Wohnungsmangel: Umzug aufs Land? (Umfrage + Kommentar) | Housing Wohnen | Wohnreport #Mietenwahnsinn #SPD-Fail #RausaufsLand #Klassismus

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Über 700 Artikel mit dem Tag #Mietenwahnsinn haben wir seit 2018 geschrieben, damit eine Ampelregierung eine Umfrage wie die folgende provoziert:

Civey-Umfrage: Wie bewerten Sie das Vorhaben der Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD), Menschen wegen der Wohnungsnot in großen Städten zum Umzug aufs Land zu bewegen? – Civey

Lesen Sie bitte zuerst den Civey-Begleittext und unseren Kommentar, bevor Sie abstimmen!

Civey

In deutschen Großstädten ist der Wohnungsmangel erheblich. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland insgesamt etwas über 294.000 neue Wohnungen gebaut, ursprünglich hatte die Bundesregierung jedoch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr geplant. Gründe seien, wie in anderen europäischen Ländern, die negativen Folgen der hohen Inflation und des Zinssprungs, schreibt das ZDF. Darüber hinaus seien die Baukosten völlig aus dem Ruder gelaufen. Um den Wohnungsmangel nicht weiter zu verschärfen, will die Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) mehr Menschen dazu bewegen, aufs Land umzuziehen.   

„Aufgehen wird die Strategie nur, wenn das Leben jenseits der Metropolen nicht als Notfalllösung wahrgenommen wird“, so die Ministerin. Oftmals seien Menschen gezwungen gewesen, zur Jobsuche ihre Gemeinde zu verlassen. „Homeoffice und Digitalisierung bieten aber inzwischen ganz neue Möglichkeiten für das Leben und Arbeiten im ländlichen Raum”, sagt sie in der NOZ. Diese will sie stärken. „Gerade in kleinen und mittelgroßen Städten ist das Potenzial groß, weil es dort auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte gibt“. Um Menschen zur Rückkehr in die Heimat oder zum Umzug aus der Großstadt ins Umland zu bewegen, brauche es dort aber genügend Züge und Busse und digitale Angebote. 

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kritisierte die Bauministerin für ihren Vorschlag zum Umzug aufs Land. „Die Empfehlung […] grenzt an Hohn”, sagte Djir-Sarai gegenüber der Funke Mediengruppe. Viele Personen seien aufgrund beruflicher Tätigkeiten, ihrer Ausbildung oder des familiären Umfeldes auf Wohnraum in den Städten angewiesen. Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssten endlich die bürokratischen Hürden bei der Schaffung neuen Wohnraums radikal abgebaut werden, forderte der FDP-Politiker laut der WiWo

Infos

Wir müssen Sie erst noch ein wenig upgraden, denn der obige Text verschweigt eine wichtige Zahl:

Die Ampelkoalition hat das Ziel, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, davon sollen 100.000 Sozialwohnungen sein. Unter der Ampelregierung wurden im Jahr 2023 insgesamt 49.430 Sozialwohnungen neu gefördert. Dies liegt deutlich unter dem jährlichen Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen, das sich die Regierung ursprünglich gesetzt hatte. Wir haben keine Zitierung vorgenommen, weil wir meinen, wenn Sie diese Grunddaten überprüfen wollen, ist das relativ leicht möglich.

Kommentar

Wenn die Privaten nicht bauen, weil die hohen Renditeerwartungen nicht erreicht werden können, was muss der Staat dann tun, wenn er 400.000 Wohnungen pro Jahr verspricht? Selbst bauen, natürlich. Grundstücke hat er dafür genug, auf seinen verschiedenen Ebenen (Bund, Länder, Gemeinden). Und natürlich war es ein Riesenfehler, die Wohnungsgemeinnützigkeit abzuschaffen, dadurch hat sich seit 1990 die Zahl der preisgebundenen Wohnungen halbiert. Was immer man jetzt baut, langfristig fällt es aus der Bindung. Nicht einmal dazu hatte die Ampel das Zeug und den Mut, diesen Fehler der CDU-FDP-Koalition, den diese kurz vor der Wende gemacht hat, zu korrigieren, wenn es schon mit dem Neubau nicht funktioniert.

