Grundoptimismus verliert und den Humor.

Eifersüchtig kann sie sein, relativiert es aber gleich wieder, weil sie ein gutmütiger und guter  Mensch ist, sie neigt stellenweise zu Konstruktionen, aus dem verständlichen Grund, Anbindung zu suchen, gerade dort, wo sie nicht funktionieren können – wie etwa, als sie ihre Tanzkollegin knufft und hofft, mit ihre ein neues Ding wie mit Sophie aufzubauen, mit der dieses Schattenboxen auch funktioniert hat, doch diese eher zurückgenommene Blonde ist ein anderer Mensch als die Freundin mit der großen Brille und findet an dieser Art von Körperlichkeit nichts, die ja auch recht unamerikanisch ist, die Leute dort haben ja mittlerweile Schwierigkeiten, einander die Hand zu reichen – und vielleicht auch Gerwigs überwiegend deutsches Erbe ein wenig verrät. Da ist so eine urige Robustheit mit drin, die nicht zur New Yorker Kunstzene passen will und die natürlich auch ihr eigenes Symbol hat: Dass Frances sich hin und wieder beim Rennen ablegt und gar nicht merkt, dass sie sich verletzt hat.

Finale

Kritiker haben den Film als schönste Komödie des Sommers 2012 bezeichnet. Wenn man bedenkt, dass der erfolgreichste deutsche Film 2012 „Türkisch für Anfänger“ war, den wir gerade rezensiert haben, stimmt es zumindest relativ, denn es macht einen  Unterschied, ob man sich über allzu große Plattheiten ärgert oder beim Verfassen einer Rezension ein Lächeln im Gesicht hat. Das kann passieren, wenn man jemanden gesehen hat, der zwar ein gewisses Künstler-Privileg hat, aber doch überwiegend so ein Typ ist, der immer gleichzeitig mittendrin und nebendran steht und sich in dieser Rolle zunehmend klarfindet – und lernt, sich künstlerisch genau dort auszudrücken, wo das Leben als solches der Phantasie und der schöpferischen Kraft Grenzen setzt. Ob sie sich einmal eine Welt schaffen wird, die genau ihrem inneren Kern entspricht, wissen wir nicht, aber das Ende lässt vermuten, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht. Es ist alles im Fluss und bewegt sich weiter, wie in dem kleinen Ballett, das sie inszeniert hat.

Wir haben den Film anlässlich der deutschen Fernseh-Erstaufführung im Jahr 2014 rezensiert und bei der Veröffentlichung zehn Jahre später keine Veränderungen am Text vorgenommen, sofern sie nicht durch Umstellungen von Textteilen auf das heutige Rezensionsschema bedingt waren. Alle Daten, Angaben und Vergleiche beziehen sich daher auf das Jahr 2014.

80/100

© 2024 Der Wahlberliner, Thomas Hocke (Entwurf 2014)

(1), kursiv, tabellarisch: Wikipedia

Regie Noah Baumbach
Drehbuch Noah Baumbach,
Greta Gerwig
Produktion Noah Baumbach,
Scott Rudin,
Lila Yacoub,
Rodrigo Teixeira
Musik George Drakoulias
Kamera Sam Levy
Schnitt Jennifer Lame
Besetzung

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