Wieder ein Thema, bei dem das Kaputtsparen den Menschen auf den Kopf fällt. Und jetzt greift tatsächlich die SPD-Bauministerin ein altes klassistisches Motto der örtlichen CDU auf, das den Berliner:innen gut bekannt ist: Wer sich die irren Preise in der Stadt nicht mehr leisten kann, der soll halt abhauen in die Pampa, leicht pointiert ausgedrückt, aber inhaltlich korrekt wiedergegeben. Die Pampa, das ist da, wo Frau Geywitz alle im Homeoffice werkeln sieht, natürlich ohne Glasfasernetz und vernünftige ÖPNV-Anbindung. In Brandenburg haben sie noch viel Platz. Aber zu günstigen Preisen nur außerhalb des Autobahnrings und das ist genau das Problem: Von dort aus ist man lost, denn die Infrastruktur wird nicht besser, sondern schlechter, weil die Politik es nicht schafft, vor allem jüngere Menschen vor Ort zu halten und Perspektiven aufzubauen.

Nein, sie gehen in die Städte, weil hier wenigstens noch die wichtigen Dinge des Lebens funktionieren. Die sogenannten kleineren Städte hingegen haben, wenn sie nicht ebenfalls teuer sind und im direkten Umland der Metropolen liegen, so viele Einwohner verloren, dass Grundfunktionen kaum noch gewährleistet sind, geschweige denn gute Jobs vorhanden sind. Frankfurt/Oder ist ein klassisches Beispiel für eine solche Entwicklung. Was man im Berliner Raum und in Brandenburg sieht, lässt sich ohne Weiteres auf weite Teile des Landes übertragen. Der Druck aus den Städten macht das nähere Umland ebenfalls immer mehr  unbezahlbar. Erst dort, wo es weder eine Bushaltestelle noch eine Bäckerei gibt, da wird es dann günstiger. Das bedeutet, wer in die Berliner Innenstadt zur Arbeit muss, hat 1,5 Stunden und mehr Anfahrtsweg. Das sind drei Stunden extra pro Tag, die fürs Familienleben verlorengehen und die natürlich nicht bezahlt werden.

Aber es gibt ja noch die Homeoffice-Avantgarde, deren Geschäftspartner überall in der Welt sich wundern, wieso es Stunden dauert, bis ein Datensatz vom deutschen platten Land aus übermittelt ist und jede Videokonferenz zum Hindernislauf wird. Es gibt ein paar chillige Freiberufler, für die ist das alles sicher die Erfüllung, aber das sind kleine Minderheiten. Bei der Mehrheit sieht es so aus:

Frau Geywitz hätte gerne, dass diejenigen, die den Kapitalisten jeden Tag in den Städten die Zunge auf die andere Seite legen und die systemrelevanten Jobs ausüben, dort nicht mehr wohnen dürfen, sondern die oben erwähnten Anfahrtswege zusätzlich zur miserablen Bezahlung in Kauf nehmen dürfen. Auf diese Weise gedenkt Frau Geywitz vermutlich auch den Fachkräftemangel zu beheben, indem alle verdrängt werden, die in Städten einigermaßen schnell zum Arbeitsplatz kommen. Dass es für manche Menschen sogar Pflicht ist, zum Beispiel für Klinikpersonal, das Bereitschaft hat, schnell am Arbeitsplatz zu sein, interessiert Frau Geywitz, die Wohnungsnotstandsverwalterin, natürlich nicht. Vielleicht kann man die Not-OPs ja auch vom Homeoffice draußen in Brandenburg aus durchführen. Im Ampelwunderland wird fast jede Machbarkeit vorgegaukelt, deswegen geht auch fast nichts mehr.

Für den Mieterschutz hat die Ampelregierung hingegen noch nicht einen Deut getan, der Zeiger steht bei 0,0.

Es ist unfassbar, wie eine erfolglose Bauministerin den Klassismus der Rechten bedient, indem sie den Leuten einfach sagt, sie sollen dem Preisdruck weichen, anstatt endlich Mieter:innen besser zu schützen und den Preisauftrieb zu begrenzen. Dafür müsste man natürlich Wohnungen vorhalten, bei denen das möglich ist. Das geht aber mit der SPD von Frau Geywitz nicht, denn die Berliner Sektion dieser Partei blockiert hinhaltend ein Enteignungsgesetz, das 2021 mit klarer Mehrheit der Bevölkerung, per Volksentscheid, als Auftrag an die Politik gegangen ist. Man baut nicht, man sichert keinen günstigen Wohnraum, aber erteilt wohlfeile Empfehlungen an die Stadtbevölkerung.

Das wird die SPD in Berlin wieder Stimmen kosten, das sagen wir hiermit voraus. Aber vielleicht will sie ja hier auch einstellig werden, den Sozialdemokraten kann kein Ziel mehr niedrig genug sein.

Auf den ersten Blick wirkt es, als ob ausgerechnet die FDP dieses Mal richtig läge.

Das stimmt aber leider nicht, und schuld darin ist ein so unterkomplexer Vorschlag wie der von Frau Geywitz, auf den man wunderbar aufspringen kann, als sei man nicht Teil der Ampelkoalition, die auch auf dem Gebiet des Wohnungsbaus nichts auf die Reihe bekommt.

Wenn die FDP aktiv werden will, anstatt beim Kaputtsparen die führende Rolle einzunehmen, dann nur, um dem Kapital neue Anlagemöglichkeiten  zur Verfügung zu stellen, nicht, damit günstig gewohnt werden kann. Die „radikalen Vereinfachungen“ bedeuten, mühevoll über Jahrzehnte aufgebaute gute Baustandards zu schleifen, damit noch mehr qualitativ minderwertige, aber hochgradig überteuerte Butzen auf den Markt geworfen werden, an deren Klingelschildern irgendwelche fantasievollen Namen stehen, falls überhaupt welche ausgewiesen sind, deren Träger offenbar nie das Licht anmachen, wenn es Nacht wird. Vielleicht müssen sie sparen, weil die Wohnung eben doch ein ziemliches Loch ins Portemonnaie gefressen hat. Nein, natürlich nicht. Das sind Spekulations- und Anlageobjekte, die nicht einen Deut zur Linderung der Wohnungsnot beitragen, weil kein Normalverdiener mit einem halbwegs üblichen Anwesenheitsprofil darin wohnen kann.

Die FDP hat nur die Finanzialisierung von wirklich allem im Sinn, trauen Sie also der FDP nicht, sie ist auch eine Ampelpartei. Es kann sogar der Verdacht aufkommen, hier wird Hand in Hand gearbeitet, es gibt in Wirklichkeit gar keine gegensätzlichen Positionen. Die Berliner SPD, vor allem seit ihrer Übernahme durch Franziska Giffey, ist rechts genug, um ihre eigenen Wähler:innen aus der Stadt zu jagen, und jetzt kommt die Bundespartei auch noch daher und stößt in dasselbe Horn. Die CDU und auch die Neoliberalen lachen sich schlapp über diese Steilvorlage und eine weitere Partei wird ebenfalls Einzahlungen auf ihr Wählerstimmenkonto verbuchen.

Richtigerweise sagt eine knappe absolute Mehrheit von etwa 50 Prozent, die Idee, wie Frau Geywitz das Ampelversagen in der Wohnungspolitik auf die Bürger:innen abwälzen will, ist falsch. Von den anderen merken vielleicht einige nicht, was gespielt wird oder sind selbst aufs Land gezogen. Aber vor allem, um mehr Platz zum Wohnen und einen Garten zu haben, das sollten sie fairerweise dazusagen, wenn sie anderen das auch empfehlen möchten, für die der Raum- und Grüngewinn vielleicht gar keine Priorität hat, sondern die lieber kleiner, aber dort wohnen möchten, wo es nicht so öde ist.

Vor allem aber ist dies ein Affront gegenüber jenen, die in der Stadt arbeiten, weil sie vor Ort präsent sein müssen, aber nicht so bezahlt werden, dass sie sich die davonschießenden Preise noch leisten können. Kein normalverdienender Mensch, der es nicht muss, zieht derzeit in Berlin um. Dies trägt zur Verfestigung der Wohnungsnot bei, weil viele Menschen in zu kleinen und andere in zu großen Wohnungen leben, aber Letztere genau wissen, wenn sie wechseln, zahlen sie angesichts der exorbitanten Neuvermietungspreise für die neue kleine Wohnung mehr als bisher für die größere. Es gibt ein paar schlaue Programme städtischer Wohnungsgesellschaften, die einen Ausgleich schaffen sollen, aber wir kennen niemanden persönlich, der schon an einem solchen Wohnungstausch teilgenommen hat.

Auch der Berliner Senat ist, seit wir die Wohnungspolitik verfolgen, hinter den Bauzielen zurückgeblieben, aber wenigstens haben sich dessen Exponenten während der Zeit von Rot-Rot-Grün und Rot-Grün-Rot nicht hingestellt und ihre Wähler:innen zum Verlassen der Stadt aufgefordert, nach dem Motto, auf dem Land, als Gentrifizierungsopfer, das wir nicht geschützt haben, kann man uns auch wählen. Das geht bei einer Stadtregierung nämlich nicht. Es wird sich aber noch zeigen, dass Menschen, die aus den Städten verdrängt werden, auch auf dem Land nicht mehr der SPD ihre Stimmen geben werden – sondern möglicherweise wem? Genau. Vielen Dank, Frau Geywitz. Vielen Dank für Ihren Beitrag zur Beschädigung der Demokratie.

Was ist das bloß für eine Gurkentruppe, die Kanzler Scholz da um sich versammelt hat. Anfangs hatten wir das Qualitätsproblem der Ampel gar nicht in erster Linie bei der SPD vermutet, aber mittlerweile stellt sich eine Ministerin von der SPD nach der anderen so ausgesprochen blöd kontraproduktiv an, dass man ganz nebenbei merkt, warum die SPD nicht mehr ins Laufen kommt: Sie hat keine guten Leute. Sie ist blank. Sie muss um die nächste Krise betteln, damit Alltagsthemen wie die Wohnungspolitik nicht wieder in den Vordergrund treten und sich nicht zu sehr offenbart, wie wenig die aktuelle Bundesregierung wirklich in der Lage ist, irgendetwas zu wuppen, was eben nichts mit plötzlichen Änderungen der Weltlage zu tun hat.

Hier geht es vielmehr um Probleme, die schon lange vor Corona bestanden, lange vor dem Ukrainekrieg, der die Wohnungsnot verschärft hat, aber nicht ihre Ursache darstellt. Seit fast 15 Jahren wird verdrängt und verdrängt in Berlin, kämpft die Zivilgesellschaft dagegen, wird von der Politik (bis auf wenige Ausnahmen, die aber kein SPD-Parteibuch haben) nicht ernstgenommen. Wird die Stadt oder werden die in ihr lebenden Menschen durch den politisch gewollten Bevölkerungsaustausch wenigstens reicher? Nein. Der politisch organisierte Preisauftrieb sorgt dafür, dass die Kaufkraft der Mehrheit für Hauptstadtverhältnisse erschreckend mager bleibt.

Wenn die Wohnungsversager wenigstens die Klappe hielten, dann würde das Versagen nicht so ins Auge springen, aber sie müssen auch noch mit Tipps um die Ecke kommen, die nur dem politischen Gegner helfen und das Land weiter nach rechts rücken. Nun ja, was heißt bei diesen abgewirtschafteten Parteien schon „Gegner“.

Selbstverständlich haben wir mit einem klaren „Nein“ auf den oben dargestellten „Vorschlag“ geantwortet, an dem nur seine brutale Simplizität bzw. seine simple, menschenverachtende Brutalität beeindruckt. Vielleicht ist es auch nur Ignoranz seitens jener, die durch ihre Stellung in der Politik von all diesen Problemen nicht betroffen, dafür aber den Lobbys des Kapitals  heftig zugeneigt sind.

TH


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